Perspektiven der Metaphysikkritik

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Myung Hee Guderian
Perspektiven der
Metaphysikkritik
Typologie und Analyse metaphysikkritischer Argumente
mentis
PADERBORN
1 EINLEITUNG
1.1
DIE PROBLEMSTELLUNG DER ARBEIT
Die Metaphysik als philosophische Disziplin ist im Vergleich zu anderen
Disziplinen in besonderem Maße von Kritik und Legitimierungszwängen
begleitet. Im Verlauf ihrer Geschichte wurden die prinzipielle Möglichkeit, der Wissenschaftscharakter, die Berechtigung und die Relevanz der
Metaphysik in Frage gestellt. Bereits in der Antike finden sich im Bereich
skeptischer und sophistischer Philosophie metaphysikkritische Überlegungen, und spätestens seit der Neuzeit scheint es ein Merkmal von Metaphysik zu sein, von grundsätzlicher Infragestellung begleitet zu werden:
"Die Metaphysikkritik begleitet die Metaphysik wie ein Schatten im
Ganzen ihrer Geschichte."1 Von Aristoteles noch als Erste Wissenschaft
und Weisheit konzipiert lässt sich der Prestige-Niedergang der Metaphysik nachzeichnen bis zu dem vorerst endgültigen Tiefpunkt während der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Logischen Empirismus.
In den vergangenen Jahrzehnten ist das Interesse an metaphysischen
Fragen wieder sehr lebhaft geworden. Besonders in der analytischen Philosophie, deren Ursprünge in dem antimetaphysischen Positivismus des
Wiener Kreises liegen, gehören zum Teil klassisch metaphysische Fragen
zu den meistdiskutierten Problemen: Mit der Frage nach dem ontologischen Status von Eigenschaften wird das Universalienproblem wieder
aufgenommen; die Kontroverse zwischen Realismus und Anti-Realismus,
die noch von Carnap als Beispiel für ein metaphysisches Scheinproblem
kritisiert wurde, wird wieder geführt; ebenso finden wir die Diskussion
des Leib-Seele-Problems und des Problems der Willensfreiheit - vor allem auch in Auseinandersetzung mit einzelwissenschaftlichen Ergebnissen. Dies sind nur einige wenige Beispiele für die Wiederbelebung von
metaphysischen Themen, die Gegenstand lebhafter Forschung sind. Die
Entwicklung einer starken und umfassenden Re-Etablierung von metaphysischen Problemen führt zu einem ganzen Komplex von Fragen die
Metaphysikkritik betreffend: Hat sich die Metaphysikkritik bzw. haben
sich die vielen verschiedenen metaphysikkritischen Ansätze als so wenig
1
Angehrn 1998: 47
Einleitung
12
tragfähig erwiesen? Ist Metaphysikkritik angesichts der Wiederauferstehung der Metaphysik obsolet geworden? Oder aber handelt es sich bei der
Wiederbelebung der alten Probleme um eine unreflektierte Rückkehr zu
der traditionellen Metaphysik, weil metaphysische Themen wieder in
Mode gekommen sind? Sind die modernen Untersuchungen zu Substanz,
Universalien, Identität etc. nur alter Wein in neuen Schläuchen? Oder
gibt es metaphysikkritische Argumente, Einwände etc., die sich als wichtig erwiesen haben und denen in der modernen Metaphysik Rechnung
getragen wird?
Da es sich jedoch weder bei "der" Metaphysik noch bei "der" Metaphysikkritik um homogene Phänomene handelt, lassen sich auf Fragen
dieser Art keine einfachen Antworten geben. Wir wollen uns dem Thema
Metaphysikkritik daher über folgende Fragen nähern:
(1)
(1a)
(1b)
(2)
(2a)
(2b)
Wie lassen sich metaphysikkritische Ansätze in einer Typologie systematisieren?
Welche Typen von metaphysikkritischen Ansätzen lassen
sich unterscheiden und benennen?
Wie leistungsfähig sind die typologisierten metaphysikkritischen Ansätze?
Welches Verhältnis besteht zwischen Metaphysikkritik und
Philosophiekritik?
Welches Verständnis von Philosophie wird in den metaphysikkritischen Ansätzen kritisiert?
Welches philosophische Alternativprojekt zu der als metaphysisch kritisierten Philosophie liegt den einzelnen kritischen Ansätzen zugrunde?
In dieser Arbeit werden diese zwei Hauptfragen im Zentrum stehen, die
sich in jeweils zwei differenziertere Fragen unterteilen und präzisieren
lassen. Die erste Aufgabe besteht also in dem Vorschlag einer Typologie
von Metaphysikkritik, innerhalb derer bestimmte repräsentative metaphysikkritische Argumentationen lokalisiert werden. Wir greifen dabei auf
metaphysikkritische Positionen zurück, die erstens den jeweiligen Typus
der Kritik exemplifizieren, und zweitens, auf solche, die eine gewisse
Wirkung in der Diskussion um Sinn, Möglichkeit und Berechtigung der
Metaphysik entfaltet haben.
Der zweite Fragenkomplex soll anhand der konkreten, in dieser Arbeit
diskutierten Kritikansätze abgearbeitet werden: Das heißt, es ist für die
einzelnen Metaphysikkritiken zu klären, ob sich ein Zusammenhang von
Einleitung
13
Metaphysikkritik und Philosophiekritik aufzeigen lässt und welche eventuell revisionären Vorstellungen von einem erfolgreicheren Projekt Philosophie in der metaphysikkritischen Argumentation wirksam werden.
Im Anschluss an diese Hauptuntersuchungen wenden wir uns den Eingangsfragen zu, die die heutige Situation der Metaphysik und ihr Verhältnis zur Metaphysikkritik betreffen, und versuchen, einige Antworten
zu formulieren.
1.2
AUFBAU DER ARBEIT
Nachdem die Motivation und die Fragestellungen der Arbeit skizziert
wurden, soll nun kurz der Aufbau der Arbeit erläutert werden.
In Kap. 2 wird eine Typologie von metaphysikkritischen Ansätzen
entwickelt. Dies geschieht in Auseinandersetzung mit anderen Typologien und Typologisierungsprinzipien und in Rückgriff auf bereits vorhandene Kategorien und Begriffe, die zur Bestimmung, Klassifizierung
und Kennzeichnung von metaphysikkritischen Argumenten verwendet
werden.
In Kap. 3 wird Metaphysik als Gegenstand der Kritik näher untersucht.
Für das Vorhaben dieser Arbeit ist es wichtig, eine Arbeitsdefinition des
Begriffs "Metaphysik" zu finden, die auf der einen Seite die extremen
Vagheiten, die mit dem Begriff verbunden sind, vermeidet und auf der
anderen Seite weit und flexibel genug ist, um die einschlägigen Kritikansätze auch als Metaphysikkritik auffassen zu können.
Kap. 4 bis Kap. 7 machen den Hauptteil der Arbeit aus, in dem vier
Typen von Metaphysikkritik charakterisiert und diskutiert werden. Die
einzelnen Typen oder Kategorien der Kritik werden weiter ausdifferenziert, jedoch mit unterschiedlicher Feinkörnigkeit. Wir haben bei den
Unterkapiteln, in denen die konkreten metaphysikkritischen Argumentationen rekonstruiert werden, versucht, einen einheitlichen Aufbau beizubehalten; das Kapitel zur aufklärerisch motivierten Metaphysikkritik bildet dabei eine Ausnahme. In einem ersten Schritt werden jeweils die
Voraussetzungen der Metaphysikkritik erläutert und in einem zweiten die
Argumentation selbst dargestellt und anschließend diskutiert. In jedem
Hauptkapitel bildet den Abschluss ein Fazit, in dem die Charakteristika
des Typs zusammengefasst und mögliche Einwände, Schwierigkeiten und
Leistungen diskutiert werden.
14
Einleitung
In Kap. 8 fassen wir die Ergebnisse der vorausgegangenen Untersuchungen zusammen und versuchen auf dieser Grundlage einige Antworten auf die Eingangsfragen zu formulieren.
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