10.3 Pubertät - Thieme Connect

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10.3 Pubertät
Diagnostik: Hyperkalzämie (Ca2+ erhöht), Phosphat erniedrigt, PTH erhöht, cAMP
im Urin erhöht, Hyperkalziurie. Röntgenbefunde: subperiostale Defekte der Mittelphalangen II/III.
Diagnostik: Hyperkalzämie, Phosphat
erniedrigt, PTH erhöht.
Differenzialdiagnose: s. Tab. 10.10.
Differenzialdiagnose: s. Tab. 10.10.
Differenzialdiagnosen der Hyperkalzämie
PTH erniedrigt
nebenschilddrüsenunabhängige Erkrankung: Vitamin-DIntoxikation,
idiopathische infantile Hyperkalzämie
PTH erhöht und Hyperkalziurie
primärer Hyperparathyreoidismus: familiär oder sporadisch auftretend
PTH erhöht und Ca2+ im
Urin normal/erniedrigt
familiäre hypokalziurische Hyperkalzämie (FHH)
(inaktivierende Mutationen im CaSR)
10.10
Therapie: Die Therapie ist abhängig von der Ursache. Solitärtumoren werden operativ entfernt.
Therapie: Solitärtumoren werden operativ
entfernt.
10.3 Pubertät
10.3Pubertät
10.3.1Normaler Pubertätsablauf
10.3.1 Normaler Pubertätsablauf
Physiologie: Der eigentliche Auslöser für das Einsetzen der Pubertät ist nicht
bekannt. Man nimmt an, dass bestimmte Gene ein interaktives Netzwerk bilden
und bei Beginn der Pubertät inhibitorische Impulse (GABA-Neurone) abnehmen
und stimulierende Impulse wie z. B. Glutamat, NPY (Neuropeptid Y) oder NO zunehmen. Eine wichtige Rolle spielen auch Astrogliazellen und ependymale Zellen.
Dadurch wird das zentrale Regelzentrum (sog. „Gonadostat“) im Nucleus arcuatus
des Hypothalamus aktiviert. Die dort pulsatil verlaufende LHRH-Sekretion (= GnRH:
Gonadotropin-Releasing-Hormon) nimmt zu und induziert eine gesteigerte Bildung
der Gonadotropine LH und FSH in der Hypophyse (LH: luteinisierendes Hormon,
FSH: follikelstimulierendes Hormon). Die gesteigerte hypothalamisch-hypophysäre
Aktivität bewirkt eine vermehrte Stimulation der Gonaden, wodurch die Pubertät
in Gang gesetzt wird (Abb. 10.7).
Physiologie: Die Pubertät wird durch eine
gesteigerte hypothalamisch-hypophysäre
Aktivität induziert (Abb. 10.7). Das zentrale
Regelzentrum (sog. „Gonadostat“) stellt sich
auf ein höheres Niveau der Plasma-Sexualsteroidkonzentrationen ein und bestimmt somit
die pubertäre Aktivierung der Gonaden.
10.7
Funktionsachse Hypothalamus–Hypophysenvorderlappen–Gonaden
10.7
Hypothalamus
Hypophysenvorderlappen
LHRH
LH
Hypophysenhinterlappen
FSH
Keimdrüsen
(Eierstöcke
und Hoden)
Geschlechtshormone
Reifung der Keimzellen
Das Knochenalter spielt eine große Rolle für den Zeitpunkt des Pubertätsbeginns.
Das röntgenologische Auftreten des Sesambeins der Hand kennzeichnet den Beginn
der Pubertät. Dies entspricht einem Knochenalter von 11 Jahren bei Mädchen und
Das Knochenalter spielt eine große Rolle
für den Zeitpunkt des Pubertätsbeginns.
Alle Erkrankungen, die die spontane
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10.10
216
10 Endokrinologie, Wachstums­störungen und Diabetologie
Skelettentwicklung beschleunigen oder
verzögern, verschieben auch den Beginn der
Pubertät.
13 Jahren bei Jungen. Erkrankungen, die mit einer Retardierung des Skelettwachstums einhergehen, haben eine verzögerte bzw. ausbleibende Pubertätsentwicklung
zur Folge. Umgekehrt führt ein beschleunigtes Skelettwachstum auch zur Frühreife.
▶ Merke.
 ▶ Merke. Die Pubertät beginnt normalerweise bei Mädchen bei einem Knochenalter von 11 Jahren und bei Jungen bei einem Knochenalter von 13 Jahren.
Hormonbefunde: Die Verschiebung des LH-/
FSH-Quotienten zugunsten der LH-Sekretion
ist typisch für die hypothalamisch bedingte
echte Pubertätsentwicklung (Pubertas vera).
Hormonbefunde: Die Basalwerte für LH, FSH, Testosteron bzw. Östradiol steigen im
Vergleich zur Vorpubertät deutlich an. Der HVL spricht in der Pubertät auf Stimulierung mit GnRH stärker an. Typisch sind die gesteigerte Gonadotropinsekretion
während des Tiefschlafes und die Verschiebung des LH-/FSH-Quotienten zugunsten
der LH-Sekretion.
▶ Merke.
 ▶ Merke. Mit Beginn der Pubertät verschiebt sich das Verhältnis der GnRH-indu-
Körperliche Entwicklung: Erstes Pubertätszeichen bei Mädchen ist die Thelarche, die
auch einseitig beginnen und im Bereich der
Mamille druckschmerzhaft sein kann. Nach
einem halben Jahr folgt die Pubarche und im
Alter von ca. 13 Jahren die Menarche. Der
Pubertätswachstumsschub tritt bei Mädchen mit 12 Jahren und damit vor Einsetzen
der Menarche, bei Jungen mit 14 Jahren vor
Einsetzen des Stimmbruchs auf.
Körperliche Entwicklung: Die vermehrte Ausschüttung der Sexualsteroide bewirken
die mit der Pubertät einhergehenden typischen phänotypischen Veränderungen.
Erstes Pubertätszeichen bei Mädchen ist die Thelarche (Einsetzen der Brustentwicklung). Sie kann einseitig beginnen und als druckschmerzhafter Knoten im Bereich
der Mamille imponieren. Nach einem halben Jahr folgt die Pubarche (Einsetzen
der Entwicklung der Schambehaarung). Sie ist sichtbarer Ausdruck der Adrenarche
(Beginn der gesteigerten Bildung adrenaler Sexualsteroide). Das mittlere Menarchealter (Einsetzen der ersten Menstruation) beträgt etwa 13 Jahre. Der Pubertätswachstumsschub (7 cm/Jahr) tritt bei Mädchen im Alter von 12 Jahren (s. S. 907,
Abb. 27.6) und damit vor Einsetzen der Menarche auf. Bei Jungen ist die Vergrößerung der Hodenvolumina über 3 ml als erster Befund zu erheben, es treten Pollutionen (nächtliche Samenergüsse) auf. Es folgen Schambehaarung, Peniswachstum
und Zunahme der Muskelmasse. Der Pubertätswachstumsschub (9 cm/Jahr) erfolgt
im Alter von 14 Jahren vor Einsetzen des Stimmbruchs, der mit ca. 14,5 Jahren
beginnt (s. S. 907, Abb. 27.6).
10.3.2 Normvarianten des normalen
Pubertätsablaufs
10.3.2Normvarianten des normalen Pubertätsablaufs
Normvarianten der vorzeitigen Pubertätsentwicklung ohne Krankheitswert und ohne
Einfluss auf die weitere Entwicklung sind die
isolierte prämature Thelarche und Pubarche.
Normvarianten des physiologischen Pubertätsablaufs sind das isolierte Auftreten
einer vorzeitigen Mamma- bzw. Pubesentwicklung. Diese vorzeitige Pubertätsentwicklung ist ohne Krankheitswert und ohne Einfluss auf die weitere Entwicklung
(Knochenentwicklung und Längenwachstum normal). Die Hormonbefunde (LH/
FSH vor und nach GnRH-Stimulierung; Östradiol; Testosteron) sind präpubertär
altersgerecht.
Isolierte prämature Thelarche
Isolierte prämature Thelarche
Bevorzugtes Auftreten bei Mädchen in den
ersten Lebensjahren (Abb. 10.8) mit spontaner Rückbildungstendenz. Daher keine
Therapie.
Diese tritt bevorzugt bei Mädchen in den ersten 3 Lebensjahren auf (Abb. 10.8). Die
spontane Rückbildung erfolgt meist innerhalb eines Jahres, daher ist keine Therapie
notwendig. Wichtig sind Verlaufskontrollen, um den Übergang in eine echte Pubertas praecox nicht zu übersehen.
10.8
10.8
Isolierte prämature Thelarche bei einem 3-jährigen Mädchen
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zierten Gonadotropinsekretion zugunsten der LH-Sekretion. Präpubertär überwiegt
dagegen die FSH-Sekretion.
217
10.3 Pubertät
Differenzialdiagnose: Östrogenproduzierender gonadaler oder adrenaler Tumor:
Pubertas praecox vera und Pseudopubertas praecox.
Differenzialdiagnose: Östrogenproduzierender Tumor, Pubertas praecox vera, Pseudopubertas praecox.
Isolierte prämature Pubarche
Isolierte prämature Pubarche
Das verfrühte Auftreten von Schambehaarung (Jungen < 9 Jahre; Mädchen < 8
Jahre) ist immer eine Ausschlussdiagnose. Sie tritt häufiger bei adipösen Kindern
auf. Zugrunde liegt eine frühzeitige Aktivierung der adrenalen Androgenproduktion
(v. a. DHEAS = Dehydroepiandrosteronsulfat). Charakteristisch sind ein normales
Längenwachstum des Kindes, eine normale bis leicht beschleunigte Skelettreifung
sowie erhöhte Serumspiegel von DHEA, DHEAS und Androstendion.
Ursache ist eine frühzeitige Aktivierung der
adrenalen Androgenproduktion. Charakteristisch sind normales Längenwachstum,
normale Skelettreifung und erhöhte DHEA,
DHEAS- und Androstendion-Spiegel.
Differenzialdiagnose: Funktionsstörungen der NNR (AGS, Nebennierentumoren)
bzw. der Gonaden müssen ausgeschlossen werden.
Differenzialdiagnose: Funktionsstörungen
der NNR (AGS, Tumoren) bzw. der Gonaden.
 ▶ Merke. Eine vorzeitige Pubarche muss differenzialdiagnostisch immer auch an das
▶ Merke.
Pubertätsgynäkomastie
Pubertätsgynäkomastie
 ▶ Definition. Die Brustentwicklung beim Jungen wird als Gynäkomastie bezeichnet
▶ Definition.
(Abb. 10.9). Sie tritt im Rahmen der Pubertät bei bis zu 70 % aller Jungen auf.
10.9
Pubertätsgynäkomastie bei einem 14-jährigen Jungen
10.9
Ätiologie: Ursache der Pubertätsgynäkomastie ist die in dieser Entwicklungsperiode relativ höhere Wirksamkeit weiblicher Sexualsteroide am Brustdrüsengewebe.
Differenzialdiagnose: Auszuschließen ist die Gynäkomastie als Symptom einer
anderen Grundstörung (z. B. Klinefelter-Syndrom, Testosteronsynthesestörungen,
feminisierende Tumoren, lymphatische Infiltrate) oder als Folge exogener Faktoren
(z. B. Einnahme bestimmter Medikamente wie z. B. Östrogene oder Phenytoin oder
Verwendung von Haargels). Bei adipösen Jungen kann eine Pseudogynäkomastie
vorgetäuscht werden.
Differenzialdiagnose: Klinefelter-Syndrom,
Testosteronsynthesestörungen, feminisierende Tumoren, Medikamenteneinnahme,
östrogenhaltige Gels und Haarwässer und
Pseudogynäkomastie bei adipösen Jungen.
Therapie: Man wird immer zuerst die Spontanentwicklung abwarten. In Einzelfällen kann diese allerdings mehrere Jahre dauern, sodass erhebliche psychische
Probleme entstehen können. In diesen Fällen ist eine medikamentöse Therapie mit
Danazol oder Tamoxifen oder sogar, nach Abschluss der Pubertätsentwicklung, die
chirurgische Entfernung der Mammae (Mastektomie) in Erwägung zu ziehen.
Therapie: Zunächst abwartendes Verhalten;
bei schwereren Verläufen medikamentöse
Therapie mit Danazol oder Tamoxifen, ggf.
Operation.
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Vorliegen einer nichtklassischen AGS (21-Hydroxylasemangel) bzw. an einen NNRTumor denken lassen oder kann Vorbote einer echten Pubertas praecox sein.
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10 Endokrinologie, Wachstums­störungen und Diabetologie
10.3.3 Pathologische Pubertätsentwicklung
10.3.3Pathologische Pubertätsentwicklung
Vorzeitige Pubertätsentwicklung: Pubertas praecox und Pseudopubertas praecox
Vorzeitige Pubertätsentwicklung: Pubertas praecox und Pseudopubertas praecox
▶ Definitionen.
 ▶ Definitionen. Beide Erkrankungen äußern sich in einer vorzeitigen Entwicklung
sekundärer Geschlechtsmerkmale. Während die echte Pubertas praecox durch hypothalamische und hypophysäre Aktivitäten ausgelöst wird, liegen der Pseudopubertas
praecox adrenale, gonadale oder ektope Ursachen zugrunde.
Ätiologie und Häufigkeit: Die Pubertas
praecox tritt bei 1 : 5000–10 000 Kindern auf
(5-mal häufiger bei Mädchen). Ursachen zeigt
Tab. 10.11.
Ursachen der Pubertas praecox vera und der Pseudopubertas praecox
Pubertas praecox vera
Pseudopubertas praecox
idiopathisch
▪▪sporadisch, familiär
adrenal
▪▪AGS (21-, 11β-Hydroxylase-Defekt)
▪▪NNR-Tumoren
symptomatisch
▪▪Hirntumoren (Hamartome am Boden des
III. Ventrikels)
▪▪Hirnfehlbildungen
▪▪Neurofibromatose
▪▪tuberöse Hirnsklerose
▪▪zerebrale Traumen oder Entzündungen
▪▪Hydrozephalus
▪▪primäre Hypothyreose (unbehandelt)
gonadal
▪▪endokrin aktive Gonadentumoren
▪▪McCune-Albright-Syndrom (aktivierende somatische
Mutationen im Gsα-Protein, Café-au-lait-Flecken,
mono- oder polyostotische Fibrodysplasie)
ektop
▪▪paraneoplastische LH-FSH-Bildung (z. B. HCG-produzierendes Chorionkarzinom der Leber oder des
Gehirns)
▶ Merke.
 ▶ Merke. Besteht der V. a. Pubertas praecox, ist zuerst eine Pathologie des ZNS, z. B.
Hirntumor, auszuschließen (→ MRT mit Kontrastmittel).
Klinik: Bei der Pubertas praecox treten
die Pubertätsmerkmale vorzeitig, aber in
richtiger Reihenfolge auf (entsprechend der
bei physiologischer Entwicklung).
Bei der Pseudopubertas praecox unterscheidet man isosexuelle und heterosexuelle
Formen. Die Reifemerkmale treten isoliert
und in untypischer Reihenfolge auf.
Diagnostik: Bei Pubertas praecox sind
neben den Sexualsteroiden die basalen
Gonadotropine erhöht und lassen sich im
GnRH-Test stimulieren. Bei Pseudopubertas praecox mit adrenalen und gonadalen
Ursachen sind Östradiol bzw. Testosteron
erhöht, die Gonadotropine erniedrigt und im
GnRH-Test nicht stimulierbar.
▶ Merke.
Klinik: Der Entwicklungsbeginn pubertärer Zeichen der Pubertas praecox liegt bei
Mädchen vor dem 8. und bei Jungen vor dem 9. Geburtstag. Die Pubertätsmerkmale
treten zwar vorzeitig, aber in richtiger Reihenfolge auf (entsprechend der bei zeitgerechter Pubertät).
Bei einer Pseudopubertas praecox lassen sich phänotypisch die isosexuelle und
heterosexuelle Form unterscheiden. So führt z. B. das AGS bei Mädchen zur heterosexuellen, bei Jungen zur isosexuellen Pseudopubertät. Die Reifemerkmale treten
isoliert auf und zeigen nicht die bei regulärer Pubertätsentwicklung typische Reihenfolge.
Diagnostik: Bei der Pubertas praecox zeigen LH und FSH ein pulsatiles Sekretionsmuster und lassen sich im GnRH-Test stimulieren. Bei Pseudopubertas praecox mit
Vorliegen adrenaler oder gonadaler Ursachen sind Östradiol bzw. Testosteron im
Serum erhöht und die Gonadotropine supprimiert, der GnRH-Test fällt negativ aus
(Gonadotropine lassen sich nicht stimulieren).
 ▶ Merke. Bei der Pubertas praecox vera entsprechen die klinischen Abläufe und
Hormonbefunde der Pubertätsentwicklung der normalen Pubertät. Beide werden
durch hypothalamohypophysäre Stimulation hervorgerufen. Im Gegensatz dazu
entsprechen bei der Pseudopubertas praecox nur die klinischen Befunde der sekundären Geschlechtsorgane denen der normalen Pubertät. Die hypothalamohypophysären Stimuli (LH-FSH-Sekretion) fehlen.
Therapie: Therapie der Wahl bei Pubertas
praecox ist die Gabe von GnRH-Analoga. Die
Therapie der Pseudopubertas praecox richtet
sich nach der Grunderkrankung.
Therapie: Neben der Ursachenbehandlung (s. o.) muss bei der Pubertas praecox eine
weitere Pubertätsentwicklung (z. B. Stopp der Menses) verhindert werden, damit
sich die Kinder altersgerecht entwickeln können. Daneben soll auch die Akzeleration der Knochenentwicklung aufgehalten werden. Therapie der Wahl ist die Gabe
von GnRH-Analoga, z. B. Decapeptyl oder Enantone (3,75 mg alle 4 Wochen s. c.).
Sie unterdrücken die pulsatile Gonadotropinsekretion und damit die Produktion
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10.11
Ätiologie und Häufigkeit: Die Pubertas praecox vera tritt mit einer Häufigkeit von
1 : 5000–10 000 auf, Mädchen sind 5-mal häufiger als Jungen betroffen. Die Ursachen der Pubertas praecox vera und der Pseudopubertas praecox sind Tab. 10.11 zu
entnehmen.
219
10.3 Pubertät
der Sexualsteroide. Die Therapie der Pseudopubertas praecox richtet sich nach der
Grunderkrankung.
Verspätete Pubertätsentwicklung: Pubertas tarda
Verspätete Pubertätsentwicklung:
­Pubertas tarda
 ▶ Definition. Eine verspätete Pubertätsentwicklung liegt vor, wenn bei Mädchen
▶ Definition.
Ätiologie: Meist handelt es sich um eine Normvariante der physiologischen Pubertätsentwicklung im Rahmen einer konstitutionellen Entwicklungsverzögerung.
Auch alle chronischen Erkrankungen, die mit einer verzögerten Skelettentwicklung
einhergehen (z. B. zystische Fibrose, Morbus Crohn, Anorexia nervosa), führen zu
einer verspäteten Geschlechtsentwicklung, da der Pubertätsbeginn u. a. vom Knochenalter abhängt. Bezogen auf das Knochenalter ist die Gonadenfunktion normal.
Einteilung und Ursachen einer eher selten vorliegenden echten endokrinen Störung
zeigt Tab. 10.12.
10.12
Endokrine Ursachen der Pubertas tarda
primäre Gonaden­
insuffizienz
(Funktion der Gonaden
selbst ist gestört)
Ätiologie: Meist Normvariante bei konstitutioneller Entwicklungsverzögerung. Auch
chronische Erkrankungen können die Skelettentwicklung und damit den Pubertätsbeginn verzögern. Bezogen auf das Knochenalter ist die Gonadenfunktion normal.
Seltener handelt es sich um eine echte endokrine Störung (Tab. 10.12).
10.12
Mädchen:
▪▪Ullrich-Turner-Syndrom (in ca. 50 % Karyotyp 45,X)
▪▪Gonadendysgenesie anderer Genese
▪▪Gonadenschaden nach Noxen
–– Chemotherapie/Strahlentherapie
–– Trauma
–– Oophoritis
▪▪Stoffwechseldefekte (z. B. Galaktosämie)
▪▪genetische Ursachen
–– inaktivierende Mutationen des FSH-Rezeptor-Gens
–– inaktivierende Mutationen des LH-Rezeptor-Gens
Jungen:
▪▪Klinefelter-Syndrom (Karyotyp 47,XXY; normal großer
Penis, normale Pubesentwicklung, kleine Hoden)
▪▪Hodeninsuffizienz nach Entzündungen (z. B. Mumpsorchitis) oder Traumen (Hodenhochstand, postoperativ)
▪▪Anorchie
sekundäre Gonaden­
insuffizienz
(hypophysäre Stimulierung der Gonaden
bleibt aus)
▪▪Tumoren des HVL (z. B. Kraniopharyngeom)
tertiäre Gonaden­
insuffizienz
(Ausfall der Gonadotropin-Releasing-Hormone)
▪▪hypothalamische Prozesse
▪▪Kallmann-Syndrom (Mangel an GnRH und Anosmie)
▪▪Hypothyreose (unbehandelt)
 ▶ Merke. Bleibt die Pubertätsentwicklung trotz normaler Skelettreifung aus, muss
▶ Merke.
eine Gonadenfunktionsstörung vermutet werden.
Diagnostik: Testosteron bzw. Östradiol sind in allen Fällen erniedrigt. Bei primärer
Gonadenfunktionsstörung sind die Gonadotropine erhöht, bei sekundärer (hypophysärer) und tertiärer (hypothalamischer) Gonadenfunktionsstörung sind sie
erniedrigt. Bei hypophysärer Schädigung fällt der GnRH-Test negativ aus, bei endogenem GnRH-Mangel (hypothalamische Schädigung) kommt es zum Anstieg von
LH und FSH nach pulsatiler GnRH-Stimulation. Bei primärer Gonadeninsuffizienz
erfolgt nach β-HCG-Stimulation kein Anstieg der Sexualsteroide.
Diagnostik: Testosteron bzw. Östradiol sind
in allen Fällen erniedrigt. Bei primärer Gonadenfunktionsstörung sind die Gonadotropine
erhöht, bei sekundärer (hypophysärer) und
tertiärer (hypothalamischer) Gonadenfunktionsstörung sind sie erniedrigt.
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nicht bis zum 13. und bei Jungen nicht bis zum 14. Geburtstag Zeichen der beginnenden Pubertät auftreten. Daneben ist auch ein Stillstand der einmal begonnenen
Pubertätsentwicklung um mehr als 18 Monate oder ein Überschreiten des Zeitbedarfs
von Stadium B2 (s. S. 33) bis zur Menarche um 5 Jahre bei Mädchen pathologisch. Die
Pubertas tarda betrifft etwa 0,3 % aller Adoleszenten.
220
10 Endokrinologie, Wachstums­störungen und Diabetologie
▶ Merke.
 ▶ Merke. Mädchen mit primärer Gonadeninsuffizienz haben meist ein Ullrich-Turner-Syndrom (Abb. 10.10), Jungen ein Klinefelter-Syndrom (s. Abb. 10.15, S. 233). Bei
sekundärer bzw. tertiärer Gonadeninsuffizienz muss ein zerebrales Geschehen (z. B.
Tumor, Entzündung) ausgeschlossen werden.
10.10
10.10
Mädchen mit Ullrich-Turner-Syndrom (45,X)
Therapie: Substitutionstherapie der fehlenden Hormone mit dem Ziel eines normalen
Pubertätsablaufs.
Therapie: Die Festlegung des Therapiebeginns wird individuell getroffen (bei
bekanntem Hypogonadismus seit Kindesalter bereits ab dem 11.–12. Lj.). Bei Jungen
kann zunächst mit einer oralen Therapie (z. B. Testosteronundecanoat 3 × 40 mg/
Woche) begonnen und danach auf i. m. Depotpräparate umgestellt werden. Bei Mädchen gibt man zunächst niedrig dosiert Östradiolvalerat (z. B. 0,2 mg/d) in den ersten
6 Monaten und steigert dann für die nächsten 6 Monate auf 0,5 mg/d. Nach 1 Jahr
wird auf eine zyklische Östrogen-Gestagen-Therapie umgestellt (z. B. 1 mg Östradiolvalerat + 2 mg Chlormadinonacetat).
10.4
10.4 Störungen der Geschlechtsentwicklung
Störungen der Geschlechts­
entwicklung
▶▶Synonym.
▶▶Synonym. Disorders of sex development (DSD)
▶ Definition.
 ▶ Definition. Störungen der Geschlechtsentwicklung (DSD) umfassen chromosomale
und monogen vererbte Störungen, die primär genetisch oder sekundär über endokrine Mechanismen zu einer Abweichung von der normalen Geschlechtsentwicklung
führen. Der Begriff „Intersexualität“ sollte nicht mehr verwendet werden. Eine DSD
liegt klinisch bei fehlender Übereinstimmung von chromosomalem, gonadalem und
phänotypischem Geschlecht vor.
Grundlagen: Man unterscheidet 3
Geschlechtsformen:
1. Genetisches (chromosomales) Geschlecht: Der Chromosomensatz 46,XX bestimmt das weibliche, der Chromosomensatz
46,XY das männliche Geschlecht.
2. Gonadales Geschlecht: Vorhandensein
von Ovarien bzw. Testes.
3. Phänotypisches Geschlecht: Es wird von
der Einwirkung männlicher Geschlechtshormone während der Fetalzeit geprägt.
Grundlagen: Es lassen sich 3 Geschlechtsformen unterscheiden:
1. Genetisches (chromosomales) Geschlecht: Der Chromosomensatz 46,XX
bestimmt das weibliche, der Chromosomensatz 46,XY das männliche Geschlecht.
Zur Ausbildung des männlichen Geschlechts muss mindestens ein Y-Chromosom
vorhanden sein. Zum Überleben der befruchteten Zelle bedarf es mindestens eines
X-Chromosoms. DSD durch nummerische Aberrationen der Geschlechtschromosomen entstehen u. a. durch Teilungsstörungen (non-disjunction). Es ergeben sich
Karyotypen wie 47,XXY (Klinefelter-Syndrom) und 45,X (Ullrich-Turner-Syndrom).
2. Gonadales Geschlecht: Vorhandensein von Ovarien bzw. Testes. Beispiel: Bei
46-XY-DSD (früher auch testikuläre Feminisierung; s. u.) liegen funktionstüchtige
Hoden bei phänotypischen Frauen vor.
3. Phänotypisches Geschlecht (genitaler Aspekt): Es ist davon abhängig, ob in der
Fetalzeit Androgene einwirken oder nicht. Bei fehlender Androgeneinwirkung
kommt es immer zu einem phänotypisch weiblichen Individuum, unabhängig
davon, ob funktionstüchtige Ovarien vorliegen oder nicht (z. B. Ullrich-Turner-Syndrom).
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2-jähriges Mädchen mit Ullrich-Turner1
Syndrom: Kleinwuchs mit proportioniertem,
gedrungenem Körperbau, breiter Schild­
thorax, Flügelfell.
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