Letztbegründung von Ethik (zur Diskussion gestellt) Keine Letztbegründung ohne Gottesidee In seinem Buch Weltethos führt Hans Küng folgendes aus: Wir halten fest: Auch der Mensch ohne Religion kann ein echt menschliches, also humanes und in diesem Sinn moralisches Leben führen; eben dies ist Ausdruck der innerweltlichen Autonomie des Menschen. Doch eines kann der Mensch ohne Religion nicht, selbst wenn er faktisch für sich unbedingte sittliche Normen annehmen sollte: Die Unbedingtheit und Universalität ethischer Verpflichtung begründen. Ungewiss bleibt: Warum soll ich unbedingt, also in jedem Fall und überall, solche Normen befolgen - selbst da, wo sie meinen Interessen völlig zuwiderlaufen? Und warum sollen dies alle tun? Denn was ist ein Ethos letzthin wert, wenn es nicht alle tun? (...) Ja, warum soll - vorausgesetzt man geht selber kein Risiko ein - ein Verbrecher seine Geiseln nicht töten, ein Diktator sein Volk nicht vergewaltigen, eine Wirtschaftsgruppe ihr Land nicht ausbeuten, eine Nation einen Krieg nicht anfangen, ... wenn das eben im ureigensten Interesse liegt und es keine transzendente Autorität gibt, die unbedingt für alle gilt? Warum sollen sie alle unbedingt anders handeln? Reicht da ein »Appell an die Vernunft», mit deren Hilfe man so oft das eine wie dessen Gegenteil begründen kann? (...) Zumindest für die prophetischen Religionen, Judentum, Christentum, Islam, ist es das einzig Unbedingte in allem Bedingten, das die Unbedingtheit und Universalität ethischer Forderungen begründen kann, jener Urgrund, Urhalt, jenes Urziel des Menschen und der Welt, das wir Gott nennen. Dieser Urgrund, dieser Urhalt und dieses Urziel bedeuten für den Menschen keine Fremdbestimmung. Im Gegenteil: Solche Begründung, Verankerung und Ausrichtung eröffnen die Möglichkeit zu einem wahren Selbst-Sein und Selbst-Handeln des Menschen, ermöglichen Selbst-Gesetzgebung und Selbst-Verantwortung. Richtig verstanden ist Theonomie also nicht Heteronomie, sondern Grund, Garantie, allerdings auch Grenze menschlicher Autonomie, die ja nie zu menschlicher Willkür entarten darf. Nur die Bindung an ein Unendliches schenkt Freiheit gegenüber allem Endlichen. Insofern kann man verstehen, dass man nach den Unmenschlichkeiten der Nazizeit in der Präambel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland die doppelte Dimension der Verantwortung (vor wem und für wen?) festgehalten hat: «die Verantwortung vor Gott und den Menschen». (...) Durch die besondere Beziehung des Menschen zu Gott (»Ebenbild Gottes«) nämlich kann radikal begründet werden, was alle Empirie übersteigt: die Unverfügbarkeit der menschlichen Person; die unveräußerliche Freiheit des Menschen; die prinzipielle Gleichheit aller Menschen; die notwendige Solidarität aller Menschen miteinander. Fragen zur Reflexion / Diskussion / schriftlichen Stellungnahme: Letztbegründung mithilfe der Gottesidee: Fassen Sie die Aussagen von Hans Küng knapp, aber aussagekräftig zusammen. Erörtern Sie dann die Frage, ob und inwieweit die Ausführungen Küngs für Sie überzeugend sind. Begründen Sie Ihre Meinung mit Argumenten und Beispielen.