Astrophysik mit Neutrinos - Spektrum der Wissenschaft

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Welt der Wissenschaft: Astrophysik
Astrophysik mit Neutrinos
Teil 1: Rätselhafte Neutrinos von der Sonne
Neutrinos sind schwer zu fassende Teilchen. Aber gerade deshalb finden sie einen Weg
direkt aus dem Innersten der Sonne und der Sterne bis in die riesigen Detektoren, mit
denen sie sich heute in unterirdischen Labors nachweisen lassen. Und die Astronomen
lernen daraus Dinge, die ihnen sonst für immer verborgen blieben.
Von Lothar Oberauer und Michael Wurm
In Kürze
O
hne Licht und Wärme von
bachtung auch gleich das Ende der Meteo-
der Sonne wäre das Leben auf
ritentheorie bedeutete.
der Erde undenkbar. Woher
Als Nächstes kam die Kontraktions-
kommt aber die ungeheure
hypothese auf. Sie erklärte die Ener-
Energiemenge, die unser Zentralgestirn
gieerzeugung in der Sonne durch eine
abstrahlt? Was ist ihr Ursprung? Diese Frage
Umwandlung
dass dort ihre abgestrahlte Ener-
hat die Menschheit von jeher, auch abseits
in Licht und Wärme: Falls die Sonne sich
gie auch gegenwärtig durch Fusi-
der Naturwissenschaften, beschäftigt. Hier
langsam zusammenzieht (kontrahiert),
onsreaktionen freigesetzt wird.
werden wir dieser Frage nachgehen und
wird Gravitationsenergie frei, welche die
ó Die heutigen Neutrino-Detektoren
dabei erkennen, dass in den letzten beiden
Sonne erhitzt und von ihr als Strahlung
sind sogar richtungsempfind-
Jahrhunderten
Erklärungsversuche
abgegeben wird. Diese Hypothese ging
lich. Mit dem Strom der solaren
von neuen, überraschenden physikalischen
schon auf Isaac Newton zurück und wurde
Neutrinos lässt sich die Sonne wie
Erkenntnissen begleitet wurden. Erst seit
später vonHermann von Helmholtz und
mit Licht in einer Kamera direkt
wenigen Jahren können wir behaupten, die
Lord Kelvin wieder aufgegriffen. Deren
abbilden.
im Herzen der Sonne wirksamen Mechanis-
Berechnungen ergaben, dass die Sonne
men wirklich zu verstehen.
mit diesem Mechanismus ihre heutige
ó Ein gewaltiger Strom von Neutrinos erreicht uns direkt aus dem
Innersten der Sonne. Er beweist,
ó Das Rätsel der solaren Neutrinos,
die für lange Zeit bestehende
30
alle
von
Gravitationsenergie
Leistung etwa 25 Millionen Jahre lang auf-
Diskrepanz zwischen dem gemes-
Die Energie der Sonne
senen und dem aus Modellen der
Mitte des 19. Jahrhunderts formulierte der
Diese so genannte Helmholtz-Kelvin-
Fusionsreaktionen berechneten
Naturforscher Julius Robert Mayer, von
Zeitskala galt im auslaufenden 19. Jahr-
Fluss ist inzwischen erklärt. Die Lö-
dem der Satz der Erhaltung der Energie
hundert als die beste Abschätzung für
sung liegt in einer merkwürdigen
stammt, eine erste naturwissenschaft-
das Alter der Sonne und des Sonnensy-
intrinsischen Eigenschaft der
liche These zur Energieerzeugung in der
stems. Allerdings gab es damals bereits
Neutrinos, um die es im zweiten
Sonne. Sie wurde als Meteoritentheorie
erste Anzeichen dafür, dass die Erde in
Teil dieses Beitrags gehen wird.
bekannt und postulierte, dass die Sonne
Wahrheit viel älter ist. Charles Darwin
durch einen stetigen Beschuss von Mete-
wies in seiner berühmten Arbeit über die
oriten aufgeheizt wird. Da sich dadurch
Evolution der Arten darauf hin, dass diese
aber die Masse der Sonne kontinuierlich
Evolution einige hundert Millionen Jahre
vergrößern würde, müssten mit der Zeit
in Anspruch nimmt. Geologische und
die Keplerbahnen der Planeten deutlich
paläontologische Untersuchungen über-
schrumpfen – ein Effekt, dessen Nichtbeo-
raschten mit dem Ergebnis, dass das Min-
Februar 2010
rechterhalten könnte.
Sterne und Weltraum
Kiepenheuer-Institut für Sonnenphysik
Photosphäre
Granulation
Konvektionszone
Chromosphäre
Protuberanz
Strahlungszone
Kern
Sonnenflecken
Korona
Im Kern der Sonne herrscht eine Gleichgewichtstemperatur von rund 15 Millionen
Grad. Dort laufen die Kernfusionsreaktio­
nen ab, welche die solaren Neutrinos
freisetzen und die Sonnenenergie erzeugen. Die Neutrinos verlassen die Sonne
sofort, die thermonukleare Energie wird
zunächst durch Strahlung, dann durch
Damit Schüler aktiv
Konvektion langsam nach außen transpor-
mit den Inhalten dieses
tiert. In der Photosphäre, der sichtbaren
Beitrags arbeiten können,
Oberfläche der Sonne, beobachten wir
stehen auf unserer Inter-
Sonnenflecken und das wabenartige
netseite www.wissenschaft-schulen.de didaktische Materialien zur freien Verfügung.
Muster der Granulation. Nur mit speziellen
Darin wird gezeigt, wie das Thema im Rahmen des Physikunterrichts in der gymnasi-
Filtern sind die Chromosphäre und die
alen Oberstufe behandelt werden kann. Unser Projekt »Wissenschaft in die Schulen!«
Protuberanzen zu sehen, und bei totalen
führen wir in Zusammenarbeit mit der Landesakademie für Lehrerfortbildung in Bad
Sonnenfinsternissen tritt auch die heiße
Wildbad und dem Haus der Astronomie in Heidelberg durch.
Korona in Erscheinung.
www.astronomie-heute.de
Februar 2010
31
destalter der Erde sogar eine Milliarde Jahre betragen sollte – ein Ergebnis, das später
mit der Datierungsmethode mit Hilfe des
radioaktiven Urans bestätigt wurde. Spätestens dann wurde klar: Auch die lange Zeit
für gültig gehaltene Kontraktionshypothe-
Die Energiequellen der Sonne
D
ie von der Sonne abgestrahlte Energie wird durch Fusion von Wasserstoffkernen
(Protonen) zu Helium-4-Kernen gewonnen. Dies geschieht hauptsächlich über die
pp-Kette. Dabei ist der grundlegende Prozess pp-I die Verschmelzung zweier Protonen
se musste verworfen werden.
Es ist in diesem Zusammenhang bemer-
zu einem Deuteron (einem schweren Wasserstoff-Kern, bestehend aus einem Proton
kenswert, dass bei dem Gravita­tionskollaps
Im Folgeschritt entsteht aus der Anlagerung eines weiteren Protons ein Helium-3-Kern.
eines massereichen Sterns, der in einer
Zwei Helium-3-Kerne verschmelzen daraufhin zu einem Helium-4-Kern, zwei Protonen
Supernova-Explosion endet, fast seine ge-
bleiben übrig und stehen für weitere Fusionsprozesse zur Verfügung. Bei der Bildung
samte Gravitationsenergie auf einen Schlag
eines Helium-4-Kerns werden also zwei Protonen zu Neutronen umgewandelt, und
freigesetzt wird. Dabei fällt der Eisen-Nickel-
dabei auch zwei Neutrinos freigesetzt, die nach ihrer Entstehungsreaktion als pp-Neu-
Kern des Sterns auf eine Kugel mit einem
trinos bezeichnet werden.
zusammen. Der gewaltige Energieausbruch
p
p
der Supernova wird also genau durch den
als langsamen, kontinuierlichen Prozess
zur Erklärung der Leuchtkraft der Sonne
n
e+
vorgeschlagen hatten.
Die Entdeckung der Radioaktivität be-
He
pp-I
Be
7
He
3
p
B
8
e+
n
He
He
He
4
p
p
g
Be
7
4
p
Durchbruch im Verständnis der Energieer-
He
3
e–
3
g
deutete aber auch einen entscheidenden
zeugung im Innern der Sonne selbst. Rasch
p
d
Effekt genährt, den Helmholtz und Kelvin
He
4
Die pp-Kette
SuW-Grafik, nach M. Wurm
Radius von ungefähr zehn Kilometern
und einem Neutron), bei der neben einem Positron auch ein Neutrino freigesetzt wird.
4
He
He
4
pp-II
n
4
pp-III
wurde deutlich, dass auf diesem Wege bei
einzelnen Prozessen große Energiemengen
zu gewinnen sind. Es wurde die Möglichkeit
wird, um zwei (positiv geladene) Was-
an die Oberfläche der Sonne transportiert
der Umwandlung chemischer Elemente in
serstoffkerne miteinander in Kontakt zu
und abgestrahlt – ein Prozess, der mehrere
nuklearen Reaktionen entdeckt. Schließ-
bringen. Das bedeutet: Nach den Gesetzen
lich entwickelte Francis William Aston im
der klassischen Physik kann Wasserstoff
hunderttausend Jahre benötigt.
Bei einigen dieser Fusionsreaktionen
Jahr 1918 den Massenspektrografen und
in der Sonne gar nicht verschmelzen!
werden auch Neutrinos freigesetzt. Das
konnte mit diesem Instrument nachweisen, dass die Masse des Heliumkerns 4He
Aber nach den quantenmechanischen
Neutrino wurde 1930 von Wolfgang Pauli
Gesetzen ist dies mit einer gewissen
(1900 – 1958) in einer verzweifelten Aktion
ein wenig geringer ist als die Summe der
Wahrscheinlichkeit doch möglich. Wie der
zur Rettung des beim Betazerfall anschei-
1H.
In
russische Physiker Georgi Antonowitsch
nend verletzten Energiesatzes postuliert.
Verbindung mit der einsteinschen Formel
Gamow im Jahr 1928 zeigte, können die
Es ist elektrisch neutral und reagiert mit
E = mc2 bedeutet dies aber, dass in der Ver-
Teilchen solche Energiebarrieren gewisser-
Materie nur äußerst selten. Pauli selbst
schmelzung (Fusion) von vier Wasserstoff-
maßen durchtunneln. Er war es auch, der
war sehr skeptisch, ob es jemals gelingen
kernen zu einem Heliumkern im Inneren
als erster die dafür maßgeblichen Wahr-
würde, das Neutrino experimentell nach-
der Sonne ein gewaltiges Energiepotenzial
scheinlichkeiten berechnete, und schließ-
zuweisen, aber er konnte seinen Triumph
steckt. Helium und Wasserstoff sind in der
lich schlugen Hans A. Bethe, Carl-Friedrich
noch erleben: Frederick Reines und Clyde
Sonne reichlich vorhanden. Dies wusste
von Weizsäcker und Charles Critchfield in
L. Cowan schafften es 1956, am Kernreaktor
man schon lange durch die Beobachtung
den Jahren 1937 bis 1939 zwei Zyklen zur
in Savannah River, Neutrinos, die bei den
der Fraunhoferlinien im optischen Spek-
Verschmelzung von Wasserstoff zu Heli-
zahlreichen Betazerfällen der Spaltpro-
trum der Sonne. Der englische Astrophy-
um vor: den direkten Weg über die so ge-
dukte von Uran und Plutonium­isotopen
siker Arthur S. Eddington formulierte
nannte Proton-Proton- oder pp-Kette, und
im Reaktor entstanden, eindeutig nachzu-
daraufhin im Jahre 1920 die These, dass die
den CNO-Zyklus, bei dem Kohlenstoff-,
weisen. Reines erhielt für diese Entdeckung
Fusion von Wasserstoff zu schwereren Ele-
Stickstoff- und Sauerstoffkerne als Kata-
1995 den Nobelpreis für Physik.
menten die Quelle für die Sonnenenergie
lysatoren wirken (siehe oben den Kasten
sein könnte.
Die Details dieser Fusionsprozesse blie-
»Die Energiequellen der Sonne«). Bei beiden Reaktionsketten werden über mehrere
Der Nachweis der solaren Neutrinos
ben noch für lange Zeit unbekannt. Ob-
Zwischenschritte schließlich vier Protonen
Wenn nun Fusionsprozesse in der Sonne
wohl im hydrostatischen Gleichgewicht
zu einem Heliumkern verschmolzen. Die
tatsächlich die Quellen der solaren Energie
die Temperatur im Zentrum der Sonne
dabei gewonnene Energie wird entweder
sind, wäre es dann nicht möglich, die dabei
unvorstellbare 15 Millionen Grad beträgt,
in Form von Gammastrahlung oder als
emittierten Neutrinos direkt nachzuwei-
ist die dort verfügbare thermische Energie
kinetische Bewegungsenergie der ent-
sen? Dies wäre zum einen der endgültige
noch um einige Größenordnungen gerin-
stehenden Teilchen freigesetzt und über
Beweis für die Fusionstheorie, und zum
ger als die kinetische Energie, die benötigt
Strahlung, und zuletzt über Konvektion,
anderen könnte man mehr über die kom-
Massen von vier Wasserstoffkernen
32
Februar 2010
Sterne und Weltraum
He
4
Neben dieser grundlegenden und am häufigsten ablau-
C
12
fenden pp-I-Kette der Fusion lässt sich Helium-4 auch durch die
p
p
Anlagerung eines Helium-3-Kerns an einen schon vorhandenen
N
13
N
15
wird sowohl im Nebenzweig pp-II über die Zwischenstation
g
Beryllium-7 als auch im Nebenzweig pp-III über einen Bor-8-Kern
e+
ein instabiler Beryllium-8-Kern erzeugt, der sofort in zwei Helium4-Kerne zerfällt. In beiden Fällen werden wiederum Neutrinos ab-
n
e+
gestrahlt, die als Beryllium-7- beziehungsweise Bor-8-Neutrinos
bekannt sind. Bei den entsprechenden Reaktionen wird jedoch
e+
g
mehr Kernbindungsenergie frei, so dass die erzeugten Neutrinos
13
O
C
15
im Mittel energiereicher sind als die pp-Neutrinos.
Während ein Großteil der Helium-4-Produktion der Sonne
Der CNO-Zyklus
über die direkte Verschmelzung von Protonen in der pp-Kette
n
p
erfolgt, beschreibt der CNO-Zyklus einen alternativen Prozess:
N
14
p
g
SuW-Grafik, nach M. Wurm
Helium-4-Kern erreichen: Durch Einfang eines weiteren Protons
Dieser verläuft über die in der Sonne in geringen Mengen auf-
Helium-4-Kern zerfällt. Da auch in diesem Kreislauf zwei Pro-
tretenden Elemente Kohlenstoff (C), Stickstoff (N) und Sauerstoff
tonen innerhalb des Kerns zu Neutronen umgewandelt werden,
(O), nach denen der Reaktionskreislauf benannt ist. Die Produkti-
ergeben sich pro entstandenem Helium-4-Kern ebenfalls zwei
on von Helium-4 basiert hier auf der nach und nach erfolgenden
freigesetzte Neutrinos: Dies geschieht beim Beta-Zerfall von
Anlagerung von Protonen an einem Kohlenstoff-12-Kern. Am
Stickstoff-13 und Sauerstoff-15. Die Energie dieser Neutrinos ist
Ende eines durchlaufenen Zyklus entsteht so ein angeregter
im Durchschnitt höher als die der Beryllium-7-, aber niedriger
Sauerstoff-16-Kern, der in einen Kohlenstoff-12- und einen
als die der Bor-8-Neutrinos.
anders sollte es möglich sein, sozusagen in
3 1011 MeV cm-2 s-1, woraus sich sofort ein
zu erwartender Fluss solarer Neutrinos von
das Innerste der Sonne zu schauen?
etwa 6,5 3 1010 cm-2 s-1 ergibt. Pro Sekunde
Fusionsreaktionen der Sonne erzeugten
Neutrinos sind alle von dem Typ νe. Wir
plizierten Fusionsprozesse lernen. Wie
Reaktion insgesamt erhalten. Die in den
Neutrinos durchdringen die Schichten
sollten also fast hundert Milliarden Neutri-
werden aber später sehen, dass es in der
der Sonne ohne Mühe. Nach etwa zwei Se-
nos durch einen Quadratzentimeter Fläche
Natur noch zwei weitere Arten gibt, die
kunden haben sie die Sonne verlassen und
fliegen – und dies immerzu, Tag und Nacht
nach weiteren 499 Sekunden erreichen sie
– jedenfalls so lange, wie das nukleare Feu-
so genannten Myon- (νμ) und die TauonNeutrinos (νt).
die Erde. Sie sind also Botschafter aus dem
Herzen der Sonne, die uns über die ge-
er im Herzen unserer Sonne brennt.
Kann man diese Neutrinos nachwei-
atome verhalten sich chemisch ganz an-
genwärtig ablaufenden thermonuk­learen
sen? Die winzig kleine Reaktionswahr-
ders als Chloratome. Insbesondere sind
Fusionsreaktionen informieren. Dies war
scheinlichkeit von Neutrinos mit Materie
sie als Edelgasatome sehr flüchtig. Davis
der Gedanke von Raymond Davis, dem
lässt sie zwar praktisch ungehindert Son-
und seine Mitarbeiter erstellten tief unter
es mit seinem Pionierexperiment in der
ne und Erde durchdringen, aber genau
der Erde in der Homestake-Goldmine ei-
Homestake-Goldmine bei Lead (South-
diese Eigenschaft macht ihren Nachweis
Dakota, USA) in den 1970er Jahren tatsäch-
auch so schwierig.
nen 380 Kubikmeter gro­ßen Tank, der mit
Tetrachlorethen C2Cl4 gefüllt wurde (siehe
Zurück zu obiger Reaktion. Argon­
US-amerika-
Bild auf Seite 34). Das entspricht einer
nischen Brookhaven National Labora-
Menge von 2,2 3 1030 Chlor-37-Kernen.
tory hatte dazu folgende Idee: Gewisse
Der tief unter der Erde liegende Ort in der
Atomkerne können Neutrinos einfangen
Mine wurde gewählt, um das Experiment
und sich dabei umwandeln. Ein Beispiel
vor der kosmischen Strahlung zu schützen, die ebenfalls Argon-Atome erzeugen
zu einem Heliumkern werden zwei Neutri-
ist folgende Reaktion an Chlorisotopen
der Massenzahl 37: νe + 37Cl → e– + 37Ar.
nos emittiert. Dabei wird eine thermische
Durch den Einfang des Neutrinos νe ver-
könnte. Wir werden sehen, dass alle
Energie von 26,14 MeV (Megaelektronvolt)
wandelt sich das Chloratom mit der Mas-
weiteren solaren Neutrinoexperimente
in Form von Strahlung erzeugt. Diese En-
senzahl 37 in ein Argonatom mit gleicher
ebenfalls in solchen Untergrundlabors
ergie wird im Sonneninnern zuerst über
Massenzahl. Das Neutrino νe nennen wir
durchgeführt wurden.
Strahlungstransport und dann weiter au-
Elektronneutrino (daher der Index e), weil
Die Gruppe in Homestake extrahierte
ßen über konvektive Prozesse an die Son-
es bei der Reaktion ein Elektron e– mit ne-
von Zeit zu Zeit, typischerweise in Ab-
nenoberfläche transportiert und von dort
gativer Einheitsladung erzeugt. Im Chlor-
ständen mehrerer Wochen, das flüchtige
als elektromagnetische Strahlung in das
isotop wird ein neutrales Neutron in ein
Weltall abgestrahlt. Auf der Erde messen
Proton mit positiver Einheitsladung um-
Argon mit Heliumgas aus dem Tank, um
schließlich 37Ar über seinen radioaktiven
wir einen solaren Energie­fluss von etwa 8,5
gewandelt. Daher ist die Ladung bei der
Rückzerfall (die Halbwertszeit beträgt 35
lich als Erstem gelang, solare Neutrinos
nachzuweisen.
Radiochemische
Neutrinoexperimente
Bei der Fusion von vier Wasserstoffkernen
www.astronomie-heute.de
Raymond
Davis
vom
und damit das Messergebnis verfälschen
Februar 2010
33
Tage) in kleinen Proportionalzählrohren
nachzuweisen und die einzelnen Zerfälle
zu zählen. Pro Monat Expositionszeit hat
man etwa 10 Argonatome gezählt! Hier
sieht man, wie winzig die Reaktionswahrscheinlichkeit von Neutrinos wirklich ist.
Das Experiment lief von 1970 bis 1996
und führte erstmals zum erfolgreichen
Nachweis extraterrestrischer Neutrinos.
Raymond Davis erhielt dafür 2002 den Nobelpreis für Physik.
Mit diesem Experiment hatte Davis bewiesen, dass thermonukleare Fusionsreaktionen die Quellen der solaren Energieerzeugung darstellen – der Nachweis solarer
Neutrinos lässt keine andere Deutung zu.
Gleichzeitig wurde damit aber auch das
»Rätsel der solaren Neutrinos« begründet.
Das Rätsel liegt in Folgendem.
Brookhaven National Laboratory
Das Rätsel der solaren Neutrinos
Vergleicht man die gemessene Argonproduktionsrate mit der aufgrund der
bekannten Leuchtkraft der Sonne erwarteten, so ergibt sich eine klare Diskrepanz:
Das Experiment von Homestake registriert nur etwa ein Drittel der erwarteten
Neutrinos, also deutlich zu wenig! Was
ist falsch? Das Experiment selbst? Wurde
Dieser mit Tetrachlorethen C2Cl4 gefüllte Tank ist das Herzstück des
seine Effizienz überschätzt? Durch unzäh-
Homestake-Experiments in der gleichnamigen Mine in South Dakota (USA),
lige Nebenversuche konnten im Laufe der
mit dem erstmals der Nachweis solarer Neutrinos gelang.
Jahre alle nur erdenklichen Möglichkeiten
experimentell ausgeschlossen werden.
Vielleicht verstehen wir die Fusions-
niedrigerer Energieschwelle, so dass im
Beide Experimente begannen Anfang
prozesse im Inneren der Sonne doch nicht
Idealfall alle solaren Neutrinos gezählt
der Neunzigerjahre mit der Datennahme.
genau genug? Diese astrophysikalische
werden könnten? Damit ließe sich eine as-
Das dabei angewandte Prinzip ist dem des
Lösung des » Rätsels der solaren Neutrinos«
trophysikalische Ursache der Diskrepanz
Homestake-Experiments ähnlich, nur sind
war in der Tat möglich! Der Grund liegt da-
die Extraktionsverfahren für die Germa-
rin, dass das Homestake-Experiment nur
nachweisen.
In der Tat eignet sich die Reaktion
für einen sehr kleinen Teil des gesamten
νe +
Spektrums solarer Neutrinos empfindlich
schwelle für die Neutrinos von 0,236 MeV
(siehe Bild rechts unten). Wieder wird der
Rückzerfall, diesmal derjenige der 71Ge-
ist (Bild rechts oben). Das liegt an der re-
dafür hervorragend, und es wurden zur
Kerne in Proportionalzählrohren, beob­
lativ hohen Energieschwelle der nachge-
Nutzung dieser Möglichkeit weltweit zwei
achtet. Da die Halbwertszeit dieses Isotops
wiesenen Reaktion von 0,814 MeV. Der bei
Experimente durchgeführt. Bei SAGE
11,43 Tage beträgt, sind die Zeiträume zwi-
weitem größte Anteil der solaren Neutrinos
(Soviet-American Gallium Experiment)
schen den einzelnen Extraktionen etwas
liegt darunter und löst die Reaktion an den
wurden in Tanks in einem Stollen unter-
kürzer als im Homestake-Experiment.
Chlorkernen gar nicht aus. Der verblei-
halb des Elbrus-Gebirges im Kaukasus 60
Mit großer Spannung erwarteten die
bende Teil aber wird erst nach mehreren
Tonnen flüssiges metallisches Gallium
Physiker die ersten Messdaten. Um den
komplizierten Reaktionen erzeugt, und
verwendet, während bei GALLEX (GAL-
Vergleich mit den aus dem Sonnenmo-
so präzise waren diese Rekationen damals
Lium EXperiment) im italienischem Un-
dell abgeleiteten Werten greifbarer zu
nicht bekannt. Trotzdem, ein Faktor drei als
tergrundlabor (Laboratori Nazionale del
machen, wurde die Einheit SNU (Solar
Quotient zwischen erwarteter und gemes-
Gran Sasso) in den Abruzzen 101 Tonnen
konzentrierter GaCl3-HCl-Lösung zum
Neutrino Unit) eingeführt. Ein SNU ent-
sener Rate ist schon recht seltsam. Deshalb
wurde bereits in den Siebzigerjahren zum
Einsatz kamen. Sprecher von GALLEX
spricht einem Neutrinoeinfang pro Sekunde in 1036 Atomkernen. So lautet das
ersten Mal diskutiert, ob das Defizit nicht
war Till Kirsten vom Max-Planck-Institut
Endergebnis von Homestake: Der Fluss
an bisher unbekannten Eigenschaften der
für Kernphysik in Heidelberg, und auch
solarer Neutrinos am Ort der Erde beträgt
Neutrinos liegen könnte.
Gibt es weitere Reaktionen von Neu-
die Technische Universität München be-
2,56 ± 0,22 SNU. Nach dem Standardmodell
teiligte sich an diesem internationalen
der Sonne wurden aber 7,7 ± 1,2 SNU erwar-
trinos mit anderen Atomkernen, aber mit
Projekt.
tet! (Die Zahlen hinter dem gemessenen
34
Februar 2010
71Ga
→ e– +
71Ge
mit einer Energie-
niumatome hier wesentlich aufwändiger
Sterne und Weltraum
Dargestellt sind die verschiedenen Beiträge
pp
zum Energiespektrum solarer Neutrinos aus
1011
ca. 15 MeV. Diese konnten als erste
experimentell nachgewiesen werden. Im
niederenergetischen Bereich dominieren
die pp- und die monoenergetischen
Berillium-Neutrinos. Letztere wurden
erstmals 2007 im Borexino-Experiment
spektroskopisch nachgewiesen.
N
13
109
Be
7
O
15
Be
SuW-Grafik, nach L. Oberauer
Sonnenmodell. Das Spektrum erreicht mit
den 8B-Neutrinos maximale Energien von
relativer Neutrinofluss
dem pp- und dem CNO-Zyklus nach dem
7
107
pep
B
8
105
0,1
1
0,3
3
10
Energie der Neutrinos in Megaelektronvolt
und dem theoretisch vorhergesagten Wert
nen. Vergleicht man die experimentellen
perimenten etwas geringer ausfällt. Of-
geben jeweils die Unsicherheiten an.)
Ergebnisse der Helioseismologie mit theo­
fenbar wird von den niederenergetischen
Das SAGE-Experiment ist seit 1990
retischen Erwartungswerten, die sich aus
Neutrinos ein höherer Anteil erfasst als
in Betrieb, und GALLEX nahm in den
dem Sonnenmodell ergeben, so findet
von jenen mit höheren Energien. Welcher
Jahren 1991 bis 1997 seine Daten auf. Es
man eine sehr gute Übereinstimmung.
Effekt auch immer die solaren Neutrinos
wurde von 1998 bis 2003 in einer ver-
Dies bestätigt, dass unsere Vorstellung
für die bisherigen Experimente unsicht-
besserten Version unter dem Namen
vom inneren Aufbau der Sonne und den
bar macht, er scheint demnach von der
GNO (Gallium Neutrino Observatory) im
dort ablaufenden Prozessen nicht so falsch
Energie der Teilchen abzuhängen.
Gran-Sasso-Labor weitergeführt. Alle Galliumexperimente wurden unter großem
sein kann.
Betrachtet man die Ergebnisse der ra-
mischen Experimenten können wir die
experimentellem Aufwand mit künstlich
diochemischen Neutrinoexperimente nä-
Energie der nachgewiesenen Neutrinos
hergestellten Neutrinoquellen geeicht.
her, dann fällt auf, dass die Unterdrückung
nicht direkt messen: Hier werden die Neu-
der solaren Neutrinos in den Galliumex-
trinos (ab einer bestimmten Schwellen-
Aus dem Sonnenmodell ergaben sich
In den hier beschriebenen radioche-
als Vorhersage 131 ± 12 SNU. GALLEX/
GNO beobachtete 69,3 ± 5,5 SNU und SAGE
fand 66,9 ± 5,3 SNU. Die Resultate beider
Experimente stimmen also sehr gut miteinander überein. Wieder werden solare
Neutrinos beobachtet, aber mit deutlich
geringerer Rate als vorhergesagt. Weil aber
in den Galliumexperimenten tatsächlich
Neutrinos von allen Reaktionszweigen des
pp-Zyklus nachgewiesen werden, musste
eine astrophysikalische Lösung des Rätsels endgültig verworfen werden. Jetzt war
klar: Des Neutrinorätsels Lösung lag in bis
Neutrinos selbst!
Dazu kamen noch Beobachtungen aus
In dieser Anlage im italienischen Gran-
einer ganz anderen Ecke der Physik, näm-
Sasso-Untergrundlabor wurde für die
lich aus der Helioseismologie. Hier wer-
Zählrohre des GALLEX-Experiments die
den über den Dopplereffekt im optischen
Synthese von »German« (GeH4) im
Spektrum
der
Sonne
Schwingungen
gasförmigen Zustand durchgeführt. Jeden
(stehende Wellen) der Sonnenoberflä-
Monat konnten so eine Handvoll Germa­
che beobachtet (Bild auf Seite 36 unten).
nium-Atome nachgewiesen werden, die
Diese Schwingungen entstehen durch
durch den Einfang solarer Neutrinos
Druck- oder Schallwellen, die in der gleich
gebildet wurden. Die Ergebnisse von
darunter liegenden brodelnden Konvek-
GALLEX zeigten, dass das solare Neutrino­
tionszone gebildet werden, die aber auch
rätsel nicht astrophysikalisch erklärbar war.
tief in das Sonneninnere eindringen kön-
Die Diskrepanz liegt an den Neutrinos!
www.astronomie-heute.de
Laboratori Nazionali del Gran Sasso (LNGS)
dahin unverstandenen Eigenschaften der
Februar 2010
35
Wo kommen Neutrinos in der Natur vor?
Im Urknall sollten Neutrinos aller Arten (bzw.
Supernovae vom Typ II: Im Gravitationskol-
im Amerikanischen »Flavors«, d.h. Düfte) in
laps massereicher Sterne werden Neutrinos
sehr großer Zahl entstanden sein, die das heu-
aller Arten gebildet. Ungefähr 99 Prozent der
tige Universum ausfüllen. Wegen ihrer kleinen
gesamten Gravitationsenergie werden dabei in
Reaktionswahrscheinlichkeit entkoppelten sie
bereits eine Sekunde nach dem Urknall von
Form eines Neutrinoausbruchs weggetragen!
In den Tscherenkow-Detektoren Kamiokande (Japan) und IMB
der restlichen Materie und Strahlung. Seitdem unterliegen sie,
(USA) konnten am 23. Februar 1987 zum ersten (und bisher auch
analog zur elektromagnetischen Hintergrundstrahlung, wegen
einzigen) Mal Neutrinos aus einer Supernovaexplosion nachge-
der Expansion des Universums der Rotverschiebung, und ihre
wiesen werden. Dabei konnte die mittlere Energie der bei der
Energie muss heute nur noch winzige 0,2 meV (Millielektronvolt)
Explosion freigesetzten Teilchen zu ca. 4 MeV bestimmt werden
betragen. Aus diesem Grund wurden Neutrinos aus dem Urknall
– das entspricht einer kinetischen Temperatur von 50 Milliarden
bis heute noch nicht nachgewiesen.
Grad! Insgesamt 19 Neutrinoereignisse wurden damals innerhalb
von 10 Sekunden registriert. Für diese Entdeckung wurde 2002
Sterne: Nicht nur die Sonne, sondern alle
Sterne im Universum erzeugen ihre ab-
Masatoshi Koshiba mit dem Nobelpreis für Physik geehrt.
Neutrinos dienen also auch als Sonden zum Studium von
gestrahlte Energie durch thermonukleare
Supernova-Explosionen. Mit dem heutigen Super-Kamiokande
Fusionsreaktionen und emittieren dabei
und künftigen Experimenten wie LENA (Low Energy Neutrino As-
Neutrinos in großer Zahl. Nur in Sternen,
tronomy) werden für eine galaktische Supernova mehr als 10 000
deren Masse bei einer Sonnenmasse oder
registrierte Ereignisse erwartet.
darunter liegt, ist dabei der pp-Zyklus dominant. Massereichere
Diffuser Neutrino-Hintergrund: Seit es Sterne
Sonne liegen die Energien dieser Neutrinos im MeV-Bereich. Im
gibt, gibt es auch Supernovae. Massereiche
BOREXINO-Experiment, an dem auch Forschergruppen aus Mün-
Sterne haben deutlich kürzere Lebensdauern
chen und Heidelberg beteiligt sind, und in anderen zukünftigen
als unsere Sonne. Es hat also im Verlauf der
Experimenten sollen erstmals solare CNO-Neutrinos nachgewie-
kosmischen Entwicklung sehr viele Supernovae
sen werden.
gegeben. Daher erwarten wir einen diffusen,
Steele Hill, NASA / ESA
Sterne emittieren Neutrinos über den CNO-Zyklus. Wie bei der
Sonnenflecken
Die Helioseismologie erlaubt über die
spektroskopische Messung der Dopplerverschiebung von Fraunhoferlinien im
Sonnenlicht eine sehr genaue Messung
seismischer Wellen in den oberen Schichten
der Sonne. Diese Wellen geben Aufschluss
über viele Parameter im Sonneninneren,
einschließlich des relativen Anteils der
schwe­rerern Elemente an der solaren
Materie. Im linken Teil der Grafik sind die
möglichen Moden helioseismischer Wellen
angedeutet: Die gebogenen Linien
entsprechen kurzen Oberflächenwellen; die
Geraden stellen lange Druckwellen dar, die
in die tieferen Bereiche der Sonne hinabreichen.
36
Februar 2010
Sterne und Weltraum
das gesamte Universum ausfüllenden Hintergrund von Neutrinos
hochinstabile Mesonen mit kurzen Lebens-
aus diesen Explosionen. Auch diese Neutrinos unterliegen der
Rotverschiebung. Trotzdem sind ihre Energien bei Weitem noch
dauern gebildet. Bei deren Zerfall werden im
Wesentlichen Myonneutrinos nμ gebildet.
nicht so weit abgesunken wie jene aus dem Urknall. Wir erwarten
Deren Energie liegt typischerweise im GeV-
mittlere Energien im Bereich von mehreren MeV. Für den Fluss
Bereich, also deutlich höher als zum Beispiel bei
dieser Neutrinos konnten bisher nur obere Grenzen gefunden
solaren Neutrinos. Im Super-Kamioande-Detektor konnten bei der
werden. Ihr Nachweis ist eines der Ziele des LENA-Projekts.
Messung des Flusses atmosphärischer Neutrinos in Abhängigkeit
SuW-Grafik; Gerald Rhemann; HST; HST; ESA; Joachim Biefang; Auger-Kolloboration / SuW-Grafik
vom Zenitwinkel erstmals Neutrinooszillationen nachgewiesen
Erde, Planeten: Alle Elemente unserer Erde
werden.
schwerer als Eisen und Nickel wurden in
mehreren Supernova-Explosionen gebildet.
Kosmische Strahlung: Neben der klassischen,
Die schwersten von ihnen, wie etwa Uran und
geladenen Komponente der kosmischen Strah-
Thorium, zerfallen radioaktiv über ihre jewei-
lung erwarten wir auch Gammaquanten und
lige Reihe bis zu stabilen Bleiisotopen. Dabei
Neutrinos sehr hoher Energie. Erstere wurden
werden über Betazerfälle Elektronantineutrinos emittiert. Deren
bereits erfolgreich nachgewiesen. Neutrinos
erstmaliger Nachweis gelang 2005 im japanischen KamLAND-
sollen mit riesigen Tscherenkow-Detektoren
Experiment, allerdings mit einer sehr kleinen Rate. Diese radio-
nachgewiesen werden. Da sie Materie leicht
durchdringen und im galaktischen Magnet-
aktiven Zerfälle finden auch im Erdinneren statt, es ist allerdings
noch unklar, welchen Beitrag sie zum gesamten Wärmestrom aus
feld nicht abgelenkt werden, eignen sie sich zur Untersuchung
dem Erdinneren leisten. Dessen Gesamtleistung beträgt immer-
kosmischer Quellen hoher und höchster Energien. Das Experiment
hin etwa 40 000 Gigawatt! Mit LENA könnte man diese geophysi-
ICECUBE am Südpol nutzt das dortige Eis als Detektormaterial
kalische Frage untersuchen.
und steht kurz vor seiner Vollendung. Ein weiteres Observatorium ANTARES soll im Mittelmeer in Europa verwirklicht werden.
Atmosphäre: Die kosmische Strahlung, hauptsächlich hoch-
Das Volumen künftiger Detektoren dieser Art wird etwa einen
energetische Protonen, trifft auf die obersten Schichten unserer
Kubikkilometer betragen. Auch an diesen Projekten sind deutsche
Atmosphäre. In Kernreaktionen werden dabei Myonen und andere
Institute beteiligt.
energie) nur gezählt. Die entscheidende
tor, und die Lichtintensität ist korreliert
Lichtgeschwindigkeit und n der Bre-
Frage lautet also: Wie können wir die Neu-
mit der Teilchenenergie.
chungsindex des Mediums ist. Wenn die
trinos von der Sonne nicht nur nachwei-
Der Kamiokande-Detektor wurde ur-
Energie hoch genug ist, fliegt das gestreute
sen, sondern auch gleichzeitig die Energie
sprünglich realisiert, um nach dem Zerfall
Elektron fast exakt in der Einfallsrichtung
eines jeden einzelnen von ihnen messen?
des Protons zu suchen. Bald erkannte man
des die Streuung verursachenden Neu-
Mit anderen Worten: Die Spektroskopie
aber, dass Kamiokande auch zur Messung
trinos fort. Mit Tscherenkow-Detektoren
solarer Neutrinos ist gefragt!
solarer Neutrinos zu verwenden ist. Dabei
kann man also die Flugrichtung solarer
nutzt man die Streuung der Neutrinos
Neutrinos bestimmen, und die Spuren
an den Elektronen der Wassermoleküle.
von Neutrinoereignissen im Detektor
Bei dieser Streuung stößt das Neutrino
sollten immer von der Sonne weg zeigen.
Im Jahr 1987 wurde in der japanischen
mit einem Elektron zusammen und kann
Da der Zeitpunkt jeder Streuung genau
Kamioka-Mozumi-Mine
Wasser-
ihm einen so hohen Impuls verleihen,
bestimmt werden kann und die Sonnen-
Tscherenkowdetektor errichtet. Dessen
dass dessen Geschwindigkeit die nötige
position natürlich bekannt ist, kann man
Messprinzip beruht auf Folgendem. Ge-
Schwelle c/n überschreitet, wobei c die
damit demonstrieren, dass die Signale
Neutrinodetektoren
der zweiten Art
ein
ladene Teilchen mit Geschwindigkeiten
Kamioka Observatory / Institute for Cosmic Ray Research /
The University of Tokyo
oberhalb der Lichtgeschwindigkeit in
Wasser senden einen Lichtkegel aus, der
sich im Medium unter einem bestimmten
Winkel symmetrisch um die Spur des
Dieses Bild der Sonne im »Licht« ihrer
Teilchens ausbreitet. Dies ist physikalisch
Neutrinos ist im Super-Kamiokande, dem
analog zur Bildung und Ausbreitung eines
Nachfolger des Kamiokande-Detektors
akustischen Überschallknalls, wenn etwa
entstanden. Dort lässt sich mit Hilfe von
ein Jet mit Überschallgeschwindigkeit
Wasser-Tscherenkow-Detektoren aus Lage
fliegt. Der Lichtkegel kann mit hochemp-
und Orientierung des charakteristischen
findlichen Photosensoren (so genannten
Tscherenkow-Kegels (ganz wie für die
Photomultipliern) nachgewiesen werden.
einfallenden Photonen in einer Kamera) die
Die Lage des Lichtkegels verrät Position
Flugrichtung der einfallenden Neutrinos
und Flugrichtung des Teilchens im Detek-
bestimmen.
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Februar 2010
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Der Super-Kamiokande-Detektor wird mit
ultrareinem Wasser gefüllt. Das Schlauchboot mit den Wissenschaftlern macht die
Dimensionen des 50 000 Tonnen Wasser
fassenden Detektors deutlich.
Lothar Oberauer
lehrt als Physiker an der
Kamioka Observatory / Institute for Cosmic Ray Research / The University of Tokyo
Technischen Universität
München und forscht mit
seiner Arbeitsgruppe im
Rahmen des Verbunds
»Origin and Structure of
the Universe«, kurz: »Cluster Universe«. Er ist
an BOREXINO, LENA und anderen internationalen Neutrino-Experimenten beteiligt.
Michael Wurm erforscht
die Neutrinos in der
Arbeitsgruppe von Lothar
Oberauer. Kürzlich erhielt
er den Universe PhD
Award »Experiment« für
die beste experimentelle Doktorarbeit innerhalb des Cluster Universe.
tatsächlich von solaren Neutrinos stam-
gemessen, der wiederum deutlich geringer
men. Super-Kamiokande war der erste
war, als der aus dem Sonnenmodell abge-
Literaturhinweise
in Echtzeit betriebene Detektor, mit dem
leitete Wert (5,2 ± 1,0 3 106 cm–2 s–1).
Brunner, J.: ANTARES – NeutrinoAstronomie in der Tiefsee. In: Sterne
und Weltraum 5/2006, S. 38 - 45.
Hampel, W.: Der Gallium-Detektor für
Sonnenneutrinos. In: Sterne und Weltraum 9/1986, S. 455 - 459.
Hampel, W.: Das SonnenneutrinoProblem: endlich gelöst? In: Sterne und
Weltraum 6-7/1999, S. 540 - 547.
Kirsten, T.: Neutrinoastrophysik. In:
Sterne und Weltraum 7-8/1986, S. 375 - 381.
Kirsten, T.: Gallex misst Sonnenneutrinos. In: Sterne und Weltraum 1/1993, S. 16 - 24.
Rau, R.: Auf der Suche nach der Dunklen
Materie. In: Sterne und Weltraum
1/2005, S. 32 – 42.
Spiering, Ch.: Neutrinojagd am Südpol.
In: Sterne und Weltraum 12/2004, S. 30 - 34.
Spiering, Ch.: Astroteilchenphysik,
Erfolge und Perspektiven. In: Sterne und
Weltraum 6/2008, S. 46 - 54.
Das Nachfolgeexperiment Super-Ka­
dies tatsächlich gelungen ist.
Kamiokande bestand im Wesentlichen
miokande (Bild oben) wurde 1996 in der
aus einem mit etwa 2100 Tonnen ul-
gleichen Mine in Betrieb genommen. Es
trareinem Wasser gefüllten Zylinder. Die
beinhaltet 50 000 Tonnen Wasser und be-
Wände des Zylinders wurden eng mit den
sitzt einen zusätzlichen äußeren Detektor,
Photomultipliern bestückt, die das Tsche-
der von außen eindringende kosmische
renkowlicht nachwiesen und deren Signale
Strahlung registriert und als solche er-
elektronisch verarbeiteten. Um von außen
kennt. Weitere Optimierungen erlaubten
kommende
wie
es, die Energieschwelle auf ca. 5 MeV zu
Gammastrahlung und Neutronen auszuschließen, wurde ein inneres Detektions-
drücken. Innerhalb von fünf Jahren wurde
ein 8B-Neutrinofluss von (2,35 ± 0,08) 3
volumen von 680 Tonnen Wasser definiert.
106 cm–2 s–1 gemessen. Dieses Ergebnis ist
Nur solche Ereignisse, deren rekonstruier-
verträglich mit dem des Vorläuferexperi-
te Positionen innerhalb dieses Volumens
ments, wobei die Unsicherheit allerdings
liegen, kommen als Kandidaten für solare
erheblich reduziert ist. Insgesamt haben
Neutrinos in Frage. Trotzdem verblei-
wir nun bereits fünf Experimente, die im
ben
niederenergetische
Vergleich zu der aus dem Sonnenmodell
Hintergrund­ereignisse: Die mit Kamiokan-
abgeleiteten Vorhersage ein sehr deut-
de erreichte Energieschwelle lag bei etwa 7
liches Neutrinodefizit zeigen.
Hintergrundereignisse
unerwünschte
MeV. Wie auch alle späteren Tscherenkow-
Da nun eine astrophysikalische Lösung
Detektoren ist Kamiokande nur für die
hochenergetischen solaren 8B-Neutrinos
des Rätsels der solaren Neutrinos ausge-
empfindlich. Die Anlage nahm von 1987 bis
im zweiten Teil dieses Artikels (im näch-
1995 Daten auf, und es wurde ein Neutri-
sten Heft) mit den intrinsischen Eigen-
nofluss der Stärke (2,82 ± 0,38) 3 106 cm–2 s–1
schaften der Neutrinos beschäftigen.
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Februar 2010
schlossen werden kann, werden wir uns
Weblinks zum Thema:
www.astronomie-heute.de/
artikel/1017834
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