Algebra I 2.3 c Rudolf Scharlau, 2002 – 2012 � 71 Endliche abelsche Gruppen In diesem Abschnitt wollen wir in knapper Form die Struktur von endlichen abelschen Gruppen behandeln. Die Grundidee ist, die Gruppe als ein direktes Produkt von kleineren und einfacheren Gruppen darzustellen. Für abelsche Gruppen ist dieses tatsächlich möglich: Jede abelsche Gruppe ist isomorph zu einem direkten Produkt von zyklischen Gruppen, deren Ordnung Potenz einer Primzahl ist; solche speziellen zyklischen Gruppen können nicht weiter zerlegt werden, und die Zerlegung der gesamten Gruppe ist eindeutig bis auf Isomorphie. Wir werden von diesem Resultat allerdings nur einen kleineren Teil beweisen, da sich eine systematische Behandlung besser an anderer Stelle, nämlich in der Theorie der Moduln über Hauptidealringen, ergibt. Wir erinnern daran, dass das kartesische Produkt A × B zweier Gruppen mit der komponentenweisen Verknüpfung wieder eine Gruppe ist und als direktes Produkt von A und B bezeichnet wird. Genauer wollen wir vom externen direkten Produkt von A und B sprechen. Wir wollen zunächst klären, wann eine gegebene Gruppe als ein solches Produkt dargestellt“ werden kann, präzise: wann sie isomorph zu ” einem direkten Produkt ist. In diesem Zusammenhang wird der folgende Schluss häufig benutzt, der übrigens später auch für nicht-abelsche Gruppen nützlich ist: Lemma 2.3.1 Es sei G eine Gruppe und A ⊆ G, B ⊆ G zwei endliche Untergruppen mit A ∩ B = {e}. Dann besteht AB := {ab | a ∈ A, b ∈ B} aus |A| · |B| Elementen. Beweis: Die Abbildung A × B → AB, (a, b) �→ ab ist nach Definition surjektiv, und aus der Voraussetzung folgert man leicht ihre Injektivität. � Die Voraussetzung A ∩ B = {e} ist insbesondere erfüllt, wenn die Ordnungen |A| und |B| teilerfremd sind. Die Gruppe A × B besitzt zwei kanonisch zu A bzw. B isomorphe Untergruppen, � = A × {eB } ⊆ A × B und B � = {eA } × B ⊆ A × B. Die Bedingung aus nämlich A � und B � erfüllt, außerdem ist A �B � = A × B. Es dem letzten Lemma 2.3.1 ist für A � � � � � Dieses gilt noch mehr, nämlich � ab = b� a für alle � a = (a, e) ∈ A und b = (e, b) ∈ B. führt uns auf folgende Definition, und eine erste Antwort auf die oben gestellten Frage: Definition und Bemerkung 2.3.2 (Internes Direktes Produkt) Eine Gruppe G heißt (internes) direktes Produkt von zwei Untergruppen A und B, wenn folgendes gilt: (DP1) G = AB (DP2) A ∩ B = {e} (DP3) A und B sind elementweise vertauschbar“, ” d.h. für alle a ∈ A, b ∈ B gilt ab = ba. Unter diesen Voraussetzungen gilt: G ∼ = A × B. Algebra I c Rudolf Scharlau, 2002 – 2012 � 72 Beweis: Unter der Voraussetzung von (DP3) ist die Abbildung (a, b) �→ ab aus 2.3.1 ein Homomorphismus, also ein Isomorphismus. � Externe und interne direkte Produkte sind also bis auf Isomorphie dasselbe, aber der Standpunkt ist ein anderer: Beim internen direkten Produkt liegt die Gruppe bereits vor, und ihre Struktur wird durch zwei Untergruppen beschrieben; ein externes direktes Produkt wird erst konstruiert. Die Definition eines direkten Produktes verallgemeinert sich leicht auf mehr als zwei Untergruppen A1 , . . . , Ar . Hier muss man verlangen, dass jedes Ai mit dem Produkt der übrigen Aj trivialen Schnitt hat, genau wie bei der direkten Summe von mehr als zwei Untervektorräumen. Außerdem muss jedes Ai mit jedem Aj elementweise vertauschbar sein, eine Voraussetzung, die in abelschen Gruppen immer erfüllt ist. G ist genau dann das direkte Produkt der Untergruppen A1 , . . . , Ar , wenn die Abbildung A1 × A2 × · · · × Ar −→ G, (x1 , x1 , . . . , xr ) �−→ x1 x2 . . . xr ein Isomorphismus ist. Bevor wir abelsche Gruppen genauer untersuchen, noch eine kleine Definition (eigentlich nur eine Sprechweise). Definition 2.3.3 Es sei p eine Primzahl. a) Ein Element einer Gruppe heißt p-Element, falls seine Ordnung eine Potenz von p ist. b) Eine endliche Gruppe heißt p-Gruppe, falls ihre Ordnung eine Potenz von p ist. Lemma 2.3.4 Für eine abelsche Gruppe G und m ∈ N ist G(m) := {x ∈ G | xm = e} eine Untergruppe von G. Wenn |G| = km ist mit ggT(k, m) = 1, dann ist G das interne direkte Produkt G = G(k)G(m). Beweis: Die Bedingung (DP3) aus Bemerkung 2.3.2 ist in abelschen Gruppen immer erfüllt; die Bedingung (DP2) folgt sofort aus der Voraussetzung und dem Satz von Lagrange: Jedes Element aus G(k) ∩ G(m) hat die Ordnung 1. Zum Beweis von (DP1) schreibe mit dem Lemma von Bezout 1 = sk + tm, s, t, ∈ Z. Dann zerlegt sich ein beliebiges Element x ∈ G als x = xtm xsk , und es gilt (xtm )k = xtmk = e, also xtm ∈ G(k), analog xsk ∈ G(m). � Es ist richtig, aber an dieser Stelle noch nicht bewiesen, dass in der Situation des letzten Lemmas |G(k)| = k und |G(m)| = m ist. Hierzu dient das nächste Lemma: Lemma 2.3.5 Es sei G eine endliche abelsche Gruppe und p ein Primteiler der Gruppenordnung. Dann enthält G ein Element der Ordnung p. Algebra I c Rudolf Scharlau, 2002 – 2012 � 73 Beweis durch Induktion über die Gruppenordnung, bzw. über |G|/p. Wähle in G ein beliebiges von e verschiedenes Element y. Falls p | ord(y), nimm eine geeignete Potenz von y. Anderenfalls wende die Induktionsannahne auf die Faktorgruppe G/�y� an. (Details in der Vorlesung.) � Das Lemma gilt (mit schwierigerem Beweis) auch im nicht-abelschen Fall (sogenanntes Lemma von Cauchy“, siehe das Kapitel über die Sylow-Sätze). ” Zusatz zu 2.3.4 Es gilt |G(k)| = k und |G(m)| = m. Beweis: Setze kurz k � := |G(k)|, m� := |G(m)|. Es reicht zu zeigen: Jeder Primteiler p von k � teilt auch k, entsprechend für m� . Wegen k � m� = |G| = km und ggT(k, m) = 1 folgt dann die Behauptung. Sei also p ein Primteiler von k � . Nach Lemma 2.3.5, angewendet auf G(k), gibt es in G(k) ein Element x der Ordnung p. Wenn p nicht k teilen würde, dann würde es m teilen. Dann würde aber x auch in G(m) liegen, wäre also ein nichttriviales Element von G(k) ∩ G(m). Widerspruch. � Wenn wir das Lemma 2.3.4 mit dem jetzt bewiesenen Zusatz mehrfach anwenden (also eine Induktion über die Anzahl der verschiedenen Primteiler von |G| machen), erhalten wir den folgenden Satz: Satz 2.3.6 Jede endliche abelsche Gruppe G zerlegt sich eindeutig als ein direktes Produkt von p-Gruppen. Genauer: Betrachte die kanonische Primfaktorzerlegung |G| = pν11 · pν22 · . . . · pνrr , wobei die pi paarweise verschiedene Primzahlen sind und νi ∈ N. Setze νi Gi = {x ∈ G | xpi = e} . Dann sind die Gi , i = 1, . . . , r Untergruppen von G mit |Gi | = pνi i , und G ist das interne direkte Produkt der Gi , also auch G∼ = G1 × G2 × . . . × Gr . Die Frage nach der Struktur endlicher abelscher Gruppen ist somit auf den Fall von p-Gruppen reduziert. Die eigentliche Antwort gibt der folgende Satz: Theorem 2.3.7 (Struktursatz für abelsche Gruppen, Version 1) Jede endliche abelsche Gruppe ist isomorph zu einem Produkt von zyklischen pGruppen Z/pj Z. Die auftretenden Primzahlpotenzen pj sind dabei (einschließlich ihrer Vielfachheiten) bis auf Reihenfolge eindeutig bestimmt. Der Beweis des Theorems reduziert sich mittels des Satzes 2.3.6 unmittelbar auf den Fall, dass nur eine Primzahl p auftritt, d.h. G eine p-Gruppe ist. Eine andere eindeutige Darstellung einer beliebigen abelschen Gruppe, die mit weniger Faktoren auskommt, ist die folgende: Algebra I c Rudolf Scharlau, 2002 – 2012 � 74 Theorem 2.3.8 (Struktursatz für abelsche Gruppen, Version 2) Jede endliche abelsche Gruppe G ist isomorph zu einem Produkt Z/m1 Z × Z/m2 Z × · · · × Z/mt Z, m1 | m2 | · · · | mt , m1 > 1. Die Anzahl t und die auftauchenden Ordnungen mi mit ihren Vielfachheiten sind durch diese Teilbarkeitsbedingungen eindeutig bestimmt. Von den beiden Versionen des Theorems braucht man im Wesentlichen nur eine zu beweisen; die andere führt man dann mittels Satz 2.2.16 darauf zurück. Beweis der Eindeutigkeitsaussage in Theorem 2.3.7: Es reicht, eine p-Gruppe der Gestalt G = (Z/pZ)µ1 × (Z/p2 Z)µ2 × . . . (Z/pl Z)µl zu betrachten und zu zeigen, dass für eine isomorphe Gruppe der gleichen Bauart alle Exponenten µ1 , µ2 , . . . , µl (also die Vielfachheiten von zyklischen Faktoren derselben Ordnung) übereinstimmen. (Exponenten Null für nicht vorhandene Faktoren sind zugelassen.) Dieses geschieht mit Hilfe der Untergruppen G(p), G(p2 ), . . . , G(pl−1 ), G(pl ) = G. Für zwei isomorphe Gruppen G und H haben auch diese Untergruppen jeweils die gleiche Ordnung, nennen wir sie pλi , i = 1, . . . , l. Ferner ergeben sich die G(pi ) in der Produktzerlegung komponentenweise: G(pi ) = (Z/pZ)(pi )µ1 × (Z/p2 Z)(pi )µ2 × . . . (Z/pl Z)(pi )µl . Für eine zyklische Gruppe Z ist klar, was Z(pi ) ist: |(Z/pj Z)(p)| = p für alle j ≥ 1, |(Z/pj Z)(p2 )| = p2 für alle j ≥ 2, |(Z/pj Z)(p3 )| = p3 für alle j ≥ 3 usw. Die zu bestimmenden Zahlen µi , i = 1, . . . , l ergeben sich aus den bekannten Zahlen λi also durch die folgenden Gleichungen: λi − λi−1 = wobei noch λ0 = 0 zu setzen ist. l � µi für i = 1, . . . , l, j=i �