4 PD DR. THOMAS TIMMERMANN 2. KONVERGENZ UND N ETZE Für metrische Räume ließen sich viele wichtige Begriffe wie Stetigkeit und Kompaktheit äquivalent mit Hilfe offener Mengen oder mit Hilfe konvergenter Folgen definieren. Konvergenz von Folgen. Ähnlich wie für metrische Räume definieren wir: Definition 2.1. Eine Folge (xn )n in einem topologischen Raum X konvergiert gegen x ∈ X, falls jede Umgebung von x alle bis auf endlich viele Folgenglieder enthält. Wir schreiben dann xn → x oder limn→∞ xn = x. Allgemeine topologische Räume bieten viele Überraschungen: Beispiel 2.2. (1) Ist (X, d) ein metrischer Raum, so konvergiert eine Folge xλ bezüglich der von d erzeugten Topologie gegen ein x genau dann, wenn xλ gegen x bezüglich d konvergiert. (2) Trägt X die grobe Topologie, so konvergiert jede Folge gegen jeden Punkt. Insbesondere sind Grenzwerte nicht eindeutig! (3) Trägt X die diskrete Topologie, so konvergiert eine Folge nur, wenn sie irgendwann konstant wird (wähle U = {x}). (4) Trage X die ko-abzählbare Topologie. Falls xn = x für alle bis auf endlich viele n ∈ N, so folgt limn→∞ xn = x. Andernfalls existiert eine Teilfolge (xnk )k mit xnk 6= x für alle k und U := X \ {xnk : k} ist eine offene Menge mit x ∈ U aber xnk 6∈ U für alle k. (3), (4) ⇒ In topologischen Räumen kann man Stetigkeit nicht mittels Konvergenz von Folgen charakterisieren! Beispiel 2.3. Sei X überabzählbar. Dann ist idX : (X, τcoenum ) → (X, τdiskret ) • “folgenstetig”: für jede Folge (xn )n und jedes x in X folgt xn → x in (X, τcoenum ) die Gleichung xn = x für hinreichend große n und somit xn → x in (X, τdiskret ); • aber nicht stetig, weil τdiskret 6⊆ τcoenum . Immerhin gilt: Satz 2.4. Ist f : X → Y eine stetige Abbildung topologischer Räume und konvergiert eine Folge (xn )n in X gegen x ∈ X, so konvergiert ( f (xn ))n in Y gegen f (x). Beweis. Sei V ⊆ Y eine offene Menge mit f (x) ∈ V . Dann ist U := f −1 (V ) offen, enthält x und damit auch alle bis auf endlich viele der xn . Somit enthält f (U) = V alle bis auf endlich viele der f (xn ). GRUNDLAGEN DER ANALYSIS, TOPOLOGIE UND GEOMETRIE (WWU 2016) 5 Konvergenz von Netzen. Eine Lösung des Problems ist die Verwendung allgemeinerer Indexmengen als N: Definition 2.5. • Eine gerichtete Menge ist eine nicht-leere Menge Λ mit einer Relation ≤ mit folgenden Eigenschaften: (1) ≤ ist eine partielle Ordnung, also reflexiv und transitiv; (2) jedes Paar hat eine obere Schranke: ∀λ1 , λ2 ∈ Λ∃µ ∈ Λ : λ1 ≤ µ und λ2 ≤ µ. • Ein Netz in einem topologischen Raum X besteht aus einer gerichteten Menge Λ und Elementen xλ ∈ X für λ ∈ Λ. • Ein Netz (xλ )λ∈Λ konvergiert gegen ein x ∈ X genau dann, falls ∀U ⊆ X offen mit x ∈ U∃λ0 ∈ Λ∀λ ≥ λ0 : xλ ∈ U. (1) λ→∞ Wir schreiben dann xλ −−−→ x oder limλ→∞ xλ = x. Beispiel 2.6. (1) Λ := N ist mit der gewöhnlichen Ordnung eine gerichtete Menge; ein Netz ist dann eine Folge. (2) Für jeden Punkt x in einem topologischen Raum X ist die Menge Λ := {U ⊆ X offen : x ∈ U} mit U ≤ V :⇔ U ⊇ V gerichtet. Falls xU ∈ U für alle U ∈ Λ, so folgt xU → x (setze in (1) λ0 := U). (3) Sei I eine Menge. Dann ist Λ := {F ⊆ I endlich} mit F1 ≤ F2 :⇔ F1 ⊆ F2 gerichtet. Ist (xi )i∈I eine Familie in R (allgemeiner: einem normierten Raum X), so bilden die Partialsummen SF := ∑ xi i∈F für F ⊆ I endlich ein Netz in R (bzw. X) und ∑i∈I xi = limF→∞ SF (falls der Grenzwert existiert). (4) Sei f : [a, b] → R beschränkt, I = (a, b) und Λ wie in (2). Für a < x1 < . . . < xn < b setzen wir x0 = a, xn+1 = b und S{x1 ,...,xn } := S{x1 ,...,xn } := n ∑ (xk+1 − xk ) k=0 n sup x∈(xk ,xk+1 ) f (x), ∑ (xk+1 − xk ) inf x ∈ (xk , xk+1) f (x). k=0 f Riemann-integrierbar genau dann, wenn die Netze (SF )F∈F und (SF )F∈F R gegen denselben Grenzwert konvergieren; dieser ist dann ab f (x)dx. Satz 2.7. Für jede Abbildung f : X → Y zwischen topologischen Räumen sind folgende Aussagen äquivalent: 6 PD DR. THOMAS TIMMERMANN (1) f ist stetig; (2) für jeden Punkt x und jedes Netz (xλ )λ in X gilt: aus xλ → x folgt f (xλ ) → f (x). Beweis. (1)⇒(2): Sei (xλ )λ ein Netz in X, das gegen ein x ∈ X konvergiert. Sei V eine Umgebung von f (x). Da f stetig ist, existiert eine Umgebung U von x mit f (U) ⊆ V . Wegen xλ → x existiert ein λ0 mit xλ ∈ U für alle λ ≥ λ0 , und für solche λ folgt f (xλ ) ∈ f (U) ⊆ V . Somit gilt f (xλ ) → f (x). (2)⇒(1): Sei V ⊆ Y offen. Wir zeigen: f −1 (V ) ist offen, d.h. jedes x ∈ f −1 (V ) hat eine offene Umgebung U mit U ⊆ f −1 (V ). Andernfalls finden wir ein x ∈ f −1 (V ) so, dass für jede offene Umgebung U von x ein xU ∈ U \ f −1 (V ) existiert. Dann folgt wie in Beispiel 2.6 (3) xU → x, aber f (xU ) 6∈ V für alle U und somit f (xU ) 6→ f (x). Dies ist ein Widerspruch. Bemerkung 2.8. (1) Jede in R konvergente Folge ist beschränkt; für Netze gilt das nicht. (2) Später führen wir den Begriff eines Teilnetzes ein. (3) Konvergenz in topologischen Räumen kann man statt mit Netzen auch mit Filtern behandeln, die wir später einführen.