215 10.3 Pubertät Diagnostik: Hyperkalzämie (Ca2+ erhöht), Phosphat erniedrigt, PTH erhöht, cAMP im Urin erhöht, Hyperkalziurie. Röntgenbefunde: subperiostale Defekte der Mittelphalangen II/III. Diagnostik: Hyperkalzämie, Phosphat erniedrigt, PTH erhöht. Differenzialdiagnose: s. Tab. 10.10. Differenzialdiagnose: s. Tab. 10.10. Differenzialdiagnosen der Hyperkalzämie PTH erniedrigt nebenschilddrüsenunabhängige Erkrankung: Vitamin-DIntoxikation, idiopathische infantile Hyperkalzämie PTH erhöht und Hyperkalziurie primärer Hyperparathyreoidismus: familiär oder sporadisch auftretend PTH erhöht und Ca2+ im Urin normal/erniedrigt familiäre hypokalziurische Hyperkalzämie (FHH) (inaktivierende Mutationen im CaSR) 10.10 Therapie: Die Therapie ist abhängig von der Ursache. Solitärtumoren werden operativ entfernt. Therapie: Solitärtumoren werden operativ entfernt. 10.3 Pubertät 10.3Pubertät 10.3.1Normaler Pubertätsablauf 10.3.1 Normaler Pubertätsablauf Physiologie: Der eigentliche Auslöser für das Einsetzen der Pubertät ist nicht bekannt. Man nimmt an, dass bestimmte Gene ein interaktives Netzwerk bilden und bei Beginn der Pubertät inhibitorische Impulse (GABA-Neurone) abnehmen und stimulierende Impulse wie z. B. Glutamat, NPY (Neuropeptid Y) oder NO zunehmen. Eine wichtige Rolle spielen auch Astrogliazellen und ependymale Zellen. Dadurch wird das zentrale Regelzentrum (sog. „Gonadostat“) im Nucleus arcuatus des Hypothalamus aktiviert. Die dort pulsatil verlaufende LHRH-Sekretion (= GnRH: Gonadotropin-Releasing-Hormon) nimmt zu und induziert eine gesteigerte Bildung der Gonadotropine LH und FSH in der Hypophyse (LH: luteinisierendes Hormon, FSH: follikelstimulierendes Hormon). Die gesteigerte hypothalamisch-hypophysäre Aktivität bewirkt eine vermehrte Stimulation der Gonaden, wodurch die Pubertät in Gang gesetzt wird (Abb. 10.7). Physiologie: Die Pubertät wird durch eine gesteigerte hypothalamisch-hypophysäre Aktivität induziert (Abb. 10.7). Das zentrale Regelzentrum (sog. „Gonadostat“) stellt sich auf ein höheres Niveau der Plasma-Sexualsteroidkonzentrationen ein und bestimmt somit die pubertäre Aktivierung der Gonaden. 10.7 Funktionsachse Hypothalamus–Hypophysenvorderlappen–Gonaden 10.7 Hypothalamus Hypophysenvorderlappen LHRH LH Hypophysenhinterlappen FSH Keimdrüsen (Eierstöcke und Hoden) Geschlechtshormone Reifung der Keimzellen Das Knochenalter spielt eine große Rolle für den Zeitpunkt des Pubertätsbeginns. Das röntgenologische Auftreten des Sesambeins der Hand kennzeichnet den Beginn der Pubertät. Dies entspricht einem Knochenalter von 11 Jahren bei Mädchen und Das Knochenalter spielt eine große Rolle für den Zeitpunkt des Pubertätsbeginns. Alle Erkrankungen, die die spontane Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 10.10 216 10 Endokrinologie, Wachstums­störungen und Diabetologie Skelettentwicklung beschleunigen oder verzögern, verschieben auch den Beginn der Pubertät. 13 Jahren bei Jungen. Erkrankungen, die mit einer Retardierung des Skelettwachstums einhergehen, haben eine verzögerte bzw. ausbleibende Pubertätsentwicklung zur Folge. Umgekehrt führt ein beschleunigtes Skelettwachstum auch zur Frühreife. ▶ Merke. ▶ Merke. Die Pubertät beginnt normalerweise bei Mädchen bei einem Knochenalter von 11 Jahren und bei Jungen bei einem Knochenalter von 13 Jahren. Hormonbefunde: Die Verschiebung des LH-/ FSH-Quotienten zugunsten der LH-Sekretion ist typisch für die hypothalamisch bedingte echte Pubertätsentwicklung (Pubertas vera). Hormonbefunde: Die Basalwerte für LH, FSH, Testosteron bzw. Östradiol steigen im Vergleich zur Vorpubertät deutlich an. Der HVL spricht in der Pubertät auf Stimulierung mit GnRH stärker an. Typisch sind die gesteigerte Gonadotropinsekretion während des Tiefschlafes und die Verschiebung des LH-/FSH-Quotienten zugunsten der LH-Sekretion. ▶ Merke. ▶ Merke. Mit Beginn der Pubertät verschiebt sich das Verhältnis der GnRH-indu- Körperliche Entwicklung: Erstes Pubertätszeichen bei Mädchen ist die Thelarche, die auch einseitig beginnen und im Bereich der Mamille druckschmerzhaft sein kann. Nach einem halben Jahr folgt die Pubarche und im Alter von ca. 13 Jahren die Menarche. Der Pubertätswachstumsschub tritt bei Mädchen mit 12 Jahren und damit vor Einsetzen der Menarche, bei Jungen mit 14 Jahren vor Einsetzen des Stimmbruchs auf. Körperliche Entwicklung: Die vermehrte Ausschüttung der Sexualsteroide bewirken die mit der Pubertät einhergehenden typischen phänotypischen Veränderungen. Erstes Pubertätszeichen bei Mädchen ist die Thelarche (Einsetzen der Brustentwicklung). Sie kann einseitig beginnen und als druckschmerzhafter Knoten im Bereich der Mamille imponieren. Nach einem halben Jahr folgt die Pubarche (Einsetzen der Entwicklung der Schambehaarung). Sie ist sichtbarer Ausdruck der Adrenarche (Beginn der gesteigerten Bildung adrenaler Sexualsteroide). Das mittlere Menarchealter (Einsetzen der ersten Menstruation) beträgt etwa 13 Jahre. Der Pubertätswachstumsschub (7 cm/Jahr) tritt bei Mädchen im Alter von 12 Jahren (s. S. 907, Abb. 27.6) und damit vor Einsetzen der Menarche auf. Bei Jungen ist die Vergrößerung der Hodenvolumina über 3 ml als erster Befund zu erheben, es treten Pollutionen (nächtliche Samenergüsse) auf. Es folgen Schambehaarung, Peniswachstum und Zunahme der Muskelmasse. Der Pubertätswachstumsschub (9 cm/Jahr) erfolgt im Alter von 14 Jahren vor Einsetzen des Stimmbruchs, der mit ca. 14,5 Jahren beginnt (s. S. 907, Abb. 27.6). 10.3.2 Normvarianten des normalen Pubertätsablaufs 10.3.2Normvarianten des normalen Pubertätsablaufs Normvarianten der vorzeitigen Pubertätsentwicklung ohne Krankheitswert und ohne Einfluss auf die weitere Entwicklung sind die isolierte prämature Thelarche und Pubarche. Normvarianten des physiologischen Pubertätsablaufs sind das isolierte Auftreten einer vorzeitigen Mamma- bzw. Pubesentwicklung. Diese vorzeitige Pubertätsentwicklung ist ohne Krankheitswert und ohne Einfluss auf die weitere Entwicklung (Knochenentwicklung und Längenwachstum normal). Die Hormonbefunde (LH/ FSH vor und nach GnRH-Stimulierung; Östradiol; Testosteron) sind präpubertär altersgerecht. Isolierte prämature Thelarche Isolierte prämature Thelarche Bevorzugtes Auftreten bei Mädchen in den ersten Lebensjahren (Abb. 10.8) mit spontaner Rückbildungstendenz. Daher keine Therapie. Diese tritt bevorzugt bei Mädchen in den ersten 3 Lebensjahren auf (Abb. 10.8). Die spontane Rückbildung erfolgt meist innerhalb eines Jahres, daher ist keine Therapie notwendig. Wichtig sind Verlaufskontrollen, um den Übergang in eine echte Pubertas praecox nicht zu übersehen. 10.8 10.8 Isolierte prämature Thelarche bei einem 3-jährigen Mädchen Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. zierten Gonadotropinsekretion zugunsten der LH-Sekretion. Präpubertär überwiegt dagegen die FSH-Sekretion. 217 10.3 Pubertät Differenzialdiagnose: Östrogenproduzierender gonadaler oder adrenaler Tumor: Pubertas praecox vera und Pseudopubertas praecox. Differenzialdiagnose: Östrogenproduzierender Tumor, Pubertas praecox vera, Pseudopubertas praecox. Isolierte prämature Pubarche Isolierte prämature Pubarche Das verfrühte Auftreten von Schambehaarung (Jungen < 9 Jahre; Mädchen < 8 Jahre) ist immer eine Ausschlussdiagnose. Sie tritt häufiger bei adipösen Kindern auf. Zugrunde liegt eine frühzeitige Aktivierung der adrenalen Androgenproduktion (v. a. DHEAS = Dehydroepiandrosteronsulfat). Charakteristisch sind ein normales Längenwachstum des Kindes, eine normale bis leicht beschleunigte Skelettreifung sowie erhöhte Serumspiegel von DHEA, DHEAS und Androstendion. Ursache ist eine frühzeitige Aktivierung der adrenalen Androgenproduktion. Charakteristisch sind normales Längenwachstum, normale Skelettreifung und erhöhte DHEA, DHEAS- und Androstendion-Spiegel. Differenzialdiagnose: Funktionsstörungen der NNR (AGS, Nebennierentumoren) bzw. der Gonaden müssen ausgeschlossen werden. Differenzialdiagnose: Funktionsstörungen der NNR (AGS, Tumoren) bzw. der Gonaden. ▶ Merke. Eine vorzeitige Pubarche muss differenzialdiagnostisch immer auch an das ▶ Merke. Pubertätsgynäkomastie Pubertätsgynäkomastie ▶ Definition. Die Brustentwicklung beim Jungen wird als Gynäkomastie bezeichnet ▶ Definition. (Abb. 10.9). Sie tritt im Rahmen der Pubertät bei bis zu 70 % aller Jungen auf. 10.9 Pubertätsgynäkomastie bei einem 14-jährigen Jungen 10.9 Ätiologie: Ursache der Pubertätsgynäkomastie ist die in dieser Entwicklungsperiode relativ höhere Wirksamkeit weiblicher Sexualsteroide am Brustdrüsengewebe. Differenzialdiagnose: Auszuschließen ist die Gynäkomastie als Symptom einer anderen Grundstörung (z. B. Klinefelter-Syndrom, Testosteronsynthesestörungen, feminisierende Tumoren, lymphatische Infiltrate) oder als Folge exogener Faktoren (z. B. Einnahme bestimmter Medikamente wie z. B. Östrogene oder Phenytoin oder Verwendung von Haargels). Bei adipösen Jungen kann eine Pseudogynäkomastie vorgetäuscht werden. Differenzialdiagnose: Klinefelter-Syndrom, Testosteronsynthesestörungen, feminisierende Tumoren, Medikamenteneinnahme, östrogenhaltige Gels und Haarwässer und Pseudogynäkomastie bei adipösen Jungen. Therapie: Man wird immer zuerst die Spontanentwicklung abwarten. In Einzelfällen kann diese allerdings mehrere Jahre dauern, sodass erhebliche psychische Probleme entstehen können. In diesen Fällen ist eine medikamentöse Therapie mit Danazol oder Tamoxifen oder sogar, nach Abschluss der Pubertätsentwicklung, die chirurgische Entfernung der Mammae (Mastektomie) in Erwägung zu ziehen. Therapie: Zunächst abwartendes Verhalten; bei schwereren Verläufen medikamentöse Therapie mit Danazol oder Tamoxifen, ggf. Operation. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Vorliegen einer nichtklassischen AGS (21-Hydroxylasemangel) bzw. an einen NNRTumor denken lassen oder kann Vorbote einer echten Pubertas praecox sein. 218 10 Endokrinologie, Wachstums­störungen und Diabetologie 10.3.3 Pathologische Pubertätsentwicklung 10.3.3Pathologische Pubertätsentwicklung Vorzeitige Pubertätsentwicklung: Pubertas praecox und Pseudopubertas praecox Vorzeitige Pubertätsentwicklung: Pubertas praecox und Pseudopubertas praecox ▶ Definitionen. ▶ Definitionen. Beide Erkrankungen äußern sich in einer vorzeitigen Entwicklung sekundärer Geschlechtsmerkmale. Während die echte Pubertas praecox durch hypothalamische und hypophysäre Aktivitäten ausgelöst wird, liegen der Pseudopubertas praecox adrenale, gonadale oder ektope Ursachen zugrunde. Ätiologie und Häufigkeit: Die Pubertas praecox tritt bei 1 : 5000–10 000 Kindern auf (5-mal häufiger bei Mädchen). Ursachen zeigt Tab. 10.11. Ursachen der Pubertas praecox vera und der Pseudopubertas praecox Pubertas praecox vera Pseudopubertas praecox idiopathisch ▪▪sporadisch, familiär adrenal ▪▪AGS (21-, 11β-Hydroxylase-Defekt) ▪▪NNR-Tumoren symptomatisch ▪▪Hirntumoren (Hamartome am Boden des III. Ventrikels) ▪▪Hirnfehlbildungen ▪▪Neurofibromatose ▪▪tuberöse Hirnsklerose ▪▪zerebrale Traumen oder Entzündungen ▪▪Hydrozephalus ▪▪primäre Hypothyreose (unbehandelt) gonadal ▪▪endokrin aktive Gonadentumoren ▪▪McCune-Albright-Syndrom (aktivierende somatische Mutationen im Gsα-Protein, Café-au-lait-Flecken, mono- oder polyostotische Fibrodysplasie) ektop ▪▪paraneoplastische LH-FSH-Bildung (z. B. HCG-produzierendes Chorionkarzinom der Leber oder des Gehirns) ▶ Merke. ▶ Merke. Besteht der V. a. Pubertas praecox, ist zuerst eine Pathologie des ZNS, z. B. Hirntumor, auszuschließen (→ MRT mit Kontrastmittel). Klinik: Bei der Pubertas praecox treten die Pubertätsmerkmale vorzeitig, aber in richtiger Reihenfolge auf (entsprechend der bei physiologischer Entwicklung). Bei der Pseudopubertas praecox unterscheidet man isosexuelle und heterosexuelle Formen. Die Reifemerkmale treten isoliert und in untypischer Reihenfolge auf. Diagnostik: Bei Pubertas praecox sind neben den Sexualsteroiden die basalen Gonadotropine erhöht und lassen sich im GnRH-Test stimulieren. Bei Pseudopubertas praecox mit adrenalen und gonadalen Ursachen sind Östradiol bzw. Testosteron erhöht, die Gonadotropine erniedrigt und im GnRH-Test nicht stimulierbar. ▶ Merke. Klinik: Der Entwicklungsbeginn pubertärer Zeichen der Pubertas praecox liegt bei Mädchen vor dem 8. und bei Jungen vor dem 9. Geburtstag. Die Pubertätsmerkmale treten zwar vorzeitig, aber in richtiger Reihenfolge auf (entsprechend der bei zeitgerechter Pubertät). Bei einer Pseudopubertas praecox lassen sich phänotypisch die isosexuelle und heterosexuelle Form unterscheiden. So führt z. B. das AGS bei Mädchen zur heterosexuellen, bei Jungen zur isosexuellen Pseudopubertät. Die Reifemerkmale treten isoliert auf und zeigen nicht die bei regulärer Pubertätsentwicklung typische Reihenfolge. Diagnostik: Bei der Pubertas praecox zeigen LH und FSH ein pulsatiles Sekretionsmuster und lassen sich im GnRH-Test stimulieren. Bei Pseudopubertas praecox mit Vorliegen adrenaler oder gonadaler Ursachen sind Östradiol bzw. Testosteron im Serum erhöht und die Gonadotropine supprimiert, der GnRH-Test fällt negativ aus (Gonadotropine lassen sich nicht stimulieren). ▶ Merke. Bei der Pubertas praecox vera entsprechen die klinischen Abläufe und Hormonbefunde der Pubertätsentwicklung der normalen Pubertät. Beide werden durch hypothalamohypophysäre Stimulation hervorgerufen. Im Gegensatz dazu entsprechen bei der Pseudopubertas praecox nur die klinischen Befunde der sekundären Geschlechtsorgane denen der normalen Pubertät. Die hypothalamohypophysären Stimuli (LH-FSH-Sekretion) fehlen. Therapie: Therapie der Wahl bei Pubertas praecox ist die Gabe von GnRH-Analoga. Die Therapie der Pseudopubertas praecox richtet sich nach der Grunderkrankung. Therapie: Neben der Ursachenbehandlung (s. o.) muss bei der Pubertas praecox eine weitere Pubertätsentwicklung (z. B. Stopp der Menses) verhindert werden, damit sich die Kinder altersgerecht entwickeln können. Daneben soll auch die Akzeleration der Knochenentwicklung aufgehalten werden. Therapie der Wahl ist die Gabe von GnRH-Analoga, z. B. Decapeptyl oder Enantone (3,75 mg alle 4 Wochen s. c.). Sie unterdrücken die pulsatile Gonadotropinsekretion und damit die Produktion Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 10.11 Ätiologie und Häufigkeit: Die Pubertas praecox vera tritt mit einer Häufigkeit von 1 : 5000–10 000 auf, Mädchen sind 5-mal häufiger als Jungen betroffen. Die Ursachen der Pubertas praecox vera und der Pseudopubertas praecox sind Tab. 10.11 zu entnehmen. 219 10.3 Pubertät der Sexualsteroide. Die Therapie der Pseudopubertas praecox richtet sich nach der Grunderkrankung. Verspätete Pubertätsentwicklung: Pubertas tarda Verspätete Pubertätsentwicklung: ­Pubertas tarda ▶ Definition. Eine verspätete Pubertätsentwicklung liegt vor, wenn bei Mädchen ▶ Definition. Ätiologie: Meist handelt es sich um eine Normvariante der physiologischen Pubertätsentwicklung im Rahmen einer konstitutionellen Entwicklungsverzögerung. Auch alle chronischen Erkrankungen, die mit einer verzögerten Skelettentwicklung einhergehen (z. B. zystische Fibrose, Morbus Crohn, Anorexia nervosa), führen zu einer verspäteten Geschlechtsentwicklung, da der Pubertätsbeginn u. a. vom Knochenalter abhängt. Bezogen auf das Knochenalter ist die Gonadenfunktion normal. Einteilung und Ursachen einer eher selten vorliegenden echten endokrinen Störung zeigt Tab. 10.12. 10.12 Endokrine Ursachen der Pubertas tarda primäre Gonaden­ insuffizienz (Funktion der Gonaden selbst ist gestört) Ätiologie: Meist Normvariante bei konstitutioneller Entwicklungsverzögerung. Auch chronische Erkrankungen können die Skelettentwicklung und damit den Pubertätsbeginn verzögern. Bezogen auf das Knochenalter ist die Gonadenfunktion normal. Seltener handelt es sich um eine echte endokrine Störung (Tab. 10.12). 10.12 Mädchen: ▪▪Ullrich-Turner-Syndrom (in ca. 50 % Karyotyp 45,X) ▪▪Gonadendysgenesie anderer Genese ▪▪Gonadenschaden nach Noxen –– Chemotherapie/Strahlentherapie –– Trauma –– Oophoritis ▪▪Stoffwechseldefekte (z. B. Galaktosämie) ▪▪genetische Ursachen –– inaktivierende Mutationen des FSH-Rezeptor-Gens –– inaktivierende Mutationen des LH-Rezeptor-Gens Jungen: ▪▪Klinefelter-Syndrom (Karyotyp 47,XXY; normal großer Penis, normale Pubesentwicklung, kleine Hoden) ▪▪Hodeninsuffizienz nach Entzündungen (z. B. Mumpsorchitis) oder Traumen (Hodenhochstand, postoperativ) ▪▪Anorchie sekundäre Gonaden­ insuffizienz (hypophysäre Stimulierung der Gonaden bleibt aus) ▪▪Tumoren des HVL (z. B. Kraniopharyngeom) tertiäre Gonaden­ insuffizienz (Ausfall der Gonadotropin-Releasing-Hormone) ▪▪hypothalamische Prozesse ▪▪Kallmann-Syndrom (Mangel an GnRH und Anosmie) ▪▪Hypothyreose (unbehandelt) ▶ Merke. Bleibt die Pubertätsentwicklung trotz normaler Skelettreifung aus, muss ▶ Merke. eine Gonadenfunktionsstörung vermutet werden. Diagnostik: Testosteron bzw. Östradiol sind in allen Fällen erniedrigt. Bei primärer Gonadenfunktionsstörung sind die Gonadotropine erhöht, bei sekundärer (hypophysärer) und tertiärer (hypothalamischer) Gonadenfunktionsstörung sind sie erniedrigt. Bei hypophysärer Schädigung fällt der GnRH-Test negativ aus, bei endogenem GnRH-Mangel (hypothalamische Schädigung) kommt es zum Anstieg von LH und FSH nach pulsatiler GnRH-Stimulation. Bei primärer Gonadeninsuffizienz erfolgt nach β-HCG-Stimulation kein Anstieg der Sexualsteroide. Diagnostik: Testosteron bzw. Östradiol sind in allen Fällen erniedrigt. Bei primärer Gonadenfunktionsstörung sind die Gonadotropine erhöht, bei sekundärer (hypophysärer) und tertiärer (hypothalamischer) Gonadenfunktionsstörung sind sie erniedrigt. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. nicht bis zum 13. und bei Jungen nicht bis zum 14. Geburtstag Zeichen der beginnenden Pubertät auftreten. Daneben ist auch ein Stillstand der einmal begonnenen Pubertätsentwicklung um mehr als 18 Monate oder ein Überschreiten des Zeitbedarfs von Stadium B2 (s. S. 33) bis zur Menarche um 5 Jahre bei Mädchen pathologisch. Die Pubertas tarda betrifft etwa 0,3 % aller Adoleszenten. 220 10 Endokrinologie, Wachstums­störungen und Diabetologie ▶ Merke. ▶ Merke. Mädchen mit primärer Gonadeninsuffizienz haben meist ein Ullrich-Turner-Syndrom (Abb. 10.10), Jungen ein Klinefelter-Syndrom (s. Abb. 10.15, S. 233). Bei sekundärer bzw. tertiärer Gonadeninsuffizienz muss ein zerebrales Geschehen (z. B. Tumor, Entzündung) ausgeschlossen werden. 10.10 10.10 Mädchen mit Ullrich-Turner-Syndrom (45,X) Therapie: Substitutionstherapie der fehlenden Hormone mit dem Ziel eines normalen Pubertätsablaufs. Therapie: Die Festlegung des Therapiebeginns wird individuell getroffen (bei bekanntem Hypogonadismus seit Kindesalter bereits ab dem 11.–12. Lj.). Bei Jungen kann zunächst mit einer oralen Therapie (z. B. Testosteronundecanoat 3 × 40 mg/ Woche) begonnen und danach auf i. m. Depotpräparate umgestellt werden. Bei Mädchen gibt man zunächst niedrig dosiert Östradiolvalerat (z. B. 0,2 mg/d) in den ersten 6 Monaten und steigert dann für die nächsten 6 Monate auf 0,5 mg/d. Nach 1 Jahr wird auf eine zyklische Östrogen-Gestagen-Therapie umgestellt (z. B. 1 mg Östradiolvalerat + 2 mg Chlormadinonacetat). 10.4 10.4 Störungen der Geschlechtsentwicklung Störungen der Geschlechts­ entwicklung ▶▶Synonym. ▶▶Synonym. Disorders of sex development (DSD) ▶ Definition. ▶ Definition. Störungen der Geschlechtsentwicklung (DSD) umfassen chromosomale und monogen vererbte Störungen, die primär genetisch oder sekundär über endokrine Mechanismen zu einer Abweichung von der normalen Geschlechtsentwicklung führen. Der Begriff „Intersexualität“ sollte nicht mehr verwendet werden. Eine DSD liegt klinisch bei fehlender Übereinstimmung von chromosomalem, gonadalem und phänotypischem Geschlecht vor. Grundlagen: Man unterscheidet 3 Geschlechtsformen: 1. Genetisches (chromosomales) Geschlecht: Der Chromosomensatz 46,XX bestimmt das weibliche, der Chromosomensatz 46,XY das männliche Geschlecht. 2. Gonadales Geschlecht: Vorhandensein von Ovarien bzw. Testes. 3. Phänotypisches Geschlecht: Es wird von der Einwirkung männlicher Geschlechtshormone während der Fetalzeit geprägt. Grundlagen: Es lassen sich 3 Geschlechtsformen unterscheiden: 1. Genetisches (chromosomales) Geschlecht: Der Chromosomensatz 46,XX bestimmt das weibliche, der Chromosomensatz 46,XY das männliche Geschlecht. Zur Ausbildung des männlichen Geschlechts muss mindestens ein Y-Chromosom vorhanden sein. Zum Überleben der befruchteten Zelle bedarf es mindestens eines X-Chromosoms. DSD durch nummerische Aberrationen der Geschlechtschromosomen entstehen u. a. durch Teilungsstörungen (non-disjunction). Es ergeben sich Karyotypen wie 47,XXY (Klinefelter-Syndrom) und 45,X (Ullrich-Turner-Syndrom). 2. Gonadales Geschlecht: Vorhandensein von Ovarien bzw. Testes. Beispiel: Bei 46-XY-DSD (früher auch testikuläre Feminisierung; s. u.) liegen funktionstüchtige Hoden bei phänotypischen Frauen vor. 3. Phänotypisches Geschlecht (genitaler Aspekt): Es ist davon abhängig, ob in der Fetalzeit Androgene einwirken oder nicht. Bei fehlender Androgeneinwirkung kommt es immer zu einem phänotypisch weiblichen Individuum, unabhängig davon, ob funktionstüchtige Ovarien vorliegen oder nicht (z. B. Ullrich-Turner-Syndrom). Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 2-jähriges Mädchen mit Ullrich-Turner1 Syndrom: Kleinwuchs mit proportioniertem, gedrungenem Körperbau, breiter Schild­ thorax, Flügelfell.