Raketentreibstoff in Bakterien Rocket fuel in bacteria

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Jahrbuch 2016/2017 | Dietl, Andreas; Barends, Thomas | Raketentreibstoff in Bakterien
Raketentreibstoff in Bakterien
Rocket fuel in bacteria
Dietl, Andreas; Barends, Thomas
Max-Planck-Institut für medizinische Forschung, Heidelberg
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E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Der Kreislauf des Stickstoffs und sein Austausch zw ischen organischer Materie und der Atmosphäre ist
w esentlich für alles Leben auf der Erde. Einer der w ichtigsten chemischen Wege dieses Kreislaufes w urde erst
in den 1990er Jahren entdeckt: Der Anammox-Prozess, der von spezialisierten Bakterien durchgeführt w ird,
verläuft über Hydrazin, einen extrem reaktiven Stoff, der den Menschen als Raketentreibstoff dient. Eine
Untersuchung der Struktur der Enzyme, die Hydrazin in der bakteriellen Zelle verarbeiten, liefert Einblicke in
die Möglichkeiten unkonventioneller intrazellulärer Chemie.
Summary
The exchange of nitrogen betw een the atmosphere and organic matter is crucial for life on Earth. One major
route for this cycle, discovered only in the 1990s, is the anammox pathw ay that is found in certain bacteria. It
proceeds via hydrazine, a highly reactive substance used by humans as a rocket fuel. A study of the structure
of the enzymes involved in making and handling hydrazine in the bacterial cell offers striking insights into the
possibilities of an unconventional intracellular chemistry.
Einleitung
Die meisten für Lebew esen typischen Moleküle enthalten Stickstoffatome, und alle Lebensformen auf der Erde
sind von diesem Element ebenso abhängig w ie von Kohlenstoff und Sauerstoff. In der Erdkruste ist Stickstoff
eher selten, dafür besteht unsere Atmosphäre zu 80% daraus. Hier liegt der Stickstoff allerdings in
molekularer Form vor, d.h. als zw ei aneinander gebundene Stickstoffatome (N 2 ), deren extrem starke
Dreifachbindung nur sehr schw er spaltbar ist. In der Biosphäre spielen daher Organismen, die Stickstoff in eine
reaktivere Form umw andeln und so für Lebew esen verfügbar machen, eine zentrale Rolle. In dieser
„Stickstofffixierung“ spalten Bakterien unter enormem Energieaufw and die N2 -Moleküle und bilden aus jedem
zw ei Moleküle Ammoniak (NH3 ). Diese Reaktion ist eine sogenannte Redoxreaktion, d.h., Elektronen w erden
abgegeben oder, w ie in diesem Fall, aufgenommen. Ammoniak ist sehr viel reaktiver als der molekulare
Stickstoff aus der Luft, und sein Stickstoff ist daher für biochemische Prozesse leicht verfügbar.
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Solche spezialisierten, „diazotrophen“ Bakterien leben oft in Symbiose mit Pflanzen, die den so gebundenen
Stickstoff für ihren Stoffw echsel erhalten. Es gibt jedoch andere Bakterien, die Ammoniak mit Hilfe von
Luftsauerstoff in einer w eiteren Redoxreaktion zu Nitrit (NO 2 - ) umw andeln. Diese Organismen, Nitrifizierer
genannt, gew innen Energie aus diesem Vorgang, und das gebildete Nitrit kann ebenfalls von Pflanzen für ihr
W achstum verw endet w erden.
Eine dritte Gruppe von Mikroorganismen, die denitrifizierenden Bakterien, können aus Nitrit in zw ei
aufeinanderfolgenden Redoxreaktionen w ieder molekularen Stickstoff freisetzen: aus zw ei Molekülen Nitrit
entsteht zunächst Lachgas (N2 O), das daraufhin w ieder zu molekularem Stickstoff (N2 ) umgesetzt w ird.
Stickstoffatome durchlaufen also einen Zyklus: aus molekularem Stickstoff aus der Luft w ird Ammoniak, und
daraus w ird Nitrit, das schließlich über Lachgas w ieder in molekularen Stickstoff umgew andelt w ird - der
biologische Stickstoffkreislauf.
Aufgrund der enormen Bedeutung von Stickstoff für das Leben auf der Erde ist dieser Kreislauf bereits seit
längerem Gegenstand vieler Forschungsarbeiten. Die Entw icklung eines chemischen Prozesses zur chemischen
Fixierung von atmosphärischem Stickstoff als Ammoniak hat es ermöglicht, stickstoffhaltigen Mineraldünger im
industriellen Maßstab herzustellen; dieses sogenannte Haber-Bosch-Verfahren hat zu riesigen Fortschritten in
der Landw irtschaft geführt und zur Linderung des Hungers in der W elt beigetragen.
Eine Überraschung: die Anammox-Reaktion
Es w ar daher eine große Überraschung, als niederländische Forscher Mitte der neunziger Jahre feststellten,
dass
unser
Verständnis
des
Stickstoffkreislaufs
eigentlich
unvollständig
w ar.
Aus
einer
Wasseraufbereitungsanlage isolierte man Bakterien, die Ammoniak und Nitrit in Abw esenheit von Sauerstoff
direkt
in
molekularen
Stickstoff
umw andeln
können
[1].
Diese
Reaktion,
die
als
„anaerobe
Ammoniumoxidation" oder „Anammox“-Reaktion bezeichnet w ird, w ar eine bislang unbekannte Abkürzung
innerhalb des Stickstoffkreislaufs.
Inzw ischen sind Anammox-Bakterien überall auf der Erde entdeckt w orden, und es w ird angenommen, dass
bei der Hälfte des gebundenen Stickstoffs, der aus den Ozeanen in die Atmosphäre zurückgeführt w ird, dies
über den Anammox-Prozess statt über die Denitrifizierung geschieht. Die Anammox-Reaktion ist also von
globaler Bedeutung. Sie hat auch einen großen w irtschaftlichen Nutzen: da sich große Mengen Ammoniak und
Nitrit (z.B. in Abw ässern) schädlich auf die Umw elt ausw irken, aber mit der Anammox-Reaktion sehr einfach in
unschädliches Stickstoffgas verw andelt w erden können, w erden Anammox-Bakterien immer häufiger in
Kläranlagen eingesetzt.
Raketentreibstoff in Bakterien?
Die Entdeckung der Anammox-Bakterien [1] w ar an sich schon eine Überraschung, aber die Aufklärung der
einzelnen Reaktionsschritte selbst lieferte noch erstaunlichere Erkenntnisse. Es w urde nämlich festgestellt,
dass beim Zusammenfügen der beiden Stickstoffatome aus Ammoniak und Nitrit zunächst Hydrazin gebildet
w ird [2, 3]. Hydrazin ist eine äußerst reaktive und für viele Organismen sogar giftige Substanz. Aufgrund ihrer
hohen
Energiedichte
w ird
sie
als
Raketentreibstoff
benutzt
und
darf
nur
unter
strengsten
Sicherheitsvorkehrungen gehandhabt w erden. Es stellt sich also die Frage, w ie Anammox-Bakterien dieses
Hydrazin herstellen, unter Kontrolle halten und w eiterverw enden. Am MPI für medizinische Forschung in
Heidelberg w urden die molekularen Strukturen der Enzyme, die für die Hydrazinsynthese zuständig sind,
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intensiv untersucht.
Ungewöhnliche molekulare Strukturen
A bb. 1: Einze lhe ite n de s a k tive n Ze ntrum s de s Enzym s
Hydrox yla m in-O x ida se a us de m Ana m m ox Ba k te rium Kuenenia stuttgartiensis. Die Hä m gruppe , die in de n
m e iste n a nde re n Enzym e n fla ch ist, ist sta rk ve rze rrt durch
zwe i Bindunge n m it e ine m Tyrosinre st. Ein Mole k ül
Ethyle nglyk ol binde t a uf se hr unge wöhnliche W e ise a n de r
Hä m gruppe .
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Als Erstes w urde die Hydroxylamin-Oxidase aus dem Anammox-Bakterium Kuenenia stuttgartiensis untersucht.
Dieses Enzym w andelt Hydroxylamin (NH2 OH) in Stickstoffmonoxid (NO) um, das dann zur Synthese von
Hydrazin verw endet w ird. Mithilfe der Proteinkristallographie konnte die dreidimensionale Struktur des Enzyms
bestimmt w erden [4]. Dabei fiel auf, dass die eisenhaltige Hämgruppe im aktiven Zentrum, die in den meisten
anderen Hämproteinen mehr oder w eniger flach ist, eine stark verbogene Form besitzt. Der Grund sind zw ei
sehr ungew öhnliche chemische Bindungen zw ischen der Hämgruppe und einem Tyrosin, die zu einer starken
Verzerrung der Hämstruktur führen (Abb. 1). Diese Verzerrung, die sonst nur bei einem verw andten Protein
aus einem nitrifizierenden Bakterium bekannt w ar, hat starke Ausw irkungen auf die chemischen Eigenschaften
des Enzyms. Dies w urde unter anderem klar, als die Forscher herausfanden, dass das Hämmolekül nicht nur
w ie üblich am Eisenatom Reaktivität aufw eist, sondern auch an einer ganz anderen, unerw arteten Stelle.
Durch Zufall w urde entdeckt, dass ein sonst eher unreaktives Molekül, Ethylenglykol, eine chemische Bindung
mit einem der Kohlenstoffatome dieser außergew öhnlichen Hämgruppe bildet [5].
Eine biologische Hydrazinfabrik
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A bb. 2: Zwe i Ansichte n de s Enzym s Hydra zinsyntha se a us
de m Ana m m ox -Ba k te rium Kuenenia stuttgartiensis. Die
unte rschie dliche n P rote inm ole k üle , die da s Enzym bilde n, sind
in unte rschie dliche n Fa rbe n da rge ste llt. Da s unte re Bild ze igt
die a k tive n Ze ntre n A und B sowie die
Ele k trone ntra nsportk e tte (sie he Te x t).
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Als nächstes untersuchten die Forscher die Struktur des Enzyms Hydrazinsynthase, das aus Ammoniak und
Stickstoffmonoxid Hydrazin herstellt. Obw ohl Kristalle dieses Enzyms hergestellt w erden konnten, reichte ihre
Qualität nicht für die Strukturbestimmung. Ein aufw ändiges Suchverfahren ergab, dass sich die Qualität durch
Zugabe von Betain erhöhen ließ – allerdings lösten sich die Kristalle bei normalen Temperaturen langsam auf.
In einem eigens konzipierten Kühlgerät konnten die Kristalle kontrolliert auf -20 Grad Celsius abgekühlt
w erden. Auf diese Weise entstanden Kristalle, die eine sehr detaillierte Bestimmung der Struktur der
Hydrazinsynthase ermöglichten [6].
Die katalytische W irkung der Enzyme liegt in ihrem aktiven Zentrum. Interessanterw eise zeigte die
Strukturbestimmung, dass die Hydrazinsynthase, die aus mehreren interagierenden Proteinmolekülen besteht,
zw ei unterschiedliche aktive Zentren besitzt (Abb. 2). Eines davon (aktives Zentrum A) befindet sich am Ende
einer möglichen Elektronenübertragungskette, w as nahelegt, dass hier eine Redoxreaktion stattfindet. Das
andere aktive Zentrum (B) zeigt w iederum eine sehr ungew öhnliche Struktur, die Elemente aus aktiven
Zentren verschiedener Enzymfamilien in sich vereint: Zum einen befindet sich hier eine Hämgruppe, deren
Eisenatom w ie im Enzym Katalase mit einem Tyrosin interagiert, zum anderen ist dort aber auch ein Zinkatom
gebunden, und zw ar auf eine Weise, die an manche proteinspaltende Enzyme erinnert. Außerdem zeigte die
Strukturanalyse, dass die beiden aktiven Zentren durch ein System von Tunneln miteinander verbunden sind
(Abb. 3).
Fasst man diese und w eitere Erkenntnisse zur Hydrazinsynthase zusammen, kann man sich vorstellen, dass
die Synthese von Hydrazin in zw ei Schritten abläuft: im einen aktiven Zentrum findet der erste Schritt statt,
dessen Produkt dann durch den Tunnel zum anderen aktiven Zentrum transportiert w ird, w o der zw eite Schritt
erfolgt. Die Struktur der einzelnen aktiven Zentren erlaubte es, einen detaillierten, in sich schlüssigen
Mechanismus für diesen Vorgang vorzuschlagen (Abb. 3).
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A bb. 3: O be n: Die zwe i unte rschie dliche n a k tive n Ze ntre n in
Hydra zinsyntha se und da s Tunne lsyste m
(ora nge fa rbig). Unte n: sche m a tische Da rste llung de r
m e cha nistische n Hypothe se zur Biosynthe se von Hydra zin
(sie he Te x t).
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In diesem mechanistischen Modell w ird zunächst in einem der beiden aktiven Zentren (A) Stickstoffmonoxid
(NO) in Hydroxylamin (NH2 OH) umgew andelt. Dies ist eine Redoxreaktion, und die erforderlichen Elektronen
stammen aus der Elektronentransportkette, deren Ende am aktiven Zentrum A liegt. Das entstandene NH2 OH
bew egt sich dann durch den Tunnel zum aktiven Zentrum B. Dort reagiert es in einer sogenannten
„Komproportionierung“ mit Ammoniak zu Hydrazin. Die Hydrazinsynthase ähnelt also einer „biologischen
Fabrik“, mit Reaktionsgefäßen und Leitungen für Chemikalien. Tatsächlich erinnert dieser Mechanismus in
mancher Hinsicht an das „Raschig-Verfahren“ zur industriellen Herstellung von Hydrazin.
Anammox-Forschung in der Zukunft
W ie sich gezeigt hat, hält die Biochemie von Stickstoffverbindungen immer noch große Überraschungen für uns
bereit, insbesondere in der Anammox-Reaktion. Um unsere Kenntnisse über die Biochemie dieser global so
w ichtigen Reaktion zu erw eitern, untersucht man derzeit die Proteine, w elche die für die unterschiedlichen
Reaktionen notw endigen Elektronen vom einen Enzym zum anderen transportieren. Auch w ird die Struktur der
Hydrazindehydrogenase, die Hydrazin in molekularen Stickstoff umw andelt, untersucht [7].
Literaturhinweise
[1] Strous, M.; Fuerst, J. A.; Kramer, E. H.; Logemann, S.; Muyzer, G.; van de Pas-Schoonen, K. T.; Webb,
R.; Kuenen, J. G.; Jetten, M. S.
Missing lithotroph identified as new planctomycete
Nature 400, 446–449 (1999)
© 2017 Max-Planck-Gesellschaft
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[2] Van De Graaf, A. A.; De Bruijn, P.; Robertson, L. A.; Jetten, M. S. M.; Kuenen, G, J.
Metabolic pathway of anaerobic ammonium oxidation on the basis of 15N studies in a fluidized bed
reactor
Microbiology 143, 2415-2421 (1999)
[3] Kartal, B.; de Almeida, N. M.; Maalcke, W. J.; Op den Camp, H. J.; Jetten, M. S.; Keltjens, J. T.
How to make a living from anaerobic ammonium oxidation
FEMS Microbiology Review s 37, 428-461 (2013)
[4] Maalcke, W. J.; Dietl, A.; Marritt, S. J.; Butt, J. N.; Jetten, M. S.; Keltjens, J. T.; Barends, T. R. M.;
Kartal, B.
Structural basis of biological NO generation by octaheme oxidoreductases
The Journal of Biological Chemistry 289, 1228-1242 (2014)
[5] Dietl, A.; Maalcke, W.; Barends, T. R. M.
An unexpected reactivity of the P-460 cofactor in hydroxylamine oxidoreductase
Acta Crystallographica Section D, Biological Crystallography 71, 1708-1713 (2015)
[6] Dietl, A.; Ferousi, C.; Maalcke, W. J.; Menzel, A.; de Vries, S.; Keltjens, J. T.; Jetten, M. S. M.; Kartal, B.;
Barends, T. R. M.
The inner workings of the hydrazine synthase multiprotein complex
Nature 527, 404-407 (2015)
[7] Maalcke, W. J.; Reimann, J.; de Vries, S.; Butt, J. N.; Dietl, A.; Kip, N.; Mersdorf, U.; Barends, T. R. M.;
Jetten, M. S. M.; Keltjens, J. T.; Kartal, B.
Characterization of anammox hydrazine dehydrogenase, a key N2-producing enzyme in the global
nitrogen cycle
The Journal of Biological Chemistry 291, 17077-17092 (2016)
© 2017 Max-Planck-Gesellschaft
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