Regeln und Ausnahmen - Deutsches Ärzteblatt

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Der Umgang mit vorgeburtlichem Leben
Regeln und Ausnahmen
Die relevanten Glaubensinhalte
der Weltreligionen
wurden auf der Jahrestagung
des Nationalen Ethikrates
gegenübergestellt.
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A 3078
Foto: OKAPIA
an wunderte sich zunächst vielleicht, warum der Nationale
Ethikrat sich auf seiner diesjährigen Jahrestagung Ende Oktober in
Berlin ausgerechnet mit dem eher ausgefallenen Thema „Der Umgang mit
vorgeburtlichem Leben in anderen Kul- reproduktiven Klonen unter bestimmturen“ beschäftigte. Der Vorsitzende ten Voraussetzungen erlaubt. Zwar
des Gremiums, Prof. Dr. jur. Spiros Si- müsse auch die Würde so genannter
mitis, erläuterte denn auch gleich zu überzähliger Embryonen respektiert
Beginn, weshalb ausgerechnet die Be- werden. Doch können Beloucif zufolge
schäftigung mit Weltreligionen Hilfe- überzählige Embryonen dennoch für
stellung bei der Suche nach nationalen die Forschung akzeptiert werden, da sie
Lösungen auf drängende medizinethi- ansonsten der Zerstörung anheim falsche Fragestellungen liefern kann. Er ist len würden.
der Auffassung, dass man nur dann eine
Zwischen Ideologie einerseits und
gemeinsame Lösung finden könne, der Realität andererseits gibt es allerwenn man die unterschiedlichen Auf- dings starke Unterschiede, die Dr. Carla
fassungen kennt. Auch
Makhlouf Obermeyer
„Im Judentum
in Deutschland müssvon der Weltgesundten die Vorstellungen
heitsorganisation erbeginnt das Leben
eingebracht werden,
läuterte. Viele islamides Fötus
„die durch Migration
sche Staaten hätten
mit der Nidation.“
in unser Land gekomaus der Kolonialzeit
men sind“.
restriktive RegelunDoch dass es in den Weltreligionen gen des Schwangerschaftsabbruchs „gekeine einfachen und eindeutigen Ant- erbt“. In 28 islamischen Ländern, in
worten gibt, verdeutlichten bereits die denen die Sharia gelte, sei SchwangerVorträge zum Islam. So betonte Prof. schaftsabbruch verboten. Nur in BahDr. Sadek Beloucif, Mitglied des franzö- rain, der Türkei und Tunesien seien die
sischen Nationalen Ethikrates, dass im Abtreibungsgesetze liberaler gestaltet.
Islam der heilige Charakter des Lebens Doch auch in den Ländern mit restriktirespektiert werden müsse. Der Fötus ver Regelung gebe es „viel Spielraum“.
gelte als schützenswert vom Beginn sei- So sei in Ägypten der Schwangerner Beseelung an, das sei für die mei- schaftsabbruch verboten. Die Polizei
sten Rechtsgelehrten vom 40. Tag an. greife in der Regel jedoch nur dann ein,
Für andere allerdings beginne das Le- wenn es zu Todesfällen komme. In
ben bereits mit der Zeugung. Abtrei- Bangladesch werde ein Schwangerbungen eines beseelten Embryos seien schaftsabbruch einfach als Regulierung
deshalb verboten. Künstliche Befruch- der Monatsblutung bezeichnet. Auch in
tung sei dann erlaubt, wenn dafür nicht islamischen Ländern „schießen die Indie Samen- oder Eizellen fremder vitro-Fertilisationszentren wie Pilze aus
Spender verwendet werden. Das thera- dem Boden“. Sie dienten der „stillen
peutische Klonen sei im Gegensatz zum Rettung vieler Ehen“, seien jedoch nur
einer wohlhabenden Schicht zugänglich
und würden vorwiegend bei der Unfruchtbarkeit des Mannes in Anspruch
genommen.
Im Judentum, so Prof. Dr. Avraham
Steinberg, Jerusalem, beginne das Leben des Fötus erst mit der Nidation, sodass zwischen Präembryo und Embryo
unterschieden werden müsse. Menschliche Würde käme allerdings auch dem
Präembryo zu. Sogar der Samen sei
schützenswert, weshalb Samenspenden
und Masturbation verboten seien. Die
Präimplantationsdiagnostik (PID) sei
zulässig, da sie lediglich eine Vernichtung defekter Präembryonen bedeute.
Auch embryonale Stammzellforschung
sei erlaubt. Auf die Frage, warum denn
Masturbation zum Schutz von Samen
unzulässig, dagegen PID und embryonale Stammzellforschung erlaubt seien,
antwortete Steinberg: „Diese Techniken sind nur deshalb erlaubt, weil die
Vorteile die Nachteile überwiegen.“
Schließlich könnten durch die Stammzellforschung möglicherweise Menschenleben gerettet werden. Und die
Gefahr, ein Kind mit schweren Missbildungen zur Welt zur Welt zu bringen,
habe mehr Gewicht als die noch relativ
geringen Rechte des Präembryos.
Abtreibungen seien, so Steinberg, im
Judentum in der Regel nur in den ersten
40 Schwangerschaftstagen zulässig.
Prof. Shimon Glick, Beer Sheva, berichtete über die Praxis in Israel. Unter
britischem Mandat, also bis 1948, seien
Abtreibungen verboten gewesen; sowohl die Frau als auch der Arzt hätten
mit strengen Strafen rechnen müssen.
Nach der Entstehung des Staates Israel sei dieses Gesetz bis auf eine Lockerung im Jahr 1966 weiter in Kraft geblieben. 1977 sei das Abtreibungsrecht
neu geregelt worden. Danach seien
Schwangerschaftsabbrüche unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt
worden. Unter dieser Gesetzgebung
kam es zu 15 000 bis 20 000 legalen Abtreibungen jährlich, wobei die größte
Zahl unter die so genannte soziale Indikation fiel. Als im Jahr 1979 die Regierung wechselte, fiel den religiösen
Parteien eine größere Bedeutung zu,
was zur Streichung der sozialen Indikation geführt habe. Dies habe sich jedoch als Pyrrhus-Sieg erwiesen. Denn
auch nach dem Wegfall der sozialen In-
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dikation sei die Zahl der legalen Ab- legale Abtreibungen seien jedoch an boten worden, sie sei jedoch dennoch
treibungen nicht gesunken. Die Ursa- der Tagesordnung. Jährlich würden in gängige Praxis. Zunehmend würden in
che: Die sozialen Indikationen seien Thailand circa 300 000 Abtreibungen in Indien auch Möglichkeiten der extraeinfach als medizinische Indikationen einer der zahlreichen illegalen Ab- korporalen Fertilisation, wie Ei- und
erklärt worden.
treibungskliniken vorgenommen. In Ja- Samenspenden, aber auch LeihmutterEs gebe kein Land auf der Welt, in pan, wo Schwangerschaftsabbrüche le- schaft angeboten, was zu einem regeldem so viele Gentests und pränatale gal sind, würden jährrechten
„FertilitätsDiagnostik wie in Israel vorgenommen lich mehrere Millionen
tourimus“ geführt ha„Im Konfuzianismus
würden. Drei Prozent aller in Israel ge- Abtreibungen vorgebe. Im vergangenen
ist es dem Menschen
borenen Kinder seien durch In-vitro- nommen.
Jahr habe die indische
verboten,
Fertilisation entstanden. Für die ForIm Hinduismus sei
Regierung von einem
Gott zu spielen
schung an embryonalen Stammzellen nach den ayurvediAusschuss zwei Richtund in die Schöpfung
wurden im Jahr 2001 Leitlinien eines schen Texten der Fölinienentwürfe erarBeratenden Bioethischen Komitees der tus Mensch von der
beiten lassen, wonach
einzugreifen.“
Israelischen
Wissenschaftsakademie Empfängnis an, da er
das
therapeutische
vorbereitet. Diese Leitlinien versuch- ab diesem Zeitpunkt
Klonen bei bis zu 14
ten die Balance zwischen dem Lebens- Seele und Körper habe, einschließlich Tagen alten Embryonen erlaubt sei, alschutz des menschlichen Embryos und des Karmas, das seine Individualität lerdings nur mit Zustimmung der „Bedem „enormen lebensrettenden Poten- begründe, erläuterte Prof. Katherine K. sitzer“ der Embryonen.
zial der Stammzellforschung“ zu wah- Young, Montreal. Der Fötus sei durch
Im Konfuzianismus sei es dem Menren. Die Erzeugung von embryonalen das ethische Prinzip des ahimsa, der schen verboten, Gott zu spielen und in
Stammzellen für Forschungszwecke ist Gewaltfreiheit, geschützt, und durch die Schöpfung einzugreifen, führte Dr.
daher verboten, die Forschung an die Pflicht, den Fötus zu schützen, sei Julia Tao Lai Po-wah, Hongkong, aus.
„überzähligen“ Embryonen jedoch er- auch das Verbot des Schwangerschafts- Die Natur sei ein moralischer Prozess,
laubt. Die Präimplantationsdiagnostik abbruchs begründet. Abtreibung gelte der Leben gibt und zu Leben führt. Die
sei eine in Israel gängige Praxis.
als aktive Tötung und als ebenso ver- Mission des Menschen sei es, der Natur
Der große Unterschied der asiati- werflich wie Beischlaf mit der Frau des zu helfen. Menschen dürften und müssschen zu den monotheistischen Religio- Gurus, Mord und das Essen von Rind- ten die Natur zwar verändern, es sei jenen besteht vor allem in dem Glauben fleisch. Schwangerschaftsabbruch wer- doch nicht hinnehmbar, so weit in die
an Wiedergeburt und Reinkarnation, de mit schweren Strafen belegt, wie Natur einzugreifen, dass Designerbabys
wie Dr. Damien Keown berichtete. Und zum Beispiel mit dem Verlust der Ka- entstehen. Der Mensch werde nämlich
dieser Glaube präge auch die Einstel- ste, was den Verlust des rituellen und unvollkommen geboren, und er habe
lung zum Embryo. Geburt und Tod sei- sozialen Status bedeutet. Die einzige das Potenzial zur Perfektionierung, die
en wie Drehtüren, durch die jedes Indi- Ausnahme, bei der ein Schwanger- er selbst erreichen müsse. Man sei verviduum immer und immer wieder hin- schaftsabbruch straffrei ausgehe, sei pflichtet zu handeln, dürfe seine Grendurchgehe. Eines der Grundprinzipien auch im Hinduismus die Rettung des zen aber nicht überschätzen. Doch trotz
der buddhistischen Ethik sei die Ge- Lebens der Mutter.
dieser religiösen Vorgaben wird die
waltfreiheit, und dazu gehöre auch der
Dr. Jyotsna Gupta, Leiden, machte Embryonenforschung in China konseRespekt vor dem Leben, der sich nicht deutlich, dass es in der Realität häufig quent weiter vorangetrieben.
nur auf menschliches Leben, sondern anders aussieht. So sei in Indien im Jahr
Deutlich wurde letztendlich, dass alauch auf Tiere und sogar Pflanzen be- 1971 die Abtreibungsregelung liberali- len Religionen die Ehrfurcht vor dem
ziehe. Der Buddhismus lehre, dass die siert worden, um das rasante Bevölke- Leben und das Wissen von der Unververschiedenen Formen von Leben ein rungswachstum einzudämmen. Durch fügbarkeit des Menschen gemeinsam
Kontinuum bilden, das heißt, die Le- die Globalisierung hätten zunehmend sei, wie Prof. Dr. theol. Eberhard
bensform kann entauch die Möglichkei- Schockenhoff, Freiburg, ausführte. Eiweder ein Tier, ein
ten der westlichen Re- nigkeit gibt es jedoch nicht in der
„Im Islam ist der Fötus
Mensch oder sogar ein
produktionsmedizin
grundlegenden Frage, ab wann Leben
schützenswert
Gott sein. In Anbeund pränatalen Dia- eigentlich beginnt. Landesbischof Prof.
von Beginn seiner
tracht der Tatsache,
gnostik Einzug gehal- Dr. theol. Wolfgang Huber, neu geBeseelung an.“
dass der Mensch wieten. Die Amniozen- wählter Ratsvorsitzender der Evangelidergeboren werden
tese sei jedoch keine schen Kirche in Deutschland, wies abkönne, sei das Töten von Menschen in Form der pränatalen Diagnostik, son- schließend darauf hin, dass die Antworjedem Zustand seines Lebens, geboren dern eine Form der Geschlechtsbestim- ten der Religionen lange vor dem
oder ungeboren, moralisch verwerflich. mung geworden. Töchter seien in der Beginn der Reproduktionsmedizin
In den traditionelleren buddhisti- indischen Gesellschaft unerwünscht, gefunden wurden. „Jetzt muss ihre Anschen Ländern wie Thailand und Sri weil die Familie für sie eine beträchtli- wendbarkeit überprüft werden.“ – Das
Lanka sei Abtreibung außer in einigen che Mitgift bieten müsse. Zwar sei die Christentum war übrigens nicht GegenGisela Klinkhammer
begründeten Ausnahmen verboten. Il- Geschlechtsselektion im Jahr 1994 ver- stand der Tagung.
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