34 zement + beton 4_16 | Bildungsbauten Berufsschule für Gastgewerbe „Savoy“ – Erweiterung 39012 Meran, Italien, 2015 ARCHITEKTUR UND TEXT | stifter + bachmann BILDER | René Riller Das Erweiterungsgebäude der Landesberufsschule „Savoy“ in Meran ist als Siegerprojekt eines EU-offenen Planungswettbewerbes hervorgegangen. Das neue Erweiterungsgebäude ist direkt mit dem denkmalgeschützten und architektonisch wertvollen Gebäude des alten „Savoy“ konfrontiert. Das städtische Umfeld, in das das Projekt eingebettet ist, ist historisch bedeutsam und gekennzeichnet vom denkmalgeschützten Bestandsgebäude, vielen Jugendstilvillen mit charakteristischen Mansardendächern, den Grün­zügen der Parkanlagen und der Promenade entlang des Flusslaufes der „Passer“. Das Bestands­ gebäude des „Savoy“ wurde im Jahre 1895 als Pension errichtet, um 1900 zum Hotel umgebaut und ab 1967 als Stammhaus der Landesberufsschule für Gastgewerbe ­genutzt. Zurzeit nehmen ca. 630 Schüler die verschiedenen Ausbildungsmöglichkeiten im Bereich des Gastgewerbes wahr und werden von 65 Lehrpersonen unterrichtet. zement + beton 4_16 Unmittelbar neben dem vielgestaltigen denkmalgeschützten Gebäude des „Savoy“ und in der relativ beengten Grundstückssituation wird die Bauaufgabe mit einem formal sehr zurückhaltenden Baukörper interpretiert. Der neue Baukörper lehnt sich vom Bestandsgebäude weg und wird überirdisch nur mit einem leichten, transparenten Steg aus Glas im zweiten Obergeschoß mit dem Altbestand verbunden. Mit zunehmender Gebäudehöhe verjüngt sich das neue Gebäude, lässt dadurch das Volumen kleiner erscheinen, mehr Licht kann in das Innere treten und die relativ schmalen Zwischenräume zu den angrenzenden Bebauungen werden aufgeweitet. Die schiefen Fassadenflächen interpretieren die umliegenden historischen Mansardendächer neu und lösen die durch die urbanistischen Rahmenbedingungen vorgegebene Blockhaftigkeit auf. Die geneigten Fassaden lassen das Gebäude mit wechselndem Blickwinkel und Lichteinfall stets anders in Erscheinung treten. Durch die zurücklehnenden Fassaden des Neubaus bleibt zudem die prominente Frontansicht des denkmalgeschützten Bestandes aus jeder Richtung gut erlebbar. Nach unten hin ermöglichen die dort überhängenden Fassaden die Schaffung einer zurückhaltend positionierten Tiefgarageneinfahrt sowie das Vergrößern des Platzraumes im Bereich des Haupteinganges. Das gesamte Areal wird autofrei gestaltet und der heute für PKW-Stellplätze genutzte Hofraum wird dem Stadtensemble als Park­anlage zurückgegeben. Die Gebäudehülle wird mit einer fugenlosen Ortbetonfassade in gestockter Oberfläche realisiert. Die Dachfläche wird in ihrer Gestaltung und Materialisierung als fünfte Fassade interpretiert. Dadurch wirkt der Baukörper monolithisch und kompakt. Im Inneren hingegen ist das Volumen ausgehöhlt und in den einzelnen Geschoßen sind Lufträume und Lichtschächte als geschoßübergreifende Sichtverbindungen angeordnet. Es entstehen offene, transparent und fließend gestaltete Raumfolgen. Im neuen Erweiterungsgebäude mit fünf oberirdischen und zwei unterirdischen Geschoßen sind – das Raum­programm des Altbestandes funktional ergänzend – unter anderem Lehrküchen, eine Backstube, eine Showküche, ein Speisesaal für den Unterricht, eine Lehrbar, Mensa, Klassen und 35 36 zement + beton 4_16 | Bildungsbauten Gruppenarbeitsräume eingerichtet sowie Garderoben für Schüler und Lehrer, ein Sekretariat und ein Eingangsbereich mit Rezeption. Eine Tiefgarage, Lagerräume, Kühlzellen und die Haustechnik ergänzen den Raumplan. Oberflächenbearbeitung „Stocken“ „Besenstrich“ OBERFLÄCHENBEARBEITUNG „STOCKEN“ • handwerkliche Nachbearbeitung der Beton­oberfläche mit den Möglichkeiten fein, mittel, grob • Die Eindringtiefe muss beachtet werden – die Beton­ über­deckung muss ausreichend dimensioniert sein. • Das Stocken kann Unzulänglichkeiten der vorange­ gangenen Arbeitsschritte nicht kaschieren: Die Art der Zuschläge ist bestimmend (z. B. Granit, Kalk, Porphyr …), die Korngröße reguliert die Grobheit der Oberfläche, die Zementarten wirken sich auch auf die Farbgebung aus. • Die Aushärtungsfrist bis zum Arbeitsbeginn des „Stockens“ und die große Lärm- und Staubentwicklung sind zu beachten. • Der Beton kann darüber hinaus mittels Hydropho­ bierung bearbeitet werden. Das Gebäude wurde nach außen hin mit einer monolithischen Ortbetonfassade in gestockter Oberfläche realisiert. Die Materialwahl der Gebäudehülle in Beton wurde vom Architekturbüro mittels Muster direkt mit dem Amt für Bau- und Kunstdenkmäler der Autonomen Provinz Bozen abgesprochen. Der Farbton der äußeren Hülle des Neubaus sollte sich dabei am denkmalgeschützten Bestand mit dessen gelb-grau-weißer Farbgebung der verputzten Fassaden orientieren. Im Detail wurden die leicht geneigten Fassaden als dreischichtige Konstruktion mit innerer Tragschale aus Ortbeton und Innenputz, mit Kerndämmung und äußerer Vorsatzschale aus Ortbeton ausgeführt. Die äußere Vorsatzschale wurde als „putzähnliche“ Fassade gestaltet, wobei durch Steuerung der Größe und Farbe der Zuschlagstoffe und durch die Behandlung der Betonoberfläche mittels „Stocken“ die gewünschte Oberflächenqualität erreicht wurde. Die Dachfläche ist Teil der kompakten Gebäudehülle, die durch die fugenlose Konstruktion der Außenschale besticht. Des Weiteren wurde Beton innen bei der Treppe eingesetzt. Sie ist in Ortbeton gefertigt, scharfkantig ausgeführt mit glatt abgezogener Oberfläche. Die Oberfläche der Böden ist mit einem „Besenstrich“ und Quarzsandeinstreuung versehen, im Innenbereich sind die Böden geschliffen. zement + beton 4_16 Detailschnitt PROJEKTDATEN ADRESSE: Rätiastraße 1, 39012 Meran, Italien BAUHERRSCHAFT: Autonome Provinz Bozen ARCHITEKTUR: stifter + bachmann TRAGWERKSPLANUNG: Ingenieurteam Bergmeister GmbH GENERALUNTERNEHMER: Unionbau GmbH HAUSTECHNIK: Energytech GmbH WETTBEWERB: 2005, EU-offener Planungswettbewerb, 1. Preis PLANUNG: 2009–2010 AUSFÜHRUNG: 2010–2015 GRUNDSTÜCKSFLÄCHE: 4.693 m² NUTZFLÄCHE: 4.450 m² BEBAUTE FLÄCHE: 875 m² UMBAUTER RAUM: 22.450 m³, oberirdisch 14.950 m³, unterirdisch 7.500 m³ ENERGIESTANDARD: Klimahaus A laut Agentur für Energie Südtirol ENERGIESYSTEM: Fernwärme BAUKOSTEN: 9,27 Mio. Euro plus MwSt., (inkl. Abbruch Bestandsgebäude, inkl. Außenanlagen, ohne Einrichtung) AUTOREN stifter + bachmann Dr. arch. Helmut Stifter, Dr. arch. Angelika Bachmann www.stifter-bachmann.com 37