BEOPS und die Jungen Wilden

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Robert Northoff, Hochschule Neubrandenburg, Fachtagung Cottbus, September 2011
BEOPS und die Jungen Wilden
Das in den Jahren 2007 bis 2010 in der Betreuungsbehörde Schwerin durchgeführte
BEOPS-Projekt befasste sich mit der Betreuungsoptimierung durch Sozialleistungen.
Wie bekannt ist nach Einführung des am 1. Januar 1992 in Kraft getretenen
Betreuungsgesetzes die Zahl der Betreuungsfälle deutlich gestiegen. Einige Gründe
dafür - wie die sich auflösenden Familienstrukturen oder die Zunahme von psychischen
Erkrankungen - liegen auf der Hand, lassen sich aber nicht ohne Weiteres beeinflussen.
Daher entstand im Justizministerium die Frage, ob nicht durch eine bessere soziale
Infrastruktur Betreuungen vermieden werden können.
Das BEOPS Projekt hat in den Jahren 2008 und 2009 mehr als 2000 Akten im
Zuständigkeitsbereich der Betreuungsbehörde der Landeshauptstadt Schwerin
untersucht. Dazu wurde die Grundgesamtheit in eine Untersuchungsgruppe (U-Gruppe)
mit einer um eine etwa 0,4-Stelle verstärkten sozialarbeiterischen Intervention und in
eine Kontrollgruppe (K-Gruppe) ohne solche Verstärkung aufgeteilt. Dabei waren die
rechtsstaatlichen und arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen und
wie bei allen Feldstudien bei der Interpretation einzuarbeiten.
BEOPS untersuchte zwar nicht speziell Altersgruppen, doch lassen sich einige
Ergebnisse „Jungen Wilden“ zuordnen. Als klinische Bilder werden vor allem Demenz
(etwa 25%), geistige Behinderungen (etwa 15%), Abhängigkeitserkrankungen (etwa
10%), Schizophrenien (etwa 10%) und Mischformen (etwa 25%) diagnostiziert. Junge
Menschen dürften auch bei geistigen Behinderungen betroffen sein, die Jungen Wilden
fielen aber eher bei Abhängigkeitserkrankungen (Süchten) und damit verbundenen
Psychosen sowie Mischformen auf.
Möglichkeiten der Betreuungsvermeidung sind natürlich auch bei diesen gegeben, so
durch eine Vorsorgevollmacht, hier sollten wir uns über die Akzeptanz in der Szene
austauschen. Zu den Hilfen, die zu einer Vermeidung von Betreuungen beitrugen,
gehören u.a. die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen nach §§ 53 - 60
SGB XII, die Hilfen für kranke Menschen nach dem SGB V wie die Leistungen der
gesetzlichen Krankenversicherungen (§§ 4, 11 SGB V), soziotherapeutische Leistungen
(§ 37a SGB V), die Hilfe bei besonderen sozialen Schwierigkeiten nach §§ 67 - 69 SGB
XII. Tendenziell wurden die Hilfen in der Untersuchungsgruppe stärker genutzt.
Andere Hilfen spielten eher selten eine Rolle. So betrifft die Hilfe nach den §§ 41, 27
ff. SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe für junge Volljährige) grundsätzlich nur die
Altersgruppe zwischen 18 und 21 Jahren. Die Unterstützung durch die Bewährungshilfe
(§ 56d StGB) und die strafvollzuglichen Hilfen zur Entlassung (§ 74 StVollzG)
betreffen nur solche Betreute, die angesichts ganz erheblicher Straffälligkeit zu einer
Freiheitsstrafe verurteilt worden sind. Andere Hilfen konnten überraschenderweise (in
der Stichprobe) nicht festgestellt werden. So ließen sich Maßnahmen der Eingliederung
zur Arbeit und Leistungen nach §§ 15 SGB II, 35 IV SGB III, die behördliche
Bestellung von Verfahrensvertretern nach § 15 I 4 SGB X, Hilfen und
Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke entsprechend dem Anspruch auf vorsorgende
und nachgehende Hilfen (§ 4 PsychKG MV), Leistungen durch eine trägerübergreifende
Servicestelle nach § 22 SGB IX oder auf Grund von Rahmenverträgen (§ 79 SGB XII)
oder auf Grund anderer Vereinbarungen mit den Einrichtungen und Diensten (§§ 75 ff.
SGB X) praktisch nicht feststellen.
Insgesamt gesehen zeigt sich über die Gruppen, dass es wie erwartet in der U-Gruppe
weniger Betreuungsempfehlungen und mehr Anregungen für eine Betreuungsaufhebung
gegeben hat als in der K-Gruppe. Über die beiden Jahre wurde bei den Neuvorlagen
von der U-Gruppe in rund 56% und in der K-Gruppe in rund 68% der Fälle die
Empfehlung einer Betreuung ausgesprochen. Bei den Wiedervorlagen wurde von der UGruppe in etwa 13% eine Aufhebung der Betreuung empfohlen, in der K-Gruppe in
etwa 10%. Auch bei den Gerichtsentscheidungen gab es in der U-Gruppe weniger
Betreuungsempfehlungen und mehr Anregungen für eine Betreuungsaufhebung als in
der K-Gruppe. Der Unterschied beläuft sich bei Neuvorlagen (Erstbestellung) auf etwa
7% und bei Wiedervorlagen (Aufhebung) auf rund 4%.
Über die Gruppen und Jahre hinweg wurden in der Stichprobe in etwa 40% der Fälle
berufliche Betreuer und in etwa 60% der Fälle ehrenamtliche Betreuer eingesetzt. Dabei
zeigte sich eine Tendenz dahingehend, dass in der U-Gruppe etwas weniger Berufsbzw. Vereinsbetreuer und etwas mehr Familienangehörige und andere Ehrenamtliche
eingesetzt werden als in der K-Gruppe. Mehr Soziale Arbeit führte aber bei
Neuvorlagen hinsichtlich der richterlich entschiedenen Fälle nicht zu einer größeren
Verschiebung von Berufsbetreuern zu ehrenamtlichen Betreuern. Soziale Arbeit wirkt
also eher bei leichteren und mittelschweren Fällen, nicht aber bei den großen
Herausforderungen. Die „Jungen Wilden“ scheinen eher schwierige Fälle zu sein.
Betreuungsoptimierung sollte durch spezifischere Fallbearbeitung möglich sein.
Erfolgreiches Krisenmanagement und Eingliederungshilfen nach den §§ 53 und 54
sowie § 67 SGB XII, insbesondere bei Beteiligung Freier Träger, werden von den in
den Leitfadeninterviews Befragten als besonders erfolgversprechend genannt. Als
besonders problematisch werden die Fälle von Suchterkrankungen und Borderline-Fälle
beschrieben (häufig Junge Wilde), hier kommen auch berufliche Betreuerinnen
manchmal an ihre Grenzen.
Im Rahmen der Diskussionen tauchte immer wieder die Frage auf, ob es nicht
sinnvoller sei, das Betreuungsverfahren insgesamt eher der Kommune zuzuordnen.
Beim Modell einer verstärkten kommunalen Zuständigkeit würde der
Betreuungsbehörde als zentraler Eingangsinstanz für alle Anregungen eine Steuerungsund Filterfunktion zukommen. Für eine Verlagerung der zentralen Zuständigkeit auf die
Kommune sprechen insbesondere auch die größere Sachnähe, die bessere Kenntnis vom
Betreuungsbedarf, das größere soziale Netzwerk, die kürzeren Wege im Rathaus, die
ausgeprägtere Bürgernähe, die Kompetenz für einen Hilfeplan und die geringere
Bedrohlichkeit einer Behörde für Betreute. Das Modell begegnet keinen größeren
verfassungsrechtlichen
Bedenken,
wenn
insofern
klar
ist,
dass
die
Betreuungsentscheidung selbst und die Entscheidungen über Freiheitsentziehungen und
den Einwilligungsvorbehalt der Richterin oder dem Richter vorbehalten bleiben.
Dabei lässt sich auch überlegen, analog dem Sozialgesetzbuch VIII (Kinder- und
Jugendhilfegesetz) ein (über die Gruppe der alten Menschen und über die Betreuung
hinausgehendes) Erwachsenenhilfegesetz (EHG) zu entwerfen, welches die
Betreuungsoptimierung durch fördernde und helfende Sozialleistungen in den
Vordergrund rückt, zerstreute Vorschriften zur Erwachsenenhilfe zusammenfügt und
auch die Zuständigkeitsmodalitäten für Betreuungsverfahren neu organisiert. Das EHG
könnte auch als SGB XIII geführt werden.
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Zum psychologischen Umgang mit jungen Wilden
Quelle: Auszüge aus Northoff, R.: Sozialisation, Sozialverhalten und soziale
Auffälligkeiten, zunächst nur zur persönlichen Kenntnis; wird demnächst veröffentlicht
Jugend und Adoleszenz
Diese Zeit wird rechtlich meist zwischen 14 und 18 Jahren verortet (vgl. § 7 I 2 SGB
VIII), sozialwissenschaftlich wird indes eine Ausdehnung der Lebensphase Jugend auf
etwa 15 Jahre festgestellt. Sie beginnt mit der Pubertät, also abhängig vom Geschlecht
etwa ab 11 Jahren, und endet mit dem Erwachsenwerden, meist gekennzeichnet durch
Festigung der eigenen Identität und die Beendigung der Ausbildung, was sich immer
häufiger bis zum 30. Lebensjahr hinauszieht (vgl. dazu Hurrelmann: Lebensphase
Jugend 2010).
Entwicklungspsychologisch
lassen sich vier große Aufgaben benennen:
(1) die Entwicklung des inneren Bildes von der Geschlechtszugehörigkeit und
die Ausrichtung auf eine wie auch immer strukturierte eigene Familie,
(2) die Entwicklung einer intellektuellen und sozialen Kompetenz und die
Ausrichtung auf eine ökonomische Selbstversorgung,
(3) die Entwicklung selbstständiger Handlungsmuster für den Umgang mit
Freizeit, Kultur und Konsum und
(4) die Entwicklung eines Werte- und Normsystems und eines ethischen und
politischen Bewusstseins mit Ausrichtung auf eine gesellschaftliche Teilhabe
(vgl. Hurrelmann 2010, 27f).
Erziehungsberatung
Ist-Zustand und seine Probleme erkennen
 Zunächst ist das psychologische Problem einzukreisen: Was läuft in der
Familie falsch? Wo liegen die Schwächen und Stärken der Beteiligten? Wo
liegen die Schwächen des jungen Menschen?
 Das Problem ist zu konkretisieren und Widerstand ist zu bearbeiten durch
Fragen wie: Was sind konkret die Erfahrungen? Wie wird konkret auf den
jungen Menschen reagiert? Was sind dabei konkret die Gefühle?
 Verdeckte Probleme müssen erkannt werden: Sind alle ehrlich? Was ist den
Betroffenen wirklich wichtig?
 Ursachenforschung muss geleistet werden: Was ist die Ursache der gezeigten
Symptome? Welche Entwicklungsmängel zeigen sich? Welche
Sozialisationsstörungen fallen auf? Wo gibt es systemische Zusammenhänge?
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Soll-Zustand und seine Ziele erkennen
 Zukunftsbilder entwerfen: Was wünschen sich die Beteiligten? Wie soll es
weitergehen? Welche Möglichkeiten der Förderung und Hilfe gibt es, nach
dem SGB VIII oder anderen Vorschriften?
 Zukunftsbilder bewerten: Welche der Möglichkeiten gefällt den Beteiligten?
Welche wird ihnen empfohlen? Was ergibt die Teamberatung der
Beratungsstelle?
 Auswahlentscheidung treffen lassen: Welche Argumente, welche Vorschläge
überzeugen? Sind Kosten-Nutzen-Abwägungen berücksichtigt?
Handelnde Umsetzung des Soll-Zustandes in die Realität
 Handlungsstrategien entwickeln: Allgemeine Förderung nach den §§ des
SGB. Entwicklung eines konkreten Betreuungsplans nach/analog den §§ 27ff,
36 SGB VIII. Beteiligungen sichern.
 Handlungspläne formulieren und durchsetzen: Beginn und Ende der Hilfe
festlegen. Die konkret helfende Sozialarbeiterin auswählen. Pläne ausführen.
 Rückkopplung ermöglichen: In angemessenen Abständen neue Gespräche
vereinbaren. Hilfeplan aktualisieren. Krisenmanagement vereinbaren.
Formalen und endgültigen Abschluss vereinbaren.
Soziales Training mit jungen Menschen
(vgl. Petermann & Petermann 2008; vgl. Northoff, Methodisches Arbeiten &
therapeutisches Intervenieren 2011)
 das Training einer realistischen Wahrnehmung sozialer Interaktionen, die
Förderung des Eindenkens und Einfühlens in andere, Empathieförderung,
 der Abbau egoistisch motivierter Handlungen durch eine kritische
Aufarbeitung, die Stärkung der Selbstkontrolle im Sinne einer Verzögerung
und Überprüfung von aggressiven Impulsen,
 die Unterstützung positiven Sozialverhaltens durch soziale Unterstützung und
Einüben von Kooperation, bei Akzeptanz einer angemessenen
Selbstbehauptung
 die Vermittlung von Werten und der Aufbau eines Überichs (Gewissens), da
bei diesen Jugendlichen Schuld- und Reuegefühle fehlen, die Planung eines
strafrechtlich unauffälligen Lebens,
 systemische Hilfen wie die Arbeit am System Familie und am System
Ausbildung und system Freizeit sowie der Aufbau von stabilen
Freundschaften zu etwa Gleichaltrigen
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Biologische, Psychologische und soziale Risiko- und Schutzfaktoren in der
Entwicklung von Kindern und Jugendlichen in unterschiedlichen
Lebenskontexten (aus dem 13. Kinder- und Jugendhilfebericht 2009, 66ff)
Quelle:Deutscher Bundestag:Bericht über die Lebenssituation junger Menschen
und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. 13. Kinder und
Jugenbericht. Berlin 2009.
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Borderline Typus
Erscheinungsbild. Wohl einen Grenzfall zwischen Psychose und Neurose stellt
das Borderline-Syndrom dar. Das DSM-IV-TR (301.83) schätzt die Prävalenz in
der Allgemeinbevölkerung auf 2 %, bei stationären psychiatrischen Patienten
aber auf beachtliche 20 %. Die ICD-10 (F60.31) nennt als Kennzeichen eine
große emotionale Instabilität, wiederkehrende Impulsivität, übermäßige und
unkontrollierte Wutausbrüche, ein unklares Selbstbild, teilweise mit
Suiziddrohungen sowie eine chronische innere Leere genannt. Ausführlicher ist
das DSM-IV-TR, welches 9 Kriterien nennt, von den mindestens 5 erfüllt sein
sollten (hier vereinfacht dargestellt): (1) Bemühen, ein Verlassenwerden zu
vermeiden (2) in den Beziehungen ein Wechsel zwischen extremer Idealisierung
und extremer Entwertung (3) Störungen des Selbstbildes (4) impulsives Handeln
z. B. bei Sexualität, Substanzmissbrauch, Autofahren (5) wiederholte suizidale
Handlungen (6) affektive Instabilität und Reizbarkeit (7) Gefühl der chronischen
Leere (8) unangemessene Wut und fehlende Kontrolle (9) vorübergehende
dissoziative oder paranoide Symptome.
Ursachen. Als Grenzfall zwischen Psychose und Neurose mit psychopathischen
Anteilen wird man von einem Ursachenbündel ausgehen ausgehen müssen,
körperliche Bereitschaften, frühkindliche Störungen und spätere Verfestigungen
treffen zusammen (vgl. Fiedler 2001, 237ff, 482ff).
 Teilweise wird die Diagnose Borderline daher als „Mülleimer“ für alle
ungeklärten Krankheitsfälle genutzt, fehlt dem Arzt der Zugang, wird der Fall
zum Borderline Fall.
 Psychoanalytisch wird teilweise eine frühe Störung in den ersten
Lebensjahren Lebensjahren vermutet, bei der die Ablösung des Säuglinges /
Kleinkindes von der Mutter misslungen ist, so dass sich Abhängigkeits- und
Wutgefühle verfestigt haben. Auf der Basis dieser Fehlentwicklung können
spätere Erfahrungen zu Verfestigungen führen, wobei dann auch familiäre
Einflüsse und Gruppenbeziehungen eine wichtige Rolle spielen (vgl. auch
Kernberg 1983 und seine Objekt-Beziehungstheorie).
 Eine eher verhaltenstherapeutische Erklärung versucht Linehan, die das
widersprüchliche Verhalten und die selbstdestruktive Impulsivität der
Borderline-Patienten als Ausdruck einer gelernten (ungesunden)
Problemlösungsstrategie ansieht, was darauf beruhe, dass der Patient in seiner
Umgebung widersprüchliche Verhaltensweisen gelernt habe, wie aktive
Passivität, scheinbare Kompetenz, permanente Krisen oder gehemmte Trauer
(vgl. Linehan 1996; Fiedler 2001, 260f, 482ff).
 Damit lassen sich eher physiologische Ansätze verknüpfen (vgl. auch Förstl
2007, 256ff), die auf die Bedeutung von Serotonin, Dopamin und
Noradrenalin für die Entstehung von Emotionen hinweisen und davon
ausgehen, dass auch eine Dysfunktion vorliege, die im Zusammenhang mit
einer
ablehnenden
Umwelt
die
Ausbildung
eines
stabilen
Selbstregulationsmechanismus verhindere.
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Folgen. Der abrupte Wechsel zwischen extrem bedürftiger Haltung (z. B.
dramatische Hilfebitten auch an Sonntagen) und extrem entwertender Haltung
(beleidigende Vorwürfe der Imkompetenz) ist für Bezugspersonen enorm
belastend, da das Verhalten unberechenbar escheint. Auch unerfahrene
Therapeuten führt dies schnell an ihre Grenzen.
Therapie. Lässt man sich trotzdem auf eine Therapie ein, so ist ein
therapeutischer Mehrfachansatz hilfreich, denn man nimmt an, dass neben einer
medikamentösen Behandlung vor allem eine psychoanalytische Bearbeitung der
Bindungsstörungen (vgl. Eckhardt-Henn 2009, 205ff; vgl. Mentzos 2008, 145)
und andere supportive psychotherapeutische Verfahren (Training von
Stresstoleranz, des Umgangs mit Gefühlen, des zwischenmenschlichen
Verhaltens) helfen können. Die Prognose ist demgemäß schwierig; sie hängt vor
allem von Krankheitseinsicht und Motivation sowie Mitarbeit und
Kooperationsbereitschaft des Betroffenen ab.
Suchterkrankungen - Therapie
0 Phase: Der zunächst entscheidende Schritt ist die oben beschriebene
Motivationsförderung. Sie kann durch (meist kommunal finanzierte)
Beratungsstellen, aufsuchende Sozialarbeit oder kritische Life-Events
(Beziehungsabbrüche, Arbeitsplatzverlust, Erkrankungen) erfolgen, kann Jahre
dauern und muss im geeigneten Moment (wenn es dem Betroffenen besonders
„dreckig“ geht) ein konkretes und akzeptables Angebot vorhalten.
1. Phase: Stationäre körperliche Entgiftung in geeigneten Kliniken, evtl. auch
ambulant, Entzug und Behandlung eventueller Abstinenzerscheinungen, auch mit
Akupunktur oder als Blitz-Entzug, Behandlung anderer Krankheiten, Diagnostik,
Dauer zumeist nur einige Tage, zuständig sind regelmäßig Ärzte, Kostenträger ist
die Krankenkasse.
2. Phase: Stationäre Therapie mit Drogenverzicht und Einverständnis in
regelmäßige Kontrollen, Aktivierung des Kranken durch Beschäftigungstherapie
und kreative Tätigkeiten wie Maltherapie, positive Entfaltung der Persönlichkeit
z. B. durch autogenes Training und kulturelle Förderung, körperliche Stärkung
durch Sport, Betreuung und Behandlung der Begleiterscheinungen und vor allem
Gruppentherapie
und/oder
Einzeltherapie
mit
kognitiven
und
verhaltenstrainierenden Anteilen; was die Angehörigen betrifft, gilt häufig in den
ersten Wochen ein Kontaktverbot, um eine Gefährdung der Therapie von außen
zu unterbinden, erst danach kommt es zum "Belastungsurlaub" oder
"Belastungsbesuch"; Beziehungen innerhalb der Anstalt unter den Klienten sind
zumeist unerwünscht, weil dadurch der Leidensdruck und der Wunsch, sich zu
verändern, nachlässt, Dauer unterschiedlich, meist 6 Monate oder mehr,
Kostenträger ist die Rentenversicherung.
3. Phase: Wiedereingliederungsversuch mit Teilarbeit oder Wohnung
außerhalb, Beschäftigungshilfe, Arbeitsförderung, Selbsthilfegruppen, betreutes
Wohnen, ambulante Ganztagesbetreuung, Rückkehrhilfe, Integration der Familie,
Verstärkerprogramme, Dauer unterschiedlich, meist 3 Monate oder mehr,
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Kostenträger meist noch die Rentenversicherung, aber auch die
Wohlfahrtsverbände und Kommunen
4. Phase: Langfristiger Halt in Selbsthilfegruppen und nachgehende
Betreuungsangebote über Jahre, z. B. in Tageskliniken oder therapeutischen
Wohngemeinschaften, mit der Möglichkeit, in Krisen einen Ansprechpartner zu
finden und notfalls sofort für einige Tage zurückzukommen, also stationäre
Krisenintervention, Ermöglichung von Kurzzeit- und Intervalltherapien bei
Rückfall, Kostenträger z. B. Kommunen und Wohlfahrtsverbände, evtl. auch
Versicherer.
Therapie für junge Menschen
Spezielle Therapien werden eher selten angeboten, wären aber insbesondere bei
jungen Menschen vielversprechend. Fischer & Lammel 2009, 142ff weisen
darauf hin, dass
 die Jugendhilfe als erster Ansprechpartner ihre Berührungsängste mit
therapeutischen Prozessen verlieren sollte,
 es
für
Mädchen
spezielle,
insbesondere
traumatherapeutische
Behandlungsangebote geben sollte,
 Nachreifungsprozesse insbesondere im emotionalen Bereich besonders
gefördert werden sollten,
 die Nachsorge durch Selbsthilfegruppen und neue Netzwerke und
Freundeskreise ein wichtiger Stabilitätsfaktor ist.
Zur Kommunikation mit geistig Behinderten
Ein in der praktischen Arbeit mit geistig Behinderten nur schwer zu bewältigende
Herausforderung ist die Frage, wie man als Helferin auf sogenanntes
herausforderndes Verhalten reagieren sollte. Der holländische Psychologe
Heijkoop (2009) erkennt darin vor allem festgefahrene Verhaltensweisen, die
man mit einiger Erfahrung und Training aber zumindest teilweise aufbrechen
könne. Wichtig sei es, anders hinzuschauen, wobei auch Videoaufnahmen helfen
können, und zu ergründen, was den Gesprächspartner gerade beschäftigt, sich
also mit offener Haltung in seine Welt zu begeben und seinen inneren Stress zu
verstehen. Häufig liege eine Störung des Erregungsniveaus vor, bei zu niedriger,
insbesondere aber zu hoher Spannung steige die Wahrscheinlichkeit für
Problemverhalten. Steht mehr Zeit zur Verfügung, schlägt er vier Interventionen
vor: (1) Aufbau eines vertrauensvollen Verhältnisses, getragen durch Offenheit
und Berechenbarkeit, (2) körperliche Regulierung des Erregungsniveaus z. B.
durch geregelten Wach- und Schlafrhythmus und die Akzeptanz des Auslebens
starker Gefühlsregungen in angemessener Weise (3) gemeinsam zu versuchen
und zu üben, mit dem Problemverhalten angemessener umzugehen (4) die Sinne
(Sehen, Hören, Fühlen, ...) neu zu erleben und die Einflussnahme darauf neu zu
erfahren.
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