Wissenschaft/Fortbildung In tierexperimentellen Studien wird bereits darauf hingearbeitet, die defekten Gene auszutauschen und eine pränatale Heilung herbeizuführen. Therapeutische Aspekte Nahezu alle intensiv mit der molekularbiologischen Forschung befaßten Forschergruppen gehen davon aus, daß innerhalb der nächsten 10 bis 15 Jahre vermehrt Tissue Engeneering, also die therapeutische Schaffung von fehlendem oder verlorenem Gewebe, und vielleicht auch Gentherapie Einzug in die Praxis der Zahnheilkunde halten werden. Erste Ansätze sind in der Anwendung von BMP (Bone Morphognetic Protein) oder Amelogenin zur Regeneration von Knochendefekten bereits erkennbar. Die Forschung zu Fragen der Differenzierung von pluripotenten myeloischen Stammzellen, aber auch die Arbeiten zur embryonalen Osteogenese liefern uns eine Reihe von Genen oder Transmitterstoffen, die potentiell in der Lage sind, eine Regeneration von Gewebsdefekten herbeizuführen, möglicherweise sogar von Zahnhartsubstanz. Da man mit großer Sicherheit davon ausgeht, heute schon sämtliche an der Dentogense beteiligten Gene, Botensubstanzen und Rezeptoren zu kennen, weil man außerdem bereits eine große Zahl von Gendefekten, die für die Agenesie von Zähnen verantwortlich sind, kennt, halten führende Forscher wie Thessleff in absehbarer Zeit die therapeutische Induktion der Zahnbildung bei Nichtanlagen und vielleicht auch nach Zahnverlust für praktikabel. An der Poliklinik für Kieferorthopädie der Universität Regensburg und in einigen anderen Forschungseinrichtungen laufen Versuche, die Genexpression von Fibroblasten, Chondro- und Osteozyten nach unterschiedlicher mechanischer Belastung zu bestimmen. Dabei steht in Regensburg die Expression und Funktion des CBFA1/RUNX2-Gens im Mittelpunkt. Die Ergebnisse aus diesen Untersuchungen sollen Rückschlüsse über das Verhalten von Knochen, Knorpel und desmodontalem Faserapparat unter mechanischer Belastung durch Funktion, (kieferorthopädischer) Therapie oder Parafunktion gestatten. Ziel ist nicht nur die Verbesserung des Verständnisses für das genexpressive Verhalten BZB/Juni/02/BLZK&KZVB der verschiedenen Gewebe, sondern auch beispielsweise die Entwicklung von Indikatoren oder Sonden, die es uns ermöglichen, über die Expression von Genen oder Botenstoffen den Belastungszustand des parodontalen Gewebes einzelner Zähne eines Individuums zu bestimmen. Hieraus ließen sich funktionell determinierte Indikatoren für eine parodontale, kieferorthopädische oder funktionstherapeutische Maßnahme bestimmen. Außerdem könnte das zu applizierende Kraftniveau bei einer kieferorthopädischen Behandlung individuell festgelegt werden. Lehre Durch die stärkere Betonung molekularbiologisch oder genetisch basierter Methoden zur Diagnostik und Behandlung werden Medizin und Zahnmedizin wissenschaftlich und therapeutisch noch enger zusammenwachsen. Langfristig ist zu erwarten, daß sich das Berufsbild des Zahnarztes sehr stark ändern wird. Der Autor geht davon aus, daß die heutigen Gebiete bzw. Bereiche Kinderzahnheilkunde, Kieferorthopädie, Funktionsdiagnostik und Parodontologie enger zu einem prophylaxeorientierten Gebiet verschmelzen werden. Es erscheint deshalb ratsam, die künftigen Zahnärzte durch schrittweise Änderung der Inhalte des zahnmedizinischen Studiums auf die künftigen Herausforderungen vorzubereiten. An der Zahn-, Mund- und Kieferklinik des Klinikums der Universität Regensburg haben wir deshalb damit begonnen, den Studierenden des 3. klinischen Semesters eine von der Poliklinik für Kieferorthopädie getragene, interdisziplinäre Vorlesung „Kraniofaziale Genetik“ anzubieten. An ihr wirken Biologen aus der Poliklinik für Kieferorthopädie, der Abteilung für Ophtalmogenetik sowie Ärzte aus den Polikliniken für Zahnerhaltung und Parodontologie und Kieferorthopädie mit. Die Studierenden haben offensichtlich die Zeichen der Zeit verstanden. Ihre Teilnahme an diesem außerplanmäßigen Unterricht übertrifft unsere Erwartungen bei weitem. Prof. Dr. Dieter Müßig, Direktor der Poliklinik für Kieferorthopädie der Universität Regensburg 49