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CARMEN
Oper in vier Akten von Georges Bizet
Man muss Carmen nicht neu erfinden, um sie neu zu inszenieren. Im Gegenteil.
Knapp 130 Jahre Inszenierungsgeschichte haben eine Menge verklärenden Ballast angehäuft
auf Bizets anfangs so skandalöser Skizze einer gescheiterten Liebe im Unterschichtmilieu.
Carmen verkam schlicht zur Projektionsfläche männlicher Fantasien, wurde verkitscht, mit
unpassendem Pathos aufgeladen oder auf’s Sexuelle reduziert.
Nelly Danker (Regie) und Franziska Waldmann (Bühne und Kostüme) interessieren sich nicht für
gefällige Folklore. Sie haben Bizets Meisterwerk kräftig entrümpelt, Flamenco-Kleidchen,
Kastagnetten und Stiefelsporen in die Mottenkiste gepackt und die tragische opéra comique auf
ihren dramatischen Kern reduziert. Damit verliert sie den gewohnten Charakter eines sentimentalen Rührstücks. Liebe, Eifersucht und Mord entwickeln sich im sozialen Elend, in einer
schmutzigen Welt von Außenseitern: kleine Leute, Schmuggler, Zigeunerinnen, Prostituierte.
Nach einem vergleichbaren Milieu muss man in dieser Stadt nicht lange suchen. CARMEN liebt
und leidet als Künstlerin in Berlin, weil sich hier die Schere zwischen reich und arm, zwischen
Potsdamer-Platz-Regierungsviertel-Glanz und einer chronisch notleidenden aber umso liebenswerteren Subkultur so spürbar wie nirgends immer weiter aufsperrt. Oder erscheint das nur aus
der Nähe so „berlinspezifisch“?
Die Liebe Josés, sein männliches Besitzdenken bedroht Carmens Unabhängigkeit. Oder sind es
nicht vielmehr ihre eigenen Gefühle für ihn, die sie den Verlust ihrer Selbstbestimmung fürchten lassen?
Carmen ist für uns eine moderne Künstlerin, eine Frau mit Wünschen, Träumen, mit ihrer
Einsamkeit. Weit entfernt von einem männermordenden Vamp sehnt sie sich nach einem
Mann, der sie liebt, mit dem sie Spaß haben kann. Diese Carmen kann jedem von uns auf der
Straße begegnen. Auf Kriegsfuß mit einer Gesellschaft, die sie als untragbar ausgestoßen hat,
kämpft sie mit allen Mitteln ums Überleben und sprengt alle konventionellen Grenzen. Geht
Carmen letztlich konsequent in Tod, weil sie die Erkenntnis der Unvereinbarkeit von Liebe und
Freiheit nicht erträgt?
Premiere am 30. Oktober 2003
weitere Vorstellungen am 2., 5., 7., 9., 11., 13., 15. und 16. November 2003
Beginn 19.30 Uhr, Sonntags 16.00 Uhr
Saalbau Neukölln
Regie: Nelly Danker
Musikalische Leitung: Friedrich Suckel
Bühne und Ausstattung:
Franziska E. Waldmann
Carmen:
José:
Michaela:
Escamillo:
Frasquita:
Mercedes:
Zuniga:
Dancairo:
Remendado:
Morales:
Kinga Dobay
Yun Hwan Cho
Leila Trenkmann
Carlos Aguirre
Katharina Göres
Anna Prohaska
Hyeong-Joon Ha
Roman Grübner
Florian Hoffmann
Nikolay Borchev
MUSIKALISCHE REALISIERUNG
Abweichend von der Tradition großer Opernbühnen möchten wir die Oper ›Carmen‹ auf ihre
musikalische Originalgestalt zurückführen und damit dem ihr eigenen Klangideal nahe kommen. Ohne die Partitur Bizets zu verändern und ohne das von ihm vorgesehene Instrumentarium zu modifizieren, den ursprünglichen Klang also zu verfälschen, werden wir dem Zuhörer die
Gelegenheit bieten, Bizet’sche Tonvorstellungen neu zu entdecken.
Die entscheidende Rolle spielt dabei die Ausbalancierung der Instrumentengruppen: Spieltechnik und Instrumentenbau heutiger Zeit unterscheiden sich wesentlich von jenen des 19.
Jahrhunderts. Der seinerzeit eher gedeckte Klang von Holz- und Blechbläsern ließ kleinste
Streicherbesetzungen zu, ohne das Verhältnis der Orchestergruppen zu verzerren – eine
Praxis, die wir aufgreifen möchten. Das französische Klangideal, welches mit Ravel, Debussy
und Messiaen bis ins letzte Jahrhundert reicht, verachtet den heute gebotenen üppigen, zuweilen fetten Orchesterklang – zumal dieser mit den damaligen Instrumenten und ihrer Spielweise
ohnehin nur schwer zu erreichen war. Diese Tradition ist schon bei Beethoven zu beobachten:
Man bedenke nur den heute kurios anmutenden Umstand, dass die Uraufführung seiner
siebter Sinfonie mit lediglich vier ersten Geigen auskam.
An großen Häusern mit ihrem enormen Bedarf an Schallleistung ist diese Auseinandersetzung
obsolet. Um das stimmliche Gleichgewicht zu wahren, musste die Besetzungsstärke des
Streichapparates gegenüber den modernen Blasinstrumenten angepasst werden, Farben und
Nuancen ordnen sich dabei dem Anspruch an Tonfülle unter. Der Spielraum für den schlanken,
flexiblen und variablen Orchesterklang, wie ihn Bizet kannte und nutzte, geht damit verloren.
Auch für die darstellenden Sänger ist es technisch äußerst schwierig, Feinheiten ihrer Interpretation umzusetzen: Das Großorchester übertönt den Sänger allzu leicht, anstatt ihn mit Akribie
entlang der detailreichen Dramaturgie der Musik zu führen und zu stützen.
Die Partitur Bizets besticht in ihrem musikdramatischen Gehalt an Präzision und erinnert uns
an den Perfektionismus eines Richard Wagner. Die komponierten Affekte und musikalischen
Anweisungen Bizets möchten wir wörtlich nehmen: Wir wollen der Komposition in ihrem ursprünglichen Gehalt eine adäquate und überzeugende Gestalt verleihen. Eine Umsetzung im
Saalbau Neukölln wird – gerade in Hinsicht auf Größe des Auditoriums und Platz im Orchestergraben – dem Anspruch des Werkes in diesem Sinne folgen.
Friedrich Suckel
Musikalische Leitung
ORCHESTERBESETZUNG NACH PARTITUR
Im Orchestergraben:
5 erste, 5 zweite Geigen, 3 Bratschen, 2 Celli, 2 Kontrabässe
2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner
Vorraum zum Graben:
Pauke, Schlagzeug, Harfe
Seitenbühne:
2 Trompeten, 3 Posaunen (Bühnenmusik)
DIE KÜNSTLER
Kinga Dobay (CARMEN)
1975 in Siebenbürgen geboren, studierte Kinga Dobay Operngesang an der Hochschule für
Theater und Musik "Felix Mendelssohn-Bartholdy" in Leipzig. Seit 2002 ist sie Meisterschülerin
bei Julia Hamari. 1999 gewann sie den Bundeswettbewerb Gesang Berlin und erhielt in den
Folgejahren Preise bei Internationalen Gesangswettbewerben (2000 Publikums- und Musicalpreis "Debüt in Meran"; 2002 Int. Gesangswettbewerb für italienische und französische Oper
in Passau; 2003 Int. Gesangswettbewerb Florenz). Gastverträge führten sie bereits an das
Badische Staatstheater Karlsruhe, die Schlossfestspiele Ettlingen, die Freilichtspiele Schwäbisch Hall, das Gewandhaus Leipzig, die Staatsoperette Dresden und das Konzerthaus am
Gendarmenmarkt Berlin.
Friedrich Suckel (Musikalische Leitung)
Er wurde 1979 in Berlin geboren und studiert Dirigieren und Korrepetition an der Hochschule
für Musik Hanns Eisler bei Prof. Rolf Reuter und Prof. Alexander Vitlin. Er erhielt Stipendien der
Konsul Karl und Dr. Gabriele Sandmann Stiftung Berlin, des DAAD und des Richard-WagnerVerbandes Berlin und war an HfM-Produktionen wie Die Zauberflöte, Don Pasquale und einer
konzertanten Aufführung der Walküre beteiligt. Neben Studiendirigaten bei den Berliner Symphonikern und dem Filmorchester Babelsberg dirigierte er im Frühjahr 2002 Die Italienerin in
Algier im Saalbau Neukölln. Friedrich Suckel ergänzt seine Orchesterarbeit durch Auftritte als
Liedbegleiter und ist ab Dezember 2003 als Solorepetitor an der Deutschen Oper Berlin engagiert. Eine Assistenz für die Bayreuther Festspiele folgt 2005/06.
Nelly Danker (Regie)
Unsere Regisseurin wurde 1978 in Karlsruhe geboren, ist japanisch-deutscher Herkunft und
studiert Musiktheaterregie an der Hochschule für Musik Hanns Eisler. Sie arbeitete für die
Schwetzinger Festspiele, das Nationaltheater Mannheim, die Deutsche Oper Berlin und die
Festspielhäuser Bayreuth und Baden-Baden und ist festes Mitglied im Regieteam bei Hans
Neuenfels (Idomeneo). An eigenen Projekten realisierte sie Ein Fest für Prinz Heinrich am
Schlosstheater Rheinsberg, Schubert Metamorphosen ancient voices – ein musiktheatralisches Projekt in den Reinbeckhallen in Berlin und im Juli 2003 Betrachtung an der
Akademie der Künste Berlin.
Franziska E. Waldmann (Bühne und Kostüme)
1973 in Berlin geboren, studierte Franziska E. Waldmann Bühnenbild an der Kunsthochschule
Berlin-Weißensee und am Dartington College of Arts sowie Filmszenografie an der Hochschule
für Film und Fernsehen in Potsdam. Als Illustratorin zeichnet sie für die Berliner Zeitung, taz
und Die Zeit.
Sie stattete die Filme November, Max und der Ursprung der Welt, Suche nach den verlorenen
Tönen und Liebesversuch aus und war für das Kostümbild von Das letzte Duell und Laura
verantwortlich. Für die Bühne gestaltete sie Szene und Kostümbild in Hänsel und Gretel,
Platonov und in 2002 Brittens Oper Albert Herring. Im selben Jahr hatte bereits ihre dekadentsiffige Welt der Italienerin in Algier begeistert.
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