Jahrbuch 2010/2011 | Ernst, Arthur; Ostanin, Sergey; Fechner, Michael; Mertig, Ingrid | Magnetoelektrische Kopplung an metallischen Oberflächen Magnetoelektrische Kopplung an metallischen Oberflächen Magnetoelectric coupling at metallic surfaces Ernst, Arthur; Ostanin, Sergey; Fechner, Michael; Mertig, Ingrid Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik, Halle/Saale Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Die magnetoelektrische Kopplung ermöglicht es, die Magnetisierung eines Festkörpers durch ein elektrisches Feld zu ändern. Bislang ist dieses Phänomen hauptsächlich in Isolatoren beobachtet w orden. Metallische Volumenmaterialien zeigen diesen Effekt nicht, w eil das äußere elektrische Feld durch die frei bew eglichen Leitungselektronen abgeschirmt w ird. Die Wechselw irkung des elektrischen Feldes mit dem Oberflächendipol einer metallischen Nanostruktur gestattet es jedoch, die magnetische Ordnung der Nanostruktur zw ischen zw ei stabilen Zuständen reversibel zu schalten. Summary Magnetoelectric coupling allow s changing the magnetic state of a material by applying an electric field. To date, this phenomenon has mainly been observed in insulating materials. Metallic bulk systems do not exhibit this effect, because applied electric fields are screened by conduction electrons. We have been able to sw itch the magnetic order in a metallic nanostructure reversibly betw een tw o stable magnetic states using magnetoelectric coupling induced by an applied electric field. Magnetoelektrische Kopplung Im Allgemeinen w ird ein ruhendes magnetisches Moment nicht von einem elektrischen Feld beeinflusst. Es existieren aber Materialien, in denen das elektrische Feld die Kristallstruktur ändert und die geänderte Kristallstruktur zu einer anderen magnetischen Ordnung führt. Dieser Typ magnetoelektrischer Kopplung (MEK) gilt als aussichtsreicher Kandidat für die Entw icklung neuer Speicherkonzepte. Von großem Vorteil ist, dass solche Speicher nichtflüchtig sind. Zw ar w ird die Information elektrisch eingetragen und ausgelesen, für das Speichern selbst w ird jedoch keine Energie benötigt. Dieses Phänomen w urde vor allem in Isolatoren mit einer komplexen Kristallstruktur beobachtet. Auf der Suche nach Materialien, die eine MEK zeigen, w urden Metalle bisher nicht berücksichtigt, da eine W irkung des elektrischen Feldes auf die Kristallstruktur unmöglich erscheint. Das elektrische Feld induziert eine Oberflächenladung durch die Bew egung der freien Elektronen, die das Feld im Inneren des Festkörpers vollständig abschirmt. Die Atomrümpfe direkt an der Oberfläche erfahren jedoch eine ähnliche Kraft w ie die Elektronen auch, die w egen ihrer positiven Ladung in entgegengesetzte Richtung w irkt. Aufgund ihrer starken Bindung an das Kristallgitter führt diese Kraft nur zu © 2011 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/5 Jahrbuch 2010/2011 | Ernst, Arthur; Ostanin, Sergey; Fechner, Michael; Mertig, Ingrid | Magnetoelektrische Kopplung an metallischen Oberflächen kleinen Verschiebungen der Atome um w enige milliardstel Millimeter. In bestimmten Materialien, z. B. Eisen, hängt die magnetische Ordnung jedoch so empfindlich von der Gitterstruktur ab, dass diese kleine Verschiebung ausreicht, um die magnetische Ordnung im System zu verändern. Computersimulationen der magnetoelektrischen Kopplung In Eisen hängt die magnetische Ordnung stark vom Volumen der Einheitszelle ab. Eisen kann sow ohl in der dicht gepackten kubisch-flächenzentrierten (kfz) Kristallstruktur als auch in der w eniger dicht gepackten kubisch-raumzentrierten Struktur (krz) vorliegen. Das Volumen einer Elementarzelle in Eisen w ird bei einem Übergang aus der krz in die kfz Kristallstruktur verkleinert. Die Reduzierung des Volumens führt zu einer Änderung des magnetischen Grundzustands. Auf einer Eisenoberfläche ist dieser Effekt viel stärker ausgeprägt als in einem Volumenkristall. Falls das betrachtete System w eiterhin nur aus w enigen Lagen von Eisenatomen besteht, lässt sich dieser Phasenübergang leicht stimulieren. Deshalb bietet sich ein dünner Eisenfilm als Modell für die MEK in Metallen an. Das Substrat ist Kupfer, auf dessen Oberfläche dünne Eisenschichten normalerw eise in der kfz Kristallstruktur w achsen. So w urden zw ei Eisenschichten auf der (111)-Oberfläche von Kupfer als Modellsystem gew ählt. Die strukturellen, elektronischen und magnetischen Eigenschaften dieses Systems w urden unter Einfluss des elektrischen Feldes berechnet. Grundlage der Computersimulation ist die quantenmechanische Beschreibung des Festkörpers im Rahmen der Dichtefunktionaltheorie. Diese Simulationen w erden auch ab initio-Rechnung genannt, da sie es gestatten, materialspezifische makroskopische Eigenschaften parameterfrei ausgehend von den atomaren Eigenschaften qualitativ und quantitativ zu reproduzieren. Dabei gestattet der Einsatz von Hochleistungsrechnern die Beschreibung von physikalischen Phänomenen nanoskopischer Systeme realistischer Dimension. © 2011 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/5 Jahrbuch 2010/2011 | Ernst, Arthur; Ostanin, Sergey; Fechner, Michael; Mertig, Ingrid | Magnetoelektrische Kopplung an metallischen Oberflächen A bb. 1: The ore tische Sim ula tione n de r O be rflä che nre la x a tione n im e le k trische n Fe ld in Fe /C u(111). A, B: Ele k tronische La dungsdichte n in k fz Fe -Doppe lla ge n im positive n (A) und ne ga tive n (B) e le k trische n Fe lde rn. Die Ele k trone n we rde n a nge zoge n (a bge stoße n) von de r positiv (ne ga tiv) ge la de ne n Ele k trode . Die Eise ndoppe lla ge n ne hm e n e ine n la ge nwe ise a ntife rrom a gne tische n (in A) bzw. fe rrom a gne tische n (in B) Zusta nd e in. B, C : Ge sa m te ne rgie a ls Funk tion de r la te ra le n Ve rschie bunge n de r Eise nobe rflä che nschicht e ntla ng de s m a rte nsitische n k fz-k rz P ha se nübe rga ngs (rot für die a ntife rrom a gne tische und bla u für die fe rrom a gne tische Konfigura tion). Im positive n e le k trische n Fe ld übe rne hm e n Eise na tom e die k fz Struk tur und die Eise nla ge n we rde n a ntife rrom a gne tisch (C ). Im ne ga tive n e le k trische n Fe ld ist die fe rrom a gne tische k rz Struk tur (D) e ne rge tisch günstige r. © Ma x -P la nck -Institut für Mik rostruk turphysik Im Rahmen unserer Untersuchungen w urde zunächst die vertikalen Verschiebungen der Atompositionen in den Oberflächenschichten unter einem elektrischen Feld berechnet. Das elektrische Feld ist dabei durch einen unendlich ausgedehnten Plattenkondensator modelliert, der im Vakuum gegenüber der Oberfläche positioniert w ird. Die Ergebnisse dieser Computersimulationen sind in Abbildung 1(a,b) dargestellt, in denen die normalisierte Ladungsdichte und die theoretisch gew onnenen vertikalen Verschiebungen der Atompositionen der Fe/Cu(111)-Oberfläche durch das positive (Abb. 1(a)) und das negative (Abb. 1(b)) elektrische Feld dargestellt sind. Diese Simulationen zeigen, dass in einem positiven elektrischen Feld von 1 GV/m der Abstand zw ischen den beiden obersten Atomlagen um etw a 15% geringer ist als in einem negativen Feld. Die berechnete Energielandschaft für die oberste Atomlage zeigt außerdem, dass die energetisch günstigste Konfiguration der beiden Eisenlagen im positiven elektrischen Feld kfz und antiferromagnetisch ist, im negativen Feld hingegen w ird die krz Struktur bevorzugt, die ihrerseits ferromagnetisch ist [1]. Da das elektrische Feld immer senkrecht zur Oberfläche orientiert ist, treten zunächst nur induzierte Verschiebungen der Atome in vertikaler Richtung auf. Rastertunnelmikroskopische (RTM) Experimente zeigen jedoch, dass in nanoskopischen Eiseninseln, zw ei Atomlagen dick, auf der Cu(111)-Oberfläche [1,2] kfz und krz Phasen gleichzeitig existieren. Durch laterale Verschiebungen der Atome in der Eisen-Oberfläche w urde der sogenannte martensitischen kfz-krz Phasenübergang simuliert. Für jede laterale Position w urden die entsprechenden vertikalen Relaxationen der Struktur im elektrischen Feld und die magnetische Ordnung berechnet. Das Ergebnis zeigte, dass bei positiver Spannung die kfz- Struktur mit antiferromagnetischer Ordnung energetisch gegenüber dem ferromagnetischen krz Zustand bevorzugt ist (Abb.1(c)). Für negative Spannung ist dagegen die ferromagnetische krz-Struktur vorhanden. Somit zeigen die Computersimulationen, dass die Struktur und damit die magnetische Ordnung in dem Modellsystem bestehend aus zw ei Atomlagen Eisen auf der Cu(111)-Oberfläche mithilfe des elektrischen Feldes verändert w erden kann. © 2011 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/5 Jahrbuch 2010/2011 | Ernst, Arthur; Ostanin, Sergey; Fechner, Michael; Mertig, Ingrid | Magnetoelektrische Kopplung an metallischen Oberflächen Struktur und magnetische Ordnung der Eiseninseln auf Cu(001) A bb. 2: Be stim m ung de r m a gne tische n O rdnung a us de n Tunne lspe k tre n und de n the ore tisch be re chne te n Zusta ndsdichte n: Norm ie rte diffe re ntie lle Le itwe rte (durchge he nde Linie n) de s k rz Be re ichs (ge lb) und de s k fz Te ils (bla u) ä hne ln de n the ore tische n R e chnunge n de r lok a le n Zusta ndsdichte n (LDO S, ge striche lte Linie n) de r fe rrom a gne tische n k rz und a ntife rrom a gne tische n k fz Konfigura tione n. © Ma x -P la nck -Institut für Mik rostruk turphysik Diese theoretische Vorhersage w urde experimentell geprüft und bestätigt [1]. Dazu w urden w iederum die oben erw ähnten nanoskopischen Eiseninseln auf einem Kupfersubstrat mit einem RTM untersucht. Die Inseln haben einen erhöhten Rand und eine Vertiefung im Zentrum. Der Rand ist krz und das Zentrum ist kfz [1,2]. Die magnetische Ordnung lässt sich nur indirekt aus den Tunnelspektren im Vergleich mit den theoretisch berechneten Zustandsdichten bestimmen [3]. Hierbei ergibt sich, dass der kfz Bereich lagenw eise antiferromagnetisch ist, w ährend der krz-Teil ferromagnetisch ist ( Abb. 2). Das nötige elektrische Feld in der Größenordnung von 1 GV/m kann im Tunnelkontakt des RTMs bei üblichen Messbedingungen von etw a einem Volt angelegter Spannung und einem Abstand zw ischen Spitze und Probe von etw a einem Nanometer leicht erreicht w erden. Um die magnetische Ordnung zu beeinflussen, w urde die Spitze des RTMs über einer Insel platziert und für 50 ms ein positives elektrisches Feld von 2 GV/m angelegt. Umschalten der magnetischen Ordnung mithilfe des lokalen elektrischen Feldes A bb. 3: Zwe i ra ste rtunne lm ik rosk opische Aufna hm e n de rse lbe n Eise ninse l vor und na ch de m Schre ibe n m itte ls e ine s e le k trische n Fe lde s: Link s dom inie rt de r a ntife rrom a gne tische Be re ich (bla u), re chts, na ch de m Fe ldpuls, de r fe rrom a gne tische Be re ich (ge lb). © Ma x -P la nck -Institut für Mik rostruk turphysik Abbildung 3 zeigt RTM-Aufnahmen der Insel vor, bzw . nach dem Feld-Puls. Man erkennt, dass sich der © 2011 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/5 Jahrbuch 2010/2011 | Ernst, Arthur; Ostanin, Sergey; Fechner, Michael; Mertig, Ingrid | Magnetoelektrische Kopplung an metallischen Oberflächen ferromagnetische krz-Bereich (orange) zu Gunsten des antiferromagnetischen kfz-Bereichs (blau) vergrößert hat. Mit einem negativen elektrischen Feld kann man reversibel zur Ausgangskonfiguration zurück schalten. Dieser Schaltprozess ist deterministisch und reproduzierbar. Liegt jedoch kein oder nur ein niedriges elektrisches Feld an, bleibt die Konfiguration unverändert. Damit ist es erstmals gelungen Informationen magnetischer Natur mit einem elektrischen Feld auf der Nanometerskala zu schreiben, zu speichern und auszulesen [1]. Da das elektrische Lesen und Schreiben im Prinzip schneller ablaufen kann, als die traditionelle magnetische Speicherung, hat der entdeckte Effekt das Potenzial, die Technik der Datenspeicherung zu revolutionieren. In Zusammenarbeit mit: L. Gerhard, T.K. Yamada, T. Balashov, A.F. Takacs, R.J.H. Wesselink, W. W ulfhekel: Physikalisches Institut, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Karlsruhe; M. Däne: Oak Ridge National Laboratory (USA) [1] L. Gerhard, T. K. Y amada, T. Balashov, A. F. Takacs, R. J. H. Wesselink, M. Däne, M. Fechner, S. Ostanin, A. Ernst, I. Mertig, W. Wulfhekel: Magnetoelectric coupling at metal surfaces. Nature Nanotechnology 5, 792-797 (2010). [2] A. Biedermann, W. Rupp, M. Schmid, P. Varga: Coexistence of fcc- and bcc-like crystal structures in ultrathin Fe films grown on Cu(111). Physal Review B 73, 165418 (2006). [3] J. Terssof, D. R. Hamann: Theory and Application for the Scanning Tunneling Microscope. Physical Review Letters 50, 1998-2001 (1983). © 2011 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 5/5