Forschung + Praxis: Lösungen für die Erneuerung des Gebäudeparks

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Novatlantis-Bauforum 2010, Basel: Langsam geht es vorwärts beim bestehenden Gebäudepark
Forschung + Praxis: Lösungen für
die Erneuerung des Gebäudeparks
Der bestehende Schweizer Gebäudepark verbraucht rund 50 % der Energie. Das Novatlantis-Bauforum 2010 in Basel zeigte mit Beiträgen aus Forschung und Praxis Lösungen zur Modernisierung für die 2000-Watt-Gesellschaft auf.
Armin Binz, Professor an der Fachhochschule Nordwestschweiz
FHNW, eröffnet die Tagung.
Martin Stadelmann
«Das Problem des bestehenden
Gebäudeparks hat sich hinsichtlich Energieverbrauch und
Klimabelastung als fast bösartig
entpuppt», konstatierte Armin
Binz von der Fachhochschule
Nordwestschweiz in seiner Einleitung zum Novatlantis-Bauforum. Aber er sah auch den
Silberstreifen am Horizont:
«Langsam geht es vorwärts!»
200 Millionen jährlich
Einer dieser Lichtblicke ist das
nationale Förderprogramm für
Gebäudesanierung, sagte Christian Mathys, Ressortleiter Energietechnik im Amt für Umwelt
und Energie, Basel Stadt, in seinem Kurzvortrag. Es hat anfangs 2010 das Gebäudeprogramm des Klimarappens abgelöst und schüttet nun während
10 Jahren jährlich 200 Mio.
Franken aus der Tarifzweckbin-
dung der CO2-Abgabe an die
Kantone aus, davon mindestens
2
/ 3 für Gebäudesanierung und
max. 1 /3 für Investitionen in erneuerbare Energie und Gebäudetechnik. Das soll pro Jahr
1 Mia. Franken Investitionen
auslösen, 10 000 Gebäude sanieren und den CO2-Ausstoss bis
2020 um 2,2 Mio. t verringern.
Bis zum dritten Quartal 2010
wurden rund 160 Mio. Franken
abgerufen – das Programm
greift. Für 2011 wird wahrscheinlich die Eintrittsschwelle
etwas erhöht – bisher betrug
der Mindestbeitrag Fr. 1000.–.
Auch dürften die Beiträge gemäss Mathys etwas reduziert
werden. (www.dasgebaeudeprogramm.ch)
Urs Rieder, Professor für Gebäudetechnik an der Hochschule Luzern HSLU.
(vgl. HK-GT 10 /10, S. 8–10)
stellte deren Leiter Martin Jakob fest, dass auf die Gebäude
rund 53 % des Primärenergieverbrauchs der Schweiz entfällt,
oder 48 % der Endenergie. Das
Gebäudeprogramm helfe bei
der Reduktion, aber ein Restbedarf bleibe: «Die Welt kann
nicht einfach von Schwarz auf
Weiss kippen!», so Jakob. Dabei
ist der Stromverbrauch schwieriger zu senken als derjenige der
Brennstoffe, weil die höhere
Technisierung der Haushalte
die Stromnachfrage treibt, was
die Effizienzverbesserungen wieder aufhebt.
Zu wenig Aufmerksamkeit
schenkte man laut Jakob bisher
der grauen Energie – hier spielt
die Auswahl der Materialien
zum Energiesparen eine wichtige Rolle.
Auch das Wachstum der Flächen wirke der Einsparung
entgegen – so werden die
Die Welt kann sich nicht
sofort verändern!
In seiner Präsentation der Studie zum Gebäudeparkmodell
Schweiz der TEP Energy/ETHZ
4 HK-Gebäudetechnik 1 I 11
Wohnhaus Güterstrasse in Basel: vor und nach der Sanierung nach Minergie-P. (gribitheurillat AG)
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Zwischenziele der 2000-Watt-Gesellschaft.
(Quellen: Bébié et al. 2009, ETH Zürich, TEP Energy)
Einfamilienhaus-Flächen von
2010 bis 2035 um rund 53 %
anwachsen, sofern sich das derzeitige Wachstum fortsetzt, diejenigen von Mehrfamilienhäusern um 37 % – insgesamt 66 %
der Energiebezugsfläche der
Schweiz. Aber auch bei Dienstleistung, Gewerbe und Industrie ist mit Zuwachs zu rechnen.
Jakob wies auch darauf hin,
dass gemäss einer anderen
TEP-Studie die CO2-Belastung
des schweizerischen Stromverbrauchs zunimmt (nachzulesen
auf
www.stromundklima.ch).
Die zunehmende Elektrifizierung der Haushalte bezüglich
Treibhausgase ist also nicht
problemlos.
Schweiz wie Indien?
Die CO2-Belastung des Schweizers muss laut Urs Rieder von
der Hochschule Luzern wieder
diejenige Indiens erreichen,
nämlich 2000 W/1 t CO2 – aber
natürlich mit unserem Komfort. Der SIA-Transformationspfad zeigt hier Lösungen auf.
Das Ziel lässt sich erreichen.
Dabei haben die fossilen Energien laut Rieder ausgedient –
der Peak Oil werde von selber
dafür sorgen, dass das geschieht.
Die Frage ist bloss: Wie ersetzen
wir diese Energie? Klar geht der
Trend zur Elektrizität, nur
schon wegen der Wärmepumpen – aber wie wird der Strom
produziert? Rieder setzt Hoff-
nung u. a. auf das DesertecProjekt, er will seine Prognose
keinesfalls als Nuklearförderung verstanden wissen.
Der SIA fordert, so Rieder, den
Gebäudepark Schweiz konsequent auf ein nachhaltiges Fundament zu stellen und mit der
Ressource Energie intelligent –
das heisst : differenziert für
Neu- und Umbau – umzugehen. Dabei stehen ein ganzheitlicher Ansatz und eine Betrachtung des gesamten Lebenszyklus im Vordergrund.
Der SIA beansprucht eine Führungsrolle beim zukunftsfähigen Umgang mit Energie im
Gebäudepark.
Die Analyse des Gebäudeparks
zeigt einen grossen Arbeitsvorrat, um den Wärmeverbrauch
um den Faktor 10 runter auf
20 kWh/m2 a zu bringen.
An einem konkreten Beispiel,
einer Terrassensiedlung mit
bisher zentraler Oelheizung,
zeigte Rieder auf, wie viel
CO2-Einsparung, nach Güteklassen wie bei der Energieetikette (A–G), einzelne Verbesserungsmassnahmen bringen (vgl. Bild S. 6): mit Erdsonde-Wärmepumpe, mit Pelletskessel sowie verschiedenen
Systemen vor und nach einer
Sanierung der Gebäudehülle
nach Minergie P.
Es gilt nun, differenzierte Lösungen zu suchen. Dabei ist
das Hauptproblem nach Rieder nicht das Geld, sondern
Anteile Primärenergieverbrauch und Emissionen Treibhausgase (THG).
(Quellen: BFE-Bericht Ex-post Analyse Verwendungszwecke, Bébié et
al. 2009, TEP Energy)
die menschliche Ressource!
Zudem sollte man auch die
Gebäudegrenze verlassen und
überlegen, was Netzwerke
bringen könnten.
Graue Energie
schafft Zielkonflikte
Der in Vernehmlassung befindliche Effizienzpfad Energie
des SIA definiert auch Richtwerte für graue Energie, führte
Heinrich Gugerli von der
Fachstelle Nachhaltiges Bauen,
Zürich, aus. Diese ist in Zukunft vermehrt zu berücksichtigen. Die Kriterien dafür
müssen umfassend dargelegt
werden. Bloss: welcher Fachplaner wird mit der Berech-
Wohnhaus Güterstrasse in Basel: an der
strassenabgewandten Fassade neu angebaute Balkone.
(gribitheurillat AG)
1 I 11 HK-Gebäudetechnik 5
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Heutige CO2-Emissionen und mittlere Dauerleistung pro Person in
verschiedenen Ländern. Unten
links: Zielgebiet 2000-Watt-Gesellschaft. (Quelle: Al Gore, ETH,
HSLU)
Konkretes Beispiel: Terrassensiedlung, bisher mit zentraler Ölheizung. Die Grafik zeigt, was einzelne Verbesserungsmassnahmen für zwei Varianten Gebäudehülle bringen (Rot: bestehende Gebäudehülle unsaniert, Fenster ausgewechselt. Blau: Gebäudehülle
saniert nach Minergie-P). Kurvenschar: Linien
mit gleichem CO2-Ausstoss in kg/m2a. Linke Skala:
CO2-Ausstoss in kg/kWh Exergie. Skala unten: zugeführte kWh Exergie pro m2 und Jahr. (Quelle: HSLU)
nung beauftragt? Der Bauphysiker, der Kostenplaner, oder
wer? Der Architekt muss auf
jeden Fall die Stellschrauben
für die Optimierung kennen,
was neue Anforderungen mit
sich bringt.
In der Praxis kommen noch
weitere Aspekte hinzu, wie
Gugerli am Beispiel der Sanierung des Schulhauses Holderbach in Zürich zeigte: Mit sehr
hohem Aufwand an grauer
Energie musste hier wegen des
Denkmalschutzes wieder ein
Aluminiumdach gebaut werden.
Berücksichtigt man die graue
Energie, so Gugerli, ist eine Sanierung nach Minergie P nicht
in allen Fällen zielführend, weil
der Aufwand für die Gebäudehülle sehr hoch ist und dann
noch Ansprüche an die Gestaltung kommen – so wenigstens
die Erkenntnis der Stadt Zürich. Ziel ist nun die Sanierung
nach Minergie-Standard.
Oft wäre übrigens ein Neubau billiger als eine Sanierung – aber dann kommen
sofort Forderungen bezüglich
Flächenangebot mit Folgen
für den Energieverbrauch.
Deshalb wird es weiterhin
häufiger Sanierungen geben.
Dies vertiefte Klaus R. Eichenberger, Professor an der
Berner Fachhochschule, mit
der Erkenntnis: Das Gebäude
ist ein Gesamtsystem, auf das
verschiedene Faktoren einwirken. So sind neu auch die
Lebenszykluskosten eines Gebäudes zu berechnen und die
Nachhaltigkeit einer Massnahme über die Lebensdauer
(oder Rest-Lebensdauer) einer Immobilie zu beurteilen.
Dabei ist nicht nur die technische, sondern auch die soziale Alterung des Gebäudes
zu berücksichtigen – wie
passt die Struktur zu den
heutigen Bedürfnissen?
Damit man sich in den Defi-
6 HK-Gebäudetechnik 1 I 11
nitionen der Kriterien nicht
verliert und rasch zu Resultaten kommt, schlägt Eichenberger vor, wenige (10–15)
Kriterien zu definieren. So
kann eine Gemeinde mit z. B.
zehn Schulhäusern rasch erkennen, was mit diesen Gebäuden zu tun ist. Dabei darf
aber nicht nur der Zustand
der Gebäude beurteilt werden, sondern auch deren Potenziale.
Investor entscheidet
sofort – und definitiv !
«Technische Gesamtbetrachtungen interessieren den Investor nicht. Er entscheidet
schnell: gebe ich das Geld
oder nicht. Der Entscheid ist
definitiv !», sagt Mar C. Theurillat von der gribitheurillat
AG. Im Falle des Wohnhauses
Güterstrasse in Basel – man
sieht die neuen Balkone auf
dem Weg vom Tagungsort
UBS zum Parkhaus Bahnhof
Süd – entschied man sich zur
Sanierung nach Minergie-P mit
Solarzellen auf dem Dach und
Erdsondenwärmepumpe, weil
der Besitzer, die CoOpera Sammelstiftung, eine Anlagephilosophie mit langfristiger Perspektive mit eigenen Baurichtlinien hat. Das Wohnhaus an der
sehr belebten Güterstrasse mit
Tram hatte die Balkone zur
Strasse, es war sanierungsbedürftig. Mit der Komfortlüftung konnte man den Lärm
«ausschliessen», durch den
Wegfall der Balkone die Wohnungen vergrössern, und die
nun zur anderen Seite angebauten Balkone haben mehr
Freiraum – zum Bahnhof hin,
was auch nicht total ruhig
ist . . .
Minergie-P steigert aber auch
den Wert des Hauses und das
Image– für CoOpera zählt die
Zukunftssicherheit und die
langfristige Bruttorendite.
(www.novatlantis.ch)
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