Denkt in die Breite! - BFH-AHB

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Zum NewsLetter 220 vom 19. Oktober 2016
Interview mit Peter Schürch,
Architekt SIA SWB
Professor für Architektur, Berner Fachhochschule, Burgdorf
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«Denkt in die Breite!»
Ästhetik und Technik – zahlreiche Architektinnen und Architekten
sehen in diesen Begriffen noch immer ein Gegensatzpaar. Sie
befürchten, dass Vorgaben der Technik die gestalterische Freiheit
einschränkt. Der Kurs «Zukunftsgerechte Architektur» des energiecluster.ch will diesen Befürchtungen mit Fakten entgegentreten.
Referentinnen und Referenten werden zusammen mit Vertretern
der Bauindustrie zeigen, dass sich architektonische Anliegen und
technische Innovationen zugunsten einer nachhaltigen Bauweise
und einem energiesparenden Betreib von Liegenschaften ergänzen
können. Unter ihnen ist Professor Peter Schürch, ein intimer
Kenner des dritten Elements, der neben Technik und Ästhetik die
Wirksamkeit der zukunftsgerechten Architektur sicherstellt: die
aktuellen Standards.
Wie lässt sich aktuell Qualität in der Architektur definieren? Was hat sich bei den
Qualitätsüberlegungen in den vergangenen Jahren verändert?
Qualitätsvoll bezeichne ich Architekturprojekte welche städtebaulich sensibel, präzise gesetzt
und verortet sind, die einen sorgfältig gestalteten, attraktiven Aussenraum aufweisen,
Gebäude, die gestalterisch und als gesamtes Werk überzeugen. Die Postulate der
Nachhaltigkeit sind bei diesen Projekten selbstverständlich berücksichtigt, sie verleihen der
Architektur zusätzliche Breite und Tiefe. Diese Qualitäten können in einem Wettbewerbsverfahren eingefordert und juriert werden.
Zeitgemässe gute Architekturprojekte überzeugten, schon immer durch eine hohe
gestalterische Qualität. Das Immaterielle, die Raumwirkungen, die Raumabfolgen, die
Lichtführung, die Materialisierung und die Art der Konstruktion geben der Architektur ihren
Gehalt. Bauwerke sind in den letzten Jahren kommerzieller, komplexer und kühler geworden.
Ein kleiner Teil von ihnen weist eine ganzheitliche, sorgfältige und zukunftsfähige Planung und
Realisierung auf.
Standards im Bereich Energieeffizienz vermitteln in der Regel physikalische Kennwerte oder
Verbrauchszahlen, die es einzuhalten oder zu unterschreiten gilt. Das heisst, Architektinnen
und Architekten müssen in diesem Gebiet Berechnungen und verbindliche Schätzungen
anstellen. In welchem Zeitpunkt des Entwurfsprozesses sollte man diese Aufgabe in Angriff
nehmen? Welche Kompromissspielräume sollte man sich offen lassen?
Eine gewisse planerische Offenheit sollte bei jedem Projekt bewahrt werden. Zum Zeitpunkt
des Entwurfes ist festzulegen, ob beispielsweise ein Passivhaus geplant und gebaut wird –
eigentlich sollten in unserem Land heute wegen dem Klimaabkommen nur noch Passivhäuser
entstehen! Die Betriebsenergie ist ein Parameter eines Architekturprojektes wie jeder andere
auch. Zu bedenken gilt: Nachträglich kann nur mit viel Aufwand und meistens einem massiven
Einsatz von Gebäudetechnik korrigiert werden, wenn überhaupt. Beim Konzipieren einer
angemessenen, langlebigen Tragkonstruktion und weiteren wichtigen Aspekten ist es ähnlich.
Wie weit können Architektinnen und Architekten diese Berechnungen überhaupt noch
persönlich vornehmen und die Resultate verantworten? Ab wann ist der Beizug von
Fachpersonen ratsam?
Planende können, wenn sie sich mit Fragen der Nachhaltigkeit und der Energie
auseinandersetzen, sehr wohl die wichtige Funktion des Gesamtleiters ausüben und
Verantwortung fürs ganze Bauwerk übernehmen. Nur mit Interdisziplinarität können allerdings
die heutigen Anforderungen erfüllt werden, Fachplaner sind ja von Projektbeginn an dabei.
Architektinnen und Architekten müssen unbedingt etwas von der Materie Energie verstehen
aber nicht mehr selbst Berechnungen machen auch wenn dies wünschbar ist.
Gut gestaltete, nachhaltig gebaute Passivhäuser sind rar, jedoch machbar. Hinter diesen
Projekten steht immer ein Planungsteam mit einem Primus inter Pares, welcher die
Gesamtverantwortung übernimmt.
Welche Kompetenzen vermitteln Sie diesbezüglich im Umgang mit Standards an den Kursen
«Zukunftsgerichtete Architektur» des energie-cluster.ch?
Mir persönlich ist es wichtig zu vermitteln, dass wir für den Menschen bauen, nicht in erster
Linie für den Investor. Wir Planende haben eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft
und der Umwelt wahrzunehmen. Architektinnen und Architekten sollen sich mit den Themen
Nachhaltigkeit, Energie, graue Energie, Lifecycle und Ökonomie genauso beschäftigen wie mit
Städtebau und Gestaltung. Ich will aufzeigen, dass es sich lohnt, zusätzliche Wissensgebiete
zu erschliessen, sich neue Kompetenzen zu erwerben und Innovationen zu verfolgen, um die
eigenen Projekte ganzheitlicher zu entwickeln. Wenn es komplex wird, ist man wohl in der
richtigen Spur, doch gilt es, nie den Blick fürs ganze Bauwerk zu verlieren.
Seid oder bleibt kritisch, ist die Kernaussage meiner Ausführungen: ein erfülltes Label, ein PVDach oder eine tiefe Energiekennzahl alleine ergeben nie ein qualitätsvolles Gebäude.
Ein wichtiges Anliegen des energie-cluster.ch ist neben einer ästhetisch befriedigenden
energieeffizienten Architektur auch das Plusenergie-Gebäude (PEG). Wie entwickelt sich
dieses aus Ihrer Sicht?
Plusenergiegebäude und Direktgewinnhäuser haben ein gosses Potenzial. Sie sind in den
letzten Jahren ihrer Rolle als Nischenprodukt entwachsen. Gerade beim CH-Solarpreis und
insbesondere beim Norman Foster Award erkenne ich als Jurypräsident diese Entwicklung. Es
gilt wie bereits formuliert: Ein Plusenergiegebäude ist nicht per se ein gutes, zeitgemässes
Bauwerk. Die Qualität der eingereichten PEG-Bauten nimmt jedoch zu, dies ist die gute
Nachricht.
Die Schweiz sollte über den nächsten Baustandard, die PEGs und DEGs, nachdenken und
sich frühzeitig klare Ziele stecken. Es lohnt sich, so kommen wir weg vom Öl und bewegen uns
hin zu ausschliesslich erneuerbarer Energienutzung.
Als Professor an der Berner Fachhochschule leiten Sie unter anderem das MAS in
nachhaltigem Bauen. Sie befinden sich also gewissermassen an der Front des aktuellen
Geschehens in punkto Nachhaltigkeit und Energieeffizienz. Was geben Sie von Ihrer
«Fronterfahrung» den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Kurses «Zukunftsgerechte
Architektur» mit?
Denkt Eure eigenen Projekte in die Breite, nehmt eine 360-Grad-Sichtweise ein, für den
Menschen, gleich zu Projektbeginn – diese Devise bestimmt meine Ausführungen. Sie
blockiert weder eine überzeugende Architektur noch schlüssige Konzeptideen oder neue
städtebauliche Ansätze. Die gestalterischen Möglichkeiten und Freiheiten sowie die
ökonomischen Lösungsansätze werden dadurch ebenfalls nicht behindert, vielmehr gelingen
auf diesem Weg vielschichtigere, menschlichere, zeitgemässere und gleichzeitig regional
verortete Projekte. Ein echter Gewinn für die Gesellschaft und unsere Zukunft.
Kontakt:
Peter Schürch
Prof. für Architektur
Berner Fachhochschule
Architektur, Holz und Bau
Pestalozzistrasse 20, Postfach 1058
3401 Burgdorf
[email protected]
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