24/Theater/Botho Strau (Page 226)

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Kultur
T H E AT E R
Jedermann und
Jedefrau
In seinem neuen, in Wien als
bestechender Bilderbogen
aufgeführten Stück widmet sich
Botho Strauß virtuos der
Profillosigkeit moderner Menschen.
A
Dann haben sich die Brüder mit Ellen
und Odile, der neuen Partnerin des einen,
im Schneesturm verirrt und versuchen, einer veritablen Märchenhexe ihr Reisigbündel zu entreißen – die aber, hinter deren Maske sich die verlassene Else verbirgt,
reißt statt dessen dem Ex-Mann bei lebendigem Leibe das Herz aus der Brust.
Nach diesem archaischen Höhepunkt
(und nach der Pause) weicht Regisseur
Stein von der gedruckten Fassung des
Stücks ab: An die Stelle des kleinen Metaspiels „Einzelprobe“, einem Stück Theater
im Theater, in dem sich die Verwandlung
von Odile/Magda fortsetzt, stellt er eine
Szene, die einem anderen neuen, noch
nicht aufgeführten Strauß-Stück entnommen ist, gefolgt von einer eigens für diese
Inszenierung geschriebenen Episode: In
beiden Fällen wird der angedeutete Erzählbogen, der fragile Zusammenhalt des
Stücks, ohne Not strapaziert.
Schade – denn gerade in den noch folgenden Szenen erweisen sich Strauß und
Stein als hinreißend genaue, herrlich witzige Inszenatoren heutiger, ewiger Geschlechter-Querelen. Wie
da ein geschiedenes Ehepaar um den halbwüchsigen Sohn kämpft, wie da
ein Halbentschlossener
eine fast schon verführte
Frau („Ich bin an sich geneigt, in dem Ereignis
selbst – wenn’s je eines
würde, Ihr Wort in Gottes
Ohr! – restlos aufzugehen“) schließlich doch
nicht erobert: Das sind
Wortgefechte und Dialogverästelungen, denen man
atemlos lauscht.
„Das Chaos wächst, wir
setzen unsere kleine Symmetrie entgegen“, knüpft
Strauß bei Goethe an – die
„Ähnlichen“ sind schließlich auch eine neue Spezies von Mensch. Die Befürchtung, „daß die Ähnlichen es am Ende schaffen
werden“, die schon im Strauß-Band „Die
Fehler des Kopisten“ (1997) vorkommt,
heißt nichts anderes, als daß die zukünftigen „Menschenähnlichen“ kein Profil
mehr haben könnten, kein eigenes Gesicht:
lauter Jedermänner und Jedefrauen. Auch
diesmal also übt Strauß, wie von vielen
herbeigehaßt-ersehnt, Kulturkritik.
Zum Theaterereignis aber macht die Wiener Uraufführung nicht zuletzt das Bühnenbild von Ferdinand Wögerbauer, der einen bestechend wandlungsfähigen Raum
aus Lichtquadern vor zumeist schwarzem
Hintergrund geschaffen hat: Darin gelingen
Stein und seinen Schauspielern Bilder, die
selbst in der an Blickfängen nicht armen
Geschichte der Strauß-Inszenierungen
Volker Hage
ihresgleichen suchen.
R. WALZ
m Anfang und am Ende: drei Frauen auf einem Bett. Dazwischen, an
unterschiedlichen Orten, Spiele:
Liebesspiele, Wechselspiele, Zwischenspiele – moralisches und unmoralisches
Episodentheater oder, in der Diktion des
Dichters, „Moral Interludes“: So heißt das
neue, am vergangenen Samstag im Rahmen der Wiener Festwochen im Theater in
der Josefstadt uraufgeführte Stück von Botho Strauß im Untertitel.
Schwestern, Freundinnen und Feindinnen
– mit wechselnden Namen und Rollen.
Zu Beginn heißen sie Agathe, Vilma und
Magda: neuzeitliche Passantinnen, ganz im
Hier und Heute mit Minirock und FalkStadtplan, und gleichzeitig weibliche Fabelwesen. Die drei sind, da erweist sich
Strauß abermals als umfassend gebildeter
Traditionalist, Wiedergängerinnen der
Graien, jenes schwesterlichen Trios aus der
griechischen Mythologie, das schon Goethe
im „Faust“ sagen läßt: „Des Chaos Töchter sind wir unbestritten.“
Die erste große Leistung der drei Schauspielerinnen: wie hingebungsvoll sie die
„Ähnlichen“ geben und auf Individualität
verzichten, von nahezu identischem Outfit. Sie reden und quasseln wie aus einem
Munde durcheinander, gegeneinander und
miteinander. Agathe, Vilma und Magda
wird es auf ihrem Hotelbett immer heißer
und sie entledigen sich langsam des größten Teils ihrer zivilen Kleidungsstücke –
wunderbares Boulevardtheater.
Feste Rollen gibt es bei Strauß und Stein
im ganzen Stück nicht, weder für die Frau-
Strauß-Stück „Die Ähnlichen“ in Wien:* „Das Chaos wächst“
„Die Ähnlichen“ ist das 16. Stück des für
die Bühnen mittlerweile fast konkurrenzlos attraktiven deutschen Gegenwartsdramatikers – in der Regie von Peter Stein, 60,
dem seit alten Berliner Schaubühnen-Tagen bewährten Strauß-Intimus, erweist es
sich als ein Schauspiel ganz auf der Höhe
der Strauß-Klassiker „Groß und klein“,
„Kalldewey, Farce“ und „Schlußchor“.
Wieder einmal widmet sich Strauß, 53,
den Fragen nach der menschlichen Identität und der Beziehung der Geschlechter
– und hat dabei, wieder einmal, den Frauen die attraktiveren Parts zugedacht. Jutta
Lampe, Mirjam Ploteny und Dörte Lyssewski spielen in schönem Einklang drei
* Mit Dörte Lyssewski, Jutta Lampe und Mirjam Ploteny.
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en noch für die Männer. Zum Stamm der
„Ähnlichen“ gehören auch zwei Brüder
aus dem eben noch geteilten Deutschland.
Christian, der sich 1981 in den Westen
abgesetzt hat, und Christoph, der in der
DDR geblieben war, streiten um ihr Erbe:
August Zirner und Daniel Friedrich erweisen sich – so auf der Hauptprobe in
der vergangenen Woche – als regelrechte
Kampfhähne und dann wieder als Kumpane, teils angestachelt, teils beschwichtigt
von den drei Frauen, die nun zu Else
und Ellen, den Gattinnen, und Odile, einer
von beiden Männern besuchten Hure,
mutiert sind: Fließende Übergänge sind
eine Spezialität des Strauß-Theaters, das
auf zusammenhängende Handlung verzichtet.
d e r
s p i e g e l
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