Die Wirkung von Muskeirelaxantien bei

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Nr. 51, 18. Dezember 1959
Steinbrether: Die Wirkung von Muskeirelaxantien bei zerebraler und spinaler Spastik
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Aus der Nervenklinik der Städt. Krankenanstalten Essen (Chefarzt: Prof. Dr. F. Laubenthal)
Die Wirkung von Muskeirelaxantien bei zerebraler und spinaler Spastik
Elektromyographisdie und klinische Untersuchungen
Die Therapie spastischer Lähmungen ist immer noch unbefriedigend. Ohne daß wir die Bedeutung etwa der Kranken-
Patient aufgefordert, den Muskel maximal zu innervieren.
Bei Spastikern tritt dann in nahezu allen Fällen ein sehr
gymnastik, der Anwendung von Bädern und anderer physikali-
hochgespanntes Interferenzmuster sehr frequenter Aktionspotentiale auf. Den Patienten wird nun gelehrt, auf ein bestimmtes Kommando den Muskel plötzlich zu entspannen.
scher Maßnahmen unterschätzen wollten, so fehlt es doch
sehr oft an der Möglichkeit einer wirklich durchgreifenden
Beeinflussung der Spastik. Der Mangel an medikamentös
wirksamen Muskelrelaxantien Ist bedauerlich.
Man sollte von ,,Muskelrelaxantien" und nicht von ,,Spasmolytika" sprechen, wenn es sich um Mittel zur Beseitigung einer
Tonusvermehrung der quergestreiften Muskulatur handelt, da der
Begriff ,,Spasmolytikum' bereits für jene Pharmaka vergeben ist,
die eine krampflösende Wirkung auf die glatte Muskulatur ausüben. Aus dem gleichen Grunde vermeide man auch den Terminus
Spasmus' als Bezeichnung einer spinalen oder zerebralen Spastik.
Man erlebt immer wieder, daß solche terminologische Verwirrung
auch praktische negative Auswirkungen hat, indem oft versucht
wird, Spastik durch Spasmolytika der glatten Muskulatur zu beeinflussen. Solche Versuche müssen scheitern.
Diese notwendige scharfe Trennung engt die Auswahl an
Medikamenten so erheblich ein, daß bei kritischer Sichtung
tatsächlich kaum eines übrig bleibt, das auch nur bescheidene
Erfolge bescherte. An ein Muskelrelaxans als long-timeMedicament' für Spastiker sind folgende Anforderungen zu
stellen:
Deutliche Reduzierung der Spastik ohne wesentliche Herabsetzung der dem Kranken verbliebenen Kraftleistungen;
keine Kumulationseffekte;
gute Verträglichkeit ohne schädliche Nebenwirkungen;
vor allem keine hypnotischen oder stark sedierenden Effekte,
zumal der Kranke aktiviert werden soll;
orale Applikationsform.
Die bisher im Handel befindlichen - zum Teil bereits wieder verschwundenen - Präparate konnten diese Grundvoraussetzungen durchweg nicht befriedigend erfüllen. Das
Resultat ist eine weit verbreitete Resignation. Es sei hier nur
erinnert an die geringe therapeutische Breite der CurarePräparate, an die für eine Dauermedikation unannehmbare
intrearterielle Applikationsform des Suxamethoniumchlorid,
weiter etwa an die erheblichen Nebenwirkungen der Guajakol-glycerinaether (Hämolyse, Thrombophlebitis) bei ausreichend wirksamer Dosierung, an die Wirkungslosigkeit des
Meprobamats und die allzu flüchtige Wirkung des Sux.amethoniunichiorid (Bischolin-Succinat) und Dekamethonium-jodid.
Methodik
Um die Veränderungen der Spastizität eines Muskels
quantitativ erfassen zu können, bedienten wir uns elektromyographischer Untersuchungen. Für das technische Vorgehen arbeiteten wir folgende Methode aus: In den zu untersuchenden Muskel werden eine oder mehrere Nadelelektroden eingeführt. Nach Prüfung der Ruheaktivität wird der
-I7CH3
Cl-
0
CH3
+
C O - CH2 - CH2 NE CH3
II
CH3
CH2
CH2
CH3
- CH2 CH2NCH3
o
CH2CH2 CH2CH2NCH3
CH3
CH2
CH2
I
,CH3
CH2CH2 CH2 CH2NCH3
+NCH
CH3
J-
C! Suxc,melhonjumch(o,-jd
Dekarrethoniumjodid
OCH2CHCH2
0H
¿H
Guajakol-glyCerinöther
3_(oMe(hoxy-phenOXy)-Pr0POfl- 1,2-dio!
Normalerweise setzt nun die elektrische Aktivität schlagartig
aus. In einem spastischen Muskel wird aber die Willkürinnervation von den Aktionspotentialserien überdauert, und
zwar um so länger, je stärker die Spastik ausgeprägt ist. Der
Zeitpunkt der Entspannung wird durch Auslösen einer Markierungsvorrichtung gekennzeichnet, so daß er auf dem entwickelten Film genau festzustellen ist. Wir haben den Vor-
gang jeweils einige Male üben lassen und intelligenten
Patienten die Auslösung der Markierung selbst übertragen.
Bei dieser Versuchsanordnung läßt sich der von uns als Uber-
dauerungseffekt bezeichnete Zeitraum, das ist die Zeit vom
Aufhören der Innervation bis zum Auftreten einer Null-Linie,
im Elektromyogramm quantitativ erfassen, und er gibt somit
einen Maßstab für die gradmäßige Ausprägung der Spastik.
Außerdem treten bei hochgradiger Spastik häufig audi
ohne Willkürinnervation Potentialserien auf, die darauf hinweisen, daß dem Kranken eine willkürliche, vollständige Ent-
spannung des betreffenden Muskels nicht möglich ist. Es
handelt sich nicht um Spontanentladungen, wie sie bei extrapyramidaler Tonussteigerung im Sinne des Rigors auftreten,
weshalb wir sie als Pseudospontanentladungen bezeichnen
möchten. Die Abbildungen 1 bis 6 zeigen einige Beispiele
solcher Messungen.
Eigene Beobachtungen
Nachdem wir mit den oben genannten Präparaten klinisch
keine greifbaren Erfolge sahen, nahmen wir vor etwa 16
Monaten das uns zur Erprobung überlassene, jetzt als Quilo-
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Von Wolfgang Steinbrecher
Steinbredier: Die Wirkung von Muskeirelaxantien bei zerebraler und spinaler Spastik
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sthnittliche Behandlungsdauer 10 Wochen. Die Auswahl der
zu behandelnden Fälle geschah nach Abschluß der Voruntersucthungen derart, daß vorwiegend solche Krankheitsbilder
der Behandlung zugeführt wurden, deren Symptomatologie
auf Grund des zugrundeliegenden pathologisch-anatomischen
Prozesses und der Anamnese keine wesentlichen Spontanschwankungen im Sinne von Remissionen oder Exazerbationen erwarten ließ. Nachdem durch Voruntersuchungen festgestellt worden war, daß psydilatrisdie Erkrankungen kein
lohnendes Indikationsgebiet darstellen, und daß audi extrapyramidale Hyperkinesen und Tonusvermehrungen nur
geringfügig oder gar nicht beeinflußt werden, wandten wir
uns fast ausschließlich der Behandlung spastisther Syndrome
zerebraler und spinaler Genese zu. Diese verbleibende
Gruppe ließ insofern einen sehr auffälligen Unterschied hinsichtlich der Erfolgsquote erkennen, als alle jene Fälle, bei
Als bemerkbarer Erfolg wird ein subjektiv empfundenes,
spontan angegebenes Nachlassen der Spannungsempfindung in
den spastisdien Gliedmaßen bezeichnet, das nicht mehr mit klinischen Mitteln, wohl aber elektromyographisdi zu objektivieren ist.
Bei Zugrundelegung dieses Einteilungsprinzips ergaben sich
denen die Spastik zerebraler Genese war, praktisch keine
Dosiernng
Zu Beginn der Untersuchung hatten wir vorwiegend Palienten mit zerebraler Spastik behandelt. Da die Erfolge bei einer
Dosierung von 3X10 bis 3X20 mg täglich wenig ermutigend
regelmäßige oder irgendwie hinreichende Beeinflussung zeigten, während der Erfolg bei spinaler Spastik unvergleichlich
besser war.
Es wurden insgesamt 28 Patienten mit spinaler Spastik be-
handelt. 22mal lag eine Encephalomyelitis disseminata beziehungsweise eine zirkumskripte Myelitis vor, zweimal eine
spastische Spinalparalyse, zweimal ein Zustand nach operativer Entfernung intramedullärer Tumoren, einmal eine funiku-
läre Spinalerkrankung (bei der es durch Versäumnis einer
spezifischen Behandlung zu einem seit Jahren unverändert
schweren spastischen Restzustand gekommen war) und einmal
wurde ein spinaler Gefäßprozeß diagnostiziert, dessen Akuität
gleichfalls Jahre zurücklag.
Elektromyographische Untersuchungen führten wir bislang
bei 14 Patienten durch. Vier dieser Kranken hatten Guajakol-
in 13 Fällen gute Erfolge;
in 11 Fällen deutliche Erfolge;
in 2 Fällen bemerkbare Erfolge;
in 2 Fällen praktisch kein Erfolg.
Eine genauere Analyse der Erfolgsstatistik zeigt, daß in beiden
Fällen des Behandlungsmißerfolges Besonderheiten vorlagen. Ein-
mal wurde nur 16 Tage lang und in unzureichender Dosierung
(2 X 5 mg täglich) behandelt. Im zweiten Fall handelte es sich zwar
auch - wie in der Mehrzahl der Fälle - um eine Encephalomyelitis disseminata, doch lag eine reine Hemispastik vor, so daß,
im Gegensatz zu den übrigen Fällen mit reiner Querscthnittssymptomatik,
nehmen ist.
eine
vorwiegend zerebrale Entmarkung anzu-
waren, ungünstige Nebenerscheinungen jedoch nicht auftraten, versuchten wir, durch eine wesentliche Erhöhung der
Tagesdosen die Behandlungsresultate zu verbessern. Dies
mißlang - und zwar, wie wir heute wissen, deshalb, weil
zerebrale Spastik auf Quiloflex kaum anspricht. Bei spinaler
Spastik braucht die Dosierung von 3X20 mg kaum je überschritten zu werden. Meist genügen 3X5 bis 3X10 mg. Auf
parenterale Anwendung kann verzichtet werden, da es sich
um eine Dauermedikation handelt. Tritt bei einer Dosierung
von 3X20 mg innerhalb von 8-10 Tagen keine merkliche
Wirkung ein, hat eine weitere Erhöhung der Dosis wenig
Sinn. Einschleichender Dosierung, beginnend mit 2X5 mg
glycerinaether-Präparate in einer Dosierung von 3X10 bis
täglich, ist der Vorzug zu geben.
3X20 ccm 5°/oige Lösung des Guajakol-glycerinaether erhalten. Zehn Patienten waren mit Quiloflex in Dosierungen zwi-
Nebenwirkungen
Nur ganz vereinzelt hatten wir den Eindruck, daß das Präparat gewisse psychische Wirkungen entfaltete. Diese waren
schen 3X5 bis 3X20 mg behandelt worden, dessen Verabreichung ausschließlich oral erfolgte. Bei allen jenen Kran-
ken, die ohne Behandlung mit Quilofiex nicht zur Entspannung zu bringen waren, trat nach Verabfolgung des
Medikamentes stets im Ruhe-Elektromyogramm elektrische
Stille ein. Die Pseudospontanentladungen waren also durchweg verschwunden. Der tJberdauerungseffekt nahm im Durchschnitt um 57°/o (17-100°/o) gegenüber dem Ausgangswert ab.
Bei den mit Guajakolglycerinaether behandelten Fällen traten
weder Veränderungen der Pseudospontanentladungen noch
ein signifikanter Rückgang des tiberdauerungseffektes ein.
Die kiimsdie Erlolgsbeurteilung
ist gegenüber der elektromyographisthen Kontrolle sehr viel
stärker an subjektive Eindrücke gebunden. Wir versuchten,
sie durch folgendes Einteilungsschema so gut wie möglich zu
objektivieren:
t. A1s sehr guter Erfolg wäre der völlige Rückgang aller pathologischen Befunde mit Wiederherstellung normaler Leistungsfähigkeit zu bezeichnen.
Als guter Erfolg die völlige Rückbildung konstanter und deutlich ausgeprägter spastisdier Symptome in der Form von
Pyramidenbahnzeithen oder unerschöpflicher Kioni.
Deutlich ist der Erfolg, wenn pathologische Symptome sich
quantitativ zurückbilden, zum Beispiel ein unerschöpflicher in
einen erschöpfbaren Kionus übergeht.
aber so wenig ausgeprägt, daß die Annahme einer Stirnmungsverbesserung
als
normaipsydiologisch
einfühlbare
Reaktion auf das Erlebnis der Besserung des Krankheitszustandes wesentlich näher lag als die einer medikamentösen
Euphorisierung. Ausgesprochen sedierende oder euphorisierende Effekte wurden nicht beobachtet. Wenn die Kranken
gelegentlich über ein Gefühl der Müdigkeit berichteten, so
meinten sie damit - wie genaue Explorationen ergaben das Nachlassen der Spannung in den spastischen Gliedmaßen,
das sich oft, besonders zu Beginn der Behandlung, als Gefühl
der Erschlaffung kundtut.
In einem Falle mußten wir jedoch erleben, daß bei mißbräuchlicher Uberdosierung Gewöhnungs- und Entziehungserscheinungen auftraten:
Der 36jährige Mann, der an einer schweren Enzephalomyelitis
litt, die unter anderem zu einer hodigradigen Spastik des linken
Armes geführt hatte, war durch Therapie mit 3 X 15 mg Quiloflex
ungewöhnlich gut gebessert worden. Er sollte zu Hause das Mittel
in gleicher Dosierung weiter nehmen. 3 Monate später wurde er
erneut eingewiesen. Er hatte wegen Wirkungsminderung das
Mittel von sich aus stark überdosiert. Bei mindestens 80 bis 100 mg
täglich waren allgemeine Unruhe und Getriebenheit aufgetreten,
die der Patient durch erneute Medikamenteneinnahme zu bekämpfen trachtete. Die Ehefrau berichtete über ein fahrig-gehetztes
Wesen und ständige Gereiztheit. Nach sofortigem Absetzen des
Medikamentes traten Entziehungserscheinungen mit starker, vor-
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Nr. 51, 18. Dezember 1959
Dtsch. med. Wschr., 84. Jg.
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In 26 Fällen waren überhaupt keine Nebenerscheinungen
zu beobachten. Die von den übrigen 15 Patienten zu Beginn
der Behandlung gekl.agten Beschwerden betrafen außer der
erwähnten Müdigkeit" der Gliedmaßen Magendruck, Schwindelerscheinungen und Brechreiz, Einmal kam es unter 3X15
mg zu Erbrechen, das zu einer Reduzierung auf 3X5 mg
zwang. Diese Dosis erzielte noch einen befriedigenden Erfolg.
Signifikante Blutdruckveränderungen, Schädigungen des blut-
bildenden Apparates oder Stoffwechselstörungen faßbarefi
Ausmaßes konnten wir in keinem Falle feststellen. Nie zwan-
gen die genannten, vorwiegend vegetativen Störungen zum
Absetzen des Medikamentes. Einige Male wurde vorübergehend ausgesetzt. Bei erneuter, vorsichtig einschleichender
Medikation blieben regelmäßig die vorher registrierten Beschwerden aus. Auch Suggestivmaßnahmen hatten zuweilen
Erfolg.
Schrifttum
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(Anschr.: Dr. W. Steinbrecher, Städt. Nervenklinik, Essen,
Hufelandstr. 55)
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wiegend nächtlicher Unruhe, Tremor und Schlaflosigkeit auf, die
3 bis 4 Tage anhielten. Unter erneuter Medikation von 3 X 15 mg
täglich war wieder ein guter Erfolg im Sinne eines objektivierbaren
Rückganges der Spastik zu verzeichnen. Psychische Auffälligkeiten
wurden nicht mehr beobachtet.
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