context 3/2010 Produkte und Projekte Beim modernen Lofthouse aus Beton, Stahl und Glas in Berlin greift Architekt Paul Ingenbleek die Rundung des benachbarten denkmalgeschützten Fichtebunkers auf. 20 context 3/2010 Produkte und Projekte Kontrapunkt in Kreuzberg Lofthaus im Szenekiez Wie lässt sich neues am besten mit altem kombinieren? einen klaren kontrast setzen oder lieber anleihen beim bestand machen? nahe der berliner hasenheide sind ein sanierter bunker und ein modernes Lofthaus zu direkten nachbarn geworden. Z unächst hatte der ortsansässige Architekt Paul Ingenbleek den Fichtebunker – einen rund 130 Jahre alten ehemaligen Gasspeicher und Luftschutzbunker – gegen erheblichen Widerstand der Kiez-Bewohner saniert und um zwölf luxuriöse Dachwohnungen aufgestockt (siehe context 2/2008). Unmittelbar daneben errichtete er daraufhin ein modernes sechsgeschossiges Gebäude mit Tiefgarage und weiteren zwölf Wohneinheiten, das sogenannte Lofthouse. Während es auf der Südseite an einen bestehenden Altbau andockt und dessen Geschosshöhen aufnimmt, bietet seine Nordfassade dem alten Bunker die Stirn. Anstatt sich jedoch hermetisch dagegen abzuschotten, zeichnet sie sanft die Rundung des Denkmals nach. Über zwanzig schräg aus der Fassade springende, rechteckige „Guckkästen“ bieten reizvolle Ausblicke auf das altehrwürdige Nachbargebäude mit der rötlichen Klinkerfassade. Die Schaukästen durchstechen als wuchtige, kubische Stahlbetonrahmen die Außenwand, die Fenster sind darin integriert. Ihr grauer Sichtbeton kontrastiert mit der weißen Putzfassade des Lofthouse und stellt zugleich einen Bezug zur Massivität des benachbarten Bunkers her. Dank seiner zeitgemäßen Materialwahl und Formensprache kann sich das Wohngebäude als eigenständiger Bau neben dem alten Gasometer behaupten, ohne als Fremdkörper zu wirken. Architektonisches Konzept war es, die allgemein sehr geschätzten Werte des Berliner Altbaus mit hohen Räumen und schönen Zimmerfluchten in ein modernes Gebäude zu übertragen, ohne dabei auf historische Bauweisen zurückgreifen zu müssen. Paul Ingenbleek schuf daher sehr großzügige Einheiten mit Wohnflächen zwischen 150 und 202 Quadrat- metern, lichten Raumhöhen von 3,40 Metern, hohen Türen, Erkern und großzügigen Balkonen. Straßenseitig laufen die Balkone über die komplette Fassade, sie werden lediglich von einigen Erkern durchdrungen, die als raumhohe Glaskuben ausgebildet sind. Hofseitig erstrecken sich die Balkone ebenfalls über die gesamte Gebäudelänge. Da die Fassadenstruktur dort so angelegt ist, dass sie den negativen Abdruck der Straßenseite bildet, ließen sich zum Hof hin Balkontiefen von bis zu 3,50 Metern realisieren. Die beim Bau des Lofthouse eingesetzte Betonskelettbauweise mit nur vier Stützen auf 200 Quadratmetern ermöglichte eine freie Grundrisseinteilung. Daher ist auch jedes einzelne Loft – je nach Nutzerwunsch – individuell gestaltet. Zum Teil finden sich in den Wohnungen frei in den Grundriss eingestellte „Versorgungsboxen“, die sanitäre Anlagen, offene Kamine oder ähnliches aufnehmen. Sämtliche Decken und das begrünte Dach sind als Flachdecken in Sichtbeton ausgeführt, die Bodenplatte besteht wie die gesamte Tiefgarage aus wasserundurchlässigem Beton. Ein innenliegender Aufzugs- und Treppenhauskern – ebenfalls in Sichtbeton konstruiert – dient als aussteifendes Element. Die Wände sind zum Teil gemauert, zum Teil als Filigranwände ausgebildet. Die in der Regel raumhohen Verglasungen besitzen Aluminiumrahmen, ein entsprechender Sonnenschutz ist vorgesehen. Die Fußböden verfügen über Heizestriche mit Oberbelägen aus Vollholzparkett oder rohem Beton. Die Treppen und Erschließungswege ließ man ebenfalls aus Beton, zum Teil mit Eichenholzeinlagen, errichten. 21 context 3/2010 Produkte und Projekte Da die Bauzeit für das Lofthouse mehr als ein Jahr betrug und sich auch über den Winter erstreckte, musste die Rohbaufirma Hirsch + Lorenz Ingenieurbau GmbH beim Betonieren mit den unterschiedlichsten Witterungen zurechtkommen. Um dennoch gute Ergebnisse zu erzielen, setzte sie zwei unterschiedliche Zementarten ein. Der Hochofenzement CEM III/A 32,5 N wurde dabei in erster Linie für normalen Stahlbeton und überall dort verwendet, wo längere Ausschalfristen kein Problem darstellten. Wegen seiner langsamen Festigkeits- und niedrigen Wärmeentwicklung eignete sich der Hochofenzement besonders gut für das Betonieren von massigen Betonteilen bei warmer Witterung wie beispielsweise Fundamente, dicke Betonbauteile oder massive Stützen. Der Portlandhüttenzement CEM II/B-S 42,5 N wurde hingegen hauptsächlich in bewehrtem Beton höherer Güteklassen eingesetzt, wo hohe Festigkeiten vonnöten waren. Seine recht schnelle Festigkeitsentwicklung erlaubte kurze Ausschalfristen. Wegen seines hohen Klinkergehalts und seiner hohen Mahlfeinheit entwickelt er relativ viel Wärme, weshalb er vor allem im Winter das Material der Wahl Tanja Feil war. Objektsteckbrief Projekt: Lofthouse Fichtestraße, Berlin Bauherr, Projektentwicklung: speicherWERK Wohnbau GmbH, Berlin Generalplanung: massWERK GmbH, Berlin Architekten: ingenbleek architekten + ingenieure, Berlin Statik: neubauer + ernst, Berlin Rohbau: Hirsch + Lorenz Ingenieurbau GmbH, Berlin Bauzeit: 2008 bis 2009 Produkte: rund 1.500 m3 Beton, davon circa 1.000 m3 Beton C 35/45 F3 D16 XC4, XD3, XF2, XA3, XM3, davon etwa 500 m3 mit CEM III/A 32,5 N-LH/NA (Hochofenzement) und 500 m3 mit CEM II/BS 42,5 N (Portlandhüttenzement) Betonlieferant: Heidelberger Beton GmbH, Gebiet Berlin-Brandenburg Zement: HeidelbergCement AG, Lieferwerk Königs-Wusterhausen 22 [email protected] [email protected] www.office33.de context 3/2010 Produkte und Projekte Wohnen auf dem Fichtebunker Größer kann der Gegensatz kaum sein: Hier die luxuriösen Lofts, mit viel Glas und Sichtbeton – unverkennbar im Stil des 21. Jahrhunderts. Dort ein historischer Gasometer von 1874, der im 2. Weltkrieg, mit Stahlbeton verstärkt, als Bunker Tausenden von Menschen Schutz bot. Nach dem Krieg diente er als Notunterkunft, als Jugendarrestanstalt und später als Obdachlosenasyl. Das Arme-Leute-Image des seit den Neunzigern leerstehenden Areals konterkariert nun ein fulminanter Aufbau. Als Pendant zum Lofthouse entstanden unter der stählernen Kuppelwölbung 13 Wohnungen, wie Tortenstücke angeordnet. Die exklusive Lage unter der freien stählernen Kuppel, hoch über den Dächern von Kreuzberg bot sich, wie das Lofthouse, für eine ausgefallene Architektur an. Benannt nach ihrem Baumeister Johann Wilhelm Schwedler krönt die Schwedlerkuppel auf über 20 Metern einen riesigen Rundbau der Industriearchitektur aus dem 19. Jahrhundert. Ein neues Konstruktionsprinzip ermöglichte damals die stählerne Kuppelwölbung, die mit einem Schalentragwerk Durchmesser von bis zu 45 Metern zuließ. Der „Premiumblick“ für die solventen Bauherren war den Bewohnern im Fichtekiez allerdings von Anfang an ein Dorn im Auge. Sie hörten hier, wie andernorts in Berlin auch, die „Gentrifizierung“, also die Verdrängung Alteingesessener durch den Zuzug reicher Zeitgenossen trapsen und versuchten, sich mit einer Bürgerinitiative zu wehren. In der Tat gehören im beliebten Studenten- und Szeneviertel Kreuzberg die Mieten seit geraumer Zeit zu den höchsten der Stadt. Denn auch sehr gut Situierte finden heute die belebten Viertel zwischen Wohngemeinschaften und Alternativkultur attraktiv und treiben damit Mieten und Grundstückspreise in die Höhe. Von gegenüber sieht man nun teure Limousinen in die Tiefgarage von Lofthouse und Bunker ein- und ausfahren. Zu mehr Annäherung ist es bislang nicht gekommen. se Derzeit begehbar: „Tour F“, Sa. + So. jeweils um 11.00 / 13.00 Uhr, Eingang: Fichtestraße 6, Berlin-Kreuzberg, www.berliner-unterwelten.de/fichtebunker.330.0.html 23