Neue Zeitschrift für Musik Juli 2013 tl TURKEI NEUE zErrscHRrFT rüR nauslx # 4-2013 GESPRACH 08 "Schreker geht im Dunkeln nicht> In Sabrina Hölzers Inszenierungen zeitgenössischer Musik erlebt das Publikum krafrvoll-sinnliches Thearer I von Lotte Thaler KLANGMOMENT 14 Einer muss den Anfang machen Das S'WR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg ist noch zu retten von Dietrich Heißenbüttel I THEMA 18 lstanbul hören Einblicke in die 24 zeitgenössische Musikszene der türkischen Metropole I von Barbara Eckle Bon pour I'occident! Der musikalische Orientalismus wird auch in der eigenen türkischen Küche gebraut I von Alper Maral 28 Bruchlinien Nach den Zusammenstößen im türkischen Musikleben des 20.Jahrhunderts stehen die heurigen Komponisten des Landes vor einer Vielzahl stilistischer Herausforderungen I vonYi[it Aydrn 32 34 lch heiße die Welt willkommen Johannes S. Sistermanns im Gespräch mit Erdem Helvacro$lu Der Faszination erlegen ... Begegnungen mit der türkischen Musikkultur I von Ulrike Böhmer 40 Das Abenteuer Hezarfen Ensemble Aus der Praxis eines zeitgenössischen Musikensembles in der Türkei I von Ulrich Mertin 42 Auf Klangsuche am Bosporus An kreativen Köpfen und Engagement einzelner Protagonisten der neuen Musik mangelt in Istanbul nicht - wohl aber an der nötigen Infrastruktur I von Stefan Fricke es Komponist llhan Mimaroglu I Regisseurin Sabrina Hölzer I Glass' nspuren der VerirrtenD am Linzer Musiktheater Künstler Frank Holger Rothkamm I ! I o a @ N e E E E E o Neue Zeitschrift für Musik Juli 2013 Neue Zeitschrift für Musik Juli 2013 ffi GEsPRACH (SCHREKER GEHT IM DUNKELN NICHT,, IN SABRINR uÖIzTRS INSZENIERUNGEN ZEITGENÖSSISCHER MUSIK ERLEBT DAS PUBLIKUM KRAFTVOLL-SINNLICHES THEATER g m Die 1968 geborene Sabrina Hölzer erlangte durch ihre Regiearbeiten für die Zeitgenössische Oper Berlin, deren Leitungsteam sie von 1997 bis 201 1 angehörte, internationale Bekanntheit. Mit der Trilogie nlnto the Dark, widmete sie sich, u. a. mit dem Berliner Solistenensemble Kaleidoskop, zuletzt der lnszenierung und Choreografie musikali- scher Werke im lichtlosen Raum. Für ihre innovativen Musiktheater-Projekte, Performances und lnstallationen wurde Hölzer im Juni dieses Jahres der Belmont-Preis der Forberg-Schneider-Stiftung zugesprochen, der mit 20 000 Euro zu den höchst dotierten Preisen für künstlerisches Schaffen in Europa zählt. Lotte Thaler sprach mit der Regisseurin kurz vor der Uraufführung ihres neuen Projekts in Hannover. ' Frau Hölzer, wir sind hier in Hannttuer, dem Auraphon. Dieses Auraphon bildet tragskomposition vou Josö Maria Säuclrcz- einen großen Teil unseles materiellen Raumes in der Galerie. Es ist ein Instrument, das den auratischen Klang einer Wrdü.Wontnt geht es in diesen Inseln? Stin-rme oder eines Musikinstruments weil hier Ihre Produktior Atlas, Inseln der Utopie urarfggfiilvt ruird. Das ist eine Auf- Es geht in dem Stück um Utopie im Sinne des oNicht-Ortes'>. Eines immateriellen Ortes, der geistig, ideell, poiitisch oder spirituell geprägt sein kann.Also Utopien unterschiedlichster Art. Auf musikalischer Ebene ist das neue Stück von philosophischen und literarischen.Werken inspiriert, wie z. B. dem Atlas Mnenros),ne von dem Kunsthistoriker Aby Warburg. Die Bildersammlung ist ein unvollendeter Atlas mit Darstellungen ganz verschiedener Bildmedien aus unterschiedlichsten Epochen und Kulturen, in denen-Warburg wiederkehrende Gesten und Motive unter dem Begriff der oPathosformelo sammelte. Da gibt es einen sehr direkten Bezug zu der Herrenhäuser Galerie in Hannover, die ja über und über mit Bildern solch antiker und mythischer Formeln bemalt ist. Deshalb gefillt mir der Ort dafür sehr gut. Ein anderes Beispiel für die Inspiration des Komponisten ist das Höhlengleichnis von Platon, dessen Szenerie in einem Instrument auftaucht, das der Komponist schon seit vielen Jahren in Zusammenarbeit mit dem Experimentalstudio des S.WR in Freiburg entwickelt, nämlich wiedergeben kann, also ähnlich funktioniert wie die Idee bei Platon: Ich schaue auf einen Schatten von etwas und halte den Schatten fiir die Sache selbst, weil sich der eigentliche Gegenstand hinter mir befindet. Das oArchipelr, von dem SänchezVerdir spricht, besteht aus sieben Inseln, die teilweise von Musikern ubewohnt,>, teilweise unbewohnt sind und in unserer Inszenierung in Form von Objekten gestaltet sind, die sich mit Utopie im Sinne des t <Nicht-Ortes, beschäftigen. Welche Utopien brauclten wir lrcute uor indem er sich achtsam in einer Gruppe vonAusführenden und Zuschauern und -hörern bewegt. Es gibt in der Aufüihrung, den Anweisungen der Partitur folgend, drei Räume: einmal den Hauptraum, in dem das Publikum sich befindet - bei uns die Galerie. Dann gibt es einen zweiten Raunr, bei uns der Balkon ntit einem Vorraum, der nach musikalischen Gesichtspunkten geöffnet und geschlossen wird und akustisch in den Hauptraum hineinstrahlt. Und dann gibt es einen dritten, <obligaten> Raum in der Partitur, der bei uns der Leibniz-Saal im ersten Stockwerk der Galerie ist und von dem aus Musik in den Hauptraum übertragen rn ird. D. h. ich bin als Besucher akustisch mit verschiedenen Orten konfrontiert, die ich aber rnateriell nicht betreten kann. allem? Wir müssen Möglichkeiten finden, den <realen Ortr zu erhalten, also unsere Natur. Ich denke, wir sollten in einer Gesellschaft von immer größer werdender Individualisierung unsere Achtsamkeit schulen. In unserer Auffiihrung spiegelt sich das so wider, dass dem Zuschauer nicht ein Platz zugewiesen wird, sondern dass er sich innerhalb des Geschehens frei bewegen und seine Perspektive zu dem Geschehen selbst wählen kann, also ein mitschöpferischerTeil der Produktion ist, ' Wie hören Sie zeitgenössische Musik? Wo- in erster Lin.ie? Haben Sie da einen b es timmten Blickuinkel als Regis seuri n ? Ich versuche erst einmal, die Musik nur zu hören, ohne etwas darüber zu wissen oder zu lesen, weil ich mir den Moment vorstellen möchte, den später rauJ achten Sie ein Zuschauer oder Zuhörer erlebt.Also diesen Erstkontakt sozusagen, ohne viel Information. Und dann versuche ich mir vorzustellen, in welcher Situation ich als Zuhörer emotional sein möchte, urn Neue Zeitschrift für Musik Juli 2013 diese Musik zu hören. Das ist fiir mich in den letztenJahren imnrer wichtigel gervorden, n'eil ich einen Prozess suche, in deur der Zuschauer als Mitschöpfer teilhat an dem Ganzen. Mich interessiert heute nicht mehr so sehr, an einem Platz zu sitzen und mir ettvas anzuschiruen oder etrvas anzuhören, s'eil ich dann passiver Teilnehmer bin, sondern ich versuche eigentlich imnrer in eine Situation zu kommen, an der der Rezipient selbst aktiven Anteil hat. lJnd rvenn es keine Aufnahmen gibt, fange ich an, die Partituren anzugucken, zu r:echerrhier-en nnd mich r.nit den Themen -Textebene, Musikebene - auseinanderzusetzen, aber das kommt eigentlich inurrer erst im zt'eiten Schritt. Dabei versuche ich, mich tlotzdenl imnrer rvieder in diesen ersten Moment zurückznversetzen, damit ich nicht zu viel voraussetze. Das ist ganz rvichcig, sich inrmer u'ieder klarzumachen: Derjenige, der kommt, ellebt das alles zum ersten Mal, braucht den Kontakt dazu, darf also nicht aussteigen. Cibt es.fiir Sie ntrclt ilIusik, wo Sic sagert: <Danit kattrt ich iibeilraupt nichts anfangen - ' tueder visrrcll uoch ernotitutal,? Absolut.Ja, das kenne ich. Ich erlebe da sehr große lJnterschiede. Ich möchte Musik physisch annehmen, erst mal. Für mich ist Musik Schl'ingr1ng, die auf meinen Körper triftt - das ist der Monrent, der für mich rvichtig ist. Es gibt ja den analytischen Hörer in der zeitgenössischen Musik, der sich von diesem Körpererlebnis abtrennt und hörend das Stiick analysiert, der sozusagen intellektu- ell hört. So ein Hörer bin ich sar nicht, sondern ich versuche immer, den ph,vsischen, den sinniichen Kont:rkt zu eitrer Musik herzustellen. Und natürlich stößt das auch an Glenzen. ' Hnbert Sie ein Beispiel, rt,o Sicge-ra-qt Itabert: oDas kartrr iclt rritlrt tnadtutr? Ja, hin und n'ieder. Ein gutes Beispiel ist vor diesem Hintergrund die Arbeit, die mich in den letztenJahren beschäftigt hat, nämlich die Arbeit in der Dunkelheit. Da rvar ein Bedüfnis, ganz uah au die Musik heranzukommen, und der zrveite Schritt rvar, einfach mal auszuprobielen, rvie ich s'irklich höre, rvenn ich nicht sehe. Hör'e ich dann sensibler, höte ich anders, *'rrs passiert dann? Und dann ist mir rvährend der Arbeit aufgefallen, n'ie vorgepräg! man durrh das Sehen ist. Wenn ich in einen Konzer:tsaal gehe und die Musiker auf der Bühne sehe, dalrtr sehe ich sofort: Das sind so und so viele, die sind so und so rveit r..'eg, das sind so tund so vieie Streicher, so und so viele Bläser - das sind alles Prozesse, die laufen in Sekundenschnelle. So ordne ich Dinge ein und habe eine bestimmte Errvartung, die u'ie einVorditer unbervusst ab, s'irkt. 'Vüenn bin r.rnd ich dagegen in der Dunkelheit Musik in ganz unterschiedlichen Entfernungen, in unterschiedLicher Dichte, in unterschiedlichen Qualitäten, in Bewegung, mit u'ecirseinden Distanzen rvahrnehme, triflt sie mich total anders. Ich habe ein anderes Zeiterleben, es ist viel emotionaler, viel körperlicher. Und da habe ich genrerkt, dass es Musik gibt, die in der Dunkelheit nicht funktioniert. Für rnich zunrindest.'Wie zum Beispiel Schreker. Schrekel geht im Dttnkeln nicht. t Aber Sr/rrckerr Ä'lrrsiA i-rt doclt seltr sittrt- lich .,. Es ist eine sehl sinnliche Musik, aber sie kriegt ets'as sehr Schrveles. Das ist genzru das Phänomen, r-iber das rvir gesprochen haben. Es fillt ein Stück Analyse, ein Stück Distanz weg, und mit manchel Musik lunktioniert das gut, mit mancher u'eniger gut. Natürlich geht auch jeder Mensch mit einem anderen 'Willen zur Kontroliaufgabe an Musik her-an. Es gibt Menschen, die sagen, da muss noch sonst was komuren und passieren, das u'ar doch noch viel zu rveich oder zu zahm! Und dann gibt es Leute, die reagieren schon anfangs ganz, ganz stark. Zs,ischen diesen Koordinaten be\\/egt uran sich ja immer, zrvischen detr großen Wahrnehmungsunterschieden der einzelnen Menscheu. Und das ist genau der Grund, wilrtlnl ich mich in der letzten Zeit inuner rnehr mit den Zuschauern beschäftige, also mit denen, die kommen: In rvelcher Konstellation, urit u'elcher Prägung? Wie kommt ein Zuschauer in ein Stück hinein?'Wie hört oder betrachtet er ein Kunsts'erk? Und so versuche ich dann immer, keine Interpretation von etwas zu liefern, die man so oder so verstehen soll, sondern Räume zu eröffnen oder Angebote zu machen, in die der jerveilige Zuschauer mit seinen Möglichkeiten einsteigen kann. r Sild Sie irts Durtkle gegattgen, um gerude dieses vorailssetzrrtryslose Hörur uticder zu ennöglicltert? Es rvaren verschiedene Grtinde. Ganz einfach die Frustration über dieses Sehen und Gesehenr",'erden. Das rvirklich einmal zu eliminieren, indern man das Licht ausmacht, rvar ein fieudvollel Aspekt. Sich s'irklich nur zu konzentrieren, sich zu entlasten von Ablenkungen bezüglich des Hörvorgangs. Von Mortotr Feldrrlan kennt man Probensituationen von Stücken, in denen er sagte, die Musiker sollten sich mit dem Rücken zum Publikum driehen, um visuelle Eindrücke nicht geltend zu nuchen. Georg Fr-iedrich Haas hat sogar ein Streichquartett für die Au{äihrung inr Dunkeln geschrieben pr iy. Nroa,2003]. hl Moment ist Dunkelheit auch fiir andele ein Thema und ich glaube, das hat danrit zn tun, dass rvir in einer Zeit der Bilderflut leben - mit excremen Möglichkeiten, mit sehr großern Tempo bezogen anf die Bildschnitte im Kino, die immer schneller und noch schneller rverden. Man hat eine s'ahnsinnige Bilderdut auf der einen Seite und das zurückweichende Täktile, Körperliche attf der anderen.'Wir sitzen alle viel arn Rechner, rvir bestellen online, lvir gehen nicht mehr irgendrvohin, die körperiiche Präsenz rückt ja immer mehr in den Hintergrund. Alles rvird virtueller. In der Dun- kelheit ist man entlastet von dieser Bilder{lut und die Schrvingung der Musik q'ird mehr als okörperlich verbindendo empfunden, auch deshalb, rveil die Musiker sich um die Menschen bervegen. r Ll/onach orientiercn sich die Nlusileer detur im Dunkeln? Für uns war es ganz rvichtig, einen Raum zu finden, in den ich mich als Besucher gerne hineinlege. Das Publikum liegt ja in hrttt tlrc Dark und muss sich denr Raum auch anveltrauen. Ftir mich rvar sehr fi'üh klar, dass ich die Leute aus logistischen Gründen nicht direkt in die Dunkelheir reinbringen kann: AIs Höret komme ich erstmal in einen Raurn hinein, in dem ich sehe, und der muss tuich aufnehmen, da muss ich mich wohlfüh-len, so. ljnd dann habe ich einen bildenden Künstler und einen Berater in diesem Team gehabt, der blind ist, und eine Mobilitätstrainerin, die blinden Menschen hilft sich zu orientieren. Und in diesem Team haben s'ir ein Leitsystem für den Boden entrvickelt, ein Neue Zeitschrift für Musik Juli 2013 ffi G ES Eine der lnseln in der Rauminstallation zu (Atlas - lnseln der Utopie, Raster aus Horizontalen und Vertikalen aus einern moosgummiartigen Material, das sich von der glatten Unter{äche leicht abhebt. Die vertikalen und horizontalen Linien ergeben Kreuzungspunkte, PRÄCH längs und quer zwischen den Liegen hindurch, zieren, und gerade das hat diese rvunderbar-en Musiker vom Solistenensemble Ka- leidoskop interessiert. t Räume, haben Sie gesagt, sind -fiir Sie ganz tuichtig. Suclretr Sie derrrt Iltre Räume auclt wieder gemacht, und natürlich hat die Guckkastenbühne auch ihren großen Zauber.Es gibtja auch bei der konventionellen Bühne Möglichkeiten, die Räume anders zu nutzen.'Wobei, ehrlich gesagt, nich auch interessieren würde, mal eine wirklich klassische Oper in einer Form zu machen. wie auf einem Schachbrett. Die Gänge sind an einer Seite mit Buchstaben ver- sagen: <Da möchte iclt unbedingt mal eine sehen, an der anderen haben sie Zahlen, Inszenierung oder Peyfornratrce machen r? und die Choreografien werden dann so notiert, dass man sagt, man geht jetzt zwei Kr-euzungen vor, nach drei Kreuzungen rechts, eine Kreuzung vor, nach einer Kreuzung links - und auf diese Weise In den letzten Jahren ist es wirklich so geworden, dass ich kaum noch mit klassi- ' schen Bühnenbildnern zusammenarbeite, eine sehr szenische Musik schreibt.Jeder Gestus, jedes Augenzwinkern, jede Handbewegung ist da komponiert. Das hat mich immer sehr fasziniert an Puccini, baut man praktisch das ganze Stück. So orientieren sich die Musiker im Raum. Sie können nicht über die Augen kommunizieren, was Musiker normalerweise ja sehr stark tun, sie können sich nur noch über den Atem verständigen. Die Mitglieder vom Solistenensemble Kaleidoskop haben mir beschrieben, dass sie diese Arbeit als Ensemble verbunden hat, weil sie eine andere Art des Zusammen- selbst aus? Cibt es Räunrc, uorr denen Sie die Räume bauen, sondern dass ich die Räume aussuche, wie hier in Flannover die Orangerie. Es gibt aber auch Situationen wie damals in Berlin in der Gemäldegalerie, in denen ich fiir einen spezifischen Raum ein Stück entwickle. Ich würde z. B. auch sehr gern einmal in einem antikenTheater arbeiten, an einem Ort, wo das Wetter verlässlich genug ist, dass man nicht vor dem Risiko der Absage steht. Aber nrit der klassisclrcn Opernbiihne könrten Sie sich im Moment tuertiger anfreunden ... Auch die kann man ganz unterschied- spielens finden mussten. Für den Aus- ' druck, das Zusammenspiel und das Erleben entstehen ganz andere Qualitäten. Das ist nicht das perfekte, oreine> Musi- lich nutzen. Das haben wir ja auch immer so Zum Beßpiel? Mozart,Verdi? Ich bin ein großer Puccini-Fan, weil er wie auch diese Angreifbarkeit seiner Musik. Die Musik kann schrecklich kitschig sein. Buttejly z. B. ist ein ganz tolles Beispiel, wie das aufgefasst wird - das kann ja unendlich kitschig sein, und es kann so ergreifend und erschütternd und überwältigend sein, wenn es eine große Aufrichtigkeit in-r emotionalen Tün hat. In dem Moment, wo irgendetwas nicht ganz echt ist, verzeiht man es auch nicht. Ich habe ja fast nur mit Stücken zu tun, die vielleicht zwei-, höchstens dreimal aufgeführt werden oder Urauffiih- Neue Zeitschrift für Musik Juli 2013 nlngerl sind und nur einnral aufgefiihrt hat es ganz stark zu tr.rn, dass ich jetzt von rvelden. Das ist natiillich eirre grrnz an- meiner Seite aus diese Stluktur nicht so aufsuche, rveil ich aus Erfihrung n'eiß, dass die praktischen Notrvendigkeiten eines solchen Betriebs, jeden Abend dere Herangehens'n'eise. Vielleicht habe ich mich auch deshalb in diese Richtung ben'egt, rveil es rvirklich eine Herar.rsforderung ist, ein Sttick, s'as hunderttausend Mal gespielt n'urde, n'ieder aufzufiihren und ihm rvieder eine musikalische Lebendigkeit zn verschatTen. Ich rvürde nicht überaktualisielen.'Wenn ich jetzt ein Repertoirestück inszenieren rvürde, rvürde ich velsuchen, es in die'W'ahrnehmune des Pr"rblikr,rnrs zu versetzen. Ich rvürde arr denrVerhältnis arbeicen, u'ie u'il ein Stück heute s'ahrnehmen und rvie ich es in Bezug auf diese Wahrnehmung auf die Bühne stellen kann, ohne dass es veraltet rvirkt, ohne es im Sinne der modernen oVerortungo zu aktualisiercn. Aber die Frage stellt sich mir im Moment nicht ... a Fmgt Sie rtiunatrd? Odcr ruanrtn sirrr/ Sie rticlü ntal an cittem tmditiorrcllert Openilraus tätig? Ich glaube, es hat viele Gründe. Einnral hat es natürlich danrit zu tLln, dass ich i.iber so vieieJahre ein Institut nrit aufgebaut und geleitet habe, das sich prograrunatisch auf die zeitgenössische Oper bezogen hat. Und damit gilt man ja auch ganz schnell als Spezialist, in meinent Fall Spezialistin ftir zeitgenössisches Musiktheater. Eine andele Seite ist, dass mich im Monrent dieses umgehen mit anderen Räunren tatsächlich sehr stark beschäftigt, und ein drittel Faktor, dass man an c'inenr Opelnhaus nrit einern bestehenden Ensemble arbeitet, und oft nrit Mel.rrfachbesetzungen. Ich glaube nicht, dass es zn'ei Prrallelbesetzungen geben könnte, mit denen ich das gleiche Sti.ick nrachen n'i.irde. Wenn ich z. B. so eine Rolie rvie die Butterlly habe, albeite ich sehr intetrsiv nrit der Person, die da besetzt ist.-Wetrn das zl'ei verschiedene Ch;rraktere sind, s'ird die Rolle nati.irlich ;ruch sehr unterschiedlich.Wenn nlarl also parallel in Zu'eierbesetzungen proben muss, stößt man auch sehr: stark an infi'astruktureile Grenzen. 'Werrtr nrau eine Buttcjll, inszeniert und muss mit dem dritten Akt anfangen, n'eil der Gast fiir den elsten noch nicl.rt da ist, dann ist das dramaturgisch ein echtes Problenr.Wenn ich 's'irklich mir den Leuten arbeiten nröchte, drnn brauche ich die einfach vonr ersten bis zum letztcn Trg, sollst kann man diesen intensiven Prozess nicht eingehen. Ich glaube, damir spielen zu nrüssen, schrver- sind. ' Vl/ar das dcr Cruttd, u,cslralb Sic in die r ii s s i sc I e r Op c r Bc rl i r r P rqj e kt e d e r Za i tge ittuolviert uaren zu entgclrcn - r t r uur sou,ctll diesuu Betrialt als atrch wirklich Jin' jedc-r Sriirfr das riclrtige Errsenblc zu suclrctt? s'ar es ja rvirklich noch so, dass gerade die kleineren Stücke im Seitenprogranlm von Opernhäusern gespielt rvurden, das nran nicht unbedingt nrit den besten Sängern besetzte. Da gab es ja noch dieVolstellung, r.nit zeitgenössischer Musik mache man sich die Stirrrrne kaputt.Wir hatten irnmer die Einstellung, diese Stücke mtissten besonders gut musiziert und gesungen 'n'erden, und heuce rveiß nran auch, dass man sich damit nicht die Stinrme ruiniert, u'enn man die entsprechende Technik hat. Und deshalb Vor *'ar es 15 Jahren fiir nns Programm, die Vielfdltig- keit del Sti.icke, die nach den Zn'eiten Weltkrieg entstanden sind, herauszustellen und sie rußerdenr erst einnral so zrr spielen, u'ie der Konrponist sie sich vorgestelh hat - urrd nicht in der Art uNa ja, das nrachen rvir so nebenbeilr. Das hatten n'ir uns danrals mit del Zeitgenössischen -fi'eiu,illig beherrscht. Ist cs nicht geradc Arfgabe -fiudut, artstatt aul'dcr Biiltrtc zu des Tlteaters, Cegenbilder ztr rliese bekartrrtctr Bilder rcprttduzieru? Theater ist Kultur und mit denr zunehmendenr Zurückrveichen von Natur in unserenr kulturellen Raum ist fiir nrich die Aufgabe del oSzene, gerade, Freiräu- me zu kreieren, die ich sonst vielleicht in der Natur hätte.Wolfgang Rihm sprach in diesem Zusammenhang einnral von Kunst als uEnergiespeicher,. Für mich ist Kultur vor diesern Aspekt der Verdrängung von Natur inrnrer mehr auch die Möglichkeit, einen Raum zu finden, in dem ich Ruhe, hrspiration, Assoziationsfähigkeit erfahren kann, einen Raum in mir selbst. Ein Außenraum, in dem ich für nreinen inrreren Raum Angebote bekomme, in denr meine Fantasie lebendig rvird. Eigentlich brauche ich als Mensch Räutrtc,itr denen ich lebendig und durrh die ich inspiriert n'er:de.'Wir haben aile u'enig Raunr. a l,lh-finrlen Sie selbst-fiir sich diesen Rarrnr? Dert tttiisserr Sie,ia auch in siclt salbst spiirert, trtn iltrr rpiedcrztryebetr. Ich spüre ihn sehr star-k in del Natur'. Ich hatte kürzlich ein faszinierendes Ellebnis im Atlantik, rvo ich mit'W'alen getaucht bin.'W'aie haben ja - u'ie Flederrrräuse - ein Sonar, also ein Echolot, nrit u,ieder in r'öilig neue Zusanulenhänge zu steilen. Eir-r anderer Grund u'ar anch, dass ich Veränderungen berrrerkt habe: Heute rvird an nnoLmalen, Opernhänseur dem sic sich i.iber Ultraschalhveilen otientieren. Sie können auch mit den Augen sehen, benutzen also nicht imnr.er diese Schallu'ellenorientierung. Und sie haben ein großes Interesse an Menschen. Ich t'ar dort mit einem Forschungsprojekt, u'o rvir rnit den Tieren geschn'onrnren sind, um dererl'Wirkung auf Menschen zu untersrrchen. Und ich bin mit ein bisschen Erfahrung in eine Situation mit drei, vier, fiinf ausgervachsenen 'Walen sehr viel zeitgenössische Oper gespielt. uud versclriedenen Jun gtierell gcgangen. Da besteht nicht r.nehr die dringende Notu'endigkeit, das so zu verfolgen, n'ie ich sie- damals gesehen habe. Außerdem kommt hinzu, dass ich nrich nicht imnrer nur innerhalb eines solchen Prograrnnrs bel'egen l'ollte. Für'mich rvurde inrmer interessanter, selber kreativ zu arbeiten rund eigene Ideen so urrlzusetzen, s'ie ich das in den letztenJahren setan habe, anstatt nrich in erster Linie anVorlagen zu halten. Es rvar eine rvahnsinnig große Nähe. Oper Berlin \rorgenomlnen. ' Sic n,arur dort iibar uielaJnlrre dic szuri- sdte Lt'ittritr rrnd sirtd dnrrrt atts,qcsticgett - tuantnt? Einelseits hirt r]1an, \venn l11alt et\l,as so lange genlxcht hat, das Bedürfnis, sich a LI/ir sprncltan vttrlrirt schon iibcr die tnediale Bildcfilut, die urtsere ll/alrrrtcltrtutrt! arrch rut- -Wir schrvar-nmen nmeinander herurn, sie gleiten dann unter und direkt neben einem, s'irklich zentinleternah. Es rr'ar cin Schs'eben und eine fast tänzerische Nähe miteinander, und da habe ich gedacht: oDas ist eigentlich das, rvas mich beschäftigt hat in dieser Dunkelheit nrit den Musikern, die sich um die Leute herunr bervegen.u Musik ist Schrvingung - ich habe es besonders empfunden, als zehn Wale diesen (Jltraschall aussendeten, da ist man rvie in einern Intensitätsfeld. Eine Berührung durch Schall ist eine Neue Zeitschrift für Musik Juli 2013 physische Berührung. LJnd wenn man eben nicht spricht, was man ja in einer Auf{iihrung normalerweise nicht tut, und auch nichts sieht und sich wirklich auf diese Schwingung und auf diese achtsame Bewegung umeinander einlässt, dann hat Musik ein ganz kreatürliches Potenzial. Solch starke Naturerlebnisse sind für mich auch immer eine ganz große Inspi- ration für die Arbeit. ' Sie haben Musikwissenschaft, Philosophie, Pädagogik und Cermanistik studiert und sind dann doch gleich ans Theater gegangen, haben sich seitilem mit zeitgenössischem Musikthea- ter befasst.Wie kamen Sie denn überhaupt zur zeitgenössßchen Musik? 'Wenn Sie jetzt einen Komrnilitonen oder eine Kommilitonin aus meiner Studienzeit fragen würden, dann würden die sich kaputtlachen, weil ich wirklich als die absolut regressive Musikwissenschaftlerin galt, bei der die Musik eigentlich bei Mahler aufgehört hat. Heute darf ich das so sagen.Alle reisten nach Donaueschingen, und ich hab'das für einen Riesenquatsch gehalten ... (man möge mir verzeihen!). r Da muss ben haben es ja mal ein Aha-Erlebnis gege- ... Ich kam dann an die Hochschule der Künste nach Berlin. Damals hatte dort Aribert Reimann eine Klasse lw Zeitgenössisches Lied, was damals einzigartig war in Deutschland. Ich hatte ein Stück gemacht mit einer Studentin, die bei ihm Kurse belegt hatte, und dadurch kam er zu meiner Inszenierung, war wahnsinnig berührt davon und hat dann gesagt: (Du kannst doch mit meinen Lied-Studenten szenisch arbeiten!> Durch diesen Kontakt habe ich die Faszination für zeitgenössische Musik bekommen und habe auch gesehen, wie mühsam manchmal der Prozess des Lernens ist, wenn man sich.an gar nichts festhalten kann, und wie kreativ und wie konstruktiv fir die einzelne Person. Die da durchkamen, die haben wirklich zu sich und zu ihrer eigenen Künstlerpersönlichkeit gefunden, weil sie es einfach aus sich machen mussten. Es war diese Nacktheit, die sich nicht auf irgendeine Interpretation oder Tradition stützen kann, und das hat mich natürlich auch als Regisseurin gereizt, weil es mir dabei ja ähnlich ging. r