181 Die transurethrale Resektion als Palliativtherapie beim infiltrativ wachsenden Urothelkarzinom der Harnblase M. Sulmoni, J. Müller, K. Bandhauer Zusammenfassung 105 Patienten (Durchschnittsalter 72,2 Jahre) mit einem weit fortgeschrittenen invasiven Urothelkarzinom der Harnblase, die wegen verschiedener Risikofaktoren einer radikalen Zystektomie nicht mehr zugeführt werden konnten, wurden zwischen 1970 und 1984 einer oder mehreren transurethralen Resektionen (TUR B) als Palliativtherapie unterzogen. Bei etwa der Hälfte wurde zusätzlich eine perkutane Radiotherapie mit 6 000 cGy durchgeführt. Die 5-Jahres-Überlebensrate der Patienten mit T3-Stadien ohne Nachbestrahlung lag bei 16,6%, mit Nachbestrahlung bei 10,8%. Unter den Patienten mit T4-Stadien überlebte keiner der beiden Gruppen 5 Jahre. Bei 80% der Patienten konnte mit 2 Resektionen der Tumor lokal befriedigend beherrscht werden. Nur bei 2 Patienten mußte maximal 5 x reseziert werden. Die Radiotherapie vermochte die Zahl der notwendig gewordenen TUR nicht zu senken, erhöhte aber die Nebenwirkungsquote. Trotz mehrfachen TUR verbrachten die Patienten nur 5,7% ihrer Überlebenszeit im Spital. Einleitung Die radikale Entfernung des Blasenkarzinoms unter Erhaltung einer gut funktionierenden Blase mit ausreichender Kapazität ist das erstrebenswerte Behandlungsziel beim Blasenkarzinom (1). Für die oberflächlichen, gut und mäßig differenzierten Blasenkarzinome (Ta/T1 GI/ GII) sowie T2/GI-Tumoren entspricht die transurethrale Tumorresektion in 2 Sitzungen diesen Idealvorstellungen und kann auch in einem relativ hohen Prozentsatz als radikale Therapieform anerkannt werden. So beträgt die 5-JahresÜberlebenszeit bei Tl GI-Tumoren 81%, bei Tl GII-Tumoren 59% und bei T2 GI-Tumoren 75% (2). Beim invasiven, undifferenzierten Blasenkarzinom ab der Tumorformel T2 GII/GIII sind dagegen die endoskopischen Therapieverfahren in den meisten Fällen ungenügend. Die radikale Akt. Urol.21 (1990) 181-184 © Georg Thieme Verlag Stuttgart • New York The Palliative Management of Infiltrating Urothelial Bladder Carcinoma by Transurethral Resection Between 1970 and 1984 105 high risk patients (mean age 72,2 years) suffering from far advanced, invasive bladder cancer were treated by transurethral bladder tumour resection (TUR) as palliative treatment. In around 50% an additional percutaneous radiation treatment of 6000 cGy was delivered. 5 year survival rate in stage T3 without radiation therapy (XRT) was around 17%, with XRT around 11 %. In stage T4 none of the patients survived 5 years. In 80% of the patients, local tumour growth could be well controlled by 2 resections. Additional radiation therapy seemed not to be able to lower the incidence of necessary TUR's for adequate local tumour controll, but produced significant adverse reactions. Despite multiple TUR's patients spent just 5,7% of their survival time in hospital. Key-Words Transurethral resection - Invasive bladder cancer - Contraindication for radical cystectomy Zystektomie mit pelviner Lymphadenektomie und mit den verschiedenen, auf den Einzelfall zugeschnittenen Harnableitungsmodalitäten stellen die Therapie der Wahl dar. Trotz der erfreulichen Tatsache, daß die Morbidität und die Mortalität der radikalen Zystektomie in den letzten Jahren durch Verbesserungen der Operationsvorbereitung, der Narkoseformen, des intraoperativen Flüssigkeits- und Blutersatzes und der postoperativen Überwachung deutlich abgenommen haben und daß bei geeigneten Fällen aus verschiedenen Darmabschnitten eine ausgezeichnet funktionierende Ersatzblase gebildet werden kann, müssen bei der Indikationsstellung zu dieser Therapieform wichtige Voraussetzungen beachtet werden. Dazu gehört die Operabilität des Tumors, in einzelnen Fällen erst ermöglicht durch eine neoadjuvante Zytostatikatherapie, fehlende medizinische Kontraindikationen und ein Alter des Patienten, welches eine Überlebenszeit von mehr als 2 Jahren erwarten läßt. Dagegen stellen Patienten in einem schlechten, auch durch intensive medizinische Be- Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Klinik für Urologie, Kantonsspital St. Gallen (Chefarzt Prof. Dr. K. Bandhauer) M. Sulmoni, J. Müller, K. Bandhauer Akt. Urol. 21 (1990) handlung nicht verbesserungsfähigen Allgemeinzustand mit ausgeprägten kardiopulmonalen Risikofaktoren, mit hohem biologischem Alter und bei lokaler Inoperabilität eines infiltrierenden Blasenkarzinoms eine Kontraindikation für die radikale Zystektomie dar. Trotzdem erfordern auch in dieser Situation die den Patienten zunehmend stark belastenden Miktionsbeschwerden, v. a. die quälende Pollakisurie durch Kapazitätsabnahme der Blase und rezidivierende anämisierende Hämaturien therapeutische Maßnahmen, um eine erträgliche Lebensqualität für diese Patienten solange als möglich aufrechtzuerhalten mit dem Ziel, sie möglichst rasch wieder in die häusliche Pflege zu entlassen. Als palliative Maßnahmen bieten sich dafür die transurethrale Reduktion des Blasentumors und die damit verbundene Kapazitätsvergrößerung der Blase mit und ohne Radiotherapie, die alleinige palliative Röntgenbestrahlung, die verschiedenen supravesikalen Harnableitungen, die palliative Laserkoagulation der Blase und die integrierte Radio-Chemotherapie sowie als Ultima ratio bei unstillbaren Blutungen die FormalinInstillation an (1, 3, 4, 5, 8). Im folgenden werden die retrospektiven Ergebnisse einer Patientengruppe mit einem weit fortgeschrittenen Blasentumor präsentiert, die einer transurethralen Tumorresektion mit oder ohne adjuvante Radiotherapie als Palliativmaßnahme unterzogen wurden. Krankengut und Methode Im Zeitraum von 1970 bis 1984 wurden 105 Patienten mit einem fortgeschrittenen muskelinvasiven Harnblasenkarzinom, bei denen wegen der einleitend erwähnten Kontraindikationen eine radikale Zystektomie nicht mehr zur Diskussion stand, einer palliativen transurethralen Tumorresektion zugeführt. Die epidemiologischen Patientenmerkmale sind in Tab. 1 zusammengefaßt. Tumorstadium: (Abb. 1) Alle Patienten hatten ein ausgedehntes muskelinvasives Blasenkarzinom und alle Tumoren zeigten einen hohen Malignitätsgrad (GII-GIII). In 89 Fällen handelt es sich um einen T3- und in 16 Fällen um einen T4-Tumor. Die Indikation für die transurethrale Tumorresektion bestand in einer deutlich verringerten Blasenkapazität mit starken Miktionsbeschwerden bei einem Großteil der Patienten verbunden mit anämisierenden Makrohämaturien. Behandlungsformen: Alle 105 Patienten wurden mit der Zielsetzung der Tumorreduktion und der Blasenkapazitätserweiterung mindestens einmal, in den meisten Fällen aber mehrmals einer transurethralen Tumorresektion unterzogen. Die Resektion erfolgte - wenn möglich - in Periduralanästhesie und nur bei schweren Wirbelsäulenveränderungen wurde eine Intubationsnarkose vorgenommen. Wegen der tiefen Karzinominfiltration, die meist ins perivesikale Fettgewebe reichte, war die Gefahr der Auslösung eines Obturatoriusreflexes bei der Resektion so gering, daß sowohl auf eine Obturatoriusblockade als auch auf eine Relaxation der intubierten Patienten verzichtet werden konnte. Die Tumorresektion wurde auch bei großflächigen Tumoren so vorgenommen, daß alle nekrotischen Tumoranteile bis zum Auftreten vitalen Gewebes entfernt wurden und daß die Tumorresektion zumindest bis in das Niveau der Blasenwand erfolgte. Wenn es der Allgemeinzustand des Patienten zuließ, wurde die Resektion bis in die tieferen Muskelschichten vorgenommen, um ein neuerliches Tumorwachstum zeitlich zu verzögern und dem Patienten damit ein möglichst langes symptomfreies Intervall zu bieten. Die postoperative Katheterbehandlung wurde auf 2 bis max. 4 Tage beschränkt, um den stationären Aufenthalt dieser Patienten auf den unbedingt notwendigen Zeitraum abzukürzen. Beim ersten stationären Aufenthalt erfolgte die Tumorresektion in den meisten Fällen in 2 Sitzungen, wobei die zweite Sitzung 5-7 Tage nach der ersten Tumorresektion vorge- Tab. 1 Kantonsspital St. Gallen 1970-1984 n = 105 Patienten Durchschnittsalter: Geschlechtsverteilung: G2 72,2 Jahre M 71 W 34 Abb. 1 Stadium und Gradingl T3 Epidemiologische Daten des Krankengutes T3 G3 T4 G3 T-Stadium-Grading-Verteilung Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 182 Akt.Urol.21(1990) Die transurethrale Resektion als Palliativtherapie Abb. 2 Stadium T3-Überlebensrate Abb. 3 Stadium T4-Überlebensrate 183 | Ueberlebensrate T3 Ohne Bestrahlung Mit Bestrahlung 24 36 Monate | T4 Ueberlebensrate^ Ohne Bestrahlung Mit Bestrahlung 60-- Ueberlebensrate 50 Monate nommen wurde. Später notwendige Resektionen wurden möglichst nur in einer Sitzung vorgenommen. 53 dieser Patienten (50,5%) wurden nur transurethral reseziert, während bei 52 Patienten (49,5%) unter der Zielsetzung einer zusätzlichen Tumorreduktion und biologischen Inaktivierung der Tumorreste die TUR mit einer adjuvanten perkutanen Radiotherapie mit 6 000 cGy kombiniert wurde. Die durchschnittliche Latenz bis zum Wiederauftreten therapiebedürftiger Symptome betrug ca. 6 Monate. Die Patienten wurden 3monatlich nachkontrolliert, wobei eine neuerliche Tumorresektion nur bei Wiederauftreten starker subjektiver Miktionsstörungen oder einer anämisierenden Hämaturie vorgenommen wurde. Bei 8 0 % der Patienten konnte der Tumor mit 2 Resektionen lokal befriedigend beherrscht werden (Tab. 2). Bei 2 Patienten wurden maximal 5 TUR durchgeführt. Ergebnisse Schwerwiegende intraoperative Komplikationen traten nur in einem Fall in Form einer nicht-revisionswürdigen Blasenperforation auf. Die postoperative Komplikationsrate war mit 6,6% Nachblutungen im Sinne einer ausräumungswürdigen Blasentamponade bezogen auf das Krankengut gering. Kein Patient starb an operationsbedingten Komplikationen. Die 5-Jahres-Überlebensrate der Patienten mit T3- resp. T4-Tumoren mit oder ohne Nachbestrahlung war unterschiedlich (Abb. 2 und 3). Während die nichtbestrahlten Patienten mit T3-Tumoren eine 5-Jahres-Überlebenszeit von 16,6% bei guter Lebensqualität zeigten, betrug die 5-Jahres-Überlebenszeit bei den Patienten mit bestrahlten T3-Tumoren 10,8%. Bei T4-Tumoren überlebte kein Patient beider Gruppen 5 Jahre. Die Lebensqualität der Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. % Ueberlebensrate 50-- M. Sulmoni, J. Müller, K. Akt. Urol. 21 (1990) Tab. 2 1 2 3 4 5 Anzahl TUR B nach Gruppen aufgeschlüsselt pall.TUR-B pall.TUR-B's pall.TUR-B's pall.TUR-B's pall.TUR-B's Tab. 3 Radiotherapiegruppe Gruppe ohne Radiotherapie 13 26 10 3 27 20 3 1 2 Patienten nach Bestrahlung war schlechter als ohne Bestrahlung, zeigte doch die Hälfte der radiotherapierten Patienten eine oder mehrere Nebenwirkungen auf (z. B. Strahlenzystitis mit Pollakisurie, allgemeine Müdigkeit). In 75 % der Fälle verstarben die Patienten an der Tumorerkrankung, in 25 % fand sich eine andere Todesursache. Die mediane Überlebenszeit des gesamten Patientengutes betrug 14 Monate. Die Korrelation zwischen der medianen Überlebenszeit mit der notwendigen Spitalaufenthaltsdauer ist in Tab. 3 wiedergegeben. Die Patienten verbrachten insgesamt nur 5,7% ihrer Überlebenszeit im Spital und konnten zum größten Teil wieder in häusliche Pflege zurückkehren. Den objektiv erwartungsgemäß schlechten Therapieergebnissen bezüglich der Überlebensrate stehen teilweise eindrückliche, wenn auch kurzfristige subjektive Befundverbesserungen gegenüber. So konnte in über 80% der Fälle das Miktionsverhalten befriedigend reguliert, die Blasenkapazität erhöht und die Hämaturie genügend kontrolliert werden. Quotient Überlebenszeit/Spitalaufenthaltsdauer A) Mediane Überlebenszeit: B) Mediane Spitalaufenthaltsdauer: B/A) = 5,7% 14 Monate 3,4 Wochen Aus dem Vergleich zwischen einer Patientengruppe mit transurethraler Resektion mit Bestrahlung und einer solchen ohne Bestrahlung geht hervor, daß die adjuvante Strahlentherapie keine Verbesserung der Ergebnisse bezüglich der Lebensqualität, als auch bezüglich der Überlebenszeit sowie der Anzahl der palliativen TUR ergab, dafür aber die Morbidität deutlich erhöhte. Trotz mehrfacher palliativer Resektionen verbrachten die Patienten lediglich 5,7% ihrer Überlebenszeit in der Klinik. Auch diese Zahlen unterstreichen die geringe Operationsbelastung dieses Verfahrens. Hinzu kommt die günstige Auswirkung auf die Kostenreduktion durch die verkürzte Spitalaufenthaltsdauer. Der Einsatz der Chemotherapie mit den hoch toxischen und die Patienten sehr belastenden Polychemotherapieschemata kann bei dieser Patientengruppe, welche für eine radikale Zystektomie oder eine supravesikale Harnableitung ungeeignet ist und zu einem großen Teil bereits deutliche Zeichen einer Niereninsuffizienz aufweist, nicht mehr eingesetzt werden. Mit der Laserkoagulation haben wir derzeit noch zu wenig Erfahrung, um sie als Alternativtherapie zur palliativen transurethralen Resektion muskelinvasiver, nicht radikal operierbarer Tumoren zu bewerten (3). Literatur 1 Diskussion Die transurethrale Tumorresektion bietet beim invasiven Urothelkarzinom der Harnblase bezüglich Kurabilität keine Alternative zur radikalen Zystektomie mit einer stadienbezogenen 5-Jahres-Überlebensrate von 20%-40% (6, 7, 9). Bei der Patientengruppe, die wegen unkorrigierbarer medizinischer Risikofaktoren, wegen hohen Alters oder anderer Kontraindikationen für eine radikale Zystektomie oder auch für eine supravesikale Harnableitung durch ilealen Konduit oder kontinenten Pouch allein nicht in Frage kommt oder diese Eingriffe ablehnt, bei der aber die zunehmend quälende Symptomatik des Blasenkarzinoms eine Therapie erfordert, kann die palliative transurethrale Resektion des Tumors die subjektive Miktionssymptomatik verringern und damit die Lebensqualität eindrücklich verbessern. Es gelingt in über 80% der Fälle durch eine in kurzem Abstand wiederholte transurethrale Tumorresektion die Kapazität der Blase so zu vergrößern, daß eine normale oder nahezu normale Miktion möglich ist und die Patienten zu Hause problemlos lebensfähig sind. Die postoperative Komplikationsrate auch mehrfach wiederholter palliativer Resektionen ist trotz des meist hohen Alters der Patienten und der medizinischen Risikofaktoren gering. Das Fehlen einer intra- oder postoperativen Mortalität spricht ebenfalls für die Zumutbarkeit dieses Eingriffs. Entsprechend des palliativen Charakters dieser Therapie war die 5-Jahres-Überlebenszeit erwartungsgemäß gering, entspricht aber auch nicht der Zielsetzung des Eingriffes. Bandhauer 2 3 4 5 6 7 8 9 Bandhauer, K., G. Kreuz: Die palliative transurethrale Resektion, kombiniert mit Hochvoltbestrahlung beim inoperablen Blasenkarzinom. Verh. Dt. Ges. Urol. 29. Tg. Stuttgart, Springer, Berlin-Heidelberg-NewYork (1977) 127-130 Barnes, R. W., A. L. Dick, H. L. Hadley, O. L. Johnston: Survival following transurethral resection of bladder carcinoma. Cancer Research 37 (1977) 2895-1897 Baumüller, A.: Erweiterte Therapiemöglichkeit von Urotheltumoren beim älteren Patienten durch den Einsatz des Neodym-YAGLasers. Vortr. 30. Tagung der Südwestd. Ges. für Urol. 4.-6. Mai 1989, Frankfurt a. M. Chan, R. C, R. B. Bracken, D. E. 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Sulmoni Klinik für Urologie Kantonsspital St. Gallen CH-9007 St. Gallen Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 184