DD_2013_24_10-11 25.11.13 16:11 Seite 10 KUNDEN & MÄRKTE Online gehen oder nonline bleiben? Strategische Optionen für Druckereien ZUKUNFTSPLANUNG ó Im ständigen Wandel unserer Branche hilft es, inne zu halten und die Zukunftsoptionen zu sortieren. Die erste Folge dieser Artikel-Serie konzentriert sich auf die Veränderungen durch die Etablierung der Online-Bestellung von Drucksachen und gibt einen Überblick über die sich daraus ergebenen strategischen Optionen derjenigen, die noch keine Online-Bestellmöglichkeit vorsehen. Die zweite Folge vertieft diese möglichen Strategien und gibt einen Ausblick zur zukünftig wachsenden Bedeutung von Forschungsabteilungen in Druckereien. ó DIE ETABLIERUNG DES ONLINEDRUCKS. Immer mehr Kunden kaufen Drucksachen bei Onlinedruckereien, als wären es Schuhe von Zalando. Es ist ihnen egal, dass die Auswahl auf bestimmte Formate und Papiersorten beschränkt ist – Schuhe gibt es ja auch nur selten als Einzelanfertigung. Das Internet ist für Standarddrucksachen zum ersten Anlaufpunkt bei der Definition und Auswahl von Produkten und Lieferanten geworden. Getrieben wird diese Entwicklung nicht nur durch den Trend zum E-Commerce. Hinzu kommen die enormen Kosteneinsparungen, die durch die Sammelformproduktion realisiert werden können. Der „First Mover“, wie die Innovationswissenschaftler sagen, also der erste, der den Einspareffekt durch Sammelformdruck erkannte und erfolgreich als Geschäftsmodell etablierte, war der ehemalige Microsoft-Mitarbeiter Robert Keane. Seit 1996 erobert er mit seinem in den USA börsennotierten Unternehmen „Vistaprint“ den Markt der Privatdrucksachen. Es folgten als „Early Adopter“ zeitgleich mehrere deutsche Unternehmen. Heute ist der Markt der Geschäftsdrucksachen und Akzidenzen von deutschen Online-Großdruckereien geprägt. Sie sind bereits europäische Marktführer, und „die großen Vier“ setzen weiter voll auf Wachstum: ó Flyeralarm mit dem Druckhaus Mainfranken produziert mit inzwischen mehr als 1500 Mitarbeitern an sechs deutschen Standorten. Sie eröffnen Vertriebsfilialen in den großen deutschen Städten und betreiben intensive Markenbildung. ó Die Cewe Color AG, europäischer Marktführer im digitalen Fotobuchdruck, kaufte Anfang 2012 die Dresdener Onlinedruckerei Saxoprint mit circa 350 Mitarbeitern. Damit ergänzte sie ihr Produktportfolio um Bogenoffsetdruckprodukte und investiert kontinuierlich stark in das Marketing unter dem Claim „Cewe-Print: Best in Print“. ó Unitedprint mit seinem Produktionsstandort quer gegenüber von KBA in Radebeul bei Dresden beschäftigt 700 Mitarbeiter und setzt mit unterschiedlichen Internetauftritten sowohl auf Wachstum im Privatkundenmarkt als auch im B2B-Geschäft. Sammelform-Produktion in einer großen OnlineDruckerei. 10 DD-SERIE PERSPEKTIVEN IM ONLINEUND NONLINE-DRUCK Ist es sinnvoll, sich immer stärker auf das Geschäftsfeld Onlineprinting zu fokussieren oder gibt es auch eine Zukunft für den NonlineDruck? Deutscher Drucker zeigt Zukunftsperspektiven für Druckdienstleister auf. ∂ Teil 1 (Etablierung der Onlinedruckereien, „Online“-Strategien) in dieser Ausgabe, ∂ Teil 2 (weitere „Online“-Strategien sowie „Nonline“-Strategien) erscheint in DD 25-26/2013 Die Onlineprinters in Neustadt sind mit ihrer deutschen Muttermarke diedruckerei.de aus einem Kleinbetrieb mit 20 Mitarbeitern heraus mit dem Onlinedruckgeschäft groß geworden, vertreiben ihre Bogenoffsetdruckprodukte heute in 30 Länder, beschäftigen ca. 350 Mitarbeiter und haben einen Finanzinvestor für weiteres Wachstum gewonnen. Im Bereich der Kleinakzidenzen und Geschäftsdrucksachen ist der Onlinedruck besonders stark. Bei den 0,35 Mrd. Euro Umsatz der „großen Vier“ (Zahlen nach Bundesanzeiger 2011) handelt es sich in einer Branche mit 16 Milliarden Euro noch um ein Randphänomen. Das Umsatzpotenzial ist aber gewaltig: Stabil 43 Prozent aller Produktionswerte über die letzten fünf Jahre liegen in den Produktgruppen Geschäfts- und Werbedrucksachen (BVDM 2008–2012, Taschenstatistiken S. 2, alles ohne Kataloge). Und spricht man mit Verantwortlichen in Onlinedruckereien, so ist das zentrale Thema der Zukunft: diese Potenziale ausschöpfen durch weiteres Wachstum. Dabei ist Wachstum für Onlinedruckereien kein Selbstzweck, sondern ergibt sich zwingend durch den großen Wettbewerb untereinander. Nur durch Wachstum können die hohen Kosten im Marketing aufgefangen und weitere Kosteneinsparungen realisiert werden. Letztere sind notwendig, um im Preiswettbewerb mithalten zu können. Das Geschäftsmodell bevorzugt dabei Größe: Die Fixkosten im Bereich Marketing und ó Deutscher Drucker | Nr. 24 | 28.11.2013 DD_2013_24_10-11 25.11.13 16:11 Seite 11 KUNDEN & MÄRKTE E-Commerce-Portalbetrieb wachsen nicht proportional mit dem Umsatz. Und umso bekannter man ist, umso schneller kann man Neuprodukte so produzieren, dass möglichst schnell mit dem kostensparenden Sammeldruckeffekt produziert werden kann. Drei Wachstumsbereiche werden meist parallel verfolgt: ó Wachstum durch Internationalisierung; ó Wachstum durch Preis- und/oder Qualitätsführerschaft bei Einzelprodukten; ó Wachstum durch Erweiterung der Produktpalette und innovative Neuprodukte. Erste Onlinedruckereien eröffnen sogenannte „Stores“ in deutschen Großstädten. Kunden können dort Papier- und Druckmuster anfassen, ihre Bestellungen abholen und sich beraten lassen. Hauptgrund für die Ergänzung des Online-Ladens mit einem echten Ladengeschäft – im E-Commerce auch „Click & Brick“-Strategie genannt – ist die Stärkung der Marke. Ähnliche Markenbildungsstrategien durch Stores kennt man schon länger von Markenartiklern wie Nike und Adidas. Aber auch erfolgreiche E-Entrepreneurs, wie beispielsweise mymuesli.de, setzen auf die Werbewirkung von echten Ladengeschäften. ONLINE GEHEN? NONLINE BLEIBEN? Das Wachstum im E-Commerce bedroht das Geschäftsmodell der klein- und mittelständischen Betriebe der Druckindustrie, deren wichtigste Produktgruppe kleine und mittlere Auflagen im Bogenoffset sind. Heute müssen viele neben dem Preiskampf durch Überkapazitäten auch den Preiskampf mit den Onlinedruckereien aufnehmen. Da letzteres aufgrund der unterschiedlichen Produktionsweise – Stichwort Einzelfertigung versus Sammeldruck – nicht funktioniert, übernehmen die kleineren Druckereien einen Teil des Drucksacheneinkaufs für ihre Kunden bereits heute als „Reseller“: Sie kaufen für ihre Kunden diese Produkte bei Onlinedruckereien zu. So fördern absurderweise die Betroffenen selbst das Wachstum ihrer Wettbewerber. Damit verlieren sie zwar nicht den Kunden, und sie generieren oder halten durch diesen Service auch Aufträge für ihren eigenen Maschinenpark – aber mittelfristig leidet die Auslastung der eigenen Maschinerie. Die Abwärtsspirale ist vorprogrammiert. Die Tabelle zeigt drei Strategien, wie eine Druckerei, die heute noch keine Produkte über eine Online-Bestellung mit Sammeldruckeffekt anbietet, ihr Geschäftsmodell um E-Commerce ergänzen oder umstellen kann. Diesen drei „Online gehen“-Strategien werden mit drei Strategien ergänzt, wie eine Druckerei auch morgen noch auf dieses internetbasierte Geschäftsmodell verzichten, also „nonline bleiben“ kann. Flyeralarm-Store in der Dresdener Neustadt. KUNDEN- UND KAMPAGNENPORTALE. Kunden- beziehungsweise Kampagnenportale sind E-Commerce-Angebote, die auf einen bestimmten Kunden, eine Kundengruppe oder auf eine bestimmte Kampagne eines Kunden zugeschnitten sind. Alle berechtigten Mitarbeiter des Kunden bzw. die Kampagnenpartner können passwortgeschützt über das Portal vordefinierte Produkte bestellen. Bestellhistorien, Datenarchiv, Lagerbestandsverfolgung und Budgetverwaltung, vor allem aber Web-to-Print-Templates für die Einhaltung des Corporate Design und leichte Individualisier- bzw. Regionalisierbarkeit, sind wichtige Funktionen. Bei Großkunden, wie Versicherungen, Banken oder Automobilherstellern mit zahlreichen Zweigstellen sind internetbasierte Bestellportale zwischenzeitlich weit verbreitet. Sie werden in den meisten Fällen nicht von einer Druckerei betrieben, sondern von der werbetreibenden Industrie, also dem Kunden selbst. Die Gründe sind vielfältig. Einer ist, dass die Industrie diese Portale auch für andere Produkte verwendet, beispielsweise zur Verwaltung und internen Nachbestellung von Merchandising-Artikeln. Ein weiterer Grund ist häufig die Integration in die unternehmenseigene IT-Struktur und damit die Nutzung der internen Rechteverwaltung und Freigabe-Workflows. Ein ganz wichtiges Argument ist aber sicher auch: Die Kunden wollen natürlich vermeiden, sich durch die Nutzung des Portals einer Druckerei zu sehr an diese zu binden. Kundenportale für Großkunden zu betreiben, bedarf also großer Erfahrung und einer sehr vertrauensvollen Kunden-Lieferantenbeziehung. Für klein- und mittelständische Kunden, für Kundengruppen und für Kampagnen ist die Kom- Online gehen Nonline bleiben Kunden-/Kampagnenportale Crossmedialer Mediendienstleister Innovatives Produkt bzw. ProduktDienstleistung, ggf. kombiniert mit Ausgründung Volumendruckerei Kooperation mit Online-Netzwerk oder Online-Druckerei Projektdruckerei Strategische Optionen für die Zukunftsausrichtung von Druckunternehmen. Deutscher Drucker | Nr. 24 | 28.11.2013 petenz für den Betrieb von Web-to-Print-Portalen aber weiterhin ein interessanter Weg einer „Online gehen“-Strategie. Voraussetzung für die Kundenakzeptanz sind meist drei Dinge: 1. Die Druckerei muss bereit sein, nicht nur die selbst produzierten Drucksachen, sondern auch fremd hergestellte und unbedruckte Merchandisingprodukte mit ins Portfolio aufzunehmen. Das können Kugelschreiber, Mappen, Aufsteller u.v.a.m. sein. 2. Der Kunde muss die Möglichkeit bekommen, das über das Portal generierte PDF zusätzlich selbst abspeichern zu können, um nicht das Gefühl zu haben, zu stark an die Druckerei gebunden zu sein. 3. Die Preise für Standarddrucksachen dürfen in der Höhe nicht zu stark von denen der Onlinedruckereien abweichen. Denn diese sind vom Kunden im Web ja leicht recherchierbar. Eine Kooperation mit einer oder mehreren ausgewählten Onlinedruckereien und dessen fast bei allen vorhandenen Resellerprogrammen sollte geprüft und IT-technisch in die Portale integriert werden. Zur Umsetzung dieser Strategie benötigt die Druckerei Pilotkunden, Projektkompetenz, Mitarbeiter, die sich in die Arbeitsstrukturen und Ziele des Kunden hineinversetzen können, sowie die Fähigkeit, die umgesetzten Lösungen kostengünstig für ähnliche Kunden und/oder Kampagnen zu adaptieren. DIE AUTORIN Prof. Dr. Anne König lehrt an der Beuth Hochschule für Technik (Berlin) Betriebswirtschaftslehre für die Druck‑ und Medienindustrie im Studiengang Druck‑ und Medientechnik sowie Methoden und Gestaltung der internen Unternehmenskommunikation im Studiengang Betriebswirtschaftslehre. Kontakt: ≥ [email protected] 11