D_B_K_07_010_TdM.qxd 04.07.2008 11:59 Uhr Seite 10 Thema des Monats Umweltschutz: Von der Gefahrenabwehr zur Nulltoleranz Steffen Pingen Der Vorsorgegrundsatz hat zunehmend Einzug in die nationale und internationale Umweltpolitik gefunden. „Vorsorge statt Nachsorge, lieber ein Problem vermeiden, als nachträglich die Schäden zu beseitigen“, so heißt es. Doch eine sachliche Abwägung der Auswirkungen und des Nutzens eines vorbeugenden Umweltschutzes findet oftmals nicht statt. Dabei stößt die Umweltpolitik zunehmend an Grenzen des technisch Machbaren. Wer „Nulltoleranz“ fordert, muss wissen, dass die Kosten der absoluten Risikovermeidung sehr hoch sein können. Zudem wandelt sich die Umweltpolitik zunehmend von einer eigenständigen Auflagenpolitik zu einem integralen Bestandteil aller Politikbereiche. Die Ursprünge der Umweltpolitik in den 1970er und 80er Jahren begründeten sich in wachsenden Abfallbergen, vergifteten Flüssen, einem wachsenden Ozonloch und zunehmendem Waldsterben. Bestimmend für die Umweltpolitik waren Maßnahmen zur Abwehr direkter Umweltgefahren. Über ordnungsrechtliche Instrumente wie Gebote und Verbote sollten Umweltbeeinträchtigungen verhindert bzw. vermindert werden. Ordnungsrecht zur Gefahrenabwehr Der umweltpolitische Instrumentenkasten dieser Zeit war geprägt durch sogenannte end-ofpipe-Lösungen, bei denen durch den Einsatz von Technik, wie z.B. Filtern am Ende von Produktionsprozessen die Umweltverschmutzung reduziert werden sollte. Bis heute stellt das Ordnungsrecht das bestimmende Instrument der Umweltpolitik dar. Ein Paradigmenwechsel in der Grundausrichtung der Umweltpolitik wurde Ende der 1980er und Anfang der 90er Jahre eingeleitet. Zunehmend wurde der Vorsorgegedanke verankert. Das Ziel bestand darin, vorsorglich Maßnahmen zu ergreifen, damit die Entstehung von Umweltschäden im Ansatz und langfristige Anreicherungen vermieden werden konnten. Ausdruck des Wandels war auch die Festlegung von Qualitätszielen für Schadstoffe in Umweltmedien wie Boden, Wasser und Luft und maximalen Frachten von Schadstoffen. Die Wirkung des Ordnungsrechts in den vergangenen Jahrzehnten ist offenkundig. Gewässer in Deutschland sind weitgehend sauber und die gesetzten Normen verhindern eine Stoffanreicherung. Auch im Bereich der Land- und Forstwirtschaft wurden in der Vergangenheit bevorzugt ordnungsrechtliche Vorgaben verwendet. Dabei sind heute die Grenzen des Ordnungsrechts erreicht und weitere Umweltentlastungen nur noch über freiwillige Vereinbarungen und Kooperationen im Bereich des Umwelt- und Naturschutzes zu erreichen. Zudem bedarf der Klimawandel als globale Umweltherausforderung neuer Instrumente. 10 dbk 7/08 Umweltbelange in andere Politikbereiche integriert Seit Jahren ist der Schutz der Umwelt ein fester Bestandteil der wichtigsten Fachgesetze in der Landwirtschaft. Ob im Dünge- oder im Pflanzenschutzrecht, beim Stallbau oder in der pflanzlichen und tierischen Produktion, in allen umweltrelevanten Fachbereichen der Landwirtschaft hat der Umweltschutz in den vergangenen Jahrzehnten breiten Raum eingenommen. Daneben gelten die speziellen Umweltvorschriften des Boden- und Gewässerschutzes, der Luftreinhaltung und des Naturschutzes sowie der Umweltverträglichkeitsprüfung. Spätestens seit dem Prozess von Cardiff (1998) ist die Umweltpolitik in der EU kein isoliert zu betrachtender Politikbereich mehr, sondern wird in alle Politikbereiche der Gemeinschaft integriert. In der Agrarpolitik zeigt sich dies in besonderem Maße, wenn unter anderem Umweltbelange für die Einführung der Entkoppelung von Direktzahlungen oder für die Schaffung von Cross Compliance herangezogen werden. Zu Recht werden in Deutschland Pflanzenschutzmittel nur dann zum Einsatz in der Landwirtschaft zugelassen, wenn sie bei Anwendung unter Einhaltung der guten fachlichen Praxis und sämtlicher Auflagen nicht zu einer Gefährdung von Verbraucher, Umwelt und Anwender führen. Daneben haben technische Neuerungen und ein verbessertes Bewusstsein in der Landwirtschaft in der Vergangenheit deutliche Erfolge erzielt. Dieser Weg der Effizienzsteigerung wird von der Landwirtschaft mitgetragen. Derzeit geht die Politik in Deutschland und der EU aber zunehmend dazu über, neben diesen fachlich fundierten Maßnahmen auf Basis eines risikobasierten Ansatzes auch pauschale Mengenreduktionen zu diskutieren oder auch umzusetzen. Ebenso sollen zukünftig Pflanzenschutzmittel, die aus Umweltgesichtspunkten als bedenklich eingestuft werden oder über bestimmte Stoffeigenschaften verfügen, entweder per se verboten oder deren Einsatz mengenmäßig verringert werden. Als sogenannte prioritäre Stoffe im Sinne der Gewässer- politik werden darüber hinaus die Umweltqualitätsnormen so drastisch verschärft, dass deren Einhaltung faktisch nur erreicht werden kann, wenn die Mittel nicht mehr eingesetzt werden. Nulltoleranz – Grenzen des Machbaren erreicht In den 1980er Jahren wurde für Pflanzenschutzmittel im Gewässerschutz ein Trinkwassergrenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter festgelegt. Dieser Wert spiegelte die damalige technische Nachweisgrenze wider und entsprach sozusagen dem Nullwert. Heute haben sich die Untersuchungsmethoden derart verbessert, dass der sprichwörtliche Zuckerwürfel im Bodensee nachweisbar ist. Parallel dazu wurden auch die Grenzwerte für Pflanzenschutzmittel zum Teil bis auf ein Tausendstel des bisher geltenden Grenzwertes abgesenkt. Bei Rückstandshöchstmengen für Pflanzenschutzmittel in Lebensmitteln werden zudem indirekt die Anforderungen immer schärfer. Die Rückstandshöchstmengen werden auf wissenschaftlicher Basis festgelegt und stellen sicher, dass keinerlei Gefährdung für den Verbraucher besteht. Dennoch fordern teilweise Lebensmitteleinzelhändler von ihren Lieferanten, die gesetzlich festgelegten Rückstandshöchstmengen zu unterbieten. Damit wollen die Handelsunternehmen Glaubwürdigkeit beim Kunden gewinnen, was die Gefahr birgt, dass staatliche Grenzwerte ihre Glaubwürdigkeit als wissenschaftlich sichere Grenzen verlieren. Je weiter diese Entwicklung geht, umso schwieriger wird es zukünftig, die immer strenger werdenden Grenzwerte einzuhalten – zumal die Landwirtschaft im offenen System der Natur wirtschaftet. Dass aus einer Nulltoleranz als politischer Vorgabe faktisch ein Verbot bestimmter Stoffe folgen muss, zeigte sich im Jahr 2005 beim Fund von Ameisen-DNA und Splittern von Mäuseknochen in Zuckerrübenschnitzeln, womit gegen das Verbot der Verfütterung tierischer Eiweiße an Wiederkäuer im Zuge von BSE verstoßen wurde. Gleiches gilt derzeit für Sojaschrotimporte, in denen Spuren gentechnisch veränderter Organismen (GVO) nicht ausgeschlossen sind, womit gegen die Nulltoleranz gegenüber nicht zugelassenen GVO verstoßen würde. Demgegenüber bedarf es auch zukünftig der Grenzwerte und Regelungen im Umweltschutz, die wissenschaftlich basiert sind und technisch machbar sein müssen. Ansonsten setzt sich die Umweltpolitik zunehmend dem Vorwurf aus, aus emotionalen Gründen eine Verhinderungspolitik betreiben zu wollen.