turkei - Sabrina Hölzer

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Neue Zeitschrift für Musik Juli 2013
tl
TURKEI
NEUE zErrscHRrFT rüR nauslx
# 4-2013
GESPRACH
08
"Schreker geht im Dunkeln nicht>
In Sabrina Hölzers Inszenierungen zeitgenössischer Musik
erlebt das Publikum krafrvoll-sinnliches Thearer I von Lotte Thaler
KLANGMOMENT
14
Einer muss den Anfang machen
Das S'WR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg ist noch zu retten von Dietrich Heißenbüttel
I
THEMA
18 lstanbul hören
Einblicke in die
24
zeitgenössische Musikszene der türkischen Metropole I von Barbara Eckle
Bon pour I'occident!
Der musikalische Orientalismus wird auch in der eigenen türkischen Küche gebraut I von Alper Maral
28
Bruchlinien
Nach den Zusammenstößen im türkischen Musikleben des 20.Jahrhunderts stehen die heurigen
Komponisten des Landes vor einer Vielzahl stilistischer Herausforderungen I vonYi[it Aydrn
32
34
lch heiße die Welt willkommen
Johannes S. Sistermanns im Gespräch mit Erdem Helvacro$lu
Der Faszination erlegen ...
Begegnungen mit der türkischen Musikkultur I von Ulrike Böhmer
40
Das Abenteuer Hezarfen Ensemble
Aus der Praxis eines zeitgenössischen Musikensembles in der Türkei I von Ulrich Mertin
42
Auf Klangsuche am Bosporus
An kreativen Köpfen und Engagement einzelner Protagonisten der neuen Musik mangelt
in Istanbul nicht - wohl aber an der nötigen Infrastruktur I von Stefan Fricke
es
Komponist llhan Mimaroglu I Regisseurin Sabrina Hölzer I Glass' nspuren der VerirrtenD am Linzer Musiktheater Künstler Frank Holger Rothkamm
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Neue Zeitschrift für Musik Juli 2013
Neue Zeitschrift für Musik Juli 2013
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GEsPRACH
(SCHREKER GEHT IM DUNKELN NICHT,,
IN SABRINR uÖIzTRS INSZENIERUNGEN ZEITGENÖSSISCHER MUSIK
ERLEBT DAS PUBLIKUM KRAFTVOLL-SINNLICHES THEATER
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Die 1968 geborene Sabrina Hölzer erlangte durch ihre Regiearbeiten für die Zeitgenössische Oper Berlin, deren
Leitungsteam sie von 1997 bis 201 1 angehörte, internationale Bekanntheit. Mit der Trilogie nlnto the Dark, widmete
sie sich, u. a. mit dem Berliner Solistenensemble Kaleidoskop, zuletzt der lnszenierung und Choreografie musikali-
scher Werke im lichtlosen Raum. Für ihre innovativen Musiktheater-Projekte, Performances und lnstallationen wurde
Hölzer im Juni dieses Jahres der Belmont-Preis der Forberg-Schneider-Stiftung zugesprochen, der mit 20 000 Euro
zu den höchst dotierten Preisen für künstlerisches Schaffen in Europa zählt. Lotte Thaler sprach mit der Regisseurin
kurz vor der Uraufführung ihres neuen Projekts in Hannover.
'
Frau Hölzer, wir sind hier in Hannttuer,
dem Auraphon. Dieses Auraphon bildet
tragskomposition vou Josö Maria Säuclrcz-
einen großen Teil unseles materiellen
Raumes in der Galerie. Es ist ein Instrument, das den auratischen Klang einer
Wrdü.Wontnt geht es in diesen Inseln?
Stin-rme oder eines Musikinstruments
weil hier Ihre Produktior Atlas, Inseln der
Utopie urarfggfiilvt ruird. Das
ist eine
Auf-
Es geht in dem Stück um Utopie
im
Sinne des oNicht-Ortes'>. Eines immateriellen Ortes, der geistig, ideell, poiitisch
oder spirituell geprägt sein kann.Also
Utopien unterschiedlichster Art. Auf musikalischer Ebene ist das neue Stück von
philosophischen und literarischen.Werken
inspiriert, wie z. B. dem Atlas Mnenros),ne
von dem Kunsthistoriker Aby Warburg.
Die Bildersammlung ist ein unvollendeter
Atlas mit Darstellungen ganz verschiedener Bildmedien aus unterschiedlichsten
Epochen und Kulturen, in denen-Warburg wiederkehrende Gesten und Motive
unter dem Begriff der oPathosformelo
sammelte. Da gibt es einen sehr direkten
Bezug zu der Herrenhäuser Galerie in
Hannover, die ja über und über mit Bildern solch antiker und mythischer Formeln bemalt ist. Deshalb gefillt mir der
Ort dafür sehr gut.
Ein anderes Beispiel für die Inspiration
des Komponisten ist das Höhlengleichnis
von Platon, dessen Szenerie in einem Instrument auftaucht, das der Komponist
schon seit vielen Jahren in Zusammenarbeit mit dem Experimentalstudio des
S.WR in Freiburg entwickelt, nämlich
wiedergeben kann, also ähnlich funktioniert wie die Idee bei Platon: Ich schaue
auf einen Schatten von etwas und halte
den Schatten fiir die Sache selbst, weil
sich der eigentliche Gegenstand hinter
mir befindet.
Das oArchipelr, von dem SänchezVerdir spricht, besteht aus sieben Inseln,
die teilweise von Musikern ubewohnt,>,
teilweise unbewohnt sind und in unserer
Inszenierung in Form von Objekten gestaltet sind, die sich mit Utopie im Sinne
des
t
<Nicht-Ortes, beschäftigen.
Welche Utopien brauclten wir lrcute uor
indem er sich achtsam in einer Gruppe
vonAusführenden und Zuschauern und
-hörern bewegt. Es gibt in der Aufüihrung,
den Anweisungen der Partitur folgend,
drei Räume: einmal den Hauptraum, in
dem das Publikum sich befindet - bei uns
die Galerie. Dann gibt es einen zweiten
Raunr, bei uns der Balkon ntit einem
Vorraum, der nach musikalischen Gesichtspunkten geöffnet und geschlossen
wird und akustisch in den Hauptraum
hineinstrahlt. Und dann gibt es einen
dritten, <obligaten> Raum in der Partitur,
der bei uns der Leibniz-Saal im ersten
Stockwerk der Galerie ist und von dem
aus Musik in den Hauptraum übertragen
rn ird. D. h. ich bin als Besucher akustisch
mit verschiedenen Orten konfrontiert,
die ich aber rnateriell nicht betreten
kann.
allem?
Wir
müssen Möglichkeiten finden,
den <realen Ortr zu erhalten, also unsere
Natur. Ich denke, wir sollten in einer Gesellschaft von immer größer werdender
Individualisierung unsere Achtsamkeit
schulen. In unserer Auffiihrung spiegelt
sich das so wider, dass dem Zuschauer
nicht ein Platz zugewiesen wird, sondern
dass er sich innerhalb des Geschehens frei
bewegen und seine Perspektive zu dem
Geschehen selbst wählen kann, also ein
mitschöpferischerTeil der Produktion ist,
'
Wie hören Sie zeitgenössische Musik? Wo-
in erster Lin.ie? Haben Sie da
einen b es timmten Blickuinkel als Regis seuri n ?
Ich versuche erst einmal, die Musik
nur zu hören, ohne etwas darüber zu
wissen oder zu lesen, weil ich mir den
Moment vorstellen möchte, den später
rauJ achten Sie
ein Zuschauer oder Zuhörer erlebt.Also
diesen Erstkontakt sozusagen, ohne viel
Information. Und dann versuche ich mir
vorzustellen, in welcher Situation ich als
Zuhörer emotional sein möchte, urn
Neue Zeitschrift für Musik Juli 2013
diese Musik zu hören. Das ist
fiir mich in
den letztenJahren imnrer wichtigel gervorden, n'eil ich einen Prozess suche, in
deur der Zuschauer als Mitschöpfer teilhat an dem Ganzen. Mich interessiert
heute nicht mehr so sehr, an einem Platz
zu sitzen und mir ettvas anzuschiruen oder
etrvas anzuhören, s'eil ich dann passiver
Teilnehmer bin, sondern ich versuche
eigentlich imnrer in eine Situation zu
kommen, an der der Rezipient selbst
aktiven Anteil hat.
lJnd rvenn es keine Aufnahmen gibt,
fange ich an, die Partituren anzugucken,
zu r:echerrhier-en nnd mich r.nit den Themen -Textebene, Musikebene - auseinanderzusetzen, aber das kommt eigentlich
inurrer erst im zt'eiten Schritt.
Dabei versuche ich, mich tlotzdenl
imnrer rvieder in diesen ersten Moment
zurückznversetzen, damit ich nicht zu
viel voraussetze. Das ist ganz rvichcig, sich
inrmer u'ieder klarzumachen: Derjenige,
der kommt, ellebt das alles zum ersten
Mal, braucht den Kontakt dazu, darf also
nicht aussteigen.
Cibt es.fiir Sie ntrclt ilIusik, wo Sic sagert:
<Danit kattrt ich iibeilraupt nichts anfangen -
'
tueder visrrcll uoch ernotitutal,?
Absolut.Ja, das kenne ich. Ich erlebe
da sehr große lJnterschiede. Ich möchte
Musik physisch annehmen, erst mal. Für
mich ist Musik Schl'ingr1ng, die auf meinen Körper triftt - das ist der Monrent,
der für mich rvichtig ist. Es gibt ja den
analytischen Hörer in der zeitgenössischen Musik, der sich von diesem Körpererlebnis abtrennt und hörend das
Stiick analysiert, der sozusagen intellektu-
ell hört. So ein Hörer bin ich sar nicht,
sondern ich versuche immer, den ph,vsischen, den sinniichen Kont:rkt zu eitrer
Musik herzustellen. Und natürlich stößt
das auch an Glenzen.
' Hnbert Sie ein Beispiel, rt,o Sicge-ra-qt
Itabert: oDas kartrr iclt rritlrt tnadtutr?
Ja,
hin und n'ieder. Ein gutes Beispiel
ist vor diesem Hintergrund die Arbeit, die
mich in den letztenJahren beschäftigt
hat, nämlich die Arbeit in der Dunkelheit. Da rvar ein Bedüfnis, ganz uah au
die Musik heranzukommen, und der
zrveite Schritt rvar, einfach mal auszuprobielen, rvie ich s'irklich höre, rvenn ich
nicht sehe. Hör'e ich dann sensibler, höte
ich anders, *'rrs passiert dann? Und dann
ist mir rvährend der Arbeit aufgefallen,
n'ie vorgepräg! man durrh das Sehen ist.
Wenn ich in einen Konzer:tsaal gehe und
die Musiker auf der Bühne sehe, dalrtr
sehe ich sofort: Das sind so und so viele,
die sind so und so rveit r..'eg, das sind so
tund so vieie Streicher, so und so viele
Bläser
-
das sind alles Prozesse, die laufen
in Sekundenschnelle. So
ordne ich Dinge ein und habe eine bestimmte Errvartung, die u'ie einVorditer
unbervusst ab,
s'irkt.
'Vüenn
bin
r.rnd
ich dagegen in der Dunkelheit
Musik in ganz unterschiedlichen
Entfernungen, in unterschiedLicher Dichte,
in unterschiedlichen Qualitäten, in Bewegung, mit u'ecirseinden Distanzen
rvahrnehme, triflt sie mich total anders.
Ich habe ein anderes Zeiterleben, es ist
viel emotionaler, viel körperlicher. Und
da habe ich genrerkt, dass es Musik gibt,
die in der Dunkelheit nicht funktioniert.
Für rnich zunrindest.'Wie zum Beispiel
Schreker. Schrekel geht im Dttnkeln
nicht.
t
Aber Sr/rrckerr Ä'lrrsiA i-rt doclt seltr sittrt-
lich .,.
Es ist eine sehl sinnliche Musik, aber
sie kriegt ets'as sehr Schrveles. Das ist
genzru das Phänomen, r-iber das rvir gesprochen haben. Es fillt ein Stück Analyse, ein Stück Distanz weg, und mit
manchel Musik lunktioniert das gut, mit
mancher u'eniger gut. Natürlich geht
auch jeder Mensch mit einem anderen
'Willen zur Kontroliaufgabe an Musik
her-an. Es gibt Menschen, die sagen, da
muss noch sonst was komuren und passieren, das u'ar doch noch viel zu rveich
oder zu zahm! Und dann gibt es Leute,
die reagieren schon anfangs ganz, ganz
stark. Zs,ischen diesen Koordinaten be\\/egt uran sich ja immer, zrvischen detr
großen Wahrnehmungsunterschieden der
einzelnen Menscheu. Und das ist genau
der Grund, wilrtlnl ich mich in der letzten Zeit inuner rnehr mit den Zuschauern beschäftige, also mit denen, die kommen: In rvelcher Konstellation, urit u'elcher Prägung? Wie kommt ein Zuschauer
in ein Stück hinein?'Wie hört oder betrachtet er ein Kunsts'erk? Und so versuche ich dann immer, keine Interpretation
von etwas zu liefern, die man so oder so
verstehen soll, sondern Räume zu eröffnen oder Angebote zu machen, in die der
jerveilige Zuschauer mit seinen Möglichkeiten einsteigen kann.
r Sild Sie irts Durtkle
gegattgen, um gerude
dieses vorailssetzrrtryslose
Hörur uticder zu
ennöglicltert?
Es rvaren verschiedene Grtinde. Ganz
einfach die Frustration über dieses Sehen
und Gesehenr",'erden. Das rvirklich einmal
zu eliminieren, indern man das Licht ausmacht, rvar ein fieudvollel Aspekt. Sich
s'irklich nur zu konzentrieren, sich zu
entlasten von Ablenkungen bezüglich des
Hörvorgangs. Von Mortotr Feldrrlan kennt
man Probensituationen von Stücken, in
denen er sagte, die Musiker sollten sich
mit dem Rücken zum Publikum driehen,
um visuelle Eindrücke nicht geltend zu
nuchen. Georg Fr-iedrich Haas hat sogar
ein Streichquartett für die Au{äihrung inr
Dunkeln geschrieben pr iy. Nroa,2003].
hl Moment ist Dunkelheit auch fiir
andele ein Thema und ich glaube, das hat
danrit zn tun, dass rvir in einer Zeit der
Bilderflut leben - mit excremen Möglichkeiten, mit sehr großern Tempo bezogen anf die Bildschnitte im Kino, die
immer schneller und noch schneller rverden. Man hat eine s'ahnsinnige Bilderdut
auf der einen Seite und das zurückweichende Täktile, Körperliche attf der anderen.'Wir sitzen alle viel arn Rechner, rvir
bestellen online, lvir gehen nicht mehr
irgendrvohin, die körperiiche Präsenz
rückt ja immer mehr in den Hintergrund. Alles rvird virtueller. In der Dun-
kelheit ist man entlastet von dieser Bilder{lut und die Schrvingung der Musik
q'ird mehr als okörperlich verbindendo
empfunden, auch deshalb, rveil die Musiker sich um die Menschen bervegen.
r
Ll/onach orientiercn sich die Nlusileer detur
im Dunkeln?
Für uns war es ganz rvichtig, einen
Raum zu finden, in den ich mich als Besucher gerne hineinlege. Das Publikum
liegt ja in hrttt tlrc Dark und muss sich
denr Raum auch anveltrauen. Ftir mich
rvar sehr fi'üh klar, dass ich die Leute aus
logistischen Gründen nicht direkt in die
Dunkelheir reinbringen kann: AIs Höret
komme ich erstmal in einen Raurn hinein, in dem ich sehe, und der muss tuich
aufnehmen, da muss ich mich wohlfüh-len,
so. ljnd dann habe ich einen bildenden
Künstler und einen Berater in diesem
Team gehabt, der blind ist, und eine Mobilitätstrainerin, die blinden Menschen
hilft sich zu orientieren.
Und in diesem Team haben s'ir ein
Leitsystem für den Boden entrvickelt, ein
Neue Zeitschrift für Musik Juli 2013
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G ES
Eine der lnseln in der Rauminstallation zu (Atlas
- lnseln der Utopie,
Raster aus Horizontalen und Vertikalen
aus einern moosgummiartigen Material,
das sich von der glatten Unter{äche leicht
abhebt. Die vertikalen und horizontalen
Linien ergeben Kreuzungspunkte,
PRÄCH
längs
und quer zwischen den Liegen hindurch,
zieren, und gerade das hat diese rvunderbar-en
Musiker vom Solistenensemble Ka-
leidoskop interessiert.
t
Räume, haben Sie gesagt, sind -fiir
Sie
ganz
tuichtig. Suclretr Sie derrrt Iltre Räume auclt
wieder gemacht, und natürlich hat die
Guckkastenbühne auch ihren großen
Zauber.Es gibtja auch bei der konventionellen Bühne Möglichkeiten, die
Räume anders zu nutzen.'Wobei, ehrlich
gesagt,
nich auch interessieren würde,
mal eine wirklich klassische Oper in
einer Form zu machen.
wie auf einem Schachbrett. Die Gänge
sind an einer Seite mit Buchstaben ver-
sagen: <Da möchte iclt unbedingt mal eine
sehen, an der anderen haben sie Zahlen,
Inszenierung oder Peyfornratrce machen r?
und die Choreografien werden dann so
notiert, dass man sagt, man geht jetzt zwei
Kr-euzungen vor, nach drei Kreuzungen
rechts, eine Kreuzung vor, nach einer
Kreuzung links - und auf diese Weise
In den letzten Jahren ist es wirklich so
geworden, dass ich kaum noch mit klassi-
'
schen Bühnenbildnern zusammenarbeite,
eine sehr szenische Musik schreibt.Jeder
Gestus, jedes Augenzwinkern, jede Handbewegung ist da komponiert. Das hat
mich immer sehr fasziniert an Puccini,
baut man praktisch das ganze Stück. So
orientieren sich die Musiker im Raum.
Sie können nicht über die Augen kommunizieren, was Musiker normalerweise
ja sehr stark tun, sie können sich nur
noch über den Atem verständigen. Die
Mitglieder vom Solistenensemble Kaleidoskop haben mir beschrieben, dass sie
diese Arbeit als Ensemble verbunden hat,
weil sie eine andere Art des Zusammen-
selbst aus?
Cibt
es Räunrc, uorr denen Sie
die Räume bauen, sondern dass ich die
Räume aussuche, wie hier in Flannover
die Orangerie. Es gibt aber auch Situationen wie damals in Berlin in der Gemäldegalerie, in denen ich fiir einen spezifischen Raum ein Stück entwickle. Ich
würde z. B. auch sehr gern einmal in
einem antikenTheater arbeiten, an einem
Ort, wo das Wetter verlässlich genug ist,
dass man nicht vor dem Risiko der Absage steht.
Aber nrit der klassisclrcn Opernbiihne könrten Sie sich im Moment tuertiger anfreunden ...
Auch die kann man ganz unterschied-
spielens finden mussten. Für den Aus-
'
druck, das Zusammenspiel und das Erleben entstehen ganz andere Qualitäten.
Das ist nicht das perfekte, oreine> Musi-
lich nutzen. Das haben wir ja auch immer
so
Zum Beßpiel? Mozart,Verdi?
Ich bin ein großer Puccini-Fan, weil er
wie auch diese Angreifbarkeit seiner
Musik. Die Musik kann schrecklich kitschig sein. Buttejly z. B. ist ein ganz tolles
Beispiel, wie das aufgefasst wird - das kann
ja unendlich kitschig sein, und
es
kann
so
ergreifend und erschütternd und überwältigend sein, wenn es eine große Aufrichtigkeit in-r emotionalen Tün hat. In
dem Moment, wo irgendetwas nicht ganz
echt ist, verzeiht man es auch nicht.
Ich habe ja fast nur mit Stücken zu
tun, die vielleicht zwei-, höchstens dreimal aufgeführt werden oder Urauffiih-
Neue Zeitschrift für Musik Juli 2013
nlngerl sind und nur einnral aufgefiihrt
hat es ganz stark zu tr.rn, dass ich jetzt von
rvelden. Das ist natiillich eirre grrnz an-
meiner Seite aus diese Stluktur nicht so
aufsuche, rveil ich aus Erfihrung n'eiß,
dass die praktischen Notrvendigkeiten
eines solchen Betriebs, jeden Abend
dere Herangehens'n'eise. Vielleicht habe
ich mich auch deshalb in diese Richtung
ben'egt, rveil es rvirklich eine Herar.rsforderung ist, ein Sttick, s'as hunderttausend
Mal gespielt n'urde, n'ieder aufzufiihren
und ihm rvieder eine musikalische Lebendigkeit zn verschatTen. Ich rvürde nicht
überaktualisielen.'Wenn ich jetzt ein Repertoirestück inszenieren rvürde, rvürde
ich velsuchen, es in die'W'ahrnehmune
des Pr"rblikr,rnrs zu versetzen. Ich rvürde
arr denrVerhältnis arbeicen, u'ie u'il ein
Stück heute s'ahrnehmen und rvie ich es
in Bezug auf diese Wahrnehmung auf die
Bühne stellen kann, ohne dass es veraltet
rvirkt, ohne es im Sinne der modernen
oVerortungo zu aktualisiercn. Aber die
Frage stellt sich mir im Moment nicht ...
a
Fmgt Sie rtiunatrd? Odcr ruanrtn sirrr/ Sie
rticlü ntal an cittem tmditiorrcllert Openilraus
tätig?
Ich glaube,
es hat
viele Gründe. Einnral
hat es natürlich danrit zu tLln, dass ich i.iber
so
vieieJahre ein Institut nrit aufgebaut
und geleitet habe, das sich prograrunatisch
auf die zeitgenössische Oper bezogen hat.
Und damit gilt man ja auch ganz schnell
als Spezialist, in meinent Fall Spezialistin
ftir zeitgenössisches Musiktheater. Eine
andele Seite ist, dass mich im Monrent
dieses umgehen mit anderen Räunren
tatsächlich sehr stark beschäftigt, und ein
drittel Faktor, dass man an c'inenr Opelnhaus nrit einern bestehenden Ensemble
arbeitet, und oft nrit Mel.rrfachbesetzungen. Ich glaube nicht, dass es zn'ei Prrallelbesetzungen geben könnte, mit denen
ich das gleiche Sti.ick nrachen n'i.irde.
Wenn ich z. B. so eine Rolie rvie die
Butterlly habe, albeite ich sehr intetrsiv
nrit der Person, die da besetzt ist.-Wetrn
das zl'ei verschiedene Ch;rraktere sind,
s'ird die Rolle nati.irlich ;ruch sehr unterschiedlich.Wenn nlarl also parallel in
Zu'eierbesetzungen proben muss, stößt
man auch sehr: stark an infi'astruktureile
Grenzen.
'Werrtr nrau eine Buttcjll, inszeniert
und muss mit dem dritten Akt anfangen,
n'eil der Gast fiir den elsten noch nicl.rt
da ist, dann ist das dramaturgisch ein echtes
Problenr.Wenn ich 's'irklich mir den
Leuten arbeiten nröchte, drnn brauche
ich die einfach vonr ersten bis zum letztcn Trg, sollst kann man diesen intensiven
Prozess nicht eingehen. Ich glaube, damir
spielen zu nrüssen, schrver- sind.
'
Vl/ar das dcr
Cruttd, u,cslralb Sic in die
r ii s s i sc I e r Op c r Bc rl i r r
P rqj e kt e d e r Za i tge
ittuolviert uaren
zu entgclrcn
-
r
t
r
uur sou,ctll diesuu Betrialt
als atrch wirklich Jin' jedc-r
Sriirfr
das riclrtige Errsenblc zu suclrctt?
s'ar es ja rvirklich noch
so, dass gerade die kleineren Stücke im
Seitenprogranlm von Opernhäusern gespielt rvurden, das nran nicht unbedingt
nrit den besten Sängern besetzte. Da gab
es ja noch dieVolstellung, r.nit zeitgenössischer Musik mache man sich die Stirrrrne
kaputt.Wir hatten irnmer die Einstellung,
diese Stücke mtissten besonders gut musiziert und gesungen 'n'erden, und heuce
rveiß nran auch, dass man sich damit
nicht die Stinrme ruiniert, u'enn man die
entsprechende Technik hat. Und deshalb
Vor
*'ar
es
15 Jahren
fiir
nns Programm, die Vielfdltig-
keit del Sti.icke, die nach den Zn'eiten
Weltkrieg entstanden sind, herauszustellen und sie rußerdenr erst einnral so zrr
spielen, u'ie der Konrponist sie sich vorgestelh hat - urrd nicht in der Art uNa ja,
das nrachen rvir so nebenbeilr. Das hatten
n'ir
uns danrals mit del Zeitgenössischen
-fi'eiu,illig beherrscht. Ist cs nicht geradc Arfgabe
-fiudut, artstatt
aul'dcr Biiltrtc zu
des Tlteaters, Cegenbilder ztr
rliese bekartrrtctr Bilder
rcprttduzieru?
Theater ist Kultur und mit denr zunehmendenr Zurückrveichen von Natur
in unserenr kulturellen Raum ist fiir nrich
die Aufgabe del oSzene, gerade, Freiräu-
me zu kreieren, die ich sonst vielleicht in
der Natur hätte.Wolfgang Rihm sprach
in diesem Zusammenhang einnral von
Kunst als uEnergiespeicher,.
Für mich ist Kultur vor diesern Aspekt
der Verdrängung von Natur inrnrer mehr
auch die Möglichkeit, einen Raum zu
finden, in dem ich Ruhe, hrspiration, Assoziationsfähigkeit erfahren kann, einen
Raum in mir selbst. Ein Außenraum, in
dem ich für nreinen inrreren Raum Angebote bekomme, in denr meine Fantasie
lebendig rvird. Eigentlich brauche ich als
Mensch Räutrtc,itr denen ich lebendig
und durrh die ich inspiriert n'er:de.'Wir
haben aile u'enig Raunr.
a
l,lh-finrlen Sie selbst-fiir sich diesen Rarrnr?
Dert tttiisserr Sie,ia auch in siclt salbst spiirert,
trtn iltrr rpiedcrztryebetr.
Ich spüre ihn sehr star-k in del Natur'.
Ich hatte kürzlich ein faszinierendes Ellebnis im Atlantik, rvo ich mit'W'alen getaucht bin.'W'aie haben ja - u'ie Flederrrräuse - ein Sonar, also ein Echolot, nrit
u,ieder in r'öilig neue Zusanulenhänge
zu steilen. Eir-r anderer Grund u'ar anch,
dass ich Veränderungen berrrerkt habe:
Heute rvird an nnoLmalen, Opernhänseur
dem sic sich i.iber Ultraschalhveilen otientieren. Sie können auch mit den Augen
sehen, benutzen also nicht imnr.er diese
Schallu'ellenorientierung. Und sie haben
ein großes Interesse an Menschen.
Ich t'ar dort mit einem Forschungsprojekt, u'o rvir rnit den Tieren geschn'onrnren sind, um dererl'Wirkung auf Menschen zu untersrrchen. Und ich bin mit
ein bisschen Erfahrung in eine Situation
mit drei, vier, fiinf ausgervachsenen 'Walen
sehr viel zeitgenössische Oper gespielt.
uud versclriedenen Jun gtierell gcgangen.
Da besteht nicht r.nehr die dringende
Notu'endigkeit, das so zu verfolgen, n'ie
ich sie- damals gesehen habe. Außerdem
kommt hinzu, dass ich nrich nicht imnrer
nur innerhalb eines solchen Prograrnnrs
bel'egen l'ollte. Für'mich rvurde inrmer
interessanter, selber kreativ zu arbeiten
rund eigene Ideen so urrlzusetzen, s'ie ich
das in den letztenJahren setan habe, anstatt nrich in erster Linie anVorlagen zu
halten.
Es rvar eine rvahnsinnig große Nähe.
Oper Berlin \rorgenomlnen.
'
Sic n,arur dort iibar uielaJnlrre dic szuri-
sdte
Lt'ittritr rrnd sirtd dnrrrt atts,qcsticgett
-
tuantnt?
Einelseits hirt r]1an, \venn l11alt et\l,as
so lange genlxcht hat, das Bedürfnis, sich
a
LI/ir sprncltan vttrlrirt schon iibcr die tnediale
Bildcfilut, die urtsere ll/alrrrtcltrtutrt! arrch rut-
-Wir
schrvar-nmen nmeinander herurn, sie
gleiten dann unter und direkt neben
einem, s'irklich zentinleternah. Es rr'ar
cin Schs'eben und eine fast tänzerische
Nähe miteinander, und da habe ich gedacht: oDas ist eigentlich das, rvas mich
beschäftigt hat in dieser Dunkelheit nrit
den Musikern, die sich um die Leute
herunr bervegen.u Musik ist Schrvingung
- ich habe es besonders empfunden, als
zehn Wale diesen (Jltraschall aussendeten,
da ist man rvie
in einern Intensitätsfeld.
Eine Berührung durch Schall ist eine
Neue Zeitschrift für Musik Juli 2013
physische Berührung. LJnd wenn man
eben nicht spricht, was man ja in einer
Auf{iihrung normalerweise nicht tut, und
auch nichts sieht und sich wirklich auf
diese Schwingung und auf diese achtsame
Bewegung umeinander einlässt, dann hat
Musik ein ganz kreatürliches Potenzial.
Solch starke Naturerlebnisse sind für
mich auch immer eine ganz große Inspi-
ration für die Arbeit.
'
Sie haben Musikwissenschaft, Philosophie,
Pädagogik und Cermanistik studiert und sind
dann doch gleich ans Theater gegangen, haben
sich seitilem
mit zeitgenössischem Musikthea-
ter befasst.Wie kamen Sie denn überhaupt
zur zeitgenössßchen Musik?
'Wenn
Sie jetzt einen Komrnilitonen
oder eine Kommilitonin aus meiner Studienzeit fragen würden, dann würden die
sich kaputtlachen, weil ich wirklich als
die absolut regressive Musikwissenschaftlerin galt, bei der die Musik eigentlich
bei Mahler aufgehört hat. Heute darf ich
das so sagen.Alle reisten nach Donaueschingen, und ich hab'das für einen
Riesenquatsch gehalten ... (man möge
mir verzeihen!).
r
Da
muss
ben haben
es
ja
mal ein Aha-Erlebnis gege-
...
Ich kam dann an die Hochschule der
Künste nach Berlin. Damals hatte dort
Aribert Reimann eine Klasse lw Zeitgenössisches Lied, was damals einzigartig
war in Deutschland. Ich hatte ein Stück
gemacht mit einer Studentin, die bei ihm
Kurse belegt hatte, und dadurch kam er
zu meiner Inszenierung, war wahnsinnig
berührt davon und hat dann gesagt: (Du
kannst doch mit meinen Lied-Studenten
szenisch arbeiten!>
Durch diesen Kontakt habe ich die
Faszination für zeitgenössische Musik bekommen und habe auch gesehen, wie
mühsam manchmal der Prozess des Lernens ist, wenn man sich.an gar nichts festhalten kann, und wie kreativ und wie
konstruktiv fir die einzelne Person. Die
da durchkamen, die haben wirklich zu
sich und zu ihrer eigenen Künstlerpersönlichkeit gefunden, weil sie es einfach
aus sich machen mussten. Es war diese
Nacktheit, die sich nicht auf irgendeine
Interpretation oder Tradition stützen
kann, und das hat mich natürlich auch
als
Regisseurin gereizt, weil es mir dabei ja
ähnlich ging. r
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