SOLARTECHNIK «Minergie wird schon bald Standard» Die Bilanz von 40 Niedrigenergiebauten zeigt: Energieeffizientes Bauen ist enorm vielfältig und hält in der Ausführung, was die Planung verspricht. Weil Kosten für Nachisolation, Brennstoffe und Unterhalt weitgehend entfallen, rechnet sich ein Minergie-PGebäude langfristig auch wirtschaftlich, meint Christian Hanus, Architekt und Mitherausgeber einer neuen Publikation. Interview: Pieter Poldervaart Das vorliegende Buch stellt 40 wegweisende Projekte vor. Was für Gemeinsamkeiten haben die Gebäude? Christian Hanus: Ich war selbst verblüfft, wie klein der gemeinsame Nenner ist. Bei der Konstruktion etwa fanden wir alle Möglichkeiten, vom Strohballenhaus bis zum Stahl-Betonbau, von der Holzmodulbauweise bis zu Polystyrol-Schalungssteinen mit eingegossenem Beton. Auch die Energiekonzepte sind sehr vielfältig. Hier gibt es sehr simple Konzepte, die passive Solarnutzung über Südverglasung mit Warmwasserkollektoren, Solarspeicher und Holzheizung vereinen – also einfacher als bei konventionellen Bauten. Auf der anderen Seite der Palette findet sich ein hochtechnologisches Gebäude mit Wetterstation auf dem Dach, mit deren Messwerten über Mikroprozessoren ein komplexes Haustechniksystem gesteuert wird - alles ist möglich. Schliesslich überrascht die Vielfalt auch bezüglich Architektur: Wir fanden das Minergie-P-Chalet, aber auch den puristischen Kubus. Schreckt diese unübersichtliche Vielfalt den interessierten Bauherrn ab, weil er sich nicht zurechtfindet? Ich glaube eher, diese reiche Auswahl ist eine Stärke der Solararchitektur. Sie zeigt, dass praktisch alle Gebäude, ob nun Heimatstil oder aktuellstes Design, mit minimalem Energieeinsatz beheizt werden können. Es bleibt damit auch dem Besitzer überlassen, ob er ein explizites Passivhaus erstellen will oder ob die Haustechnik dezent daherkommen soll. Allen Gebäuden gemeinsam ist aber, dass sie einen extrem niedrigen Energieverbrauch aufweisen und das überrascht auf den ersten Blick. Wie charakterisieren Sie die Solarbranche in der Schweiz im Vergleich mit dem übrigen Europa? Zusammen mit Deutschland und Österreich haben wir zweifellos eine führende Stellung inne. Weil hierzulande schon früh experimen- tiert und auch ausgeführt wurde, hat sich eine Reihe von renommierten Architekturbüros entwickelt, die kompetent und erfahren sind. Was in den Neunzigerjahren noch Pionierleistungen waren, ist heute erprobt und Standard. Trotzdem ist die hiesige Branche sehr vielfältig geblieben und hat sich auf Nischenprodukte und hochkomplexe Systeme spezialisiert. Dazu beigetragen haben natürlich auch jene Bauherrschaften, die Neues ausprobierten und so erst ermöglichten, dass eine Idee von der Tüftelei zur Wirklichkeit wurde. In Deutschland und Österreich geht die Entwicklung verstärkter in Richtung standardisierter Gebäudelösungen und zu Baukomponenten, die auch im Eigenbau nachgerüstet werden können. Aus Österreich ist das Energieinstitut im Vorarlberg ein Begriff, aus Deutschland das Passivhaus Institut in Darmstadt - braucht die Schweiz etwas Ähnliches? Eine derartige Institution wäre in der Schweiz für die Weiterentwicklung und Umsetzung von Niedrigenergiebaukonzepten ebenfalls förderlich. Auf dem Gebiet des Normenwesens, der Weiterbildung und Informationsvermittlung übernimmt bereits die Minergie eine ähnliche Funktion. In der Schweiz wird in dieser Hinsicht den Architekten eine grosse Verantwortlichkeit überlassen. So entwickeln diese neuen Kollektorensysteme, definieren eigene Standards, bauen Netzwerke auf und informieren Bauherrschaften. Diese Struktur ist sicherlich weniger effizient als die institutionalisierten Formen im Ausland, dafür gewährt sie eine gewisse Vielfalt. 40 Häuser - wie sind die Bewohnerinnen und Bewohner damit zufrieden? Unsere Befragung zeigte eine hohe Zufriedenheit, und zwar nicht nur der Eigentümer, sondern auch von Mieterinnen und Stockwerkeigentümern. Besonders geschätzt wird das Isolation vom Feld: Strohballenhaus Braun Dubuis in Disentis. Bild Werner Schmidt/zVg 8 UMWELTTECHNIK SCHWEIZ 6/07 SOLARTECHNIK 40 Mal Minergie-P Hightech auf dem Dach: Synergiepark in Gams/SG. Bild Heizplan AG/zVg Auch ganze Siedlungen lassen sich energieeffizient beheizen: Passivhaussiedlung Rüchlig in Stein-Bad Säckingen. Bild Birri Architekten AG/zVg pld. 40 Wohnbauten, vom Einfamilienüber Mehrfamilienhaus bis zu ganzen Siedlungen und Sanierungen in Minergie-PBauweise untersuchten Studierende am Departement Architektur der ETH Zürich. Die Publikation «Bauen mit Solarenergie» gibt eine Bilanz der sechsjährigen Arbeit. Neben den aktuellen Daten der Objekte erhoben die Studierenden das Potenzial, indem sie Schwachstellen eruierten und mit Berechnungen ausloteten, was zusätzliche Investitionen etwa in andere Verglasungen bringen würden. Auch die Lage und die Ausrichtung der Liegenschaften wurden neu simuliert. Christian Hanus, Robert Hastings: Bauen mit Solarenergie. vdf Hochschulverlag AG, Zürich, 2007. 128 Seiten, durchgehend farbig, 58 Franken. behagliche und stabile Innenraumklima. In einzelnen Fällen können aber zeitweise Überhitzungserscheinungen auftreten, insbesondere wenn im Hochsommer grosse Südverglasungen nicht ausreichend beschattet werden. Häufig muss die Haustechnikanlage während des ersten Jahrs auf das genaue thermodynamische Verhalten des Gebäudes abgestimmt werden. In seltenen Fällen hat sich bei Leichtbauten ungenügender Schallschutz als Problem erwiesen. Bei den meisten Minergie-P-Häusern ist dies aber kein Problem, da die dichte und hoch- dämmende Bauweise auch gute Schalldämmeigenschaften aufweist. Das eine untersuchte Haus steht in Afrika, eins in den Alpen auf 2630 Metern über Meer - ist Niedrigenergiebauweise überall machbar? Tatsächlich - und der hochalpine Raum eignet sich sogar besonders gut dafür. In den Alpen haben wir mehr Sonneneinstrahlung als im nebligen Mittelland. Zudem fällt die Temperatur deutlich tiefer, was den Nutzen von guter Wärmedämmung erhöht. Auch in schwierigen Lagen wie Nordhängen ist zumindest MinergieStandard machbar. Die eine Liegenschaft etwa ist nach Norden ausgerichtet, weil im Süden die Autobahn durchgeht - trotzdem funktionierts. In Afrika wiederum steht die Thematik der passiven Kühlung im Vordergrund. In jedem Fall ist aber zu raten, die vorhandenen Ressourcen und das Gelände optimal in die Planung einzubeziehen. Trotz Vielfalt: Gibt es Trends bei der Solararchitektur? Besonders stark im Kommen ist der vorfabrizierte Holzelementbau. Dieser hat mehrere Vorteile. Er lässt sich exakt vorfertigen, deutlich genauer, als dies auf der Baustelle möglich wäre. Holz vermindert auch die Gefahr von Wärmebrücken, hat eine gute Ökobilanz und ist relativ kostengünstig. Zwei weitere Bauweisen sind ebenfalls vorzufinden. Die Mischbauweise mit massivem Innenkern und einer Hülle in leichter Holzbauweise liefert mehr Speichermasse als die blosse Leichtbauweise. Der Massivbau kommt in diesem Segment seltener zur Anwendung, meistens in Kombination mit transparenter Wärmedämmung. Welche Solarnutzungsformen setzen sich durch? Nach dem Experimentieren in den Neunzigerjahren sind heute Gesamtlösungen besonders beliebt. Sozusagen ein Basisangebot für ein Minergie-P-Gebäude ist das Paket mit Warmwasserkollektoren, einem Speichertank, einer mechanischen Lüftung mit Wärmerückgewinnung, teilweise mit vorgeschaltetem ErdUMWELTTECHNIK SCHWEIZ 6/07 9 SOLARTECHNIK Ein Haus produziert Strom: Solarkraftwerk Erni in Untersiggenthal/AG. Bild Daniel Bürgin/zVg und bei Gewerbebauten kann die Abwärme von Maschinen und Bürogeräten genutzt werden. Das Potenzial selbst für ganze Überbauungen, die zum Beispiel auf Wärmeverbünde setzen, ist gross. register und für den restlichen Wärmebedarf eine Holzheizung oder eine Wärmepumpe. Dazu gehört natürlich die intelligente Ausrichtung des Hauses. Eine weitere Anwendung mit Potenzial sind Solarluftkollektoren, die in der Schweiz allerdings nur von wenigen Planern beherrscht werden. Immer noch im Startloch stehen Phasenwechselspeicher (PCM, Phase Change Material): Statt einer 30 Zentimeter dicken Betonwand braucht es für die Wärmespeicherung nur drei Zentimeter dicke Elemente, die erst noch transluzent sind. Die Solaren Wärmedämmsysteme wie zum Beispiel Holzlamellen hingegen haben sich bereits etabliert. Ist die Niedrigenergie-Bauweise heute konkurrenzfähig? Der Minergie-Standard schreibt vor, dass die Kosten nicht mehr als zehn Prozent über jenen einer konventionellen Bauweise liegen dürfen. Bei Minergie-P wäre noch mehr Differenz er- Solarstrom legt zu pld. 2006 wurden in der Schweiz 250 neue Solaranlagen in Betrieb genommen, 50 mehr als 2005, berichtet die «NZZ». Die installierte Leistung erhöhte sich damit um 2,5 Megawatt. Ende 2006 waren insgesamt 2150 Solarstromanlagen mit einer Leistung von 26 Megawatt und einer Produktion von 21’000 Megawattstunden ans Schweizer Stromnetz angeschlossen. 10 UMWELTTECHNIK SCHWEIZ 6/07 laubt. Doch die untersuchten Gebäude haben gezeigt, dass die Differenz häufig nur bei fünf bis zehn Prozent lag, vereinzelt waren die Kosten sogar gleich hoch. Neben den Investitionen muss man natürlich den Betrieb untersuchen. Der Eigentümer eines Einfamilienhauses sagte mir, er bezahle jährlich bloss 200 Franken Nebenkosten. Noch nicht berücksichtigt in solchen Zahlen sind Benefits punkto höherem Komfort. So sind Minergie-P-Bauten gut isoliert, eine Nachdämmung, wie sie konventionelle Wohnungen in ein paar Jahrzehnten nötig haben werden, ist bei ihnen nicht zu erwarten. Neben Kosten für Brennstoffe entfallen auch Wartungsaufwand wie Kaminfeger und Tankrevisionen. Bei den beobachteten Beispielen jedenfalls sind die zusätzlichen Investitionen je nach Objekt spätestens nach 17 bis 25 Jahren amortisiert. Minergie wird oft mit Einfamilienhäusern in Verbindung gebracht. Ist Passivhaus auch ein Thema für Mehrfamilienhäuser und Gewerbebauten? Unbedingt! Die von uns vorgestellten Beispiele zeigen, dass bei grossen Häusern diese Bauweise sogar noch sinnvoller ist. Denn bei Mehrfamilienhäusern ist die Verlustfläche kleiner, Wie sieht die Zukunft der Niedrigenergiebauweise aus? Minergie-P ist heute überall machbar und wird über kurz oder lang Standard werden. Mit Zuschüssen für Pilot- und Demonstrationsanlagen sowie Fördergeldern für neue Technologien werden diese auf dem Markt schneller Fuss fassen, was sehr zu begrüssen ist. Doch auch ohne solche Finanzspritzen ist die Marschrichtung vorgegeben. Die steigenden Energiepreise und die CO2-Abgabe tragen dazu bei, dass Minergie-P immer attraktiver wird. Wenn dann die Anwendungen in Serie gehen und der Vertrieb optimiert ist, wird sich die Umsetzung zusätzlich beschleunigen. Diese Entwicklung beeinflusst im Übrigen auch konventionelle Architekten: Die herkömmliche Bauweise wird immer energieeffizienter und bezieht passive und aktive Solarnutzung mit ein, was häufig ohne Aufpreis möglich ist. Christian Hanus war der Schweizer Solarinnovation auf der Spur. Bild zVg