Deckblatt für Manuskript

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Hessischer Rundfunk
Hörfunk – Bildungsprogramm
Redaktion: Volker Bernius
WISSENSWERT
Heimatklänge – Dialekt in Deutschland
2. Vaterland und Muttersprache.
Wie Hochdeutsch den Dialekt verdrängt hat
Von
Ulrike Köppchen
Sendung:
Donnerstag, 09. September 2004, 19.05 Uhr, hr2
Samstag, 11. September 2004, 09.30 Uhr, hr2
04-123
COPYRIGHT:
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Atmo: Bundestagsdebatte vom 23.11.1966 um die Vereinheitlichung von Handwerksbezeichnungen...,
kurz frei dann unter Sprecherin, gesamte Passage BT-Debatte mit Atmo unterlegen...)
Sprecherin:
23. November 1966. Im Deutschen Bundestag diskutieren die Abgeordneten über ein ungewöhnliches
Thema: die Vereinheitlichung von Handwerksbezeichnungen.
O-Ton: Bundestagsdebatte
Auf einmal soll es keine Schreiner, keine Spengler, keine Metzger, keine Tapezierer, keine Dekorateure
usw. mehr geben.
Sprecherin:
Zum Beispiel sollte es künftig bundesweit “Fleischer” heißen und nicht mehr Schlachter oder Metzger.
25 süddeutsche Abgeordnete wollen das verhindern, unter ihnen der SPD-Abgeordnete xxx Folger aus
München
O-Ton: Bundestagsdebatte
Da findet man in den Zeitungsartikeln und in den Leserbriefen Charakterisierungen wie: dumm,
überflüssig, bösartig, borniert, Einheitsbrei, geist- und seelenlose Gleichmacherei, anmaßend,
Kommerzjargon, Sprachhegemonie, Bevormundung, Abbau der föderalistischen Freizügigkeit, ...
(ab hier wegblenden und unter Sprecherin...)
Sprecherin:
Neben einigen weiteren Abweichungen waren die Handwerksbezeichnungen bis zu diesem Zeitpunkt
die letzte Bastion regionalen Wortschatzes im ansonsten einheitlichen “Hochdeutsch”. Das offizielle
Verbot des süddeutschen Schreiners zugunsten von Tischler oder des Kaminkehrers zugunsten von
Schornsteinfeger schien den Süden der Republik in seiner kulturellen Identität zu bedrohen.
O-Ton: Bundestagsdebatte
Das geht auch einem sonst recht abgebrühten und dickfelligen Abgeordneten unter die Haut. Wir
fürchten, dass wir in Zukunft nicht mehr “Grüß Gott” oder “Tschüß” sagen dürfen, sondern “Guten
Tag” sagen müssen,
(anhaltende Heiterkeit)
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dass wir nicht mehr “Samstag” sagen dürfen, sondern “Sonnabend” sagen müssen, dass sich der
bayerische Schriftsteller Karl Spengler nicht mehr “Spengler” nennen darf, sondern “Karl Klempner”
heißen muss,
(Abg. Memmel: oder “Flaschner!”)
Sprecherin:
Am meisten schien den Abgeordneten xxx Folger jedoch zu kränken, dass das neue Gesetz die
süddeutschen Handwerksbezeichnungen “mundartlich” nennt:
O-Ton: Bundestagsdebatte
Im übrigen ist darauf hinzuweisen, dass es sich nicht um mundartliche Bezeichnungen handelt. Der
Herr Bundeswirtschaftsminister ist ebenso wie der damalige Mittelstandsausschuss insofern einem Irrtum
unterlegen. Es handelt sich um Ausdrücke aus dem Althochdeutschen. (ab hier runter und unter
Sprecherin weg)
Sprecherin:
“Althochdeutsch” – das scheint offenbar eine Art Gütesiegel zu sein – etwas, das sich nicht so leicht
beiseite schieben lässt wie ein “bloß” mundartlicher Ausdruck. Ob es nun die Berufung aufs
Althochdeutsche war, die den Bayern schließlich einen Sonderstatus eingebracht hat, was die
Handwerksbezeichnungen angeht, oder nicht – in der Argumentation kommt etwas zum Ausdruck, das
nach wie vor in der Alltagsvorstellung vieler weit verbreitet ist. Das Alte ist besser als das Neue,
und Dialekte sind nur verunreinigte Abkömmlinge einer älteren, reinen Sprachform.
Musikakzent:
(Textmusik oder bekannte Melodie, in der die Wertschätzung des Älteren gegenüber dem
Neueren/Jüngeren zum Ausdruck kommt als generell weit verbreitet Haltung...?)
Sprecherin:
An solchen Vorstellungen hat auch die germanistische Sprachwissenschaft lange Zeit gehörig mitgestrickt.
Der Sprachwissenschaftler Markus Hundt von der Universität Dresden:
O-Ton: Markus Hundt
Die historisch-vergleichende Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts hat diese Ideen durchaus in
gewisser Weise noch unterstützt, indem dort ja das Germanische, das Indogermanische, das
Indoeuropäische rekonstruiert wurde, für das es keine Quellen gibt, aber das man natürlich aus dem
genetischen Sprachvergleich rekonstruieren kann, und das wurde auch teilweise als die vorbildliche
Urform dargestellt, von der aus es dann in die einzelnen Volkssprachen in gewisser Weise bergab
ging, aber wissenschaftlich gesehen kann man das keineswegs unterstützen.
Sprecherin:
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In Wirklichkeit war es genau umgekehrt. Werner Besch, emeritierter Professor für Germanistik an der
Universität Bonn und Verfasser einer Reihe von Standardwerken zur deutschen Sprachgeschichte:
O-Ton: Werner Besch
Als Form des Miteinander-Sprechens sind die Dialekte älter. Es gibt viel mehr Dialekte, sie haben
kleineren Wirkungskreis, aber als Existenzform der Möglichkeit, dass Menschen miteinander sprechen,
sind am Anfang nur Dialekte, und deshalb gibt es sehr viele, und wir haben eine Formel//
Sprachgemeinschaft ist Verkehrsgemeinschaft und Vekehrsgemeinschaft heißt, ich muss mit denen
sprechen oder Kontakt haben. So bildet sich dann ein Dialekt, überall in der ganzen Welt. Die
übergreifende Sprache, unsere Hochsprache, sind Spätprodukte, ganz eindeutig.
Sprecherin:
Der Dialektforscher Heinrich Löffler drückt es noch deutlicher aus. Er schreibt:
Zitator:
Die deutsche Einheitssprache ist, wie man heute weiß, nicht die Kodifizierung des meissnischen oder
ostmitteldeutschen Dialekts. Sie ist vielmehr eine Kunstsprache, die als Kompromissform aus fast allen
deutschen Dialekten entstanden ist.
Sprecherin:
Hochdeutsch – ein Kunstsprache? Das zu akzeptieren, fällt offenbar auch heute noch nicht leich t.
Schließlich ist die deutsche Sprache für viele eine Herzensangelegenheit. Werner Besch:
O-Ton: Werner Besch
Wenn man jetzt von dem Ansatz kommt, die Ursprungssprache ist gesprochen und immer in kleiner
Münze, das heißt in kleinen Regionen, ist es eine Kunstsprache, weil sie ursprünglich in dieser Form
nie gesprochen worden ist, sie ist zusammengefügt worden und die Grammatiker haben mit dran gewirkt,
aber diese Kunstsprache ist fähig, alles auszudrücken, sowohl Gefühle als auch Abstraktes, da würde
ich mich wehren, weil nämlich ne Kunstsprache könnte dann auch irgendwie blutleer sein, ich kann
in Hochdeutsch Liebeserklärungen machen, im Dialekt ist das manchmal schwieriger, weil da die Wörter
nicht so differenziert sind, also Kunstsprache ja, weil spät, und weil irgendwie mit Menschen-Mitwirken
auch geschaffen und ausgewählt, aber nicht als ein Art Kunstprodukt, das dann auch so etwas negative
Seiten hat.
Musik, kurz frei dann unter Zitator:
Zitator oder CD: Hugo von Trimberg: Renner
Swer tiutsche will eben tihten,
Der muoz sin herze rihten
uf manigerleie sprache:
Swer went daz die von Ache
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reden als die von Franken,
dem süln die miuse danken.
Ein ieglich lant hat sine site,
Der sinem lantvolke volget mite.
An sprache, an maze und an gewande
Ist underscheiden lant von lande.
Sprecherin:
So beschreibt der Würzburger Dichter Hugo von Trimberg um 1300 in seinem Epos “Der Renner”
die sprachliche Zersplitterung des damaligen Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation. Überregional
verständigen konnten sich nur damals die, die Lateinisch sprachen – oder fahrende Dichter.
Musik/Atmo (von CD): kurzer Ausschnitt aus mittelhochdeutschen Lied/Epos, evtl. noch mal der Renner,
wo die einzelnen Dialekte beschrieben werden., kurz frei, dann unter O-Ton weg.
O-Ton: Werner
Besch
Die Dichter dort, die sind von Hof zu Hof gezogen und haben vorgetragen und da ist etwas
gelaufen//die auffallenden Dinge, kleine regionale Dinge lässt man weg, und dadurch entsteht die
erste Schritt zur Überregionalität, insofern sprechen wir von einer mittelhochdeutschen Dichtersprache,
die aber schon hier im Rheingebiet übersetzt werden musste oder geändert werden musste, auch im
Ostmitteldeutschen geändert werden musste, aber doch immerhin verständlich war so in einem größeren
süddeutschen Raum mit angrenzenden Übergängen zum Mitteldeutschen.
Sprecherin:
Etwa seit dem Jahr 1000 taucht das Wort “diutisk” - “deutsch” in Quellen auf, aber es bedeutet
zunächst einfach nur “Volkssprache”, im Gegensatz zum Lateinischen. Werner Besch:
O-Ton: Werner
Besch
Der Hintergrund ist noch nicht die gemeinsame Sprache, sondern die Familie, also zur Sprachfamilie
gehörig, weil man sich natürlich absetzen kann vom Romanischen und vom Slawischen und insofern
sind’s dann solche Außengrenzen, alles was da drin ist, ist dann deutsch, aber die Deutschen haben
sich manchmal von einem Extrem zum anderen nicht verstanden.
Jemand von der Waterkant und jemand vom Bodensee hätten sich nicht verstanden. Und ich hab
meinen Studenten häufiger gesagt: die haben dann nur das Visier runterlassen können und den Kampf
beginnen.
Musik
+ Zitator
Bibelstelle im ursprünglichen Lutherdeutsch, kurz frei, dann unter O-Ton weg..
Folgt
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O-Ton: Werner Besch
Die deutsche Vielfalt ist nicht bezwungen worden durch einen Königshof oder Kaiserhof, wir haben
kein King’s English, kein Kaiser’s German, das gibt’s nicht, weil es solche großen Städte wie Paris
und London nicht gegeben hat, //Keine weltliche Autorität hätte diese Aufteilung in drei, vier große
Sprachbereiche überwinden können – es war die Bibel.
Bibelstelle/Musik kurz hoch s.o.
Sprecherin:
Das neue Testament, von Martin Luther 1522 erstmals ins Deutsche übersetzt, war für die
“hochdeutsche” Sprachentwicklung äußerst wichtig: Zum ersten Mal gab es ein Buch auf deutsch,
das über die engen Grenzen einer Sprachregion hinaus viele Menschen erreichte. Vielen galt der
Reformator Luther deshalb lange Zeit als eigentlicher Schöpfer des Hochdeutschen. Allerdings hat Luther
keine Wörter erfunden, sondern nur “dem Volk aufs Maul geschaut”. Er musste also aus den
verschiedenen Möglichkeiten auswählen, für einen griechischen Begriff einen deutschen zu finden. Und
dabei ist er meist ganz pragmatisch vorgegangen.
O-Ton: Werner Besch
Wenn ein Wort schon eine relativ große Verbreitung hatte in diesem, was dann deutschsprachig heißt,
dann war die Chance sehr groß//das bedeutet, dass natürlich Randlandschaften, Randwörter wenig
Chance hatten. Man brauchte eigentlich Quantität ein Stück weit. Die dominierenden Landschaften, das
ist eigentlich so der Nürnberger Raum, wir nennen das Ostfränkisch, dann wenn Thüringen und Sachsen,
und wenn dann noch Nordbayern dazu kam, das war die Schiene, auf der Luther dann wohl eher
orientiert war.
Sprecherin:
Luther hat vorwiegend Wörter verwendet, die in der Mitte und im Süden Deutschlands gebräuchlich
waren. Nicht in jedem Fall, aber häufig haben sich die Wörter durchgesetzt, die Luther ausgewählt
hat.
Wer kennt zum Beispiel heute noch das Wörtchen “dicke”, das zu Luthers Zeit fast im gesamten
deutschen Sprachraum anstelle von “oft” verwendet wurde? Nur in einem Teil Bayerns und in Ostfranken
hieß es schon damals “oft ”. Luther entschied sich für oft und das ist auch das Wort, das wir heute
benutzen
Erstes Opfer der Sprachvereinheitlichung waren die niederdeutschen Dialekte: Im protestantischen Norden
Deutschlands verbreitete sich die Lutherbibel natürlich rasend, zunächst erschien sie in niederdeutscher
Übersetzung, nach einigen Jahrzehnten dann nur noch im Original, im damaligen Hochdeutsch. Joachim
Herrgen, Sprachwissenschaftler aus Marburg:
O-Ton: Joachim
Herrgen
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Dieses Niederdeutsch war eine Sprache für sich, und dort ist gewissermaßen diese hochdeutsche
Sprache, die Schriftsprache, wie eine Fremdsprache übernommen worden und hat den Dialekt in weiten
Teilen ersetzt, so dass wir dort nur noch einen relativ geringen Dialektgebrauch haben.
Sprecherin:
In Norddeutschland wurde es in den besseren Kreisen schnell Mode, so zu sprechen wie es in der
Bibel steht. Dialekt, also Platt, war im Norden deshalb schon im 17. Jahrhundert verpönt und ein
Zeichen von niedrigem sozialen Status.
Anderswo klappte es nicht so reibungslos mit der Übernahme des Lutherdeutsch. Im katholischen Süden
Deutschlands wehrte sich die Kirche mit Händen und Füßen gegen die neue Bibel, gab eigene
Bibelübersetzungen in Auftrag, und die Frage, welches die “richtige” deutsche Sprache sei, wurde
zum Gegenstand eines Konfessionsstreits
Zitator:
Freylich haben die Katholiken aus diesen Werken viel Gift gesogen. Wenn nichts wäre als das lutherische
E, das sie sich durch Lesung desselben allmählich angewöhnten, immer schade genug! Es klang doch
ehemals so genuin katholisch: die Seel, die Cron, die Sonn, die Blum, und nun schreiben die unsrigen
fast durchgängig: die Seele, die Krone, die Sonne, die Blume, wie die leibhaftigen Ketzer auch
schreiben. In Wahrheit, man sollte sich schämen!
Sprecherin:
So heißt es noch Ende des 18. Jahrhundert in einer badischen Zeitschrift. Zum gleichen Zeitpunkt
wird zum Beispiel wird aus Würzburg berichtet, dass Sterbende sich weigerten, von einem Kaplan
die Sakramente anzunehmen, weil sie ihn aufgrund seiner Aussprache für lutherisch gesinnt hielten.
Musik, darüber:
Zitator:
Barocker Text zum Dreißigjährigen Krieg (kommt noch...)
Sprecherin:
Deutschland in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Schätzungsweise ein Drittel der Bevölkerung fällt
dem Krieg zum Opfer. Nirgendwo sonst gibt es mehr Tote, Zerstörung, Verwüstung. Um dem Land
wieder auf die Beine zu helfen, werden auch sogenannte patriotische Sprachgesellschaften gegründet.
Der Germanist Markus Hundt von der Universität Dresden:
O-Ton: Markus Hundt
Das war sozusagen der Anlass, die Ursache für die Gründung der Sprachgesellschaften. Es hat die
Idee gegeben, wenn wir es schaffen, die Sprache wieder aufzuwerten, wenn wir es schaffen, quasi
der Sprache ihr eigenes Recht zurückzugeben, dann folgt die moralische, sittliche Hebung des Verhaltens
automatisch. Das ist natürlich eine Denkweise, die uns heute etwas fremd ist, aber das muss man
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einfach zur Kenntnis nehmen, dass hier diese Verbindung zwischen Handeln, Denken und Sprechen
noch viel enger gesehen wurde im 17. Jahrhundert als heute.
Sprecherin:
Deutsch ist nicht hoch angesehen in dieser Zeit. Wer etwas auf sich hält, spricht Latein oder Französisch.
Das wollen die patriotischen Sprachgesellschaften ändern. Die bekannteste und bedeutendste unter
diesen Sprachgesellschaften ist die sogenannte “Fruchtbringende Gesellschaft” mit knapp 900, meist
protestantischen Mitgliedern. Drei Viertel von ihnen sind Adelige, den Vorsitz hat Fürst Ludwig von
Anhalt-Köthen, aber die eigentliche Arbeit machen die Bürgerlichen. Sie sind es, die Grammatiken
erarbeiten und sich Gedanken über Rechtschreibung machen. Doch zunächst geht es darum, der
deutschen Sprache eine respektablen Stammbaum zu verschaffen.
Zitator:
“Es haben unsere uhralte Teusche Vorfahren eifrig in acht genommen ihre MutterSprache/
dieselbe frey und reinlich gebraucht/
behalten/
und ihre Kinder gelehrt/
mitnichten/
(wie etliche critici treumen und alfentzen) von jhren Feinden jhre Rede erbettelt. Sondern vielmehr
haben alle Europeische Sprachen viele Wuertzeln/Woerter/Saft/Kraft und Geist aus dieser reynen
uhralten Haubtsprache der Teutschen.”
Sprecherin:
Das schreibt der Grammatiker Justus Georg Schottel 1663 in seiner “Ausführlichen Arbeit von der
teutschen HauptSprache”. Früher, behauptet Schottel, hätten also nicht die Deutschen fremde Sprachen
übernommen, sondern angeblich hätten sich andere beim Deutschen bedient.
Gelegentlich treibt die Suche nach der glorreichen Vergangenheit des Deutschen auch seltsame Blüten:
In der Stadtbibliothek von Colmar im Elsass befindet sich eine Handschrift, in der ein anonymer
“Reformers vom Oberrhein” aus dem 16. Jahrhundert, beweisen will, dass Adam, der erste Mensch,
ein Deutscher war.
Zitator: (übersetzung)
In der Arche Noah gab es nur die Sprache Adams, und die war Deutsch und hat Noahs Sohn Jap
het an den Rhein gebracht. So ist es dazu gekommen, dass wir Deutschen die Sprache Adams haben.
Daraus kann man wahrlich verstehen, dass Adam ist ein deutscher Mann gewesen. Darum heißen
wir Deutschen in allen Sprachen “alemann”, weil vor der Zerstörung Deutsch allen Mannes Sprache
war.
Sprecherin:
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Diese abenteuerliche Legende bezieht sich auf die biblische Geschichte vom Turmbau zu Babel. Dort
ist die ursprüngliche Einheitssprache aller Menschen in 72 Einzelsprachen verwirrt worden. Aber da
Noahs Sohn Japhet, nach biblischer Vorstellung der Stammvater der Europäer, nicht mit dem Rest
der Menschheit nach Babel ging, sondern nach Basel, war Deutsch – die Ursprache der Menschheit
- gerettet.
Für viele Mitglieder der barocken Sprachgesellschaften ging es nun darum, diese “uhralte Hauptsprache”
Deutsch wieder von fremden Einflüssen zu reinigen. Dazu mussten für die vielen Fremd- und Lehnwörter
deutsche Wörter erfunden werden. Darin hat sich der Barock-Schriftsteller Philip von Zesen hervorgetan.
Hundt
Er war auch ein teilweise kurioser Verfechter von Eindeutschungsvorschlägen, Jungfernzwinger für das
Kloster oder der Gesichtserker für die Nase, aber er hat natürlich auch Eindeutschungsvorschläge
gemacht, die übernommen worden sind, und die sind natürlich heute so in der Weise nicht mehr markiert.
Also, das ist einfach ein i ntensives, engagiertes Eintreten für die deutsche Sprache, ein
Verfügbarmachen der Welt mit Hilfe der deutschen Sprache, was das Ziel war.
O-Ton: Markus
Sprecherin:
Und da es darum ging, Deutsch als Kultursprache zu etablieren, standen die Sprachgesellschaften den
Dialekten natürlich feindlich gegenüber. “Die Schrift soll die Rede bilden”, forderte der Dichter Georg
Philipp Harsdörffer 1643. Dialekte seien völlig regellos und entartete Sprachen, lediglich Provinz- und
Pöbelsprache, fanden die Grammatiker, und sich mit ihnen zu beschäftigen, war in ihren Augen reine
Zeitverschwendung,…
Zitator:
eine unnöthige, närrische Arbeit, von jedwedem Worte derselben viele Hunderte, ja Tausende sein,
einen sonderlichen Senf [zu] machen, und wie es in vielen Dialectis geändert, zerbrauchet,
geradebrochen, verhärtet, verkürzt und verschleudert werde... ist auch dem studio linguae Germaniae
damit wenig gedient, dass Einer wisse, wie ein teutsches Wort in der Schweiz, in Österreich, in Franken,
in Meißen werde ausgesprochen.
Sprecherin:
Die Motive der Sprachgesellschaften waren patriotisch - im Vaterland sollte die Muttersprache gesprochen
werden. Nationalisten im heutigen Sinne seien sie dennoch nicht gewesen, meint Markus Hundt, weder
hätten sie die Gründung eines Nationalstaates gefordert noch sich als Teil einer wie auch immer gearteten
“Gemeinschaft aller Deutschen” empfunden.
O-Ton: Markus Hundt
Der Bezugsraum war rein die Sprache, und das ist etwas, was für die Späteren schwer nachvollziehbar
war. Deswegen wurde auch im 19. Jahrhundert gerade durch den allgemeinen deutschen Sprachverein
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versucht, die Ziele der fruchtbringenden Gesellschaft, der Sprachgesellschaften im 17. Jahrhundert zu
vereinnahmen, dass man gesagt hat, seht her, im 17. Jahrhundert waren sie schon so national gesinnt,
dass sie sich um die Sprache gekümmert haben, da können wir von denen was lernen, das ist allerdings
ein Fehlschluss, denn diese Verbindung zu Politik im Sinne einer Einheitssprache kann man in der
strikten Form für das 17. Jahrhundert noch nicht ziehen.
Sprecherin:
Die Wende zum Nationalismus kam erst im 19. Jahrhundert.
O-Ton: Markus Hundt
Da haben wir natürlich das markante Datum Befreiungskriege, napoleonische Ära 1815, und da wird
natürlich auch die Sprache immer mit erwähnt, und sie ist natürlich ein ganz wichtiges Vehikel, denn
woran sollte man sich dann festhalten, wenn nicht an der Sprache als einigendes Band?
Musik: Ernst Moritz Arndt: Was ist des Deutschen Vaterland?
Sprecherin:
Dialekt war für die Sprachnationalisten des 19. Jahrhunderts kein Thema, obwohl nach wie vor im
Volk Hochdeutsch wenig verbreitet war. Es galt, eine Sprache gegen vermeintlich feindliche Einflüsse
von außen zu schützen, die im Alltag kaum benutzt wurde. Werner Besch:
O-Ton: Werner Besch
Das Allg. Dt. Sprachverein 1895 wurde er etwa gegründet, mit 30.000 Filialen im deutschen
Sprachgebiet und im Ausland, die haben 10 Verdeutschungswörterbücher für Gastronomie, für die
Eisenbahn usw. deshalb haben wir immer noch Unterschiede, in der Schweiz heißt es immer noch
perron und billet, wir haben das Gleis und die Fahrkarte. Der Dialekt war für sie nicht interessant,
sondern Schriftlichkeit und Abwehr des Fremden.
Sprecherin:
Für die weitere Vereinheitlichung der Sprache innerhalb Deutschlands sorgte im 19. Jahrhundert vor
allem die Schule. In Preußen wurde die Schulpflicht schon vor etwa 200 Jahren eingeführt, in den
anderen deutschen Teilstaaten erst im Laufe des 19.Jahrhunderts, (nicht erst mit der
Reichsgründung 1871 ?). In der Schule konnte fortan jedes Kind lernen, was “richtiges ” Deutsch
ist. Nur – wie sprach man es eigentlich korrekt aus?
O-Ton: Werner Besch
Es gab im Gegensatz zu anderen Ländern bei uns für die Orthographie wie auch für die Aussprache
eine Kommission, und das war 1898 für die Aussprache die Siebs-Kommission. Theodor Siebs, der
hat zunächst einmal einige Jahre schön empirisch zugehört bei den Proben der verschiedenen
Sprechtheater in Deutschland und dann hat er versucht, herauszufinden, gibt’s vielleicht eine Aussprache,
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die die größte Verbreitung hat, und dann kamen solche Sachen wie: darf ich sagen “guten tach”
oder guten tag, und das hat er verboten, deshalb, wenn die Norddeutschen Guten Tach sagen, dann
ist das falsch nach Siebs.
Sprecherin:
Eine Expertenkommission aus Germanisten und Theaterleuten sollte festlegen, wie man in ganz
Deutschland einheitlich die Wörter ausspricht. Zum Beispiel sollte man “Könich” sagen und nicht “könig”,
aber “Sieg” und nicht “Siech”, Märchen und nicht Merchen,
Für das Verständnis im Alltag war das nicht unbedingt nötig: Gebildete jedenfalls konnten sich schon
lange vorher untereinander verständigen. Werner Besch:
O-Ton: Werner Besch
aber man wusste viel deutlicher als heute, wo die Leute herkommen. Schiller hat gereimt nach
süddeutschem Muster, oder Goethe: ach neische, du schmerzensreische, so hat er’s auch gesprochen
und geschrieben ursprünglich, später wurde das zu g verwandelt...
Sprecherin:
Bei “einfachen” Leuten konnte das manchmal schon anders aussehen, meint Werner Besch:
O-Ton: Werner Besch
Noch im Ersten Weltkrieg, da haben wir nun Zeugnisse von Germanisten, haben sich in bestimmten
Regimentern, Bataillonen die Landschaften nicht so richtig verstanden, oder man hat sie so sortiert,
dass sie sich verstehen, aber dann haben sie wieder den Major nicht richtig verstanden, der aus einer
anderen Landschaft kam.
Sprecherin:
Dem sollte Theodor Siebs “Deutsche Bühnenaussprache” Abhilfe schaffen. Trotz des Titels ging es
nicht darum, einen Leitfaden für Schauspieler zu entwickeln, wie sie die Wörter auf der Bühne
auszusprechen haben, sondern das Buch legte allgemein gültige Regeln für die deutsche Aussprache
fest. Bei weitem nicht alles hat sich durchgesetzt. Joachim Herrgen, Professor für Sprachwissenschaft
an der Universität Marburg:
O-Ton: Joachim Herrgen
Ende des 19. Jahrhunderts hatten wir in Deutschland eine Normierung der deutschen Aussprache und
in diesem Werk ist damals festgeschrieben worden, dass dieses gerollte r mit der Zungenspitze die
ideale Bühnenaussprache im Deutschen sei. Soweit hat sich die Sprache inzwischen verändert, dass
wir es inzwischen fast für ein dialektales Merkmal halten.
Atmo alte Rundfunkreportage (CD)
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Sprecherin:
Ursprünglich war die Deutsche Bühnenaussprache auch für den Schulunterricht gedacht, aber bis zum
Ende des Zweiten Weltkriegs, bis 1945, ignorierten die meisten Schulbücher Fragen der korrekten
Aussprache. Nicht einmal die Deutschlehrer beherrschten damals Deutsch im Sinne der
“Bühnenaussprache”. Wichtiger für die Vereinheitlichung der Aussprache waren insofern eher Rundfunk
und Fernsehen, wo geschulte Sprecher einer breiten Bevölkerung korrektes Deutsch vorsprachen.
Dennoch ist die Aussprache derjenige Bereich, in dem sich Sprachregionalismen am längsten gehalten
haben. Auch heute noch beherrscht kaum ein Deutscher die strengen Ausspracheregeln seiner
Muttersprache – nicht einmal ein Germanistik-Professor. Werner Besch:
O-Ton: Werner Besch
Irgendwann durfte ich dann den Studenten in Oslo etwas sagen über Soziolinguistik im germanistischen
Seminar dort, und nach dem Vortrag kam ein Mann mittleren Alters heraus und sagte zu mir: Herr
Kollege Besch, es war sehr schön, und dann haben meine Augen gestrahlt, man soll nicht so früh
strahlen, er sagte dann nach einer Pause, Sie haben 20 Fehler gemacht! In der Aussprache.
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