13. DER KREML Im Panorama des Stadtzentrums von Nowgorod ist von überall das majestätische Ensemble alter, von dicken Mauern und Türmen umgebener Bauwerke zu sehen. Das ist der Nowgoroder Kreml oder, wie man ihn bis zum 16. Jh. nannte, der Detinez. Der Nowgoroder Kreml beherbergt hervorragende Denkmäler der russischen Nationalkultur. Die Mauern und Türme des Nowgoroder Kremls. Im Altertum befanden sich auf dem heutigen Territorium des Kremls zwei Hügel: ein etwas höherer im Norden und ein niedriger im Süden. 1045 baute Fürst Wladimir Jaroslawitsch, der Sohn Jaroslaw des Weisen, auf dem Nordhügel eine Holzfestung, die vom Osten her vom Wolchow geschützt war. An den übrigen drei Seiten nutzte man einen natürlichen Graben, den man weiter vertiefte und mit Wasser auffüllte. Um den gesamten Hügel wurden eicherne Blockverbände mit 20 m Breite und 1 m Höhe aufgestellt. Diese Blockverbände wurden von der äußeren Seite von hakenartigen Balkenenden, den sogenannten Kniehölzern, gestützt, die ein Abrutschen in den Wassergraben verhinderten. Innere der Blockverbände schüttete man mit Erde zu. Das bildete die Grundlage für den Verteidigungswall. Darauf wurde eine 3-4 m hohe Lehmschicht aus dem Festungsgraben aufgetragen. Oben auf dem Wall errichtete man aus Holz gezimmerte Mauern, die im 14.-15. Jh. abgetragen und durch steinerne ersetzt wurden. Der Wall aus dem Jahre 1045 hat sich jedoch unter den Kremlmauern gut erhalten. Die nächste Etappe in der Baugeschichte des Kremls war die Erweiterung seiner Grenzen im Jahre 1116 durch Fürst Mstislaw. In das Kremlgelände wurde der andere, der Südhügel einbezogen, und er nahm so die ovale Form an, die bis heute erhalten ist; die Fläche des Kreml macht 12,1 ha aus. Um den Südhügel wurde ebenfalls ein Holz-Erdwall errichtet. Der hölzerne Kreml von 1116 hatte fünf Tortürme, an denen die zum Kreml führenden Straßen endeten. 1331 wurde mit dem Bau der ersten Steinmauer an der zum Wolchow gewandten und für die nach Nowgorod auf dem Fluß kommenden Kaufleute von weitem sichtbaren Nordostseite des Kremls begonnen. 1400 wurde die Steinmauer in südlicher Richtung weiter gebaut, und sie schloss somit die Vorderseite, die Paradeseite der Befestigungen vom Wolchow aus, ab. Um 1420 war der gesamte Kreml von einer starken Steinmauer umgeben. Die Mauer bestand aus Fliesenstein – graubläulichen Kalksteinquadern, die mit Mörtel verbunden wurden. Diese Mauern standen jedoch nur reichlich fünfzig Jahre. Ihre Schießscharten und Galerien waren zu schmal zum Aufstellen von Feuerwaffen. Deshalb wurden 1484-1490 auf Erlaß des Moskauer Großfürsten Iwan III. (als der Prozess der Vereinigung der russischen Länder mit Moskau begann) von Nowgoroder Meistern auf dem alten Fundament die neuen Mauern (jedoch nach alten Plänen) hochgezogen, die bis auf den heutigen Tag erhalten sind: nach dem Umbau besaß der Kreml 5 Tortürme, 6 Mauertürme und 2 Raskat-Türme aus Ziegeln und Steinen. Der Sofijski-Glockenturm und die Mauertürme der Ostseite besaßen Ausfalltore. Die Mauer ist 1385 m lang, 8,5-10,6 m hoch und 2,7-3,3 m stark. Die Türme erheben sich über den Mauern von 12 bis 21 m Höhe. In der Architektur der Mauern und Türme des Kremls sind charakteristische Züge des Nowgoroder Baustils vorherrschend; lediglich die zweizackigen Zinnen (Merlone), die der Form nach an einen Schwalbenschwanz erinnern, zeugen vom Einfluss des Moskauer Festungsbaustils. Im 16. Jh. wurden im Nowgoroder Kreml Schießscharten aus den unteren Festungsräumen eingerichtet, und wieder ein Jahrhundert später baute man alle Schießscharten der Türme um: Die Schießkammern wurden verbreitert und die Schartenöffnungen verengt. Zur gleichen Zeit verputzte man die Mauern und Türme des Kremls mit Kalk. Zu Beginn des 20.Jh. waren von 13 Türmen 9 erhalten: Ein Turm fiel einem Brand zum Opfer, der zweite wurde von Hochwasser unterspült und fiel in sich zusammen, und die letzten beiden wurden Ende des 18. Jh. abgetragen und an ihrer Stelle breite Durchfahrtsbögen errichtet. Alle Kremltürme haben in etwa die gleiche Gestalt. Sie bestehen aus fünf Stockwerken, die im Innern durch Leitern bzw. Aufzüge verbunden sind. In den untersten Stockwerken lagerte man meist Munition. Die oberen Stockwerke waren mit hohen Zeltdächern aus Holz überdacht, einige Türme hatten Beobachtungsplätze. Ganz obenauf waren Wetterfahnen mit eingestanzten Wappen von Nowgorod und anderen russischen Städten angebracht. Alle Türme wiesen ein reiches Dekor auf. Sie schmückten breite Ornamentstreifen aus auf die Kante (Porebrik) und auf die flache Seite (Begunez) gelegten Ziegelsteinen. Das gleiche Dekor wurde beim Bau der Nowgoroder Kirchen verwendet. Einige Türme zieren große, runde, aus Ziegeln gelegte Rosetten. Selbst über den bogenförmigen Mauerdurchbrüchen der Schießscharten wurden die sogenannten «Browki» (Gesimse, wörtlich «Brauen», wegen derer meist geschweiften Form) angemauert, die sonst nur Kirchenfenster schmückten. Besonders effektvoll sind die Fassaden der vier erhaltenen Tortürme des Nowgoroder Kremls. Ein jeder von ihnen war Bestandteil eines architektonischen «Ensembles, zu dem außerdem eine Torkirche und ein Refektorium gehörten. Das alles zeugt vom Einfluss sowohl der Profan- als auch der Sakralbaukunst auf die Architektur der Festung. Der Nowgoroder Kreml war ja nicht nur Festung, sondern auch das politisсhe, kulturelle und religiöse Zentrum der Stadt. Während der Besetzung Nowgorods durch die Hitlerwehrmacht wurden die Mauern und Türme des Kremls stark beschädigt. Die Wiederherstellungsarbeiten begannen sofort nach der Beendigung des Krieges. Um sie zu restaurieren, befestigte man Tausende Kubikmeter Mauerwerk, baute es teilweise wieder neu auf und führte komplizierte ingenieurtechnische Arbeiten aus. In den Kreml gelangt man vom Sophien-Platz über die nach dem Krieg erbaute Brücke und den an der Westseite des Kremls gelegenen Festungsgraben (obere Breite 40-50m, untere Breite 18-20m, im 10./11.Jh. war der Graben 12-14 m tief). Den Eingang in den Kreml bildet ein breiter (westlicher) Durchfahrtsbogen, der 1820 anstelle eines abgetragenen Turms errichtet wurde. Links vom Torbogen befindet sich das Haus des Erzbischofs, das vermutlich im 16. oder 17. Jh. erbaut und später umgebaut wurde. Im 18. Jh. stockte der Architekt Pjotr Nikitin das Haus auf und verlieh dem nunmehr zweistöckigen Gebäude eine Fassade im Stil des Frühklassizismus. 1921 wurde das ehemalige Haus des Erzbischofs dem Nowgoroder Theater übereignet. Heute befindet sich in diesem Gebäude die Philharmonie. Das größte Gebäude des Kremls ist die Sophien-Kathedrale, hinter ihr befand sich von alters her im Nordwestteil des Kremls die Residenz des Nowgoroder Bischofs (1165 Erzbischof). Im 10. Jh. haben sich hier vermutlich ein Wohngehöft von Priestern des heidnischen Donner- und Feuergottes Perun, eine heidnische Kultstätte (Götzentempel) sowie der örtliche Friedhof befunden. Mit Annahme des Christentums richtete das Oberhaupt des neuen Kults an gleicher Stelle seine Residenz ein und umgab sie mit Festungsmauern, baute also innerhalb der Festung noch eine Festung. In den Bischofshof gelangte man durch die schmalen Durchfahrten der Torkirchen (sie sind nicht erhalten geblieben), die die gleichen Funktionen hatten wie die Tortürme in den Festungsmauern. Ende des 15. Jh. wurden zwei drittel Kremls mit Geldern der Moskauer Großfürsten und ein Drittel auf Kosten des Nowgoroder Bischofs aufgebaut. Zu diesem «Bischofsdrittels» gehörten außerdem der Metropoliten- und der Theodor-Turm des Kremls, die, wie es auch heute zu sehen ist, den Bischofshof von Westen und Norden her bewachten. Im Interschied zu den anderen Türmen sind sie rund. Im MetropolitenTurm wurden die Schießscharten bei der Restauration nach Vorbildern aus dem 15. Jh. gestaltet, im Theodor-Turm aber die Schießscharten aus dem 17. Jh. belassen. Von der Hofseite schloß sich zwischen den Türmen und der Festungsmauer das für jene Zeiten riesige zweistöckige Gebäude des Erzbischofspalastes an. Reste des Palastes sind von den Archäologen ausgegraben und zur Besichtigung freigelegt werden. Der Erzbischofspalast wurde unter Erzbischof Euthymios (=Jewfimi) 1430-1440 erichtet, der in seiner stürmischen Bautätigkeit seine Staats- und Kirchenpolitik fortsetzte. Jewfimi war ein überzeugter Verfechter der Unabhängigkeit Nowgorods, er setzte alle Mittel in Bewegung, um der Vereinigungspolitik Moskaus entgegenzuwirken. Zum Palast gehörte weiterhin ein1443 erbauter Wachtturm, der nicht erhalten ist. Der bis heute den Eingang des Erbischofs zierende Glockenturm als «Stundenläter» bezeichnet, wurde 1670 errichtet. Der achteckige, pfeilerartige Bau mit einer Höhe von 44 m überragt alle Gebäude des Bischofshofs. Der Name stammt von der hier vermutlich bald nach Errichtung des Turms eingebauten Glockenspieluhr. Während der 1969-1970 durchgeführten Restaurationsarbeiten wurde hier eine Turmuhr montiert, die alle 30 Minuten schlägt. Östlich von diesem Glockenturm befindet sich die Torkirche des Sergios von Radonesh, die 1459 der Nowgoroder Erzbischof Iona errichten liess, dessen ideologische Orientierung auf Moskau ihren Niederschlag darin, dass er sie dem Begründer des Klosters der Heiligen Dreiafltigkeit und des heiligen Sergios (heute Sagorsk, Moskauer Gebiet), einem kanonisierten heiligen widmete. Die Fassade der Kirche und ihre Kuppel wurden oft umgebaut. Im 17. Jh. wurde die Kirche mit einem zweigeschossigen Kokoschnik, die den Kokoschniks des Glockenturms architektonisch nahestanden, geschmückt. Hinter der Glockenturm befindet sich das Gebäude des Kirchen- und Gerichtsamtes, in dem Fragmente eines Palastes aus dem 14. Jh. sowie eines Hauses der Kirchenbediensteten der Sophien-Kathedrale aus dem 17. Jh. aufgefunden wurden. Gegenwärtig werden im Obergeschoss des Gebäudes periodische Ausstellungen organisiert. An dieses Gebäude schliesst sich das Lichuda-Korps an, das ursprünglich im 15. Jh. errichtet und Anfang des 18. Jh. für die 1706 eröffnete Slawischgriechische Schule umgebaut wurde. Ihr standen die berühmten russischen Aufklärer von der Moskauer Slawisch-griechisch-lateinischen Akademie, die Brüder Joanniki und Sofroni Lichuda vor. In der Schule wurden Lehrer für Priesterseminare ausgebildet. Unmittelbar an die Sergios-Kirche schliesst sich das Joanniki-Korps an, ein zweigeschossiges Gebäude, dessen unterer Teil in das 15. Jh. datiert wird. Der obere Teil wurde im 16.-17. Jh. umgebaut. An seiner Ostseite ist das Joanniki-Korps mit einem berühmten Bau des Bischofshofs, mit dem Facettenpalast, verbunden. In der Chronik wird berichtet, dass diesen 1433 deutsche und Nowgoroder Meister errichtet haben. Durch diese Tatsache wird die Vermutung über eine Beteiligung von fremdländischen Meistern am Bau des Erzbischofspalastes bestätigt, weil er seiner architektonischen Ausführung nach einige westeuropäische Schlösser mit der für jene charakteristischen Verknüpfungg von Elementen des Militär- und Profanbaus erinnerte. Ursprünglich war das Gebäude des Facettenpalastes dreigeschossig. Jetzt ist sein Erdgeschoss durch die jahrhundertelang gewachsene Kulturschicht zu einem Kellergeschoss geworden. Starken Veränderungen waren die Fassaden des Gebäudes und sein Mauerputzwerk unterworfen. Die in das Obergeschoss, in den Paradesaal, führende Treppe wurde im19. Jh. gebaut. Die Architektur des Paradesaals selbst jedoch ist fast unverändert erhalten geblieben. Von einer starken Mittelsäule wird das Kreuzrippengewölbe aus behauenen keilförmigen Steinen, das eine Fläche von 164 m² überspannt, gestützt. Ungeachtet der gotischen Konstruktion des Palastes trägt sein Interieur russischen Charakter. Ein quadratischer oder rechteckiger Saal mite in oder zwei Stützsäulen ist die typische Form der altrussischen Profanbauten. Im Paradesaal des Facettenpalastes versammelte sich hinter dem Vorsitz des Bischofs der Herrenrat, hier wurde Verhandlungen mit fremdländischen Diplomaten geführt sowie wichtige Gerichtserteile gefällt. Jeden in den Paradesaal Eintertenden (dazu gehörte noch ein Vorraum) empfing das gestrenge Antlitz Christus, der das Evangelium mit der aufgeschlagenen seite über das gerechte Gericht in der Hand halt. Das Wandgemälde aus dem 15. Jh. ist erhalten geblieben. Die Wände und Gewölbe des Paradesaals wurden erstmalig acht Jahre nach dem Bauabschluss bemalt. Seitdem hat man die Fresken jedoch viele Male erneuert. Die vorhandene Bemalung des Gewölbes stammt aus den 20er Jahren des 19. Jh. und steht damit in Verbindung, dass im Paradesaal Gottesdienste abgehalten wurden. Während des Großen Vaterländischen Krieges konnte des verminte Gebäude des Facettenpalastes gerettet werden, somit ist der alte Paradesaal der einzige erhaltene Raum größeren Ausmasses in der vollkommen zerstörten Stadt. Am 20. Januar 1944 fand hier die der Befreiung der Stadt von den faschistischen deutschen eroberern gewidmete Festsitzung der Nowgoroder Bürger statt. Am 26. September 1944 wurde im Facettenpalast die erste Versammlung der Kommunisten der Nowgoroder Gebiets abgehalten, auf der die ersten Massnahmen zum Wiederaufbau der Stadt erörtet wurden. Im Facettenpalast befindet sich zur Zeit eine Ausstellung von Erzeugnissen der russischen dekorativen und angewandten Kunst aus dem 11. Jh. bis Anfang des 20. Jh. Die Facettenkamer wird im Moment restauriert. Gegenüber dem Facettenpalast ist nördlich von der Sophien-Kathedrale ein langgezogenes zweistöckiges Haus aus dem 17. Jh., das Nikita-Korps, das in der Folgezeit mehrmals umgebaut wurde. Es steht an der stelle eines Gebäudes aus dem 12. Jh., in dem bis Mitte des 14. Jh. die Erzbischöfe wohnten. Früher war das NikitaKorps mit dem Facettenpalast durch eine Galerie und mit der Kremlmauer durch einen hölzernen Laufgang verbunden. Heute sind in diesem Gebäude die Fonds des Nowgoroder Museums und die Museumsbibliothek unterbracht. Links vom Südportal der Sophien-Kathedrale befindet sich ein eingeschossiges langgestrecktes Gebäude. Früher war das die Kirche des Einzugs Christi in Jerusalem, die 1759 anstelle einer aus dem 14. Jh. stammenden Kathedrale gleichen namens errichtet wurde. Heute ist hier das Städtische Lektorium untergebracht. Hinter dem Lektorium erhebt sich neben der Kremlmauer die SophienGlockenwand. Das bis in unsere Tage erhaltene Bauwerk stammt aus dem 15.-16. Jh. Im 16. Jh. krönten die Glockenwand fünf hohe Zeltdächer. Das heutige Dach «Botschka»-Dach (halbzylinderförmiges Dach mit kielbogenförmigen Erhöhung des Oberteils), das Gesims und die Kuppeln stammen aus dem 18. und 19. Jh. Das architektonische Antlitz der Glockenwand ist denkbar einfach: Eine fünfbögige Arkade wird von einer massiven Mauer getragen. Ein Bau, der sich noch natürlicher an die Formen der Sophien-Kathedrale anpasst, ist kaum vorstellbar. Während des Krieges wurde die Glockenwand stark beschädigt. Die Glocken konnten jedoch von Mitarbeitern des Museums rechtzeitig abgenommen weren. Beim Versuch, sie auf dem Flussweg zu evakuieren, wurde der Schleppkahn von einer Bombe getroffen und versank mitsamt der Glocken. Zwei an Land verbliebene Glocken vergrub man. Nach der Befreiung der Stadt hob man die versunkenen Glocken aus dem Wolchow und stellte sie auf Sockeln vor der Glockenwand auf. Die größte, die «Festtagsglocke», wurde 1659 gegossen, ihr Gewicht beträgt 26,5 t. Links von der «Festtagsglocke» steht die «Sonntagsglocke» und rechts daneben die «Alltagsglocke». Die äußerste rechte Glocke stammt aus dem 16. Jh., sie wurde von Zar Boris Godunow einem Nowgoroder Kloster gestiftet. Der östliche Durchfahrtbogen in der Mauer des Detinez führt auf das Wolchowufer hinaus. Der Bogen ist im 19. Jh. an die Stelle des PretschistenskiTurms getreten, eines hohen, mächtigen und schmucken Turms, über dessen Torbogen eine kleine Kirche untergebracht war. Zu diesem Turm führte die Große Wolchow-Brücke, die die Sophien- und die Handelsseite miteinander verband. Rechtss vom Osteingang in den Kreml, hinter dem Denkmal «Tausend Jahre Russlands» befindet sich das ehemalige Amtsgebäude. In diesem Gebäude ist die Abteilung «Geschichte» des Nowgoroder Museums untergebracht. Eine Gedenktafel an der Fassade teilt mit, dass hier, in der Kanzlei des Gouvernements, der russische revolutionäre Demokrat Alexander Herzen gearbeitet hat. Das Gebäude wurde Ende des 18./Anfang des 19.Jh. anstelle des Gebäudes des staatlichen Kanzleibehörde erbaut. Die Kellerräume beherbergen noch Gewölbe aus dem 16. und 17 Jh. Das Nowgoroder Museum wurde 1865 von Enthusiasten und Kennern der alten Geschichet aus privaten Mitteln gegründet. Nach der Revolution gingen alle Museen in Volksbesitztum über, ihre Sammlungen wurden auf Kosten staatlicher Fonds ergänzt. Im Nowgoroder Museum nahm man die Sammlung und das Studium von wertvollen Werken der altrussischen Kunst in Angriff. Die Ikonensammlung zählte 3000 Einzelwerke. Zu Kriegsbeginn, im Juli und August 1941, evakuierte man aus dem Nowgoroder Museum 12000 Exonate, in erster Linie Werke der alten Malerei, dekorativen und angewandten Kunst sowie 220 Werke aus der Gemäldegalerie. Jedoch konnte ein bedeutender Teil der Kostbarkeiten nicht evakuiert, werden. Während der Besetzung wurden die verbliebenen Sammlungen von Handschriften und alten gedruckten Kirchenbüchern sowie die archäologischen Kollektion ausgeraubt und vernichtet. Nach dem Krieg musste ein Grossteil der Gegenstände von neuem gesucht, erworben oder restauriert werden. 1958 wurde das Nowgoroder als eines der ersten in unserem Land zu einem historischen und architektonischen Museumsreservat erklärt. Zu ihm gehören nun 50 Altertumsdenkmäler, darunter der gesamte Kreml der Jaroslawhof und der Markt. Heute verfügt der Museumsfonds, die Filiale des Museums im Nowgoroder Gebiet nicht mitgerechnet, über rund 158000 archäologische, historiische und Kunstgegenstände. Einen Teil des Museumsgebäudes belegt heute die Gebietsbibliothek, das organisatorische und methodische Zentrum des Bibliothekwesens in Nowgorod und dem Nowgoroder Gebiet. In den Fonds der Bibliothek werden rund 600 000 Bücher aufbewahrt. Die Bibliothek zählt 24000 ständige Leser. Insgesamt gibt es in Nowgorod 105 Bibliotheken mit einem Buchbestand von 3 Millionen Exemplaren. Hinter dem Museumsgebäude befindet sich an seiner Ostseite in der Nähe der Kremlmauer die kleine Andreas-Stratilates-Kirche, die Ende des 17.Jh. oder Anfang des I8. Jh. erbaut wurde. An ihrer Stelle befand sich im 11. Jh. die hölzerne 13-kuppelige Sophien-Kathedrale. Bei Ausgrabungsarbeiten in den Jahren 1938-1939 wurden im südlichen Teil des Kremls 15 hölzerne Beläge einer alten Nowgoroder Strasse gefunden, die den gesamten Kreml, angefangen beim Wladimir-Turm bis zur Spaski-Turm an der Südseite des Kremls, durchquerte. Dieser Abschnitt des Kremls war von jeher dicht bebaut. Im 17. Jh. entstand hier der Wojewodenhof. Von diesem ehemaligen Gebäudenkomplex ist heute lediglich der 32 m Hohe Kokui-Turm (ein Wachturm) erhalten. Dieser Turm ist ein bedeutendes Bauwerk der Baukunst, in dem sich Einfachkeit und Eleganz der Formen mit einer interessanten ingenieur-technischen Lösung paaren. Der Turm erhielt die Bezeichnung «Kokui» (vom holländischen Wort «Koke» = schauen) wegen der Bestimmung der oberen Etage als «Beobachtungsraum über die gesamte Stadt». Mit der Fertigstellung des Kokui in den Jahren um 1690 sind die Arbeiten zur Errichtung der Festungsanlagen des Nowgoroder Kremls abgeschlossen. Zum Wojewodenhof gehörte weiterhin der Pokrow-Turm, der niedriger und breiter ist als alle andere. Dadurch ragt er weit über die Flucht der Festungsmauern hinaus. Bemerkenswert sind die überragenden Schiessscharten im Obergeschoss und die grosse Anzahl von Schiesslöchern. Ende des 17. Jh. baute man neben dem aus dem 16. Jh. stammenden Turm die Mariä-Schutz-und-Fürbitte-Kirche, eine für den Moskauer Architekturstil jener Zeit typische Geschosskomposition mit einem quadratischen Mittelteil und einem achteckigen Oberteil. Im Pokrow-Turm befindet sich heute das Restaurant «Detinez», in dem auf altrussische Alt zubereitete Speisen und Getränke gereicht werden. Nördlich vom Pokrow-Turm hegt der Slatoust-Turm, der seit dem 16. Jh. vielmals umgebaut wurde. Zwischen dem Slatoust-Turm und dem westlichen Torbogen befindet sich an der Kremlmauer die Gedenkstätte «Ewiges Feuer des Ruhmes». In der Mitte der Gedenkstätte brennt vor einer Wand aus schwarzen Marmorplatten das ewige Feuer in einer runden Granitschale. Auf graniten Grabplatten sind die Namen von Helden des Bürgerkrieges, Partei- und Staatsfunktionären aus dem Nowgorod der ersten Jahre der Sowjetmacht und von Soldaten der Wolchow-Front, die bei der Befreiung der Stadt von Hitlerarmee im Januar/Februar 1944 gefallen sind, geschrieben.