UMWELT SPECIAL Natur als Drittsprache Das türkisch-deutsche Umweltzentrum fördert neben dem migrantischen Umweltschutz auch den kulturellen Austausch mit Hilfe von Naturprojekten. Bilanz nach einem Jahr Bestehen von Karin Kutter und Kübra Küçük Kopftuchtragende Frauen, Dönerbuden und Moscheen: Steigt man am Görlitzer Bahnhof in Berlin aus, könnte man den Eindruck gewinnen, man befände sich in der Türkei: An der Kreuzung von Wiener u n d Skalitzer Stra­ ße hat seit 2008 die Umar Ibn Al-Khattab-Moschee eröff­ net. Ein Stück weiter fallen Dönerbuden, ein Büro von Turkish Airlines u n d eine türkische Bäckerei in das Blick­ feld des Passanten. Nicht von ungefähr trägt ein Bistro den Namen Küçük Istanbul - „Klein-Istanbul", so wird Kreuzberg auch im Volksmund genannt. Seit Anfang letzten Jahres hat hier das Türkisch-Deutsche Umwelt­ zentrum eröffnet. Mit zahlreichen unterschiedlichen Projekten will es der türkischen Community in Berlin Umweltschutz nahe bringen, aber auch das kulturelle Miteinander fördern. Lehren u n d Lernen „Die etablierten deutschen Umweltverbände haben lan­ ge Zeit die Zielgruppe der Migranten und Migrantinnen nicht wahrgenommen. Wir wollen diese n u n gezielt an­ sprechen" sagt Turgut Altuğ, selbst gebürtiger Türke und Leiter des Zentrums. Er sitzt in seinem Büro in der Skalitzer Straße, hinter ihm reihen sich Umweltposter an der Wand, auf einem ist „Gorleben ist überall" zu le- sen. Vor sich hat er auf dem Schreibtisch seine Brille ab­ gelegt, seine Wuscheligen dunklen Haare sind mit einem Haargummi zusammengebunden. „In unserer Arbeit geht es vor allem auch darum, wie die Gruppe der Migranten erreicht wird", erklärt Altuğ. „Ein Weg ist, dass man die gleiche Sprache spricht und den kulturellen Hintergrund kennt. Was­ ser ist in der Türkei beispielsweise ein sehr wertvolles Element, weil es dort nicht wie in Deutschland in Hülle und Fülle vorkommt. Mit diesem Wissen können wir die Leute natürlich anders ansprechen." Für Altuğ geht es auch darum, die Menschen auf gleicher Augenhöhe zu erreichen. Lehren und voneinander lernen ist sein An­ satz. Alterseinschränkungen gibt es nicht. Um Umwelt­ schutz an Groß u n d Klein zu vermitteln, besucht Altuğ mit seinen Mitarbeitern Vereine, Moscheen u n d Kitas, sowie Mütter- u n d Vätergruppen. Nur die Jugendarbeit bereitet ihm Kopfzerbrechen: „Das ist ein schwieriges Terrain. Es gibt großes Desinteresse bei den Jugend­ lichen." In seinen Bestrebungen, Umweltschutz auch für Jugendliche attraktiv zu machen, greift das deutsch-tür­ kische Umweltzentrum inzwischen auf Erfahrungen im Bildungs- und Nachhilfebereich zurück. Gerade erarbei­ tet Altuğ ein Projekt, das mit Musik und filmischen Mit­ teln Jugendliche ansprechen soll. Ziel sei es, vor allem Wir wollen eine Gemeinschaft schaffen, die sich für Klima- und Umweltschutz einsetzt", erklärt Turgut Altuğ, Leiter des Türkisch-Deutschen Umweltzentrums. junge Menschen zu erreichen, „um eine Gemeinschaft zu schaffen, die sich für Klima- und Umweltschutz ein­ setzt." Vereine u n d Schulen. U m w e l t s c h u t z hilft auch der Integration Neben vielen Migrantenorganisationen kooperiert das Umweltzentrum auch mit Moscheegemeinden der Ditib, der türkisch-islamischen Union der Anstalt für Religion. Ende März fand in der Merkez Moschee am Görlitzer Bahnhof ein Klima-Cafe statt: ein gemeinsames KlimaFrühstück, „an dem Fragen des Energiesparens und des klimafreundlichen Konsums angesprochen wurden", so Altuğ. Die Angebote des Umweltzentrums werden sowohl in deutscher als auch in türkischer Sprache angeboten. Nach ersten erfolgreichen Ansätzen strebt das Um­ weltzentrum zukünftig weitere Projekte an und füllt da­ mit eine große Informationslücke über Umwelt- und Kli­ maschutz unter Migranten in Deutschland. Altuğ zieht nach einem Jahr Bestehen eine rundum positive Bilanz: „Wir haben Erfolg, in kurzer Zeit ist viel passiert." Welche der geplanten Projekte er in Zukunft verwirklichen kann, bleibt trotzdem offen. Denn: „Vieles hängt von der Finan­ zierung ab." • Der positive Nebeneffekt dabei: Seine Projekte fördern gleichzeitig die Integration der Migranten. Mit „Na­ tur als Zweitsprache" werden etwa Kleinkinder u n d Grundschüler nicht nur mit altersgerechten Experi­ menten an die Natur herangeführt, sondern erweitern gleichzeitig ihre Deutschkenntnisse. Lieblingsprojekt von Altuğ ist der interkulturelle Garten auf dem Kin­ derbauernhof im Görlitzer Park. „Hier gärtnern 15 Familien aus verschiedenen Kulturkreisen zusammen u n d lernen voneinander." Natur wird d a n n zur Dritt­ sprache. Auch konnte Altuğ Langzeitarbeitslose in sein Umweltzentrum integrieren. Inzwischen übernehmen diese eigenständig Aufgaben, wie zum Beispiel die Standbetreuung bei Straßenfesten. „Das Projekt steckt noch in Kinderschuhen", sagt Altuğ u n d fügt hinzu, dass er u n d sein Team trotz allem stolz auf die vielen erfolgreichen Projekte innerhalb des zurückliegenden Jahres seien. So ist das Zentrum nach einem Jahr Bestehen bereits im deutschsprachigen Raum bekannt, Anfragen kommen von München bis Kiel, sogar aus Österreich bearbeitete Altuğ eine Nach­ frage. Energieberatungen im Haushalt, wie es in anderen Umweltvereinen üblich ist, werden seitens des Tür­ kisch-Deutschen Umweltzentrums noch nicht durch­ geführt. Das Angebot gilt zur Zeit nur für Gruppen, Bio in der Moschee UMWELT-INFO: UMWELTSCHUTZ Der Begriff Umweltschutz bezeichnet gewöhnlich die auf Umweltforschung und Umweltrecht basierenden Rege­ lungen und Bemühungen, die dem Erhalt der mensch­ lichen Lebensgrundlagen, dem Naturschutz sowie dem Ausgleich gestörter ökologischer Verhältnisse nützen. Zu den wichtigsten Aufgabenfeldern des Umweltschutzes zählen Klima-, Gewässer- und Waldschutz. Erste um­ weltschützende Maßnahmen, vor allem im Bereich von Entwässerungs- und Abwasserkanälen, gehen bereits auf das Altertum zurück. Die modernen Umweltschutzbewe­ gungen haben ihre Wurzeln in der Zeit der Industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts. Besonders die Luftver­ schmutzung durch die Verbrennung von Kohle, aber auch die Urbanisierung und sich daraus ergebende Müllpro­ bleme führten zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit Umweltproblemen. Im gewöhnlichen Sprachgebrauch wird selten zwi­ schen Naturschutz und Umweltschutz unterschieden. Bei Letzterem steht die Erhaltung des Lebensumfelds des Menschen stärker im Mittelpunkt. Ein Beispiel, das diesen unterschiedlichen Fokus verdeutlicht, sind erneuerbare Energien. Während bei Naturschützern beispielsweise der natürliche Lebenszyklus der Bäume zentral ist, also deren Wachstum, das natürliche Absterben und schließlich das Totholz, das wiederum als wertvoller Stoff für zahlreiche Arten dient, befürworten Umweltschützer das Abholzen von Bäumen in Maßen, um sie als Energiequelle für den Menschen nutzen zu können. Sie betrachten Holz auch als nachwachsenden Rohstoff, dessen Nutzung jedoch nach­ haltig und umweltverträglich geschehen muss. Übrigens veränderte sich im englischen Industriege­ biet die Farbe des Birkenspanners, einer Schmetterlings­ art, von ursprünglich hell im Jahre 1895 bei 98 Prozent der Tiere in schwarz. Auslöser: die hohe Umweltver­ schmutzung. r Das vorgestellte Türkisch-Deutsche Umweltzentrum ist ein Projekt des Tür­ kisch-Deutschen Zentrums in Berlin. Weitere Informationen zu den einzelnen Projekten gibt es unter: www. tdz-berlin.de Viermal im Jahr gibt das Zentrum die türkisch-deutsche Umweltzeitschrift „MUZ" heraus. Die PDF-Versionen sind im Internet zu finden. Wer ehrenamtlich beim türkisch-deut­ schen Umweltzentrum mitarbeiten möchte, kann gerne Herrn Altuğ per­ sönlich anschreiben. E-Mail: [email protected]