Telemedizin in der Praxis: Ethische Fragen - TA

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Markus Zimmermann-Acklin, Luzern
1.7.2005
Telemedizin in der Praxis:
Ethische Fragen
Vortrag an der Tagung von TA-Swiss
„Telemedizin – unpersönlicher, billiger, besser?“
Universitätsspital Basel, am 1. Juli 2005
Dr. Markus Zimmermann-Acklin
Institut für Sozialethik, Universität Luzern
[[email protected]]
Telemedizin in der Praxis: Ethische Fragen
1. Einführung…
Chancen und Risiken aus ethischer Sicht
2. Auslegeordnung…
Themenfelder mit jeweils unterschiedlichen
ethischen Herausforderungen
3. Im Zentrum…
Ethische Herausforderungen in der Anwendung
zwischen Behandlungsteam und Patient
Unispital Basel, 1.7.2005
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Telemedizin in der Praxis: Ethische Fragen
1. Einführung…
Chancen und Risiken aus ethischer Sicht
2. Auslegeordnung…
Themenfelder mit jeweils unterschiedlichen
ethischen Herausforderungen
3. Im Zentrum…
Ethische Herausforderungen in der Anwendung
zwischen Behandlungsteam und Patient
Unispital Basel, 1.7.2005
Vortrag am Universitätsspital Basel
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Markus Zimmermann-Acklin, Luzern
1.7.2005
1. Chancen und Risiken aus ethischer Sicht
ƒ Durch telemedizinisch eingeholte Expertenurteile lässt sich
die Qualität medizinischer Behandlungen verbessern.
ƒ Bedürfnisse der Patienten werden vollständiger abgedeckt.
ƒ [Sie] kann zu Einsparungen führen. Call-Center erlauben
es, unnötige Arztbesuche zu vermindern. [Sie] trägt dazu
bei, kostspielige Folgen von Behandlungsfehlern zu
vermeiden.
ƒ Indem Ressourcen gezielt eingesetzt werden, unterstützt
[sie] eine gerechtere Gesundheitsversorgung.
ƒ Die Selbstbestimmung der Patienten wird durch mehr
Informations- und Wahlmöglichkeiten gestärkt.
[TA-Studie, S. 48, Auszüge]
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1. Chancen und Risiken aus ethischer Sicht
ƒ Aufgrund der unvollständigen Information kommt es vermehrt zu Fehldiagnosen und -behandlungen.
ƒ Die psychosozialen Aspekte von Gesundheit könnten vernachlässigt werden.
ƒ Dient [sie] dazu, Kosten einzusparen, ist mit Einbussen bei
der Qualität zu rechnen. Müssen Anwendungen privat
finanziert werden, läuft dies dem gerechten Zugang zur
Gesundheitsversorgung entgegen. Die Ausweitung des
Versorgungsangebots kann einen Kostenschub auslösen.
ƒ Mängel beim Datenschutz gefährden die Privatsphäre,
Mängel bei der Datensicherheit vor allem die Gesundheit
der Patienten.
[ebd., Auszüge]
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1. Chancen und Risiken aus ethischer Sicht
→ Spezifische Aufgaben der Ethik
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
Risiken und Chancen abzuwägen
gute Fragen zu stellen
auf Widersprüche oder fehlende Aspekte hinzuweisen
kritisch mitzudenken
angesichts der zunehmend fragmentierten Lebenswelten
auf Zusammenhänge hinzuweisen und an Wertetraditionen zu erinnern
→ Die Ethik versteht sich als Integrations- und
Orientierungswissenschaft, die deshalb notwendig
interdisziplinär ausgerichtet ist.
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Vortrag am Universitätsspital Basel
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Markus Zimmermann-Acklin, Luzern
1.7.2005
1. Chancen und Risiken aus ethischer Sicht
→ Eine möglichst neutrale Grundlage? Als Ziele
werden genannt…
ƒ
Verbesserung der Lebenserwartung, Lebensqualität und
Selbstbestimmung,
ƒ
gleicher und gerechter Zugang zur Gesundheitsversorgung,
ƒ
volkswirtschaftlicher Nutzen,
ƒ
Zufriedenheit der Behandelnden,
ƒ
Entwicklung der Medizin.
[TA-Studie, S. 41f]
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Telemedizin in der Praxis: Ethische Fragen
1. Einführung…
Chancen und Risiken aus ethischer Sicht
2. Auslegeordnung…
Themenfelder mit jeweils unterschiedlichen
ethischen Herausforderungen
3. Im Zentrum…
Ethische Herausforderungen in der Anwendung
zwischen Behandlungsteam und Patient
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2. Themenfelder
a. Sozialethik: Gerechter Zugang zu den Ressourcen
→ Beispiel: iPath (Universitätsspital Basel)
ƒ
Ferndiagnosen
ƒ
Einholen von Zweitmeinungen
ƒ
gute Ausbildungsgrundlage
ƒ
Unterstützung von Labors
ƒ
u.v.a.m.
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Vortrag am Universitätsspital Basel
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Markus Zimmermann-Acklin, Luzern
1.7.2005
SÄZ, 2003; 84, Nr. 32/33
Der Patient/die Patientin
spielt hier keine primäre
Rolle; es geht um eine
Verständigung zwischen
Behandelnden.
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2. Themenfelder
a. Sozialethik: Gerechter Zugang zu den Ressourcen
→ Gerechtigkeitsfragen im Vordergrund:
ƒ
Wer erhält Zugang zu welchen Leistungen?
ƒ
Welche Leistungen sind aus der eigenen Tasche zu
bezahlen, welche sollten solidarisch finanziert werden?
ƒ
Besteht ein moralischer oder rechtlicher Anspruch darauf,
dass Gewebeschnitte von einem Experten/einer Expertin
eines Universitätsspitals diagnostiziert werden, auch
wenn der Patient in einem abgelegenen Seitental behandelt wird?
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2. Themenfelder
a. Sozialethik: Gerechter Zugang zu den Ressourcen
→ Gerechtigkeitsfragen im Vordergrund:
ƒ
Schweiz: Wie lassen sich die unterschiedlichen
Versorgungssituationen zwischen Zentren (wie Basel) und
Regionen (wie Samedan) begründen oder verbessern?
ƒ
Weltweite Situation: Sollen auch die materiell ärmeren
Länder an den Errungenschaften der modernen Medizin
beteiligt werden? Handelt es sich dabei um einen neokolonialistischen Eingriff, der bestehende
Abhängigkeiten zusätzlich verstärkt, oder
um Hilfe zur Selbsthilfe?
Eine Röntgenaufnahme wird
an das Handy des Spezialisten
weitergeschickt.
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Vortrag am Universitätsspital Basel
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Markus Zimmermann-Acklin, Luzern
1.7.2005
2. Themenfelder
b. Klinische Ethik: Die Behandlungssituation
Hier geht es um Techniken, welche die eigentliche
Interaktion zwischen Patienten und Behandelnden
betreffen, z.B.
- den Einsatz von Internetplattformen
- das Telemonitoring (z.B. mobile Herzüberwachung)
- Telekonsultationen über ein Call Center
- etc.
→ Aus ethischer Sicht steht die Arzt-Patient-Beziehung im
Zentrum.
ƒ
Mobile Herzüberwachung:
Die Monitoring-Card zeichnet Patienten-EKGs auf,
die mittels Handy an den Arzt übertragen werden.
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2. Themenfelder
c. Hintergrundtheorien: Visionen von ee-Healthcare
ƒ
Die Telemedizin wird auch als Teil eines größeren
Umwandlungsprozesses des Gesundheitssystems
verstanden!
ƒ
„Ist denn das Überleben als Dinosaurier in einer sich
verändernden Gesundheitslandschaft wirklich so erstrebenswert? Um künftig nicht als evolutionäre Verlierer
dazustehen, würde es uns gut anstehen, uns offenen
Geistes darauf einzulassen, was wir durch professionelle Organisations- und Kommunikationsformen sowie
unter Einbezug zeitgemässer Arbeitsinstrumente hinzugewinnen könnten.“ [SÄZ 86; 2005, 950]
[Martin Denz]
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2. Themenfelder
c. Hintergrundtheorien: Visionen von ee-Healthcare
→ Hier geht es um kulturelle Hintergrundfragen:
ƒ
Was ist Gesundheit, was Krankheit?
ƒ
Ist es angemessen, den Patienten als Kunden zu
verstehen, der zwischen verschiedenen Angeboten frei zu
wählen imstande ist?
ƒ
Wie sind die Ziele der Medizin zu bestimmen? Ist die
Medizin eher als Technik oder als Kunst zu verstehen?
ƒ
Rückt anstelle des Arzt-Patienten-Duos das Internet ins
Zentrum der Aufmerksamkeit (→ C. Baer)?
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Christian Baer, in:
SÄZ 84; 2003, Nr. 40
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2. Themenfelder
c. Hintergrundtheorien: Visionen von ee-Healthcare
ƒ
Kommt es zu Grenzverschiebungen zwischen Mensch und
Maschine (→ Microchip-Implantate)?
ƒ
Geht es um eine weitere Verstärkung des biomedizinischen Modells der Medizin, das gegenwärtig durch ein
neues Verständnis ergänzt wird, nämlich das biopsychosoziale Modell, das der palliative care zugrunde liegt?
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2. Themenfelder
c. Hintergrundtheorien: Visionen von ee-Healthcare
→ Diesen Fragen ist aus kulturhermeneutischer
Perspektive nachzugehen.
Die Ethik versteht sich dabei
ƒ
weder als Hausdisziplin der Technikkritiker und
Innovationsverhinderer (der „Technoszientophoben“, wie
Gilbert Hottois sie nennt),
ƒ
noch als Schmieröl mit dem Ziel gesellschaftlicher Akzeptanzbeschaffung für neue Techniken.
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Telemedizin in der Praxis: Ethische Fragen
1. Einführung…
Chancen und Risiken aus ethischer Sicht
2. Auslegeordnung…
Themenfelder mit jeweils unterschiedlichen
ethischen Herausforderungen
3. Im Zentrum…
Ethische Herausforderungen in der Anwendung
zwischen Behandlungsteam und Patient
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3. Telemedizinische Anwendungen
zwischen Behandlungsteam und Patient
Themen…
ƒ Vertrauen in der Arzt-Patient-Beziehung
ƒ Wahrung und Ermöglichung der Autonomie/der Selbstverantwortung des Patienten
ƒ Einhaltung des Nicht-Schadensprinzips (Verzicht auf
sinnlose und schädigende Behandlungen)
ƒ Sicherung der Informierten Zustimmung des Patienten
(zuverlässige Information und persönliche Beratung)
ƒ Fürsorgepflichten der Behandelnden
ƒ gerechter Zugang zu den
medizinischen Ressourcen
ƒ Qualitätssicherung
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3. Telemedizinische Anwendungen
zwischen Behandlungsteam und Patient
1. Stehen telemedizinische Behandlungen nicht in einem
Kontext konventioneller Behandlung, werden sie sehr
fraglich, insofern die unmittelbare Begegnung von
Arzt/Behandelndem und Patienten unabdingbar ist.
2. Wenn versprochen wird (Christian Baer in der SÄZ 2003),
es könnten 50% der Kosten im Bereich medizinischer
Hochleistungszentren eingespart werden, dann muss die
Anschlussfrage lauten: Wer hat dabei das Nachsehen?
3. Standardisierung: Es besteht die Gefahr, dass Behandlungen nicht mehr auf den Patienten, sondern nur noch
auf sein elektronisch verfügbares Modell zugeschnitten
werden.
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3. Telemedizinische Anwendungen
zwischen Behandlungsteam und Patient
4. Digitale Kluft: Gefahr einer Benachteiligung von Menschen, die mit den neuen Techniken nicht vertraut sind.
5. Datenschutz und Datensicherheit: Mit der Komplexität
der Technik steigt auch die Anfälligkeit des Gesamtsystems. Patientendaten müssen ausreichend gegen
unbefugten Zugriff geschützt und die Systeme möglichst
gut gegen technische Pannen gesichert werden.
6. Verantwortungsdiffusion: Wer zeichnet für Behandlungsfehler verantwortlich, zu welchen es aufgrund telemedizinischer Beratung kommen kann?
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Schlussbemerkung
→ Entsprechend der aufgezählten Themenfelder sind
die anstehenden Aufgaben komplex: Es geht um…
ƒ
ƒ
ƒ
Gerechtigkeitsfragen: Wer erhält Zugang zu welchen
Leistungen?
eine menschliche Gestaltung der Beziehung zwischen
Behandelnden und Patienten!
Sinn- und Wertfragen: Welche Medizin wollen wir?
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Jonathan Borofsky
Walking to the sky
New York,
Rockefeller Center, 2004
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Telemedizin in der Praxis:
Ethische Fragen
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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