Felder, nicht Landschaften. Der Begriff ist wichtig, denn er impliziert mehreres: Kontrollierte Offenheit, Spannung mit Widerstand, das Spiel sich anregender Impulse im begrenzten Rahmen. Klangfelder also, nicht Klanglandschaften. „Ich empfinde die Bezeichnung Soundscapes beispielsweise als sehr festgelegt“, meint Johanna Jellici. „Man verbindet sie mit einer bestimmten Form der Klangerzeugung und Bearbeitung, auch mit Künstlern, die schon lange damit experimentieren“. Soundfields seien da freier, paradoxerweise, obwohl sie auf den ersten Blick einen engeren Rahmen vorgäben. Alles kreist und die semantische Zentrifuge der Begrifflichkeiten wirft gerade die Brocken an den Rand, die mit zu viel Bedeutungsschwere gefüllt sind. Auf der anderen Seite bieten sich viele Assoziationen an, die im Zusammenhang mit Musik stehen. Das elektrische Feld zum Beispiel. Johanna Jellici hat künstlerische Wurzeln etwa in der elektroakustischen und zeitgenössischen Klangkunst. Sie ist in der Welt bewusst gestalteter Hörumgebungen, audiovisueller Installationen und klangräumlicher Architektur ebenso zuhause wie in der musique concrète, den Ausläufern des experimentellen Pops oder dem umfassenden Komplex des Soundhealings. Elektrische Felder als allgegenwärtiges Phänomen des Transports von Lichtsignalen, Funkwellen, überhaupt Energieimpulsen haben für sie die besondere Bedeutung eines Trägermediums für akustische Ereignisse und damit einer Voraussetzung für musikalisches Erleben und Empfinden überhaupt. Dann sind da die semantischen Felder. Im Unterschied zu konkreten Texten bilden sie Netzwerke von Bedeutungsnuancen, sind häufig profund bildhaft und daher eine ebenfalls gute Basis für den im engeren Rahmen offenen künstlerischen Einsatz. „Liedtexte“, meint Johanna Jellici weiter, „sind für mich grundlegend. Sie behandeln Dinge, die mich betreffen, in diesem Fall nicht unbedingt im Zusammenhang untereinander, sondern als eine Palette von Ideen und Stimmungen“. Das eröffnet Möglichkeiten der Gestaltung. Wenn das Wort in seiner Bedeutung nicht festgelegt ist, sondern nur ein Näherungswert an ein Spektrum der Optionen, dann kann man damit spielen. Es ist die Form des uneigentlichen, metaphorischen Sprechens, die große Freiheit des Schweifenlassens der Gedanken, an die sich die Kreation von Geräuschen, Klangelementen und Soundnetzwerken anschließen kann. Hier kommen Jochen Baldes und die Kompositionen ins Spiel. Denn Soundfields ist das Resultat eines gemeinsamen Näherungsprozesses. Stimme, Text, elektroakustische Bearbeitung treffen auf Saxofon, Struktur, musikalische Vorgaben. Die Musiker waren sich in der Schweizer Musikszene begegnet und hatten festgestellt, dass es Gemeinsamkeiten gab. Die eine schätzte die Art des Komponierens, den präsenten und samtenen Ton, die Unmittelbarkeit der Gestaltung, der andere die spezielle Aura des Gesangs, den bewussten und intensiven Umgang mit der Musik, die Besonderheiten der elektronischen Bearbeitung akustischer Vorgaben. Es war ein Prozess der Näherung, des Umkreisens mit wachsender Erkenntnis der gestalterischen Geistesverwandschaften, die in ein Gefühl mündeten, gar nicht anders zu können, als die individuellen künstlerischen Erfahrungen zu einem gemeinsamen Ganzen zu verschmelzen. Für jeden der Beteiligten gab es dabei aber auch neues Terrain zu erforschen. Johanna Jellici hatte bis dahin Electronics vor allem statisch eingesetzt. Es waren beispielsweise festgelegte Klangelemente im Rahmen von Installationen, geformt mit klaren Zielen einer künstlerischen Wirkung. Diesmal jedoch wurde der Laptop zu einem Live-Instrument, das in vielfacher Weise, zwar auch noch auf der Basis bereits zuvor erstellter Elemente, im Kern aber spontan auf die Angebote der Musik reagiert. Jochen Baldes wiederum hat seine Ursprünge in der Welt des Jazz, die auch die Vorgaben von Komposition und Arrangement kennt, sich häufig aber kreativ darüber hinwegzusetzen vermag. „Soundfields ist für mich daher ein offenes Feld der Erkundungen“, erklärt Baldes. „Wir ertüfteln und erforschen zahlreiche Kontraste, von Spannung und Entspannung, Natur und künstlichen Welten, von improvisierender Musik und Liveelektronik“. Die Herausforderung besteht dabei in der stimmigen Kombination der Elemente. Denn Projekte, die ähnliche Elemente verknüpfen, gibt es inzwischen viele. Weit weniger häufig jedoch gelingt es auch, dass die musikalischen Welten tatsächlich ineinandergreifen. Und es gibt persönliche Vorgaben. Jochen Baldes kann auch abstrakt, aber er bevorzugt in diesem Fall das Konkrete melodisch transparenter Klangbilder und strukturell verlässlicher Kompositionen, die den Experimenten im Detail eine Form im Allgemeinen geben. Johanna Jellici wiederum ist in der Wahl ihrer gestalterischen Mittel vergleichsweise traditionell. Livesampling etwa ist für sie als Arbeitsweise in diesem künstlerischen Kontext keine Option, ebensowenig wie der dekonstruierende Umgang mit Geräuschen und Effekten. Musik in ihrer Basis als Zusammenklang bleibt erhalten, jeder Einsatz von elektronischen Zusätzen ist ergänzend im Sinne der Steigerung des ästhetischen Empfindens gedacht. Insofern gibt auch sie die Idee der Vorstrukturierung nicht auf, sondern setzt Sounds ein, die sie im Vorfeld der Musik entwickelt. Die Stimme ihrerseits ist in ihrem Charakter natürlich und ungebrochen. Johanna Jellici mag einst energische, anarchische Kolleginnen wie Nina Hagen oder Laurie Anderson bewundert haben, für sie selbst bleibt der klare und unbearbeitete Ton unantastbar. Das hat Konsequenzen für die Gestaltung. Denn Vitalität in der Musik entsteht durch Reibung. Verzichtet man auf naheliegende Methoden der akustischen Aufrauung wie Dynamikextreme, Strukturbrüche, dekonstruierende Elemente, dann muss die Energie aus den Nuancen kommen. Das wiederum ist eine pikante Aufgabe, denn sie setzt ein entweder hochempathisches oder ungewöhlich reflektiertes Team voraus, damit die Musik ihre Ernsthaftigkeit behält. Oder eines, das beide Eigenschaften in sich vereint. Jochen Baldes und Johanna Jellici haben sich daher Zeit gelassen, um den gemeinsamen Nenner der Intensität zu finden. Vor den eigentlichen Aufnahmen wurde viel diskutiert und verworfen, viel ausprobiert und wieder relativiert. Wege wurden gefunden, etwa in kompakter Zweistimmigkeit von Saxofon und Stimme, im parallelen und sich umrankenden Spiel der Linien, im Andeuten und Irisieren von harmonischen Zusammenhängen. Außerdem wurden Partner gesucht, die sich in diese Arbeitsform einpassen. Der Gitarrist Francesco Diomaiuta ist ein Souverän des Texturenspiels. Ähnlich wie Johanna Jellici mit Electronics kann er mit Schwebungen und Färbungen seines Instruments die Stimmung der Musik leiten, verstärken, konterkarieren, ist aber ebenso in der Lage, im ästhetischen Bedarfsfall mit akustisch wuchtiger, ins Rockige mündender Präsenz dagegenzuhalten. André Buser pflegt als Bassgitarrist einen stilistisch vielseitigen Ansatz, der Groove ebenso umfasst wie das girlandenhafte Umranken von Harmonien oder den Spaß am Melodischen. Tobias Hunziger schließlich ist ein Schlagzeuger mit Gefühl für den Puls, der jenseits des Beats Musik zusammenhalten kann und daher gerade auch solche Passagen stützt, die mit der Offenheit des Ausdrucks experimentieren. Damit zurück zu den Feldern. Die Aufnahmen zu Soundfields entstanden als Band im Studio. Als übergeordnete Gliederung folgen sie der Idee einer locker geklammerten, achtteiligen Suite, gefolgt von einem Epilog. Zu Beginn wird der Köder ausgeworfen, in inhaltlicher Form der Feststellung, es gäbe viele Geschichten zu erzählen, in gestalterischer, indem die ersten Eckpunkte des elektronisch-akustischen Klangmanagements definiert werden. Es folgen drei sich steigernde Kapitel, changierend zwischen Selbst- und Naturerkenntnis, retardiert durch die Bassklarinette, die im ersten Teil einen spirituellen Ankerpunkt bildet. Dann die Peripetie, nicht nur im Titel „Change“, sondern auch durch markante Figuren der Gitarre festgehalten, schließlich der Ausblick, der parallel zum ersten Teil zwischen textlicher Bedeutung und assoziationsoffenen Vokalisen wechselt. Es handelt sich damit um in hohem Maße durchformte Musik, die Resultat und Perspektive gleichermaßen umfasst. Denn Soundfields ist ein Experiment. Es führt künstlerische Charaktere zusammen, die gestalterische Grundwerte einkreisen und diese letztlich so selbstbewusst wie unzeitgemäß thematisiert. Es stellt Fragen nach Schönheit und Harmonie, nach Zusammenklang aus dem Geiste der allgegenwärtigen Relativierung von Ästhetik. Es spielt dabei mit den Schemata der Avantgarde, seien es die elektroakustischen Akzente, seien es Gegensätze von Statik und Bewegung, von klangräumlicher Ausdehnung und punktueller Fixierung, vor allem auch von Erwartungen an den jazzimmanenten Normbruch der Innovation und die Einlösung des Individuellen in der Konsequenz einer umfassenden Reflexion im Vorfeld des Spontanen. Dabei geht es nicht um neue Wertsetzungen. Denn keiner der fünf Beteiligten nimmt für sich in Anspruch, mehr als die eigene Vorstellung von musikalischer Sinnhaftigkeit oder schlicht Lust an der Gestaltung präsentieren zu können. Es ist vielmehr eine Positionsbestimmung vor allem der Bandleader, die sich als verhaltene Skeptiker mit Feinsinn populären Methoden des Brachialen entgegenstellen. Für Jochen Baldes und Johanna Jellici generiert nicht der effektvolle, vergleichsweise leicht vermittelbare Bruch mit den Gewohnheiten der ästhetischen Wahrnehmung das eigentlich Wichtige, sondern die Konsequenz im Umgang mit dem Vorhandenen. Sie sind Evolutionäre der eigenen Schaffenskraft, neugierig in der Wahl der Mittel, aber zu verletzlich für den Säbeltanz der Avantgarde. Deswegen auch klare Felder, nicht unendliche Landschaften. Deshalb auch Musik, die schön sein darf, ohne damit nur sich selbst zu genügen. Mit etwas Glück ist sie überhaupt erst der Anfang der gemeinsamen Erkundung einer Klangsprache zwischen den Stilen. Text: Ralf Dombrowski