Demokratisch – gerecht – nachhaltig

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»verdanken« haben.
Kurz gesagt, »erste Natur« im Sinne
des alten Cicero gibt es nicht mehr. Die
frühe, vormenschliche Welt der Natur,
die selbstverständlich ihre eigene
Evolution durchlaufen hat, ist – so weit
das Auge reicht – ein für alle Mal
verändert und verwandelt, ganz so, wie
es Serge Moscovici, einer der Pioniere
der politischen Ökologie in Frankreich,
vor vierzig Jahren vorausgesehen hat.
Was wir »Umwelt« nennen, ist heute
ununterscheidbar eins mit der »zweiten
Natur«3 , die der Mensch wenn schon
nicht nach seinem Bilde, so doch
wenigstens für seine Zwecke geformt hat.
Nach neueren Berechnungen haben die
Menschen bis zum Jahr 1700 nur 5
Prozent des Bodens in der Biosphäre für
ihr eingreifendes Tun beansprucht
(Landwirtschaft, Städte); 45 Prozent
blieben damals noch in einem halb
natürlichen Zustand und 50 Prozent
ganz und gar unberührt. Im Jahr 2000
dagegen beansprucht der Mensch für
sein Eingreifen 55 Prozent des Bodens,
während 20 Prozent im halb natürlichen
Zustand und 25 Prozent unberührt
bleiben.4
»Der
Mensch
ist
gleichermaßen Geschöpf und Schöpfer
seiner Umwelt«, mahnte schon 1972 die
Konferenz von Stockholm in ihrer
Schlussdeklaration. Um zum Kern
unserer Sache vorzustoßen, wollen wir
noch einen Schritt weiterdenken: Wenn
es stimmt, dass heute die gesamte Natur
abhängig von uns Menschen ist, dann
wird
für
die
Entwicklung
der
Ökosysteme
und
der
in
ihnen
beheimateten Arten entscheidend sein,
wie
wir
unsere
Gesellschaften
organisieren. Mit anderen Worten, aus
den ökologischen sind soziale Probleme
geworden.
Wie lässt sich ein Begriff von den
komplizierten Beziehungen zwischen
Sozial- und Ökosystemen gewinnen? Die
Letzteren
bilden
den
oftmals
unsichtbaren
Hintergrund
der
menschlichen Gesellschaften. Außerdem
hat man sie hier und da als Metapher, ja
als Modell für Gesellschaftssysteme
verwendet, nicht selten allerdings im
Dienst gefährlicher5 oder dubioser6
Ideologien und fast immer zum Zweck
einer Naturalisierung gesellschaftlicher
Probleme7 . Aber da wir vermehrt in
umgekehrter Richtung denken müssen,
gilt es zu begreifen, wie sich die
Evolution der Gesellschaftssysteme auf
die Dynamik der Ökosysteme auswirkt.
Dass uns diese Frage unter den Nägeln
brennt, steht außer Zweifel: Wir müssen
uns, ob wir wollen oder nicht, mit einer
Reihe ernsthafter Probleme befassen, die
wir ebenso sehr geschaffen haben, wie
wir von ihnen heimgesucht werden, und
die daher in keiner Weise »natürlich«
sind, weder was ihre Ursachen noch was
ihre Folgen angeht.
Im derzeit üblichen Diskurs verbirgt
sich jedoch ein irritierendes Paradox: Je
mehr der Menschheit, ganz zu Recht, die
Beschleunigung
der
heutigen
Umweltkrisen zur Last gelegt wird, umso
pessimistischer wird das Urteil über ihre
Fähigkeit, diese Krisen zu lösen. Zutiefst
ernüchtert, konstatierten unlängst einige
hochrangige Wissenschaftler, zwar habe
die
menschliche
Erkenntnis
der
Ökosysteme
in
den
vergangenen
Jahrzehnten
rasante
Fortschritte
gemacht, aber gleichwohl sei die Lage
dieser Systeme schlimmer als je zuvor.8
Es empfiehlt sich also, zwei zentrale
Fragen noch einmal neu zu stellen: Wie
konnte der Funktionsmechanismus der
menschlichen Gesellschaften solche
reellen und potenziellen Katastrophen
hervorbringen? Und wie kann er ihre
fatalen Folgen abschwächen? Für eine
offene Auseinandersetzung mit diesen
Fragen spielen die Sozialwissenschaften,
die ja das Verständnis menschlicher
Gesellschaften zum Ziel haben, im
Gegensatz zu den strengen (Natur)Wissenschaften eine alles andere als
marginale Rolle. Ganz im Gegenteil, sie
rücken wieder ins Zentrum: Mit ihrer
Hilfe nämlich können wir uns einen
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