Geschichte der Milchstraße [1] Die Milchstraße begann ihre „Karriere“ bald nach dem Urknall als diffuse Gasblase, die fast nur Wasserstoff und Helium enthielt. Im Laufe der Zeit entwickelte sie sich zu jener abgeflachten Spiralgalaxie, die wir heute bewohnen. Schon früh begann die Geburt von Sternen in unserer Heimat, und danach bildeten sich Generationen um Generationen weiterer Sonnen. Vor etwa 4,7 Milliarden Jahren entstand schließlich auch unser Zentralgestirn. Die gekrümmte Spiralgalaxie ESO 510-13. Man nimmt heute an, dass auch die Milchstraße eine leichte Krümmung aufweist. © Star Observer Die ersten noch vorläufigen Analysen haben ergeben, dass Objekte wie Molekülwolken, Spiralarme, Schwarze Löcher oder vielleicht ein Zentralbalken in der Galaxis die Bewegung der vermessenen Sterne durch die gesamte Geschichte ihrer Existenz immer wieder gestört haben. Das bedeutet, dass die Entwicklung der Milchstraße weit komplexer und chaotischer war als die traditionellen, simplifizierten Modelle angenommen haben. Supernova-Explosionen, Kollisionen mit anderen Galaxien und die Durchdringung der Milchstraße durch extragalaktische Gaswolken haben die Milchstraße zu einem Ort lebhafter Veränderungen gemacht. Unsere Heimatgalaxis ist eine riesige Spirale, die von einem Ende bis zum anderen etwa 100.000 Lichtjahre überspannt. Unsere Sonne umkreist das Zentrum dieser Spirale in einem dünn besiedelten Randgebiet eines der äußeren Arme, 26.000 Lichtjahre vom Zentrum entfernt. Galaxien-Kollision: NGC 4676 © Star Observer Alle Sterne der Milchstraße sind über die Gravitation an das kompakte galaktische Zentrum gebunden und kreisen um dieses. Die meisten sind in einem gleichmäßigen Orbit um den Kernbereich gefangen. Sobald sie aber anderen Objekten begegnen, können sie aber ihren Kurs ändern; sie können beschleunigen oder langsamer werden Alte Sterne scheinen sich generell schneller zu bewegen als junge Sterne. Was aber hat diese Störungen verursacht, was hat die unterschiedlichen Geschwindigkeiten hervorgerufen? Da sind zunächst die Spiralarme der Milchstraße selbst, denn sie sind dichter als die relative Leere zwischen den Armen; Kleingalaxien, die durch die Milchstraße fallen und von ihr aufgesogen werden; gigantische extragalaktische Gaswolken, die durch die Galaxis ziehen, und schließlich Schwarze Löcher Dramatische Veränderungen Astronomen wissen seit langem, dass sich die Milchstraße während der bisherigen Lebenszeit des Universums, also über einen Zeitraum von etwa 13,7 Milliarden Jahren, dramatisch entwickelt hat. Neuere Modelle zeigen, dass die Galaxien ihre Hauptmassen über Milliarden von Jahren aufbauen, indem sie mit anderen Galaxien verschmelzen und Kleingalaxien „auffressen“. Gerade in den letzten Jahren wurden ganze Ketten von Sternen beobachtet, die sich mit auffallender Geschwindigkeit in ungewöhnlichen Winkeln bewegen. All das sind Hinweise für eine chaotische Vergangenheit. Einst war die Milchstraße von Tausenden Kugelsternhaufen umgeben, von denen heute nur noch etwa 200 existieren. Diese Kugelsternhaufen stürzten ineinander oder wurden einfach von der Milchstraße aufgesogen. Die überlebenden Sterne aus dieser Zeit sind weitaus älter als jedes Fossil auf der Erde. Sie sind viel älter als unsere Sonne, und ihr Ursprung reicht zurück bis an die Anfangstage des Universums selbst. Die Geburtsstätte der Sonne hat einst auch ausgesehen wie der Gasnebel NGC 604 © Star Observer In diesen permanenten Entwicklungsprozess der Milchstraße hinein wurde vor 4,6 Milliarden Jahren auch unsere Sonne geboren. Sie entstand wahrscheinlich wie die meisten Sterne in einer dichten Gaswolke inmitten eines dichten Sternhaufens und wurde später in ihre gegenwärtige, weniger dichte und sternenarme Umgebung gestoßen. Seit ihrer Entstehung hat die Sonne das galaktische Zentrum 20-mal umrundet. Andromeda-Galaxie und der Komet Ikeya-Zhang © Star Observer Wie wir heute wissen, bewegt sich unsere Milchstraße und die größte Galaxie der so genannten Lokalen Gruppe, die Andromeda-Galaxie (M 31), aufeinander zu. Irgendwann in ferner Zukunft wird es voraussichtlich zu einer Kollision mit dieser Sterneninsel kommen. Ein Beispiel, wie es dereinst der Milchstraße ergehen kann, ist die seltsam geformte Galaxie AM 0644-741. Sie ist ein Mitglied der Klasse der Ringgalaxien und liegt 300 Millionen Lichtjahre entfernt in der Richtung des SüdhimmelSternbildes Dorado. AM 0644-741 ist größer als unsere Heimatgalaxie, aber das muss nicht immer so gewesen sein. Sie hat heute einen Durchmesser von 150.000 Lichtjahren; unsere heutige Milchstraße könnte durch diesen Sternenring hindurchfliegen, ohne ihn zu streifen. Ringgalaxien sind ein besonders auffallendes Beispiel, wie Kollisionen von Galaxien deren Struktur dramatisch verändern können und dabei gleichzeitig die Bildung neuer Sterne anregen. Ringgalaxien entstehen durch einen speziellen Kollisionstyp, bei dem eine Galaxie, quasi der „Eindringling“, direkt durch die Scheibe einer anderen Galaxie, das „Opfer“, dringt. Hoags Object – Ringgalaxie © Star Observer Dabei ist jene Sternspirale, die AM 0644-741 durchdrungen hat, auf unserem Bild nicht mehr zu sehen. Die Spiralgalaxie, die in der linken oberen Hälfte des Bildes sichtbar ist, ist eine zufällige Hintergrundgalaxie und steht nicht in Zusammenhang mit dem Ring. Wer auf einem in den Ring eingebetteten Planeten lebte, würde nachts über sich ein brillantes Band blauer Sterne erleben, die sich in einem gewaltigen Bogen über den Himmel wölben. Diese Sicht würde aber nicht ewig bestehen, so wie nichts im Leben einer Galaxie von Dauer ist. Nach etwa 300 Millionen Jahren hätte der Ring seinen maximalen Radius erreicht, danach würde er sich langsam auflösen. Die durch die Kollision entstehende Gravitationsstoßwelle würde die Orbits von Sternen und Gaswolken in der Zielgalaxie dramatisch verändern. Diese würden sich beschleunigt nach außen bewegen, etwa wie Wellenringe in einem Teich, nachdem ein großer Stein hineingeworfen wurde. In dem Maße, wie der Ring in die Außenbereiche der Galaxie pflügt, kollidieren Gaswolken und werden komprimiert. Diese verdichteten Wolken können sich dann unter dem Einfluss ihrer eigenen Gravitation zusammenziehen, schließlich kollabieren und in der Folge eine Fülle an neuen Sternen entstehen lassen. NGC 1275 - zwei kollidierende Galaxien im Perseus-Crater © Star Observer Die wuchernde Sternenbildung erklärt auch, warum der Ring eine blaue Färbung aufweist. Er formt kontinuierlich massereiche, junge und heiße Sterne, die im energiereichen blauen Spektralbereich leuchten. Ein weiteres Zeichen intensiver Sternentstehung sind die rosafarbenen Regionen entlang des Rings. Das sind dünne Wolken von leuchtendem Wasserstoffgas, die wegen der starken ultravioletten Strahlung, die von den neu gebildeten massiven Sternen ausgesendet wird, fluoreszieren. Auch die rosafarbenen Regionen entlang des Ringes sind Zeichen einer robusten Sternformation. Astronomen gaben diesem Gebilde den Spitznamen „Die Mäuse“, weil jede der beiden Komponenten einen langen Schweif aus Gas und Sternen hinter sich herzieht. Die Durchdringungsgeschwindigkeit dieser beiden Galaxien ist zu gering, als dass sie sich wieder voneinander lösen könnten. So werden sie zunächst bis zu einer gewissen Distanz auseinanderstreben und dann wieder aufeinander zufallen. Dabei werden sie sich gegenseitig durchdringen, immer wieder und wieder, bis sie in fernen Jahrmillionen miteinander verschmolzen sind. Geschehnisse, wie sie diesen beiden Sterneninseln widerfahren, kosmische Kollisionen ungeheuren Ausmaßes, sind keine Katastrophen. Sie sind Ausdruck der ungeheuren Kraft der Natur. Auch mit Andromeda und der Milchstraße kann das in ferner Zukunft geschehen. Ihre Verschmelzung wird der Auslöser für die Geburt unzähliger neuer Sterne sein. Sterne, die vielleicht - so wie unsere Sonne - von Planeten umkreist werden, über denen sich ein Himmel wölbt, der die Sonnen zweier Galaxien in sich vereint. Ein grandioses Schauspiel für unsere Nachfahren in Jahrmilliarden.