Konrad Adenauer. Edler Lügner oder gerissener Fuchs ?, Politik

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Politik
Jörg Wiegner
Konrad Adenauer. ‚Edler Lügner‘ oder
‚gerissener Fuchs‘?
Essay zur Deutschlandpolitik 1949 - 1955
Essay
Universität Leipzig
Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie
Institut für Politikwissenschaft
Modul:
Interpretation der Macht
Seminar:
Politik und Lüge
Sommersemester 2012
Konrad Adenauer - ‚edler Lügner‘
oder ‚gerissener Fuchs‘?
Essay zur Deutschlandpolitik 1949 - 1955
Vorgelegt von:
Name:
Jörg Wiegner
Studiengang:
Master Lehramt Mittelschule
Studienfächer:
Geschichte/Gemeinschaftskunde
Fachsemester:
2
S e i t e | 1 I
„Mein Gott, was soll aus Deutschland werden?“ - diese und ähnliche Formulierungen
finden sich in großem Umfange in den späteren Aufzeichnungen Konrad Adenauers
wieder. Die Sorge um das Gemeinwesen der BRD, die politische und ökonomische
Stabilität, ist ein durchgängiger Topos in den Äußerungen des ersten Kanzlers der
BRD. Immer hat er befürchtet, dass, sobald er von der großen Bühne der Politik verschwunden sein würde, sein Werk des souveränen und in der europäischen Gemeinschaft aufgegangen Westdeutschlands von unfähigen Nachfolgern gefährdet
werden würde.
Via veritas ([ich bin] der Weg [und] die Wahrheit) - so sah er sich selbst und sein Wirken war ganz darauf ausgerichtet, seine Vorstellung von (West-) Deutschland zu realisieren. War er also einer der platonischen Philosophenkönige, die aus der Vollkommenheit der eigenen Erkenntnis das Beste zum Wohl des eigenen Volkes anstrebten und ob ihres überlegenen Geistes der Wahrheit am Nächsten standen? Oder war er doch eher ein Adept machiavellistischer Machtpolitik, der alles tat, um sich
selbst und seine Position an der Spitze des Staates zu behaupten?
Möglicherweise gibt es zwischen diesen beiden Positionen eine dritte, eine vermittelnde, die er einnahm. Vielleicht die des ‚geriebenen Idealisten‘, der auf der einen
Seite ein Idealbild mit ehrenwerten Motiven vertrat, auf der anderen Seite hingegen
nicht zimperlich war in der Anwendung unlauterer Mittel, um seine Ziele zu erreichen.
Das scheint eine grundsätzliche Frage zu sein: Darf ein Politiker, der seine Ziele umzusetzen versucht, sich jedes Werkzeuges bedienen, um diese zu erreichen? Wie
steht es mit dem Verhältnis von Macht und Moral, Wahrheit und Lüge im politischen
Geschäft?
Wenn im Folgenden von Lüge die Rede ist, so ist damit „eine aktive Handlung zur
vorsätzlichen Täuschung eines Zielpublikums“ (Mearsheimer 2011) gemeint. Diese
beinhaltet das Erfinden von Fakten oder das Leugnen und hat immer die Beeinflussung der Adressaten zum Ziel, um die eigene Politik durchzusetzen.
Ob Adenauer der „Lügenkanzler“ (Kurt Schumacher) oder der „Realist par
excellence“ (Hans-Peter Schwarz) war, wird anhand der Problematik der ‚Deutschen
Frage‘, insbesondere dem von Adenauer postuliertem Junktim zwischen Wiedervereinigung und Westintegration in den Jahren 1949 bis 1955 untersucht. Die theoreti-
S e i t e | 2 sche Fundierung bedient sich zweier ideengeschichtlicher Stränge: einerseits der
‚edlen Lüge‘ Platons, andererseits der ‚Machtpolitik‘ Machiavellis.
Aufgabe ist es hier nicht, moralische Kategorien auf Protagonisten des politischen
Geschäftes anzuwenden, sondern die politische Logik des Lügens und Täuschens
zu beleuchten.
II
Platon hat in der Politeia den Philosophenkönigen das Recht zugesprochen, zum
Wohle der Allgemeinheit, die ‚edle Lüge‘ anzuwenden. Ausgangspunkt war die von
Platon gesehene Notwendigkeit, die herrschende Klassenstruktur zu perpetuieren
und die der Natur des Menschen innewohnende Tendenz, soziale Unterschiede aufzuheben, nicht zur Geltung kommen zu lassen (zu ‚edlen Lüge‘ bei Platon: Georg
Martin). Die Lüge sollte gewaltsame Auseinandersetzungen verhindern und das tradierte Gemeinwesen stabilisieren. Zur bildhaften Verdeutlichung der ‚natürlich‘ gegebenen Sozialstruktur schuf er den ‚Metallmythos‘, der beinhaltet, dass jedem Menschen unterschiedliche Metalle beigefügt seien. Den allermeisten Personen nur Eisen und Erze, einer geringeren Anzahl Silber und den allerwenigsten Gold. Daraus
ergäbe sich der Platz, der jedem Mitglied in der Gesellschaft zusteht.
Die Lüge besteht nun darin, dass die Herrscher, die die Erzählung verbreiten, wissen, dass sie falsch ist. Zur ‚edlen Lüge‘ wird die Unwahrheit, indem auf das höhere
Gut, das Wohl der Allgemeinheit, verwiesen wird. Die ‚edle Lüge‘ entspringt also der
Überzeugung der Herrschenden, erkannt zu haben, wie ein idealer Zustand der Gemeinschaft, eines Staates etc. auszusehen hat. Sie meinen zu wissen, wie dem Allgemeingut am besten gedient sei und müssen die Maßnahmen, die zur Erreichung
dieses Zieles am dienlichsten sind, kaschieren, indem sie die Mehrheit der Bevölkerung belügen. Wichtig ist dabei, dass die Lüge vermeintlich den Belogenen dient und
nicht nur den Lügenden. Damit wird die ‚edle Lüge‘ zu einer altruistisch begründbaren Notwendigkeit.
Die Philosophenkönige, die Experten in der Regierungstheorie und -praxis sind, haben eine ganz genaue Vorstellung davon, was der Mehrheit der Menschen nützlich
ist und da sie sich der menschlichen Neigungen ebenso bewusst sind und die mangelhafte Wissensbasis der Gesellschaftsmitglieder berücksichtigen, haben sie quasi
die Pflicht, die Unwahrheit zu sagen. Dabei zielen sie auf langfristige Veränderungen
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