Das neue Bild der Saurier Das neue Bild der Saurier

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Das neue Bild der Saurier
Das neue Bild der Saurier
Das neue Bild der Saurier
Saurier als Erfolgsmodelle
der Evolution
Rainer Schoch
Dieses Buch handelt von einer der spannendsten Geschichten,
die das Leben auf der Erde geschrieben hat: dem Werden und
Vergehen der Saurier, einer der erfolgreichsten Tiergruppen der
Erdgeschichte. Wir wollen hier ein grundsätzlich neues Bild der
urzeitlichen Riesen vermitteln, das den jüngsten Erkenntnissen
Rechnung trägt. Unser Wissen über diese Tiergruppe hat sich allein im letzten Jahrzehnt nahezu verdoppelt, und der Wissenszuwachs beschleunigt sich immer weiter. Fast täglich werden irgendwo auf der Welt neue Saurier entdeckt oder beschrieben
oder es wird von sensationellen Entdeckungen berichtet, die gängige Hypothesen widerlegen. Nie zuvor haben sich so viele Forscher mit dem Leben und Ableben, der Geburt, der Brutpflege,
dem Wachstum, der Ernährung und Verdauung sowie nicht zuletzt auch dem spektakulären Aussterben von Tieren beschäftigt,
die seit über sechzig Millionen Jahren nicht mehr existieren. Und
das öffentliche Interesse an diesen Entdeckungen wächst ebenfalls: Die Faszination, welche von diesen Themen ausgeht, kennt
keine Altersgrenzen und hat inzwischen Menschen in allen Ländern erfasst.
Was hat zu dem Wandel in der Wahrnehmung der Saurier geführt und wie sieht das moderne Bild aus? Wir wissen heute, dass
die Saurier seit dem Beginn des Erdmittelalters vor rund 250 Millionen Jahren sehr rasch eine enorme Artenvielfalt hervorgebracht haben. Die letzten Jahrzehnte haben unglaublich viele
neue Daten geliefert, die das belegen. Beeindruckend ist jedoch
nicht nur die rapide Vervielfachung der Artenzahl, sondern auch
die Besiedelung nahezu aller Lebensräume, die diesen Tieren damals gelungen ist. In geologisch kürzester Zeit schwangen sie sich
zur dominierenden Tiergruppe an Land auf und besiedelten
gleichzeitig weite Bereiche des Meeres. Aus kleinen, bodenbewohnenden Echsen wurden hochbeinig laufende, springende,
galoppierende und sogar fliegende Tiere. Aus schlängelnd kriechenden Vierbeinern wurden flinke Zweibeiner, die ihre Arme
vom Laufen befreit hatten und nun etwas ganz anderes damit
anstellen konnten. Aus landbewohnenden Reptilien wurden
schwimmende Formen, die schließlich von Fischen kaum noch
zu unterscheiden waren. Aus plumpen, schuppigen oder knöchern gepanzerten Echsen entstanden einerseits die mit haarähnlichen Strukturen bedeckten Flugsaurier, andererseits die gefiederten Vögel. Aus kaltblütigen Tieren mit niedrigem Stoffwechsel
und geringem Nahrungsbedarf wurden warmblütige Tiere mit
raschem Wachstum und enormem Appetit. Schließlich wurden
aus Zwergen, die sich unter Steinen verstecken mussten und Insekten nachstellten, wahre Riesen, bis hin zu den über dreißig
Meter langen und fünfzehn Meter hohen Giganten der Jurazeit.
Saurier dominierten die Nahrungspyramiden fast aller Ökosysteme, stellten über viele Jahrmillionen die Mehrzahl der Pflanzenfresser wie auch der Räuber – und das im Wasser, an Land und in
der Luft.
Die faszinierendste Entdeckung allerdings ist erst wenige Jahre
alt: Den größten Erfolg erreichten die Saurier erst nach ihrem
Aussterben. Die Vögel, mit fast 10 000 heute lebenden Arten die
vielfältigste Gruppe der Landwirbeltiere, sind nichts anderes als
eine überlebende Gruppe der räuberischen Dinosaurier, ihr Vermächtnis an die heutige Welt. Plötzlich wird klar: Dinosaurier
sind gar nicht ausgestorben, sondern nur vorübergehend stark
dezimiert worden. Die Überlebenden erholten sich rasch und
legten bald den Grundstein für die Evolution der Vögel. Diese
Erkenntnis hat unser Bild von den Sauriern radikal verändert.
Das alte Modell „Echse“ mit all seinen Attributen wie „kaltblütig“,
„schuppig“ und „am Boden kriechend“ ist überholt. Saurier waren keine „Auslaufmodelle“, auch wenn sie gern als solche dargestellt werden. Das neue Bild der Saurier ist im Gegenteil das des
Erfolgsmodells: Eine Erfindung der Natur, über eine Viertelmilliarde Jahre alt, die ein Dauerbrenner wurde und noch heute das
Gesicht der Welt prägt. Und wer wollte behaupten, die Vögel – die
Könige der Lüfte – seien nicht erfolgreich?
Längst haben sich die Vorfahren der Vögel – die Raptoren – ins
Zentrum des öffentlichen Interesses gedrängt und prägen nun
das Bild der Dinosaurier, das in immer neuen Romanen und Filmen in prächtigen Farben gemalt wird. Dieser Typ Saurier hat
nur noch wenig mit einer Echse gemein: Er läuft aufrecht auf zwei
Beinen, trägt ein Federkleid und verfügt über eine erstaunliche
Intelligenz. Wie viel an diesem Bild tatsächlich wissenschaftlich
belegt ist und wo die reine Phantasie anfängt, wird genau zu klären sein.
Es geht hier also nicht nur um das neue, lebendigere Bild der
Saurier. Es soll auch gezeigt werden, wo die Grenze verläuft zwi-
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schen Dichtung und Wahrheit, zwischen wissenschaftlich begründeter Rekonstruktion und allzu leichtfertiger Annahme.
Ebenso spannend wie die neuen Erkenntnisse ist es, dem Wissenschaftler bei der Arbeit über die Schulter zu blicken. Wer die
Fragen kennt, denen die Forschung nachgeht, der wird auch die
Prob­leme und Unsicherheiten besser einschätzen, mit denen die
wissenschaftlichen Erkenntnisse behaftet sind. Naturwissenschaft
ist immer ein Dialog mit der Natur; die Kunst ist dabei, die richtigen Fragen zu stellen. „Richtig“ sind aber nur solche Fragen, auf
die sich klare Antworten finden lassen. Im Mittelpunkt stehen
also Aussagen, die wissenschaftlich belegbar sind. In unserem
Falle sind die Belege zunächst die Fossilien, also sterbliche Überreste früheren Lebens.
Die Menschen hat immer schon fasziniert, den Ursprung der
Vögel zu ergründen. Unzählige Ideen wurden zu diesem Thema
entwickelt. Doch erst der Fund eines räuberischen Dinosauriers
mit Federn hat das Geheimnis gelüftet. Die fossil erhaltenen Federn sind die schlüssigen Beweise, die
1 Zwei Modelle des Raubdinosauriers Deinonyes zu finden galt. Fossilien sind daher chus: Die herkömmliche Vorstellung zeigt das Tier
oft von unschätzbarem ideellen Wert, mit echsenartiger Beschuppung, die neue Rekonstruktion mit Federkleid. Fossilien von nahen Verweil sie nicht nur die Phantasie enorm wandten des Deinonychus sind mit voller Befiedeanregen, sondern auch eine Theorie rung erhalten.
Das neue Bild der Saurier
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2 Karte triassischer und jurassischer Gesteine in Deutschland.
bestätigen oder widerlegen können. Wenige Monate, nachdem
Charles Darwin seine bahnbrechende Vorstellung über den Ursprung der Arten veröffentlicht hatte, konnte sein Kollege Thomas Huxley den unglaublichen Fund eines Urvogels mit Reptilgebiss und Vogelfedern vorlegen. Ein besseres Timing zur
Untermauerung der Evolutionstheorie konnte man sich gar nicht
wünschen. Da kam der Fund aus Solnhofen in Bayern, den ein
geschäftstüchtiger Händler nach London verkauft hatte, gerade
recht. In der Erforschung der Evolution stehen Fossilien im Zentrum des Geschehens, und nicht wenige Forscher fiebern dem
nächsten Fund ebenso wissbegierig wie skeptisch entgegen.
Im El Dorado der Saurierfunde
Rainer Schoch
Der Süden von Deutschland ist wie keine andere Region in Europa eine wahre Goldgrube für die Saurier-Forschung. Durch die
intensive geologische Untersuchung des Untergrunds, die Jahrhunderte lange Tradition, Steinbrüche und Bergwerke zu betreiben und das dichte Straßennetz wurden unzählige Fossilfunde
zutage gefördert. Weltberühmte Fundstellen von Sauriern liegen
in dieser Region. Am Rand des Schwarzwalds finden sich die
ältesten Dinosaurier des Kontinents in rätselhaften Friedhöfen,
deren Entstehung noch immer kontrovers diskutiert wird. In den
Steinbrüchen am Fuß der Schwäbischen Alb werden in großer
Zahl wundervoll erhaltene Meeresechsen geborgen, die im ölreichen Schwarzschiefer mit Abdrücken ihrer Haut und mit noch
ungeborenen Jungtieren erhalten geblieben sind. In der Region
um Schwäbisch Hall wittern die Skelette bis zu sechs Meter langer,
krokodilartiger Lurche aus den Wänden der zahlreichen Schotterwerke. In den Wäldern im Großraum von Stuttgart fanden
sich die Panzer der ältesten Schildkröten der Erde. Das berühmteste Fossil aller Zeiten, der Urvogel Archaeopteryx lithographica
mit seinen ausgebreiteten Flügeln und wunderschön erhaltenen
Schwungfedern, ragt aus dieser rekordverdächtigen Liste noch
heraus – von ihm wurden inzwischen zehn Exemplare gefunden,
alle in einem kleinen Gebiet um das malerische Altmühltal.
Ebenso wichtig wie der Fundreichtum des Bodens ist aber
auch die Bereitschaft ungezählter Privatleute, in unermüdlichem
Einsatz Fossilien zu sammeln und ihr Wissen mit den wenigen
hauptamtlichen Wissenschaftlern zu teilen. Im optimalen Fall
arbeiten beide Gruppen Hand in Hand, denn nur so gelangen die
wichtigen Funde an die Öffentlichkeit. So leicht Fossilien zu finden sind, so bedarf es doch im konkreten Fall eines geübten Auges, um sie überhaupt erst zu erkennen. Auch auf die sachgerechte Bergung kommt es an, damit alle relevanten Daten festgehalten
werden können. Denn nur so lassen sich geologisches Alter und
Art der Einbettung, Lebensweise und Tod des ausgestorbenen
Lebewesens aufklären. Die eigentliche wissenschaftliche Arbeit
beginnt also erst mit der Enträtselung der einzelnen Geschichten,
die ein Fossil in sich birgt.
Die Paläontologie hat sich im Laufe ihrer über zweihundertjährigen Geschichte zu einer komplexen Wissenschaft entwickelt, die
von vielen Forschern rund um den Globus betrieben wird. Die
meisten haben sich auf ein relativ eng begrenztes Fachgebiet spezialisiert. Forschung kann auf diesen Gebieten daher nur in der
Gemeinschaft betrieben werden. Denn einerseits liefert nur die
kritische Diskussion Ergebnisse, die für alle nachvollziehbar sind,
andererseits werden z. B. in Südafrika oder Brasilien Erfahrungen
gesammelt, die bei der Deutung fossiler Funde in Deutschland
oder China hilfreich sein können. Schließlich waren im frühen
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Erdmittelalter die heutigen Kontinente in einer einzigen Landmasse vereinigt, über die sich viele Lebewesen ungehindert verbreiten konnten. Die Forschung ist international geworden, was
auch dazu geführt hat, dass die einzige universelle Sprache heute
das Englische ist.
Dem Paläontologen genügt es meist nicht, ein Fossil zu erkennen und zu bestimmen. Weiterführende Fragen schließen sich
unmittelbar an. Wie sah das Tier oder die Pflanze überhaupt aus?
Oft finden sich ja nur recht bescheidene Reste von Lebewesen, die
erst einmal interpretiert und rekonstruiert werden müssen. Häufig bleibt nur ein Umriss, ein Schatten oder eine Hohlform – das
vollständige Saurierskelett bildet fast immer die Ausnahme. Die
Schichtenkunde und Erdzeitalter
Den Schlüssel zum Verständnis der Erdgeschichte liefert
vor allem die Analyse der Sedimentgesteine. Sie bildet das
zentrale Thema einer eigenen, mit der Paläontologie eng
verzahnten Wissenschaft: der Stratigraphie oder Schichten­
kunde. Sie versucht, Alter und Entstehung von Ablage­
rungen (Sedimenten) zu klären und ihre Abfolge zu be­
schreiben. Die Erforschung vieler tausend Leitfossilien hat
es möglich gemacht, die einzelnen Phasen der Erdgeschich­
te zu rekonstruieren. So hat man die 4,5 Milliarden Jahre,
die unser Planet besteht, in drei Abschnitte unterteilt:
(1) das Urzeitalter, in dem es außer primitivsten Blaualgen
kaum Hinweise auf Leben gibt, (2) das Zeitalter frühen
Lebens, in dem die Lebensformen überwiegend mikrosko­
pisch klein blieben, aber in dem sich unsere heutige sauer­
stoffreiche Atmosphäre herausbildete und schließlich
(3) das heutige Zeitalter (Phanerozoikum), in dem das Le­
ben zur vollen Entfaltung kam und die makroskopisch sicht­
baren vielzelligen Tiere und Pflanzen entstanden. Das Pha­
nerozoikum gliedert sich in drei Abschnitte, die in Analogie
zur europäischen Geschichte als Erdaltertum, Erdmittelalter
und Erdneuzeit bezeichnet werden. Von diesen interessiert
uns hier nur das mittlere, das Erdmittelalter. Es umfasst die
Zeitspanne von vor 251 bis 65 Millionen Jahren und gliedert
sich wiederum in drei Einheiten oder Perioden: Trias, Jura
und Kreide. In der Schichtenkunde versteht man unter Be­
griffen wie Buntsandstein oder Posidonienschiefer nicht nur
die Gesteinsabfolge selbst, sondern auch das Zeitintervall,
in dem sich die Gesteine bildeten.
3 Karte der wichtigsten Saurierfundstellen in
nächsten Fragen ergeben sich daraus:
Süddeutschland. Die im Buch behandelten Fundorte
Wie alt ist das Fossil? In welcher geo­
sind eingetragen.
logischen Epoche hat das Tier oder
die Pflanze gelebt? Wie und wovon hat sich das Lebewesen ernährt? In welcher Umwelt lebte es? Und letztlich: Wie sah die
Welt zu seiner Zeit überhaupt aus?
Solche Fragen führen schnell in fachspezifische Diskussionen,
die ohne tiefe geologische oder auch biologische Kenntnisse
kaum nachzuvollziehen sind. Der Teufel steckt auch hier im De-
Das neue Bild der Saurier
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tail, denn Verallgemeinerungen oder
vereinfachte Darstellungen sind gerade in diesen wissenschaftlichen
Disziplinen irreführend. Andererseits muss es möglich sein, die
aktuellen Themen und prinzipiellen Gedankengänge dem naturkundlich Interessierten verständlich zu machen. Dieses Ziel haben sich die Autoren des Buches gesetzt.
Eine Möglichkeit der Darstellung ist die gedachte Zeitreise
durch verschiedene Etappen der Erdgeschichte. Diese lässt sich
4 Viele Saurierfundstellen befinden sich in Steinbrüchen, wo regelmäßig neue Funde ge- borgen werden.
Saurierlexikon – Schreckliche
und andere Echsen
Rainer Schoch
n Wer waren die Saurier?
Gesteine und ihre Entstehung
Grundsätzlich gibt es drei Typen von Gesteinen, die sich durch ihre Entste­
hung unterscheiden: Sedimentgesteine, magmatische Gesteine und meta­
morphe Gesteine.
Sedimente (Ablagerungsgesteine) entstehen durch Verwitterung vorher
bestehender Gesteine. Verwitterung ist die Wirkung von Wasser, Eis oder
Wind. Sedimente lagern sich z.B. in großen Mächtigkeiten am Grund des
Meeres, in größeren Seen oder Flüssen ab. Eine weitere Eigenschaft vieler
Sedimente ist ihr Fossilinhalt: Im Gegensatz zu magmatischen Gesteinen
enthalten sie Überreste früherer Lebewesen, die mit der Ablagerung oft in
größerer Zahl eingebettet wurden. Sande, Tone und Kalkschlämme sind die
häufigsten Beispiele für Sedimente, aus ihnen werden durch Wasserentzug
und Druck letztlich verfestigte Sandsteine, Tonsteine und Kalkgesteine. Ab­
lagerungen mit gröberen Geröllen (z. B. von Flüssen) nennt man Konglo­
merate.
Magmatische Gesteine sind erstarrte Gesteinsschmelzen. Man unterschei­
det tief in der Kruste erstarrte Schmelzen (Plutonite), die erst durch Verwitte­
rung an die Oberfläche gelangen, von an der Luft abgekühlten Schmelzen
(Vulkanite), die durch Vulkanausbrüche nach außen befördert werden. Dazu
zählen Basalte (erstarrte Lavaergüsse), Tuffe (vulkanischer Staub) und Bims
(vulkanisch ausgeworfene „Bomben“, die zu Gesteinsglas erstarrt sind).
Magmatische Gesteine sind immer bei hoher Temperatur entstanden und
enthalten nie Fossilien.
Metamorphe Gesteine entstehen aus Gesteinen, die in größerer Tiefe und
oft unter erheblichem Druck umkristallisieren. Auch wenn keine chemische
Veränderung des Ausgangsgesteins vorliegt, kommt es bei dieser Metamor­
phose dennoch zur Bildung neuer Minerale, die zu ganz neuen Eigen­
schaften des neu entstandenen metamorphen Gesteins führen. Metamor­
phe Gesteine können sowohl aus magmatischen Gesteinen als auch Sedi­
mentgesteinen entstehen. Im letzteren Fall können sie zwar noch Reste
früherer Fossilien enthalten, doch sind diese durch die Umkristallisation
meist stark verändert und schwer zu bestimmen.
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am besten durch die Rekonstruktion von Schauplätzen ermöglichen, deren Spuren sich fossil erhalten haben. Solchen Szenerien
sind beispielsweise Flusslandschaften, Sümpfe oder tropische
Flachmeere. Ihnen stehen die heutigen Fundstellen gegenüber, an
denen Hinweise auf die urzeitlichen Schauplätze zu finden sind.
Das sind Steinbrüche, Baugruben oder Autobahntrassen, in denen fossilreiche Schichten angeschnitten werden. In diesem kriminalistischen Puzzlespiel stehen die Fossilien im Zentrum, weil
sie Dokumente von Lebewesen sind, die in diesen Schauplätzen
eine Rolle gespielt haben. Das kann eine einzelne Muschel oder
ein Zahn sein; oft sind es aber auch Skelette und manchmal auch
Zeichen von Lebensaktivität, wie zum Beispiel die Fußspur eines
Sauriers. Wenn sie auch nur selten wahrgenommen werden, so
können Fossilien doch in vielen Situationen unseres alltäglichen
Lebens gefunden werden. Und in diesem Sinne sind längst vergangene Geschehnisse tatsächlich zum Greifen nahe.
Das landläufige Bild des Sauriers ist noch immer das eines primitiven vierbeinigen Wirbeltiers, das sich schlängelnd oder kriechend in niedrigem Abstand über dem Boden fortbewegt. Dieses
Tier trägt ein engmaschiges Schuppenkleid aus verhornten Parzellen der äußeren Hautschicht, die an seinen Fingern und Zehen
zu Krallen auswachsen. Ein langer Schwanz hilft bei der Fortbewegung, indem er das Schlängeln unterstützt. Die meiste Zeit verbringt das Tier träge liegend auf dem Bauch, um in der Sonne die
nötige Energie zu tanken, die es für die kurzen aktiven „Sprintphasen“ benötigt. Soviel zum allgemeinen Bild. Obwohl es sehr
pauschal ist, trifft es sicherlich für viele heutige Echsen, Schlangen
und Schildkröten zu. Vermutlich haben auch die ältesten Saurier,
die Vorfahren der heutigen Reptilien und Vögel, ganz gut diesem
„Standardmodell“ entsprochen.
Die Probleme dieser Definition zeigen sich erst, wenn man
versucht, die Evolution der Saurier zu verstehen. Abgeleitet vom
griechischen Wort für Eidechse (Saura), ist der Begriff „Saurier“
zunächst verwandt mit „Reptil“, was wiederum soviel bedeutet
wie „Kriechtier“. Allerdings: In den letzten Jahrzehnten hat sich
die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Vögel nicht von den Reptilien zu trennen sind. Sie stammen von kleinen, räuberischen Dinosauriern ab. Dinosaurier – wörtlich „Schreckliche Echsen“ –
bilden wiederum nur eine Teilgruppe innerhalb der Saurier. Die
Federn waren nach neuesten Erkenntnissen bereits typische
Hautstrukturen vieler Schrecklicher Echsen; zumindest die räuberischen Dinosaurier trugen nachweislich primitive Federn.
Diese wurden von ihren Nachfahren, den Vögeln, übernommen
und so modifiziert, dass damit das Fliegen möglich wurde. Wer
also die Geschichte der Saurier verstehen will, muss sich auch mit
dem Ursprung der Vögel befassen. Dabei wird sich das Bild der
Saurier grundlegend verändern.
Je genauer man die Abstammungsgeschichte der Vögel untersucht, umso deutlicher wird, dass es keine klare Grenze gibt, jen-
seits derer aus einem „Reptil“ ein
5 Stammbaum der Landwirbeltiere. Nur die
heutigen Tiergruppen sind eingetragen. „Vogel“ geworden ist. Die EvolutionsDie Reptilien (Saurier) sind farbig markiert.
geschichte erfolgte vielmehr in zahllosen kleinen Schritten, von denen jeder einzelne einfach und
unspektakulär war. Die Summe dieser Schritte zeigt eine Linie
von immer vogelähnlicheren Tieren, die zunächst ihre Beine
senkrecht unter den Körper stellten, dann den Vorderkörper
aufrichteten und nur noch auf den Hinterbeinen liefen, schließlich ihre Arme verlängerten und zum Fliegen einsetzten. Tatsächlich ist diese Linie aber nur eine von vielen, die man inzwischen
erforscht hat. Andere Linien zeigen die schrittweise Umwandlung eines Landtieres in ein Wassertier, und da es mehrere sehr
erfolgreiche Meeresechsen gab, überrascht es wenig, dass die Resultate sehr verschieden aussahen: Plesiosaurier erscheinen uns
wie übergroße Meeresschildkröten ohne Panzer und mit langen
Das neue Bild der Saurier
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phibien (Lurchen) zu trennen. Die
8 Stammbaum der Therapsiden und Ursprung der Säugetiere.
Lurche sind zwar auch Landwirbeltiere, die ähnlich vielen Sauriern mit
vier Beinen kriechen Al­lerdings bleiben sie an das Wasser gebunden, weil sie ihre Eier dort ablegen und ihre Jungen – meist als
Kiemen tragende Larven – dort heranwachsen. Erst nach einer
Metamorphose, bei der die Kiemen zurückgebildet werden und
die Lungen als Atmungsorgane heranreifen, gehen die meisten
Lurche zum Landleben über. Die heutigen Frösche, Salamander
und Blindwühlen sind zwar mit 6.140 Arten recht zahlreich, aber
die Formenvielfalt der Amphibien früherer Erdzeitalter erreichen
sie nicht. Die Panzerlurche, riesenwüchsige Verwandte der heutigen Amphibien, waren in der Trias weltweit verbreitet. Sie lebten
überwiegend im Süßwasser, auch als erwachsene Tiere, wo sie
zeitweilig die größten Raubtiere darstellten. In den Ökosystemen
der Flüsse spielten sie möglicherweise eine ähnliche Rolle wie
heute die Krokodile. Wir werden vielen dieser bizarren Lurche
auf unserer Zeitreise begegnen.
In erster Näherung sind Saurier also alle Landwirbeltiere, die
weder mit Amphibien noch mit Säugetieren näher verwandt sind.
Im Gegensatz zu den Lurchen legen
9 Die ältesten Saurier. Oben: Skelett eines frühen
sie ihre Eier an Land ab. Diese haben
Reptils aus der Karbon-Zeit. Unten: zwei Schädel
im Unterschied zum Laich der Amvon frühen Sauriern mit den kennzeichnenden
phibien eine mineralisierte Schale
Merkmalen (Schläfenfenster).
pe bezeichnet man auch als Abstammungsgemeinschaft. Und nur
als solche Gruppe hat es Sinn, von „den Sauriern“ zu sprechen. So
ergibt sich ein sehr vielschichtiges Bild, in dem nur die stammesgeschichtliche Wurzel dem oben skizzierten „Standardmodell“
entspricht. Längst haben die Denkschubladen „Reptil“ und „Vogel“ ausgedient. Sie stammen aus einer Zeit vor der Evolutionstheorie, als man Gruppen in ihrer Gestalt ähnlicher Lebewesen
zu Kategorien zusammenfasste, ohne dass man ihre Entstehungsgeschichte kannte.
n Saurier – weder Lurch noch Säugetier
Einer verlässlichen, wissenschaftlich exakten Definition der Saurier nähert man sich am besten durch das Ausschlussverfahren.
Die Vorfahren der Säugetiere, die so genannten Therapsiden, waren im strengen Sinne keine Saurier. Diese umfangreiche Tiergruppe besiedelte viele Lebensräume und dominierte die meisten
Hälsen, während Ichthyosaurier einen torpedoförmigen Umriss entwickelten und wie eine Mischung
aus einem Hai und einem Delphin
aussehen. Beide Gruppen von Meeresreptilien konnten weit über
zwanzig Meter lang werden und erreichten damit fast die Ausmaße heutiger Blauwale.
Das Fazit kann also nur lauten: Man muss die Saurier differenziert betrachten. Sie bilden nur dann eine Einheit, wenn man sie
als die Gemeinschaft aller reptilischen Tiere versteht, die auf einen gemeinsamen Urahn zurückgehen; und eine Gemeinschaft
bilden diese Tiere nur, wenn die Vö7 Stammbaum der Lurche (Amphibien).
gel mit dabei sind. Eine solche Grup6 Wer waren die Saurier? Zuordnung der ausgestorbenen Reptilien in den Stammbaum. Die Leiste
an der linken Seite gibt das ungefähre Alter der
einzelnen Tiergruppen wieder.
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Ökosysteme im ausgehenden Erdaltertum vor 280–250 Millionen Jahren. Die Mehrzahl der Therapsiden verschwand mit der
Wende vom Perm zur Trias, als die größte Aussterbewelle der
Erdgeschichte einsetzte. Erst dieses Ereignis sollte den Weg für
die Saurier ebnen, denn durch das Verschwinden der Therapsiden wurden die vielen ökologischen Nischen frei, die den Schlüssel zum Erfolg der Saurier bildeten. Unsere Zeitreise wird uns
dennoch mit einigen Therapsiden vertraut machen, die bei uns
noch während der Triaszeit gelebt haben. Diese Überlebenden
der Perm-Trias-Katastrophe, so unspektakulär ihr Dasein im
Erdmittelalter auch gewesen sein mag, sind die Stammväter der
Säugetiere und zählen damit zu unseren eigenen Vorfahren.
Die Saurier unterscheiden sich aber nicht nur deutlich von
Therapsiden und Säugetieren. Sie sind auch klar von den Am-
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Tier sah äußerlich einer Eidechse ähnlich, und fossil erhaltene
Hautschatten bezeugen, dass die frühesten Saurier bereits eine
schuppige Haut hatten, wie man sie auch bei heutigen Reptilien
findet. Diese Schuppen sind verhornte Parzellen der äußersten
Hautschicht (Epidermis), die mit den knöchernen Schuppen der
Fische nichts gemein haben. Sie sind evolutionäre Neubildungen,
entstanden zum Schutz vor Austrocknung und gegen Abrieb. Die
Saurier beschränkten sich zunächst – also während des Karbons
und Perms – auf kleine Tiere unter einem Meter Länge, die in der
Bodenstreu dichter Wälder ihr Auskommen suchten. Die ersten
großen Pflanzenfresser wurden im Perm von sehr urtümlichen
Landwirbeltieren hervorgebracht, den bis zu vier Meter langen
Pareiasauriern (Parareptilien). Die Therapsiden und ihre Vorfahren, die Pelycosaurier, stellten während des Perms immer größere räuberische Arten, die an der Spitze der Nahrungspyramide
standen. Erst mit dem Aussterben der meisten Therapsiden am
Ende des Perms war die Stunde der Saurier gekommen.
11 Aussterben an der Perm-Trias-Grenze: Betroffene Gruppen der Landwirbeltiere.
und einen wesentlich größeren Dottervorrat. Aus ihnen schlüpfen Junge, die ihren Eltern bereits sehr ähnlich sind. Heutige Saurier in diesem
Sinne sind Schildkröten, Echsen, Schlangen, Krokodile und
Vögel. Diese Gruppen gehen auf einen gemeinsamen Vorfahren
zurück, der vor etwa 350 Millionen Jahren gelebt haben muss.
Dafür sprechen nicht nur viele Fossilien, sondern auch molekulargenetische Analysen der heutigen Überlebenden. Saurier sind
folglich mehr als nur ein Sammelbegriff oder eine gedankliche
Schublade, in die man reptilische Tiere einordnet. Sie bilden
eine natürliche Einheit, eine so genannte Abstammungsgemeinschaft – genauso wie die Säugetiere.
10 Geologische Einteilung des frühen Erdmittel­
alters (Trias und Jura) mit den regionalen Gesteinsbenennungen und der sechs im Buch behandelten
Zeitabschnitte farbig markiert.
n Die ältesten Saurier
Der letzte gemeinsame Vorfahr aller heutigen Saurier lebte im
frühen Karbon. Er durchstreifte dicht bewachsene Sumpfwälder
und ernährte sich vermutlich von kleinen Panzerlurchen und
urtümlichen Insekten, die in großer Zahl vorhanden waren. Das
Zeitreise
durch das Erdmittelalter
Zeitreise durch das Erdmittelalter
Durch Wüsten, Wälder und Meere
Rainer Schoch und Johanna Kovar-Eder
Unsere Zeitreise führt in sechs Etappen durch das Erdmittelalter.
Das entspricht einer Spanne von rund 100 Millionen Jahren. Die
Reise bewegt sich nur durch die Zeit, da wir an Ort und Stelle
bleiben. Mitteleuropa erfuhr in diesem Zeitraum grundlegende
Veränderungen, indem es durch verschiedenste Klimazonen
„wanderte“. Auf dieser „Reise“ entstanden und vergingen exotische Landschaften, die oft nur schwer zu beschreiben sind. Dies
liegt daran, dass wir heutige Landschaften auch nach ihrer Vegetation, dem Pflanzenbewuchs, einordnen. Die Vegetation aber
war im Erdmittelalter grundlegend verschieden von der heutigen. Steppe, Savanne oder Mangrove sind Bezeichnungen heutiger Landschaften, die sich nicht ohne weiteres auf frühere übertragen lassen.
Die Zeitreise beginnt kurz nach der größten Krise des Lebens
auf der Erde, die den Übergang vom Erdaltertum zum Erdmittelalter markiert. Dieses Ereignis liegt fast genau 250 Millionen Jahre zurück. Durch einen Treibhauseffekt – bedingt durch einen
erhöhten Kohlendioxidgehalt der Luft, der auf intensive vulkanische Tätigkeit zurückgeführt wird – hatte sich das Weltklima
deutlich erwärmt. Zahlreiche Organismen starben aus. Wie in
vielen anderen Gebieten entwickelte sich in Mitteleuropa aus einer heißen Wüste allmählich eine von kleineren Flüssen durchzogene offene Trockenlandschaft (Buntsandstein-Zeit). In ihr finden
wir Hinweise auf wenige Tiere und Pflanzen, darunter zwergwüchsige Vorfahren der Dinosaurier und bis vier Meter lange Lurche, die in den wenigen Flüssen lebten.
Wenige Millionen Jahre später wurde Deutschland von einem
subtropischen Flachmeer überflutet, aus dem nur noch das
Rheinland, Teile von Böhmen und ein Abschnitt des heutigen
Südbayern als gebirgige Inseln herausragten. Das Meer war voller
Leben, das sich in fremdartigen Riffen tummelte (MuschelkalkZeit). Die Ceratiten, eine auf die Triaszeit beschränkte Gruppe
schalentragender Kopffüßer, wanderten aus dem Tethys-Ozean
ein und besiedelten viele Lebensräume – durch ihre Beliebtheit
bei den Fossiliensammlern wurden sie zu einem Wappentier des
Muschelkalks. Verschiedene Saurier bevölkerten weite Teile dieses warmen Meeres, wo sie Schalentiere, Krebse, Ceratiten und
Fische erbeuteten. Einige von ihnen waren ausgezeichnete
Schwimmer, die ihre Jungen im Wasser zur Welt brachten, weil
eine Eiablage an Land diesen Tieren nicht mehr möglich war. Das
trifft vor allem auf die Fischechsen (Ichthyosaurier) zu, deren an
Delphine erinnernden Körper keine Fortbewegung an Land
mehr zuließen. Der Muschelkalk wird heute in zahlreichen Steinbrüchen abgebaut, und durch die rege Sammeltätigkeit wurde
eine Fülle verschiedener Fossilien bekannt, die eine Rekonstruktion des längst verschwundenen Meeres ermöglicht hat.
Als sich das Muschelkalk-Meer fünf Millionen Jahre später
wieder zurückzog (Unterer Keuper), blieben Tausende von
Brackwassersümpfen zurück, in denen sich wieder anderes, aber
mindestens ebenso reiches Leben entwickelte. In den Sümpfen
lebten riesenhafte Panzerlurche, und an Land streifen zahlreiche
räuberische Saurier und frühe Vorfahren der Säugetiere umher.
Es war die Zeit vor den Dinosauriern, die von formenreichen
Verwandten der Krokodile dominiert wurde. Große Flüsse aus
Skandinavien und Osteuropa bildeten in Thüringen, Franken
und Schwaben ein gewaltiges Delta, in dem Galeriewälder aus
üppiger Vegetation gediehen. Das Leben wurde hier von subtro-
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