Redaktionsmarketing

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Redaktionsmarketing:
Zu wenig Leidensdruck
Marktforschung spielt in den Redaktionen bislang keine große Rolle. Doch eine konsequente
Orientierung an den Leserwünschen könnte auch
Regionalzeitungen wieder auf Erfolgskurs bringen.
Die Untersuchung:
Basis für diesen Beitrag ist eine Dissertation, die am Institut für Journalistik der Universität Dortmund eingereicht wurde (Betreuer: Prof. Dr. Ulrich Pätzold), die unter
dem Titel „Redaktionsmarketing – Journalismus als Planungsfaktor in der Positionierung
der
regionalen
Tageszeitung“
im
Deutschen
Universitätsverlag
(Gabler/Wissenschaft) erscheint (März 2000). Um Ansatzpunkte für redaktionelles
Marketing zu finden, wurden im Zuge dieser Untersuchung Journalisten an regionalen Tageszeitungen unter anderem zu den Faktoren befragt, die das Überleben der
Tageszeitung und der eigenen Redaktion im zunehmenden Wettbewerb sichern helfen. Von insgesamt 270 ausgesandten und verteilten Fragebogen wurden 90 in die
anschließende Auswertung einbezogen.
Redaktionsmarketing – eine Definition
Redaktionsmarketing stellt den Leser, Hörer oder
Zuschauer in den Mittelpunkt aller Überlegungen zur
Gestaltung des redaktionellen Teils von Medien. Das
klingt banal. Und doch kann das – strategisch genutzt – der Schlüssel zum Erfolg sein.
Das Grundprinzip im Marketing: einerseits reaktiv
nach Bedürfnissen des Marktes forschen, diese befriedigen aber andererseits auch aktiv neue Bedürfnisse wecken. Marketing ist dabei als gestaltbare
Arbeitstechnik zu sehen. Und Redaktionsmarketing
ermöglicht auf diese Weise ebenso die passive Positionsbestimmung im Wettbewerb, wie eine aktive
Ausgestaltung einer solchen Position (zur Definition
vgl. auch Rau 2000).
Marketing – Ausgangspunkt für die redaktionelle Initiative
Marketing ist ein überwiegend für ökonomische Zwecke erforschtes Prinzip. Die Schwerpunkte liegen bis
heute in der Anwendung auf klassische Konsumgüter (vgl. u.a. Meffert 1997, Kotler/Bliemel 1995,
Nieschlag /Dichtl /Hörschgen 1994). Marketing führt
den Blick stets auf die Kunden, Abnehmer oder Nutzer und deren Bedürfnisse. Es ist damit ein Managementinstrument, das sich an den Individuen auf
den Märkten orientiert. Ziel im Marketingprozeß ist
es, diese Individuen zu möglichst homogenen Gruppen zusammenzufassen, um bei diesen Gruppen
Bedürfnisse zu erkennen (passive Komponente), zu
wecken (aktive Komponente) und zu befriedigen (vgl.
auch Rau 2000, S. 12).
Die Abbildungen:
Varianz
Verstärkte Kooperation mit
anderen Zeitungen/Medien
Standardabweichung
Verstärkte Aus- und
Weiterbildungsaktivitäten für
Journalisten
Notenschnitt
Beibehaltung der
Ressortgliederung
Stärkeres Gewicht auf
investigative Ansätze im
Journalismus
Ausdehnung der Menge von
Meinungsbeiträgen
Verstärkte
Hintergrundberichterstattung
Verstärkte Berücksichtigung von
Sex'n'Crime Stories
Verstärkte Berücksichtigung
vermischter Themen
Steigerung der Themenvielfalt
Engere Fassung von
Lokalausgaben
Steigerung der Aktualität in
ausgewählten Ressorts
Steigerung der Aktualität in allen
Ressorts
Stärkere Mischung der
Darstellungsformen
Änderung des Formates
Einsatz von Farbe im Druck
Veränderung des Layouts
Ausbau der Supplement-Kultur
Öffnung der strengen
Ressortgliederung
0
1
2
3
4
5
6
1. Antwortverhalten auf die Frage:
„Wie hoch schätzen Sie in Zukunft die Bedeutung folgender Punkte für den langfristigen Erfolg Ihrer Zeitung ein?“ (Bewertung nach Schulnotenskala)
2. Antwortverhalten zur Frage:
„Wenn Sie in die Zukunft blicken, wovon wird es abhängen, ob Ihre Redaktion auch
noch in 20 Jahren besteht (1 = sehr starke Abhängigkeit, 6 = keine Abhängigkeit)?“.
Von investigativen Journalismus
Varianz
Von Themen, die andere Medien nicht aufarbeiten
Standardabweichung
Notenschnitt
Von der Einbindung neuer Themen
Von der Steigerung der Aktualität
Von der Einbindung heutiger Nichtleser
Von der Erreichung neuer Zielgruppen
Von Werbekampagnen (Eigenwerbung)
Von der Nutzung neuer technischer Verfahren für die
Herstellung der Tageszeitung
Von der Aufteilung des Werbekuchens zwischen
elektronischen Medien, Zeitschriften und Tageszeitungen
Von der Zahlungsfähigkeit heutiger Anzeigenkunden
Vom allgemeinen Konjunkturverlauf
0
0,5
1
1,5
2
2,5
3
3,5
Der Einsatz von redaktionellem Marketing geht zu
Lasten der Qualität! Ist das wirklich so? Nun, die Ende der 60er Jahre aufgestellte These wurde zwar in
den folgenden Jahren stets kontrovers diskutiert, aber nie konsequent widerlegt. Bis heute streitet sich
die Fachwelt. Und übersieht dabei, daß der ökonomische Wettbewerb fröhlich seine eigenen Gesetze
schafft. Marketing ist in der Medienwelt längst heimisch. Kein Sendeplatz ohne Quote – das aus für
den Newsmaker von SAT 1 ist nur ein Beispiel unter
vielen –, keine Zeitschrift ohne klar abgegrenzte Nische und die passende Bedarfsanalyse. Was bitte,
ist die erfolgreiche Marktplazierung von Focus anderes als konsequent umgesetztes Marketing? Der Bedarf beim Medienkonsumenten – im Gegensatz zum
Spiegel, leicht verdauliche, schnelle Information mit
der Möglichkeit zu überfliegen und sich bei bestimmten Themen „festzulesen“.
Warum also überhaupt noch mit Marketing beschäftigen? Ist Marketing nicht längst Realität im Medienunternehmen? Aus Sicht der Ökonomen mag die
Antwort auf diese Fragen ein lockeres „Ja!“ sein, aus
Sicht des Journalismus jedoch steht hier ein klares
„Nein!“. Denn der Journalismus ergeht sich – nicht
nur aus Sicht der Wissenschaft – noch immer in der
Auseinandersetzung mit der Fragestellung, ob denn
redaktionelles Marketing die Qualität des Mediums
verschlechtert oder nicht. Womit wir wieder beim
Ausgangspunkt angelangt wären. Die Folge in der
Praxis – natürlich gibt es in Medienunternehmen
Marketingansätze, die in letzter Konsequenz auch
und gerade das redaktionelle Produkt betreffen. Aber
zumeist geht die Initiative nicht von Journalisten aus.
Statt dessen ergreifen Betriebswirte das Zepter und
gestalten – vor dem Hintergrund wachsenden ökonomischen Drucks die Inhalte. . .
Das ist fraglos plakativ und vereinfachend ausgedrückt und kann mit dem ein oder anderen Beispiel
sicher auch widerlegt werden – trotzdem: Marketing
ist bis heute kein Instrument des Journalismus; und
doch kann es bei der Gestaltung der Medienzukunft
gerade von denjenigen, die Inhaltsverantwortung
tragen, besonders gut genutzt werden. Die Aufforderung muß an dieser Stelle lauten:
Journalisten, macht Marketing zu eurer eigenen
Sache, bevor es andere zu ihrer und damit
zwangsläufig zu eurer Sache machen!
Besonders interessant ist bei alledem die Betrachtung der regionalen Tageszeitung. Weil es sich hier
um ein Produkt handelt, für das sich eben nur unter
schwierigsten Bedingungen homogene Zielgruppen
definieren lassen – das macht Marketing schwierig.
Im übrigen zeigt sich, daß der größte Nachholbedarf
in Sachen Redaktionsmarketing bei regionalen Tageszeitungen besteht. Sicher gibt es vor allen Dingen in den letzten fünf Jahren immer wieder Beispiele, wo das Marketinginstrumentarium intelligent auf
das Redaktionsprodukt angewandt wurde. Man denke zum Beispiel an die Ansätze aus Remscheid oder
an die Luzerner Nachrichten. Aber auch die vor allen
Dingen grafisch orientierte Umgestaltung der Rheinpfalz (Ludwigshafen) in den 90er Jahren kann unter
Marketinggesichtspunkten gesehen werden. Dennoch gilt: die wenigsten regionalen Tageszeitungen
mit eigenem Mantel haben einen strategischen Marketingansatz in der Redaktion verwirklicht.
Journalisten haben zumeist eine recht gute und griffige Vorstellung von dem, was ihre Leser wollen. In
den Redaktionsstuben gibt es ein ausgeprägtes
Selbstbewußtsein zu entscheiden, was denn dem
Konsumenten des produzierten Mediums auch gut
tut, was ihm zuzumuten ist – nicht zuletzt liegt darin
die ureigenste Aufgabe der Redaktion. Ob das dann
aber wirklich Wunsch und Wille von Leser, Hörer oder Zuschauer ist? In vielen Fällen bleibt das fraglich.
Trotzdem hat es vielerorts immer noch den Geschmack des Ehrenrührigen, wenn man, bezogen
auf die journalistische Aktivität eines Medienunternehmens, den Begriff Marketing bemüht. Marketing,
das ist im allgemeinen Verständnis noch immer ein
Instrument der Ökonomen, der gewinnmaximierenden Betriebswirte, die gezielt nach Möglichkeiten
höherer Profite suchen. Es ist – und das gilt besonders für regionale Tageszeitungen bundesdeutscher
Prägung – keine Methode mit Schwerpunkt in der
Redaktion. Dabei gilt: Die Diskussion um redaktionelles Marketing ist grundsätzlich nicht neu – und wird
mit einer gewissen Regelmäßigkeit immer wieder an
die Oberfläche gespült. Ende der 60er Jahre gab es
wohl – begleitet von Kritik an der Springerpresse –
die intensivste inhaltliche Auseinandersetzung mit
dem Thema, das damals schon unter Begriffen wie
Kommunikationsmarketing gehandelt wurde (vgl. zur
These des Anpassungsjournalismus Holzer 1968,
Kiock 1972). Die Argumentationskette „Marketing
bedeutet Qualitätsverlust“ ist bis in die aktuelle Mediendiskussion und Medienkritik hinein auszumachen: „Ein Blick über die Auslagen am Kiosk, das
abendliche Zapping beim Fernsehen und eine Drehung am Radioknopf beweisen, daß mit der Quanti-
tät der Angebote die Qualität im Ganzen gesehen
abgenommen hat“, sagen zum Beispiel Elitz und
Lindner (1996, S. 344). Es öffnet sich also nach wie
vor der alte erbitterte „Streit zwischen Aufklärungsjournalismus und Anpassungsjournalismus“ (Müller
1968, S. 208). Die Gegenposition nehmen schon
damals Peter Glotz und Wolfgang Langenbucher
(1969) ein: „Man sollte endlich begreifen, daß auch
der Journalismus von diesem Marketing-Denken lernen kann. Die Zukunft der Zeitung liegt in einem systematisch
geplanten
Kommunikations-Marketing.“
(Glotz/Langenbucher 1969, S. 152, vgl. zur Erneuerung dieser Kritik auch Langenbucher 1988, S. 151
und Langenbucher 1995).
Die zentrale Frage lautet also nach wie vor: Bedeutet
der Einsatz von redaktionellem Marketing generell
eine Orientierung am Massenmarkt und die qualitative Verschlechterung des Produktes Tageszeitung?
Doch sind diesbezüglich aber nicht längst alle Argumente ausgetauscht? Muß man dieses Thema überhaupt noch einmal neu diskutieren? Man muß! Denn
erstens hat sich die ökonomische Situation der Medien verändert, und zweitens hat Marketing als Disziplin in den vergangenen Jahrzehnten Erweiterungen erfahren, die für redaktionelles Marketing von
hoher Relevanz sind. Der Schluß, daß alle Marketingbemühungen mit einem Verlust an Qualität einhergehen, ist vor diesem Hintergrund grundsätzlich
falsch. Denn:
a) Qualität ist stets subjektiv. Wer – im Unterschied
zum technischen und auf Basis von DIN-Normen
überprüfbaren (objektivierbaren) – von einem marketingorientierten Qualitätsbegriff ausgeht, wird keine
objektivierbaren Faktoren für die regionale Tageszeitung ermitteln können (vgl. dazu Schopphoven 1996,
S. 20 und die dort geführte Diskussion).
b) Auch kommerzielles Marketing für beispielsweise
Waschmittel, Schokoriegel oder Autos ist in seiner
Marktwirkung nicht frei. Überall gibt es die Möglichkeit, durch Regulative, Gesetze, Normen, einen Kodex, durch „Filter“ negative Wirkungsbereiche des
Marketing auszuschalten oder zumindest abzuschwächen
(vgl.
dazu
vor
allen
Dingen
Nie-
schlag/Dichtl/Hörschgen 1994, S. 102 ff., Dichtl 1975
und 1987, S. 91 oder Hansen 1988). Das Gesetz
gegen unlauteren Wettbewerb zum Beispiel ist hier
ein gutes Beispiel. Für das redaktionelle Marketing
der Tageszeitung könnte ein Kodex aufgestellt werden, der bestimmte Richtlinien vorschreibt und einer
Boulevardisierung entgegensteuert.
c) Als Konzept hat die Wissenschaft längst Marketing
auch im Nonprofitbereich oder als Social MarketingKonzept verankert. Das bedeutet: Organisationen
wie Museen, Kirchen, Vereine oder Hilfsorganisationen nutzen Marketingmethodik, um ihr „Produkt“
besser an den „Markt“ zu führen. Warum also nicht
auch Tageszeitungsredaktionen? (Vgl. dazu insbesondere Kotler 1975, 1987 sowie Kotler/Zaltman
1971, Kotler/Roberto 89 und Kotler/Bliemel 1995).
Sicher, die ökonomischen Rahmenbedingungen haben sich verändert – doch warum diskutieren wir
dann nicht über umfassendes Zeitungs- sondern über redaktionelles Marketing? Die doppelte Ökonomie der Tageszeitung verschafft ihr einen produktspezifischen Sonderstatus. Dabei nimmt der Lesermarkt gegenüber dem Werbemarkt eine Vormacht-
stellung ein und die redaktionelle Produktion besitzt
eine Führungsrolle im Herstellungsprozeß. Das läßt
sich mit einfachen Produktvergleichen bestätigen
(zur Auseinandersetzung mit diesem Thema und zur
Bestätigung der Führungsrolle der Redaktion im
Marketingprozeß vgl. Rau 2000 S. 79 ff.).
Wer von Marketing für die Tageszeitung spricht, muß
also von Redaktionsmarketing sprechen. In der Praxis sieht das freilich anders aus – dies zeigt nicht
zuletzt eine Befragung unter Journalisten an regionalen Tageszeitungen mit eigenem Mantel, die für eine
Dissertation zum Thema Redaktionsmarketing (Universität Dortmund, Institut für Journalistik) durchgeführt wurde (vgl. Rau 2000). Wenn es Marketingabteilungen in den Verlagen regionaler Tageszeitungen gibt, dann ist die Einbindung der Redaktion beileibe keine Selbstverständlichkeit. In der Marketingpraxis gibt es dort kaum redaktionelle Ansätze. Das
Bild mag sich in bestimmten Regionen inzwischen
verschieben – man denke nur an den „Zeitungskrieg“
in Köln. Hier zwingt die wachsende Konkurrenz
durch Gratiszeitungen (die erstmals nicht von den
Verlagen selbst qualitätsgesteuerte Anzeigenblätter
sind) zu neuen Ideen – und möglicherweise damit zu
einer neuen Orientierung am Leser.
Das Marketingproblem bei Massenmedien und damit
eben auch und insbesondere bei der regionalen Tageszeitung: Sie richten sich – und das liegt ja in der
elementaren Natur des Produktes – nicht konzentriert an bestimmte aus der Gesamtgesellschaft herauslösbare Zielgruppen, sondern an eine breite Bevölkerungsgesamtheit. Die Bedürfnisse und Wünsche dieser Gesamtheit divergieren stark. Sie lassen
sich nicht beschreiben. Zum Vergleich: Zeitschriften
mit einem klar abgrenzbaren Typologisierungsansatz
haben es hier leichter. Und auch überregionale Tageszeitungen können durchaus verschiedene Zielgruppen ausblenden (das läßt sich leicht verdeutlichen, wenn man die angesprochene Leserschaft von
FAZ und TAZ gegenüberstellt). Es ist vergleichsweise einfach, für die Publikation eines Magazins die
Lesebedürfnisse von etwa 30jährigen Männern zu
ermitteln, die in einem festen Angestelltenverhältnis
zwischen 100 und 250 TDM verdienen. Im Vergleich
dazu ist die Zeitung ein täglich wechselndes Produktbündel aus Artikeln, Reportagen, Fotografien,
Grafiken und Anzeigen. Leser nehmen dieses Produktbündel selektiv wahr. Durch eine redaktionelle
Konzentration – im Sinne einer Marketingstrategie –
auf meistbeachtete Themen fallen Anteile in tragfähigen Lesermarktnischen weg, die nicht mehr abgedeckt werden, was zu weiteren Auflagenreduktionen
führen kann (vgl. dazu auch Rau 2000, S. 28).
Die regionale Tageszeitung befriedigt durch ihre sequenzielle Nutzung hochindividuelle und durch ihr
wechselndes Inhaltsspektrum auch täglich wechselnde Bedarfe.
Marketing für den Lesermarkt der regionalen Tageszeitung ist damit eine komplizierte Angelegenheit.
Dennoch ist es möglich, grundlegende Marketingstrategien zu formulieren. Je nach Marktreichweite
„unterteilt man häufig in Gesamtmarkt- und Teilmarktstrategien“ (Heinrich 1994, S. 232). Über den
Ansatz von Heinrich hinausgehend (vgl. dazu Rau
2000, S. 51 ff.), wird es für möglich gehalten, mit inhaltsbetonten Strategievarianten die Marktposition
der Tageszeitung zu verbessern. Damit läßt sich
auch Wachstum im stagnierenden beziehungsweise
rückläufigen Gesamtmarkt erreichen. Diese Strategiealternativen konzentrieren sich – ganz im Sinne
von Redaktionsmarketing – auf das Umfeld der journalistischen Produktion. Um dies zu veranschaulichen, hier zwei Strategiebeispiele, die von Thesen
zum Lesermarkt ausgehen (zu Strategien im Marketingprozeß vgl. auch Rau 1994).
Die Integrationsstrategie geht von stark diversifizierten Bedarfen im Lesermarkt aus. Um möglichst
viele der unterschiedlichen und individuellen Bedürfnisstrukturen zu erfassen, nimmt die regionale Tageszeitung bei gegebenem redaktionellen Umfang
so viele Informationen wie möglich auf und integriert
damit unterschiedlichste Lesergruppen. Eine mögliche Strategievariante könnte hier die Einrichtung von
Online-Angeboten darstellen, die „neben der horizontalen Ebene der Tagesaktualität die vertikale Ebene
der vertiefenden Differenzierung erschließen“ (Dörrmann/Pätzold 1998, S. 61) und damit eine Vielzahl
der diversifizierten Nutzerstrukturen abbilden. Überregionale Tageszeitungen hier schon einige neue
Konzepte versuchen – ein gutes Beispiel bietet hier
„Die Welt“ und die FAZ will zur Jahresmitte mit einem
neuen Konzept online gehen. Inzwischen ziehen
auch einige regionale Tageszeitungen nach. Um dazuzulernen könnten für solche Verlage, die hier Defizite erkennen, konkurrenzbezogene BenchmarkingAnsätze viele Anregungen liefern (vgl. dazu Rau
1996). Für den Vergleich lohnenswert ist hier eine
Betrachtung der Zeitungsregion Rhein-Neckar. Während der Mannheimer Morgen (mamo.de) sich auf
seiner Website schwerpunktmäßig an der aktuellen
Ausgabe
orientiert
und
damit
die
Online-
Möglichkeiten sehr mäßig nutzt, präsentiert sich die
Ludwigshafener Rheinpfalz (mit ihrer Redaktion nur
wenige
Kilometer
vom
Mannheimer
Morgen-
Pressehaus entfernt) mit vielen Gliederungsmerkmalen und Prinzipien (Rheinpfalz.de). Auch wenn die
Seite optisch nicht unbedingt der Renner ist, so erschließt sich dem Surfer doch ein Zusatznutzen mit
schnellem Zugriff.
Im Rahmen der Integrationsstrategie finden sich
Marketing-Ansatzpunkte neben dem Onlineangebot
auch im Blatt. Zum Beispiel: in der Beschränkung
des Platzbedarfs einzelner Beiträge, über die klare
inhaltliche Gliederung – eventuell mit einer tieferen
Untergliederung der Ressortstruktur – oder Strategische Schwerpunkte in Layout und Grafik zur besseren „Benutzerführung“. Die Leser mit individuellen
Bedarfen sollen die für sie interessanten Beiträge
schnellstmöglich finden.
Die Schnittmengenstrategie geht von einem Informationsüberangebot, verbunden mit einer Reizüberflutung und Überforderung beim Rezipienten aus.
Die Tageszeitung beschränkt ihren Inhalt gezielt auf
Schwerpunktthemen, die den größten gemeinsamen
Nenner unterschiedlicher Zielgruppen bilden. Wenn
die Marktforschung –möglicherweise mit dem Hilfsmittel der Typologisierung Gruppen mit unterschiedlichen Lesebedürfnissen ermitteln konnte, läßt sich
auch eine Schnittmenge an Themen bilden, die alle
Zielgruppen gleichermaßen interessiert. Die „marketingtechnische“ Folgen können zum Beispiel so aussehen: Verstärkte Hintergrundberichterstattung zu
den eruierten „Schnittmengenthemen“, die Mischung
der Darstellungsformen bei der Betrachtung eines
Themas oder die Platzreservierung für ein „Thema
des Tages“, das besonders herausgestellt wird (zu
diesen und weiteren Strategiealternativen vgl. Rau
2000, S. 51 ff.). In den Vereinigten Staaten finden
sich im Bereich der regionalen Tageszeitung einige
Beispiele für den erfolgreichen Einsatz dieser
Schnittmengenstrategie.
Die Strategien des redaktionellen Marketings mögen
in ihrer Verdichtung wie arrogante Universalien lauten meint dazu Pätzold (2000, S. V). Er ergänzt aber:
„Wer sich auf sie einläßt und ihr Wissenspotential
lernend ausschöpft, findet nicht nur viele Anregungen, die inhaltlich-redaktionellen Marketingvariablen
in ihrer ökonomischen Akzeptanz zu begreifen. Er
wird vor allem auch erkennen, wie verhängnisvoll
längerfristig das Warten auf weitere Wellen werden
kann, mit denen der spürbare ökonomische und soziale
Leidensdruck
in
den
Zeitungsredaktionen
wächst.“
Der heute noch fehlende Leidensdruck ist ein wichtiger Indikator dafür, warum Marketingansätze nur in
Ausnahmefällen konsequent in der Redaktion ihren
Niederschlag gefunden haben. Dies macht auch die
Auswertung der Befragung bei regionalen Tageszeitungen deutlich (vgl. Rau 2000, S. 123 ff.). Von den
Journalisten gehen nur selten Initiativen zur Einführung von Redaktionsmarketingansätzen aus. Ein Indikator: Die Ängste, den Arbeitsplatz zu verlieren,
sind vergleichsweise gering – und nur bei jüngeren
Journalisten etwas stärker ausgeprägt. Im großen
und ganzen halten die befragten Journalisten ihren
Arbeitsplatz für sicher. Die Konkurrenzsituation wird
nicht als bedrohend empfunden, die Zukunft des
Produktes Tageszeitung nur selten umfassend in
Frage gestellt. Redaktionelles Marketing hat es vor
diesem Hintergrund in der Redaktion schwer. Erst
der Kölner „Zeitungskrieg“ mit dem Markteintritt eines
„Ausländers“ und andere auf den bundesdeutschen
Markt drängende Gratiszeitungen könnten hier über
den ökonomischen Weg den Leidensdruck schnell
verschärfen.
xxxx
In einem ersten Schritt in Richtung erfolgreiches Redaktionsmarketing sollte den Journalisten Sinn,
Zweck und Erforderlichkeit solcher Maßnahmen nahegebracht werden (Rau 2000, S. 124 f.).
Bleibt die Frage, ob Journalisten bestimmte Marketingansatzpunkte besonders unterstützen, ja bevorzugen, ob sie beispielsweise eine Aktualitäts- einer
„Originaritätsstrategie“
vorziehen.
Möglicherweise
haben ja bestimmte Strategiealternativen eher Chancen auf Akzeptanz als andere. Gelingt es, solche
Strategievariablen herauszufiltern, dann können Redaktionsmarketing-Praktiker die mangelnde Akzeptanz zumindest zu einem Teil durch die Formulierung
von Strategien kompensieren, die jene Faktoren berücksichtigen, die den Journalisten besonders am
Herzen liegen.
Auf Basis des Befragungsergebnisses werden Aktionsvariablen empfohlen, die gezielt redaktionellinhaltlichen Charakter besitzen. Sie versprechen den
größten Rückhalt in der Redaktion und damit den
größten Umsetzungserfolg in der Praxis (vgl. dazu
die Abbildungen mit den Befragungsergebnissen zur
Frage nach der Zukunftsfähigkeit von Zeitung und
Redaktion und Rau 2000, S. 181 ff.). Allerdings muß
hier – so jedenfalls das Ergebnis der Befragungen
zwischen der Ressortzugehörigkeit der Journalisten
unterschieden werden. Daneben spielt auch das Alter der Journalisten eine Rolle (bestätigt in der Befragung) – eventuell müssen auch unterschiedliche
Persönlichkeitsstrukturen
berücksichtigt
werden
(nicht erhoben). Tendenziell gilt: Lokaljournalisten
glauben eher an eine zunehmende Fremdbestimmung durch Redaktionsmarketingansätze. Sie stimmen emotional gewichteten Aussagen wie zum Beispiel „Redaktionsmarketing ist nur ein neuer Versuch, die Redaktion einzuschränken“, „Marketing ist
mit ethischen Grundsätzen nicht vereinbar“, „Es gibt
kein sozialverträgliches Marketing“, „Marketing macht
die Reichen reicher, die Armen noch ärmer“ trotz
insgesamt positiver Grundeinstellung in höherem
Maße zu als die befragte Gesamtheit der Journalisten. Wirtschaftsjournalisten dagegen sehen Redaktionsmarketing in weitaus stärkerem Maße im klar inhaltlich-redaktionellen Bereich der Tageszeitung: als
ein Mittel, das Blatt und seine Themenaufbereitung
an den Bedarfen des Lesermarktes auszurichten.
Das erkennt man auch an der recht deutlichen Zustimmung zur Aussage „Redaktionsmarketing liefert
Überlebensstrategien für die Zeitung“. Die Bedeutung des inhaltlich-redaktionellen Bereiches verdeutlichen schließlich auch die Grafiken zu diesem Beitrag. Die „verstärkte Hintergrundberichterstattung“
erhält im Rahmen der Befragung als Ansatzpunkt für
redaktionelles Marketing beste Notenwerte. Das
heißt, die Journalisten sagen: Der entscheidende
Faktor zur Sicherung der Zeitungszukunft ist die verstärkte Hintergrundberichterstattung. Die Folge daraus: Eine redaktionelle Marketingstrategie, die die
regionale Tageszeitung als Hintergrundmedium positioniert, findet den größten Rückhalt in der Redaktion. Eine solche Strategie würde insbesondere die
Vorzüge der Zeitung, vor allen Dingen die sequentielle Nutzungsmöglichkeit in den Vordergrund stellen.
Ein anderes Kriterium mit hoher Notenbewertung bei
der Beurteilung der Zukunftsaussichten für die Redaktion (vgl. Grafik) waren „Themen, die andere Medien nicht aufarbeiten“. Über diesen Punkt läßt sich
eine Differenzierungsstrategie realisieren, wie sie
aus dem Marketing für Markenartikel seit Jahren bekannt ist.
Um es noch einmal kurz zusammenzufassen:
Redaktionelles Marketing muß nicht die Qualität eines Mediums verschlechtern. Voraussetzung dafür
ist allerdings, daß Journalisten ihre Qualitätsmaßstäbe ansetzen und Marketing zu ihrer Sache machen.
2. Journalisten regionaler Tageszeitungen stehen
dem Sachverhalt Marketing nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber. Sie halten jedoch ihre Arbeitsplätze für sicher und der Leidensdruck ist gering.
Auch ist die ökonomische Situation der meisten regionalen Tageszeitungen noch nicht angespannt genug, als daß Marketing in strategischer Form auch
die redaktionelle Arbeit beeinflußt.
3. Wenn regional orientierte Tageszeitungsverlage
an einen journalistisch orientierten Marketingansatz
denken, dann müssen sie tatsächlich bei den redaktionellen Inhalten ansetzen. Erstens hat die Redaktion im Marketingprozeß dieser Unternehmen eine
Führungsfunktion gegenüber anderen Abteilungen.
Zweitens finden bei den Journalisten vor allen Dingen inhaltlich orientierte Strategieansätze größten
Rückhalt. Und ohne die Journalisten einen Ansatz zu
redaktionellem Marketing um- bzw. durchzusetzen
wird wohl in der Praxis kaum möglich sein.
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