Hintergründe Geschlossene Unterbringung - Axel Biere

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Axel Biere
Jugendamt Pankow v. Berlin
24.10.2012
90295 2389
Thesen:
1. Jugendämter sehen Geschlossene Unterbringen als ultima
Ratio der Jugendhilfe.
2. Jugendämter initiieren Geschlossene Unterbringungen wenn
andere sozialpädagogische Leistungen/Maßnahmen nicht
zielführend oder nicht mehr erfolgversprechend sind.
3. Jugendämter sehen Geschlossene Unterbringungen im
Zusammenhang mit dem Schutz der Kinder und Jugendlichen
vor selbstzerstörerischen Handlungen, wie manifeste
Suchtstrukturen, fortwährende Trebegänge,
Selbstverletzungen oder Suizidalität.
4. Jugendämter reagieren auf totale Verweigerungshaltungen
von Kindern oder Jugendlichen mit geschlossenen
Unterbringungen, um sie vor sich selbst zu schützen.
5. Geschlossene Unterbringungen sind eine Bankrotterklärung
der Kinder- und Jugendhilfe. Alle oft auch langjährigen
Leistungen, Maßnahmen haben keinen nachhaltigen positiven
(erzieherischen) Effekt erzielt.
6. Geschlossene Unterbringungen erschweren bzw.
verunmöglichen die Wiedereingliederung in das
Familiensystem bzw. die Entlassung in die Selbständigkeit,
wenn die nachfolgenden Schritte/Maßnahmen hier nicht
transparent vor Beginn der geschlossenen Kinder- und
Jugendhilfe festgelegt werden.
1
Fallbeispiel
Klaus, geb. 1990 / 3. von 5 Kindern / 3 Mädchen + 2 Jungs
6 dicke Bände Akten
Anamnese / Soziale Diagnostik:
- 1990 Zuzug aus Thüringen nach Berlin / Notwendigkeit der Pflege des
Großvaters
-
1991 Umzug in Randbezirk
-
1995 2. Umzug innerhalb Berlins
-
1997 → Einschulung von Klaus in Sprachheilschule
1998 → 2maliger Schulwechsel
-
Verschiedene Klinikaufenthalte u. a. wg. Bettnässens
-
Erster Kontakt Jugendamt 09.1998 wg. ältester Schwester
→ Kindernotdienst + Heimunterbringung + Rückkehr zur Mutter
vorangegangen → Ambulante Hilfen
-
Ehescheidung 1997 rechtskräftig
-
Alleinerziehende Mutter / 6-Raum-Wohnung Randbezirk von Berlin
-
Km. Hauswirtschafterin, Reinigungskraft → arbeitslos / HzL + Unterhalt
-
Familie ist wg. geistigen Behinderungen vorbelastet
-
Klaus 80 % schwerbehindert – Anfallsleiden + Asthma
lernbehindert
Zuordnung zum § 35a SGB VIII
-
Jüngerer Bruder – geistig behindert / 80 % schwerbehindert
-
Jüngere Schwester – Sprachstörung
-
Pflegebedürftige Großmutter mütterlicherseits lebt mit im Haushalt
-
Eltern 2002 nach Pankow zugezogen, getrennt lebend, Mutter in
hauptsächlicher Erziehungsverantwortung, Vater hat keinen Kontakt zu den
Kindern, es entstehen trotzdem weitere Kinder
-
zweitjüngstes Kind hat anderen Vater, dieser verübt mehrere Suizidversuche
→ Trennung
-
Familienhilfe 2001 – 2002 / 6 Monate / Schwerpunkt die beiden jüngeren
Geschwister von Klaus
2
Hilfen zur Erziehung / Hilfen für junge Volljährige:
-
03.2000 → Klaus in Sozialer Gruppe nach §§ 27, 29 SGB VIII
Mutter hat rigiden Erziehungsstil und ist mit der Erziehung von Klaus
überfordert
-
07.2001 – 06.2002 → Klaus (11 Jahre) im
1. Heim / Regelgruppe nach §§ 27, 34 SGB VIII
angepasst + wenig Auffälligkeiten
Entlassung nach Hause nach Klärung der Rahmenbedingungen
-
10.2002 – 05.2004 → Tagesgruppe nach §§ 27, 32 SGB VIII
Unterstützung der Km. / Stabilisierung + Strukturierung von Klaus
-
05.2004 → Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII
Klaus bittet um Inobhutnahme.
Überforderung der Km. / Gewaltvorfälle in der Familie / Trebegänge von Klaus
-
05.2004 → 2. Heimunterbringung (Berlin) nach §§ 27. 34 SGB VIII
Delinquenz + Suchtprobleme von Klaus + Schulverweigerung
-
03.2005 -12.2005 → 3. Heimunterbringung (Brandenburg)
nach §§ 27. 34 SGB VIII
Delinquenz + Suchtprobleme von Klaus
Schulverweigerung
Entfernung zur Peergroup stand im Fokus.
Möglichkeit der Beschulung
-
2005/2006 → 6 Klinikaufenthalte geschlossen wegen Selbst- +
Fremdgefährdung
Gutachten wurden erstellt:
- Depressionen
- Selbsttherapeutische Versuche mit Alkohol + Cannabis
- Störung des Sozialverhaltens
- Fremdunterbringung wurde dringend empfohlen.
-
01.2006 – 02.2006 → 4. Heimunterbringung (Schleswig-Holstein)
nach §§ 27. 34 SGB VIII
Bedrohung von Mitarbeiter/innen/n, Brandstiftung im Heim
-
03.2006 → Krisenunterbringung (Brandenburg) nach §§ 27. 34 SGB VIII
Diese erfolgte nach Rauswurf aus dem Heim in Schleswig-Holstein.
Krisenunterbringung wurde nicht angenommen / Trebegänge + Aufenthalt bei
Freunden + „Rettern der Jugend“.
-
06.2006 Entzug der elterlichen Sorge / Bestellung eines Vormundes
- Überforderung der Mutter
- Fehlende Erziehungskompetenz der Mutter
- Bindungsstörung der Kindesmutter zu Klaus
- Zitat aus dem Familiengerichtsbeschluss „...da weitere Verwahrlosung droht“
3
-
2006 Zuordnung zum § 35 a SGB VIII
Gutachten:
Seelische Behinderung festgestellt
+ Feststellung der Teilhabebeeinträchtigung
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03.2006 Beschluss zur Genehmigung der geschlossenen Unterbringung
nach § 1631 b BGB
Gründe:
- Probleme in der Persönlichkeitsentwicklung des jungen Menschen
- Eigengefährdung durch ständiges Entweichen aus Jugendhilfeeinrichtungen
- Eigenverletzung (Ritzen)
- Trebegänge
- Versuche der Problembewältigung durch Alkohol- und Cannabismissbrauch
-
Fachärztliches Gutachten auf Beschluss des Familiengerichtes:
- Tiefgreifende emotionale Bindungsstörung
- Störung des Sozialverhaltens
- Lernbehinderung / Schulverweigerung
- Neigung zu impulsiv-aggressiven Verhaltensweisen
- oppositionell-trotziges Verhalten
- unkritisches Streben nach Autonomie
- keine altersgerechte Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme
und zum Perspektivwechsel
- Ergozentrisch auf aktuelle Bedürfnisbefriedigung ausgerichtetes
Grundverhalten
→ Empfehlung zur Genehmigung einer Geschlossenen Unterbringung
-
10.2006 – 11. 2007 → Unterbringung in geschlossener / therapeutisch
intensivpädagogischer Einrichtung nach §§ 27. 34 SGB VIII
Aufträge:
- Integration in die Gruppe
- Akzeptanz der Regeln
- Motivation zum Verbleib in der Einrichtung
- Integration in die Heimschule
- Stärkung der sozialen Kompetenzen
- Aufbau Frustrationstoleranz
- Intensive Elternarbeit
- Klärung der gesundheitlichen Situation
- Klärung und Bearbeitung der Suchtstruktur
-
2007 →TWG im Anschluss an die geschlossene Unterbringung
Klaus entzieht sich der Hilfe
-
03.2008 – 03.2009 → Betreuungshilfe nach §§ 41, 30 SGB VIII
Klaus zieht sich zunehmend aus der Hilfe zurück
-
03.2010 → Überleitung in Hilfe nach SGB XII
-
Klaus wird Anfang 2012 nach mehreren Gewaltdelikten inhaftiert
Heute gibt es keine weiteren Hilfen in der Familie. Km. zieht wieder zurück in
den Ursprungs-Randbezirk Berlins
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