48 Bibliothek 27. 2003. Nr. 1/2 Rasche - Stadtbücherei Münster – 10 Jahre im neuen Haus Stadtbücherei Münster – 10 Jahre im neuen Haus Vor fast 10 Jahren – am 26. November 1993 – wurde in Gegenwart der damaligen Präsidentin des Deutschen Bundestags, Prof. Dr. Rita Süssmuth, das neue Haus der Stadtbücherei Münster eröffnet. Seitdem hat sich die Stadtbücherei zu einer der erfolgreichsten Öffentlichen Bibliotheken in Deutschland entwickelt. Dieser Erfolg ist unter anderem auf die außergewöhnliche Architektur zurückzuführen, die auf den ersten Blick nicht unbedingt den funktionalen Anforderungen an ein Bibliotheksgebäude entspricht. Als Mitte der achtziger Jahre ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben wurde, stand fest, dass die neue Bibliothek das Geschenk für die Bürger und Bürgerinnen Münsters zum 1200jährigen Stadtjubiläum sein sollte. Direkt hinter der Marktkirche St. Lamberti stand ein Grundstück zur Verfügung, von dem bekannt war, das es bereits im 11. Jahrhundert bebaut war. Zugleich handelte es sich um eine der letzten Lücken, die der Bombenkrieg in Münsters Innenstadt hinterlassen hatte. Mitten durch die Bibliothek hindurch führt in Verlängerung der Achse der gotischen St. Lamberti-Kirche eine Gasse, wie sie in Münsters mittelalterlichem Stadtbild noch an vielen Stellen zu finden ist. Dadurch entstanden zwei Gebäudeteile. Der eine, in dem sich auch der Eingang befindet, bildet mit der vorhandenen Bebauung ein Dreieck mit Gärten in der Mitte. Diesem Komplex vorgelagert ist der andere Gebäudeteil – wie ein Schiff, das im Hafen vor Anker gegangen ist. Seine Kreissegmentform korrespondiert mit dem geschwungenen Verlauf der Straßen in Münsters Innenstadt. Verbunden sind die beiden Teile mit einer Brücke im ersten Obergeschoss und im Untergeschoss. Mit dieser Zweiteilung ist es gelungen, dem Bibliotheksgebäude auf dem großflächigen Grundstück eine klare Struktur zu geben. Vor dem Haupteingang der Bibliothek liegt eine Café-Terrasse, die den Blick freigibt auf das Krameramtshaus – einem Gildenhaus im Stil der niederländischen Renaissance. Das Haus ist eines der Abb. 1: StB Münster, Blick durch die Büchereigasse auf die St. Lamberti-Kirche (Foto: Stadt Münster) Aufgrund dieser Rahmenbedingungen war es selbstverständlich, dass hohe Anforderungen an die Ästhetik und die städtebauliche Qualität der neuen Stadtbücherei gestellt wurden. Dem Architektenehepaar Julia Bolles und Peter Wilson war es mit ihrem preisgekrönten Entwurf gelungen, an dem Standort eine Symbiose zwischen moderner Architektur und der teilweise historischen Umgebung zu schaffen (Abb. 1). wenigen historischen Gebäude in Münsters Innenstadt, das im 2. Weltkrieg nicht zerstört wurde. Es beherbergte vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum Umzug 1993 die Stadtbücherei. Die neue Bibliothek wirkt mit ihren tiefgezogenen Kupferdächern, ihren weißen Außenwänden, dem Sockel aus dunkelgrauen Klinkern und dem Granitbelag in der Gasse sehr selbstbewusst in Unauthenticated ihrer Umgebung. Das Gebäude setzt starke Akzente im Stadtbild, Download Date | 8/18/17 11:48 PM Bibliothek 27. 2003. Nr. 1/2 49 Rasche - Stadtbücherei Münster – 10 Jahre im neuen Haus so wie die Bibliothek ihrerseits Akzente im kulturellen Leben der Stadt setzt. Ein großes weißes Portal aus Stahl eröffnet den Zugang zur Bibliothek. Es erinnert an ein Gesicht, das zum Betreten einlädt oder auch an zwei einander zugewandte Gesichter, die miteinander kommunizieren. Es steht gleichermaßen für die Bibliothek als Ort der Kommunikation und für die Funktion der Stadtbücherei, den Zugang zu Bildung und Wissen, zu Medien und Informationen zu eröffnen. Im Gebäude selbst ist das Foyer seinerseits wieder als öffentlicher Raum gestaltet. Dort setzt sich der Außenbelag fort, das Büchereicafé hat auch dort den Charakter eines Straßencafés. Hinter einer zweiten innenliegenden Fassade befinden sich die Garderobe, ein kleiner Veranstaltungsraum (im 1. Obergeschoss) und der Zeitungslesesaal. Dieser erinnert mit seiner Höhe über zwei Etagen, mit seinem Kamin, mit seinem großen Lesetisch in der Mitte, mit den hohen Bänken an den Wänden und einem großen Lichtobjekt über dem Tisch an den alten Zeitungslesesaal im Krameramtshaus – wenn auch in modernen Formen. Das attraktive Foyer, durch das täglich mehr als 2 800 Personen gehen, macht die Stadtbücherei zu einem begehrten Ausstellungs- und Veranstaltungsort für zahlreiche Gruppen, Institutionen und Vereine aus Münster (Abb. 2). Abb. 2: StB Münster, Café im Foyer der Stadtbücherei (Foto: Konrad Umlauf) Vom Foyer aus gelangt man dann vorbei am Verbuchungsbereich mit Rücknahme und Ausleihe in den Kernbereich der Bibliothek, der sich über beide Baukörper erstreckt. Die Zweiteilung der Bibliothek erweist sich hier als eine äußerst konsequente Umsetzung des Raumprogramms. Dieses enthält zum einen Bereiche wie die Kinderbücherei (im Untergeschoss), den Informationsbereich mit Computerarbeitsplätzen (im 1. Obergeschoss) und dem Erdgeschoss, in dem Bücher und Medien nach Leseinteressen und alltäglichen Informationsbedürfnissen angeboten werden. Hierfür war keine ruhige Bibliotheksatmosphäre gefordert sondern ein Marktcharakter – geprägt von Abwechslungsreichtum und Lebendigkeit. Erker, hoher Luftraum, Balustraden und in der Kinderbücherei Podeste sind denn in diesem Gebäudeteil prägend (Abb. 3). Zum anderen sah das Raumprogramm einen Bereich vor für die herkömmliche Bibliothek mit Regalreihen, in denen die Bücher nach der Klassifikation aufgestellt sind, und mit vielen Lese- und Arbeitsplätzen – vom Sessel bis zum Arbeitstisch für Gruppen. Diesen ruhigeren Bereich der Bibliothek erreicht man über die Brücke vorbei an der zentralen Informationstheke. Auch im Innern erinnert der kreissegmentförmige Baukörper an ein Schiff – hinter dessen Relings und Wänden sich auf den einzelnen Etagen die Buchbereiche befinden. Wer Symbole liebt, sieht hier eine Arche des Wissens vor sich. Jede Etage hat ihren eigenen Charakter. Es gibt keine großen Fensterflächen. Das Außenlicht kommt auf indirekte Weise in die Bibliothek durch kleine Fenster inmitten der Wandregale, durch von Bäumen beschattete Erkerfenster, durch Lichtbänder im Dach und oberhalb der Wandregale. So ist das Gebäude bei Sonnenschein immer von Licht durchflutet, ohne dass Menschen und Bücher direkter Sonneneinstrahlung ausgesetzt sind. Die gesamte architektonische Gestaltung des Gebäudes vermittelt den Besuchern des Hauses eine hohe Aufenthaltsqualität und lädt mit ihrer Vielfalt immer wieder zu neuen Entdeckungen ein. „Form follows feeling“ lautete die Überschrift einer Architekturkritik1 kurz nach der Eröffnung und hier liegt sicher einer der Schlüssel für den Erfolg der Stadtbücherei. Die Architektur schafft eine emotionale Bindung sowohl der Besucher als auch der Mitarbeiter an die Bibliothek und stärkt hierdurch ihren Stellenwert in der Stadt. Dem entspricht auch die Entwicklung, die Münsters Stadtbücherei in den vergangenen zehn Jahren genommen hat. Die Zahl der Ausleihen als messbarem Wert für den Erfolg einer Öffentlichen Bibliothek stieg um 80 % auf 1,4 Millionen pro Jahr gegenüber dem letzten Betriebsjahr im Krameramtshaus. Dort gab es aufgrund der räumlichen Enge weder Veranstaltungen und Ausstellungen noch Arbeitsmöglichkeiten in der Bibliothek. Allein schon die Tatsache, dass das erweiterte Angebot und das gestiegene Ausleihaufkommen ohne große Probleme bewältigt werden, ist ein Beweis dafür, dass die neue Stadtbücherei nicht nur in architektonischer sondern auch in funktionaler Hinsicht gelungen ist. Die Voraussetzung hierfür bildete ein starkes Raumprogramm mit einem überzeugenden Bibliothekskonzept, das die Vision von der zu planenden Bibliothek vermittelt und zugleich die Phantasie und Kreativität der Architekten herausgefordert hat. So entstand ein moderner und attraktiver Bibliotheksbau, der neugierig macht auf die Inhalte und Angebote der Bibliothek. Der Planungs- und Bauprozess war gekennzeichnet von konstruktiven Auseinandersetzungen zwischen Architekten und Bibliothekaren, was wichtig war um eine Symbiose zu finden aus Funktion und Ästhetik. In der bereits erwähnten Architekturkritik wurde die Behauptung aufgestellt, mit der Stadtbücherei Münster hätten die Architekten Mies van der Rohes Credo „form follows function“ unterlaufen. Aus heutiger Sicht ist dies zumindest im Hinblick auf die Stadtbücherei Münster nur zu begrüßen. In einer Zeit, in der Bibliotheken mehr denn je ihre Funktion überdenken müssen, kann diese nicht mehr allein für die Form bestimmend sein. Heute finden Öffentliche Bibliotheken ihre Rechtfertigung in der Beziehung zu ihren Kunden und Kundinnen. Hier kann eine Bibliothek sich nicht mehr ausschließlich über ihre Angebote auf der Sachebene definieren, auch die Beziehungsebene zwischen Kunden und 1 Werner, Frank R.: Form follows feeling: Neubau der Stadtbücherei Unauthenticated Münster. In: Bauwelt (1994) 3, S. 102 –111. Download Date | 8/18/17 11:48 PM 50 Bibliothek 27. 2003. Nr. 1/2 Bibliothek ist zu gestalten. Insofern ist ein Bibliotheksbau, wo die Form den Gefühlen folgt, und der außerdem noch funktioniert, ein Glücksfall. Anschrift der Autorin: Monika Rasche Alter Steinweg 11 D-48143 Münster Welterführende Literatur: Münster City Library / Architekturbüro Bolles-Wilson + Partner. - London : Phaidon Pr., 1994 (Architecture in detail / Francisco Sanin). Architekturbuero Bolles-Wilson: Les navires suburbains In: Techniques & Architecture, 1994, No. 412, p. 21-27. Experienca acumulada: Biblioteca municipal en Münster, in Arquitectura viva 1994, No. 35, p. 98 -105. Stadtbücherei: Una bibloteca divisa in due, in Abitare 1994, No. 330, p. 164 -171. Abb. 3: StB Münster, Grundriss des Erdgeschosses mit Büchereigasse Rasche - Stadtbücherei Münster – 10 Jahre im neuen Haus Kerndatenübersicht 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 Name und Adresse Stadtbücherei Münster Alter Steinweg 11 D-48143 Münster Tel. (02 51) 4 92-42 00 Fax (02 51) 4 92-77 24 E-Mail: [email protected] 2. Eingeschriebene Benutzer Gesamtzahl 3. 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 Kapazitäten (vor dem Bau): keine Gesamtfläche Benutzung Verwaltung Magazinfläche (inklusiv Freihand) Bände insgesamt Bände Freihand Bände Magazine Unauthenticated Download Date | 8/18/17 11:48 PM 44 500 1 365 m2 940 m2 425 m2 – m2 150 000 150 000 0 Bibliothek 27. 2003. Nr. 1/2 51 Rasche - Stadtbücherei Münster – 10 Jahre im neuen Haus 3.8 3.8.1 3.8.2 Leserplätze (einschl. Katalog) vernetzt nicht vernetzt 24 0 24 4. 4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.3 4.4 4.5 Das Projekt Typ: Neubau Architekt(en): Julia Bolles-Wilson, Peter Wilson Bolles-Wilson und Partner Alter Steinweg 17, D-48143 Münster Beginn Bauarbeiten Januar 1991 Ende Bauarbeiten November 1993 Inbetriebnahme November 1993 4.6 4.7 4.8 4.9 4.10 4.11 4.12 4.13 4.13.1 4.13.2 Gesamtfläche Benutzung Verwaltung Magazinfläche (inklusiv Freihand) Bände insgesamt Bände Freihand Bände Magazine Leserplätze vernetzt nicht vernetzt 5. Kapazitäten (nach dem Bau) – siehe unter 4. Unauthenticated Download Date | 8/18/17 11:48 PM 9 751 m2 4 700 m2 1 500 m2 800 m2 212 900 175 300 37 600 270 30 240