SERIE Zähne • Augen • Ohren Ganz Ohr V O N A N K E N O LT E In der letzten Folge unserer kleinen Gesundheitsserie verraten wir Ihnen, warum innere und äußere Ruhe Ihren Ohren so guttut Mit 70 noch hören wie in jungen Jahren? Unmöglich, denken Sie? Von wegen. Den Beweis treten die Mabaan an, ein afrikanisches Buschvolk, das im Sudan zu Hause ist. Die Mabaan haben die feinsten Ohren der Welt und hören mit 70 Jahren noch so gut wie 20-jährige Großstädter der nördlichen Hemisphäre. Forscher gehen davon aus, dass das Buschvolk sein ungewöhnliches Hörvermögen der extrem lärmarmen Umwelt verdankt. Auch die karge vegetarische Kost könnte ihren Hörsinn schärfen. Schwerhörigkeit geht also nicht zwangsläufig mit dem Altern einher, sondern ist – zu großen Teilen – 74 FOTO: © JOHNER BILDBYRA AB 75 Druckgefühl. Jedes Mal, wenn Petra Salbach mit einer Erkältung ins Flugzeug stieg, ging das aufs Ohr. „Bei der Landung fing mein rechtes Ohr wahnsinnig an zu schmerzen, als ob jemand mit einem Messer hineinstechen würde“, erzählt die 45-jährige Berlinerin. „Einen Tag lang war ich dann fast taub auf dem Ohr.“ Schuld war ein sogenanntes Barotrauma – eine Erkrankung des Mittelohrs aufgrund eines misslungenen Druckausgleichs. Bei der Landung eines Flugzeugs steigt nämlich der Außendruck an, und zwar schneller als der Druck im Mittelohr. Den Ausgleich regelt normalerweise die Ohrtrompete, die das Mittelohr mit dem Rachen verbindet. Sind 76 bei einer Erkältung die Schleimhäute in der Ohrtrompete geschwollen, bleibt diese geschlossen und kann das Ohr nicht belüften. „So lastet der gesamte Druck auf dem Trommelfell, das nach innen gepresst und stark überdehnt wird“, erklärt der Freiburger HNO-Arzt Dr. Michael Deeg vom Deutschen Berufsverband der HalsNasen-Ohren-Ärzte e.V. „Einblutungen im Trommelfell und im Mittelohr sind die Folge.“ Normalerweise heilt beides von selbst. Doch weil es unter Umständen doch zu bleibenden Schäden im Innenohr kommen kann und ein Barotrauma zudem sehr schmerzhaft ist, sollten Sie beim Fliegen vorbeugen. „Nehmen Sie, wenn Sie erkältet sind, eine Stunde vor der Landung abschwellende Nasentropfen oder Nasenspray, damit die Ohrtrompete wieder frei wird“, rät Dr. Deeg. Außerdem sollten Sie beim Landeanflug einen aktiven Druckausgleich durchführen, indem Sie durch den Mund aufgenommene Luft in die mit den Fingern zugehaltene Nase pressen. Keimbefall. Sie haben plötzlich stechende Ohrenschmerzen? Dazu Fieber und Kopfschmerzen? Klassische Beruflich vorbelastet: Bei manchen Arbeiten ist der Gehörschutz Pflicht Tipps zur Ohrenpflege > Reinigen Sie Ihre Ohren nicht mit WatFOTOS: (LINKS) © REGINE MAHAUX; (RECHTS) © BILDAGENTUR-ONLINE / ABLESTOCK eine Zivilisationskrankheit. Das heißt auch, unser Lebensstil schlägt sich auf unsere Ohren nieder. „Wir können unsere Ohren schützen, indem wir Schädigungen wie Stress, schlechte Ernährung, wenig Bewegung oder Lärm vermeiden“, sagt der Hals-NasenOhren-Arzt Dr. Hartmut Berndt aus Berlin. „Nicht nur Schwerhörigkeit, auch Entzündungen, Hörsturz, Tinnitus und andere Hörprobleme sind ein ganzheitliches Geschehen, das wir beeinflussen können.“ Ihre Ohren vollbringen täglich Hochleistungen – gehen Sie also pfleglich mit ihnen um. testäbchen! Denn es besteht die Gefahr, dass Sie dabei das Ohrenschmalz zu einem Pfropf zusammenschieben. > Beim Duschen oder Baden wird Ohrenschmalz weich, und Sie können es gut mit einem Waschlappen wegwischen. > Sie haben zu viel um die Ohren? Sorgen Sie für genügend Entspannung, erholsamen Schlaf und gesundes Essen. > Meiden Sie Lärm! Haben Sie keine Scheu, bei lauten Gelegenheiten Ohrstöpsel zu tragen: in der Diskothek, an Silvester, beim Rasenmähen. Einfache Modelle gibt es in Apotheke und Baumarkt, das Angebot reicht aber bis zu sogenannten Otoplastiken, die vom Hörgeräteakustiker speziell an Ihre Ohren angepasst werden – ideal beispielsweise für Berufsmusiker. Wichtig: Gönnen Sie Ihren Ohren nach einem lauten Tag oder Abend Ruhe. > Hören Sie Ihre „Ohrwürmer“ auf Ihrem MP3-Player nur in ruhiger Umgebung. Denn je lauter es um Sie herum ist, desto lauter werden Sie die Musik einstellen. R D READER’S DIGEST November 2008 Symptome einer Mittelohrentzündung. Dazu kommt es, wenn Viren oder Bakterien durch die Ohrtrompete ins Mittelohr vordringen. Die Beschwerden gehen zwar meist innerhalb weniger Tage zurück, zum Arzt sollten Sie aber trotzdem gehen: Sind die Verursacher der Entzündung Bakterien, verschreibt der Arzt gegebenenfalls Antibiotika, damit die Erkrankung nicht chronisch wird. „Bei schweren Fällen der bakteriellen Entzündung kann das Trommelfell aufbrechen. Dann läuft Eiter aus dem Ohr“, sagt Dr. Deeg. „Heilt das Trommelfell nicht wieder ganz zu, kann sich unter Umständen eine chronische Mittelohrentzündung entwickeln, sodass eine spätere Operation erforderlich wird.“ Wenn das Trommelfell einen Defekt aufweist, dann können Entzündungserreger auch von außen ins Mittelohr gelangen. Im Unterschied zur akuten Erkrankung verspüren Sie meist keine Schmerzen, doch Ihr Ohr läuft ständig, und Sie hören schlechter. Lassen Sie es nicht so weit kommen: Benutzen Sie bei einer Erkältung abschwellende Nasentropfen, damit die Ohrtrompete wieder durchgängig wird. Klingelton. So unangenehm ein Barotrauma oder eine Mittelohrentzündung auch sein mögen – bei rechtzeitiger Diagnose und korrekter Behandlung durch den HNO-Facharzt sind sie meistens nach einigen Tagen überstanden. Andere Erkrankungen der Ohren aber können einen tiefen Einschnitt im Leben eines Menschen bedeuten. Karin Scheubel* hörte plötz*Name von der Redaktion geändert. 77 Zukunftsmusik lich auf einem Ohr zwei Töne, die nicht mehr verschwanden. „Ich konnte nicht mehr schlafen und fiel schließlich in ein ganz tiefes Loch“, erzählt die 51-Jährige aus Biesenthal bei Berlin. „Ich stand völlig neben mir, es war chaotisch. Ich hatte kein Zeitgefühl, keine Konzentration und keinen Tagesrhythmus mehr, hinzu kam die notorische Müdigkeit und die Angst, dass das nicht mehr aufhört.“ Verzweifelt lief sie von Arzt zu Arzt, denn Ohrgeräusche, in der Fachsprache Tinnitus genannt, können viele Ursachen haben: ein erhöhter Blutdruck, eine Stoffwechselstörung oder eine frühere Erkrankung des Gehörs, eine Infektion oder eine allergische Reaktion, massiver Lärm oder lang anhaltender Stress. Auch Medikamente wie zum Beispiel bestimmte Antibiotika, Entwässerungs- oder Krebsmittel und Antidepressiva können das permanente Pfeifen, Brummen, Summen, Häm- Hörgeräte sind darauf angelegt, die Defizite am Ohr auszugleichen. „Doch die Alterung macht im Innenohr nicht halt“, betont der Berliner HNO-Arzt Dr. Hartmut Berndt. „Auch die Nervenzellen degenerieren, sodass das Hirn die akustischen Informationen nicht mehr exakt verarbeiten kann.“ Mit dem Alter kann das Gehör zum Beispiel unterschiedliche Tonhöhen nicht mehr so gut unterscheiden. Dr. Berndt und seine Kollegen forschen daran, wie man diese Abbauprozesse messen und ausgleichen kann. Dafür muss die Hörgeräte-Forschung neue Ausgleichsstrategien entwickeln ähnlich der MP3-Technologie, bei der Hörinformationen drastisch reduziert sind, ohne dass die Qualität darunter leidet. Sind die Hörzellen im Innenohr nicht funktionsfähig, können schon heute sogenannte CochleaImplantate die Sinneszellen mittels Elektroden überbrücken. Dieses künstliche Gehör hilft Menschen, die taub sind oder massive Innenohrschäden haben. Vielleicht ist es irgendwann auch möglich, neue Sinneszellen ins Innenohr zu pflanzen. Im Tierexperiment ist das schon ansatzweise gelungen. AN Vorhof ovales Fenster Bogengänge Steigbügel Schnecke mit Haarsinneszellen Trommelfell Ohrtrompete Hammer Paukenhöhle Ohrschmalzdrüsen Amboss rundes Fenster GRAFIK: © MEDICALPICTURE Hirnnerv mern, Rauschen oder Klingeln im Ohr auslösen. Oft kommen mehrere Ursachen zusammen: „Bei mir war die Halswirbelsäule geschädigt, außerdem stellte sich beim Zahnarzt eine Schiefhaltung des Kiefers heraus“, erzählt Scheubel. Zudem hatte die Ingenieurin in Beruf und Familie viel um die Ohren. „Ein Tinnitus löst bei vielen Angst aus“, berichtet Petra-Juliane Kerber, Beraterin im Berliner Büro der Deutschen Tinnitus-Liga und selbst Betroffene. Die Angst, dass das störende Geräusch im Ohr nie mehr aufhören und das ganze Leben ruinieren wird. Gut zu wissen: Das akute Ohrgeräusch verschwindet bei vielen nach einigen Tagen oder Wochen von allein. Gehören Sie nicht zu diesen Glücklichen, hält Petra-Juliane Kerber einen Rat für Sie bereit: „Suchen Sie sich unbedingt einen Ansprechpartner mit Tinnitus-Erfahrung.“ (Info im Internet unter www.tinnitus-liga.de) Denn es gibt verschiedene Therapiemöglichkeiten und es gilt, die für Sie am besten geeignete zu finden. „Ein akuter Tinnitus wird in der Regel mit Infusionen behandelt, welche die Fließeigenschaften des Blutes verbessern oder die Kortison enthalten“, erklärt Dr. Berndt. Hintergrund: Die Mediziner vermuten, dass die Durchblutung im Innenohr gestört ist. Das Kortison wirkt antiallergisch und vermindert eine eventuelle Schwellung der Innenhaut der Gefäße im Innenohr. Karin Scheubel hat eine sogenannte Tinnitus-Retraining-Therapie (TRT) geholfen. Dabei lernen die Patienten, das lästige Ohrgeräusch so weit wie READER’S DIGEST November 2008 möglich auszublenden und es von den negativen Gedanken und Gefühlen abzukoppeln. Bei einem Hörgeräte-Akustiker bekam sie zudem einen Rauschgenerator angepasst. Dieser sogenannte Noiser, den man einige Stunden täglich im Ohr trägt, produziert ein Rauschen, das den Tinnitus nahezu maskiert. So kann sich das Gehirn an ihn gewöhnen, und er wird mit der Zeit als weniger lästig empfunden. Für ihr Halswirbelsäulen-Problem erhielt Scheubel eine physiotherapeutische Behandlung, für den Kiefer eine Schiene. „Die Retraining-Therapie ist die einzige Methode, um die psychischen Folgen eines Tinnitus in den Griff zu bekommen“, betont Dr. Berndt. „Denn letztlich geht es um eine Harmonisierung des Lebens.“ Karin Scheubel arbeitet inzwischen weniger, entspannt sich beim Wandern oder in der Sauna und besucht regelmäßig eine Selbsthilfegruppe, um sich auszutauschen. „Die Töne höre ich zwar noch, aber sie stören mich fast nicht mehr“, erzählt sie. Hörsturz. Auch für Tanja Müller* war eine Erkrankung der Ohren das Warnsignal dafür, dass sich in ihrem Leben etwas ändern musste. Nachdem sie mit einem Studium in Hamburg angefangen hatte, erlitt sie zwei Hörstürze. „Ganz plötzlich hatte ich das Gefühl, als hätte ich Watte im Ohr“, erzählt sie. Wie beim Tinnitus sind beim Hörsturz die Ursachen nicht genau geklärt, und auch bei dieser Erkrankung hilft der Körper sich in vielen Fällen selbst: Häufig klingen die 79 Lärmstopp. Die innere Ruhe ist eine der Säulen der Ohrgesundheit – die andere ist die äußere: der Schutz vor Lärm. Das Gehör lässt nicht erst im Alter nach, heute ist auch schon bei vielen Jugendlichen das Hörvermögen vermindert. Durch eine laute Umwelt werden die Hörzellen im Innenohr permanent strapaziert. Sind ihre feinen Härchen erst einmal zerstört, ist der Hörverlust unumkehrbar. Lärmschutz hat also oberste Priorität. Wer den MP3-Player mit einem Schallpegel von 110 Dezibel betreibt – nach Erfahrung von Experten keine Seltenheit –, schadet seinen Ohren. Auch in Diskotheken ist es mit oft um die 100 Dezibel viel zu laut – so stark lärmt eine Kreissäge! „Nehmen Sie Ohrstöpsel in die Disko oder ins Konzert mit“, rät Dr. Martin Liedtke, Lärmexperte am Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung in Sankt Augustin. 80 Hörminderung. Haben Sie manchmal das Gefühl, Ihr Gegenüber in geräuschvoller Umgebung schlechter zu verstehen? Dann sollten Sie Ihr Hörvermögen testen lassen. „Viele Menschen warten zu lange ab, weil sie ein Hörgerät fürchten“, sagt Günter Steinmeier, Vorsitzender des Fachverbandes Deutscher Hörgeräte-Akustiker e.V. in Braunschweig. Doch je eher Sie bei Hörminderung zu einer Hörhilfe greifen, desto besser. Zum einen verhindern Sie so, dass sich Ihr Gehör noch weiter verschlechtert. Zum andern sorgen Sie dafür, dass Ihre Hörbahnen weiterhin effektiv genutzt werden. Denn das Gehirn „vergisst“ Geräusche, die es länger nicht gehört hat, und muss nach der Anpassung eines Hörgeräts wieder lernen, diese zu entschlüsseln. „Seitdem ich ein Hörgerät trage, bekomme ich wieder alle Zwischentöne mit“, begeistert sich auch Petra-Juliane Kerber, 64, von der Deutschen Tinnitus-Liga, die selber schwerhörig ist. Wie sagte doch Immanuel Kant: „Nicht sehen trennt uns von den Dingen, nicht hören von den Menschen.“ ■ Gerne mal zu laut: Angus Young von der australischen HardrockTruppe AC/DC READER’S DIGEST November 2008 FOTO : © POP-EYE / MORLOK Symptome schnell wieder ab. Dennoch sollte man bei einem Hörsturz unverzüglich den Arzt aufsuchen, da sonst die Gefahr besteht, dass das Gehör dauerhaft geschädigt bleibt. Auch beim Hörsturz sind Ruhe, Entspannung und innerer Ausgleich wichtige Bausteine der Therapie. „Ich versuche, von meinen hohen Ansprüchen herunterzukommen“, erklärt Müller. „Ich sage auch schon mal Verpflichtungen ab und meditiere mehr.“