Umweltschutz: Von der Gefahren abwehr zur Nulltoleranz

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04.07.2008
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Thema des Monats
Umweltschutz: Von der
Gefahrenabwehr zur Nulltoleranz
Steffen Pingen
Der Vorsorgegrundsatz hat zunehmend Einzug in die nationale und internationale Umweltpolitik gefunden. „Vorsorge statt Nachsorge, lieber ein Problem vermeiden, als nachträglich
die Schäden zu beseitigen“, so heißt es. Doch eine sachliche Abwägung der Auswirkungen
und des Nutzens eines vorbeugenden Umweltschutzes findet oftmals nicht statt. Dabei
stößt die Umweltpolitik zunehmend an Grenzen des technisch Machbaren. Wer „Nulltoleranz“ fordert, muss wissen, dass die Kosten der absoluten Risikovermeidung sehr hoch sein
können. Zudem wandelt sich die Umweltpolitik zunehmend von einer eigenständigen Auflagenpolitik zu einem integralen Bestandteil aller Politikbereiche.
Die Ursprünge der Umweltpolitik in den 1970er
und 80er Jahren begründeten sich in wachsenden Abfallbergen, vergifteten Flüssen, einem
wachsenden Ozonloch und zunehmendem
Waldsterben. Bestimmend für die Umweltpolitik waren Maßnahmen zur Abwehr direkter Umweltgefahren. Über ordnungsrechtliche Instrumente wie Gebote und Verbote sollten Umweltbeeinträchtigungen verhindert bzw. vermindert werden.
Ordnungsrecht zur Gefahrenabwehr
Der umweltpolitische Instrumentenkasten dieser Zeit war geprägt durch sogenannte end-ofpipe-Lösungen, bei denen durch den Einsatz
von Technik, wie z.B. Filtern am Ende von Produktionsprozessen die Umweltverschmutzung
reduziert werden sollte. Bis heute stellt das Ordnungsrecht das bestimmende Instrument der
Umweltpolitik dar. Ein Paradigmenwechsel in
der Grundausrichtung der Umweltpolitik wurde
Ende der 1980er und Anfang der 90er Jahre eingeleitet. Zunehmend wurde der Vorsorgegedanke verankert. Das Ziel bestand darin, vorsorglich
Maßnahmen zu ergreifen, damit die Entstehung
von Umweltschäden im Ansatz und langfristige
Anreicherungen vermieden werden konnten.
Ausdruck des Wandels war auch die Festlegung
von Qualitätszielen für Schadstoffe in Umweltmedien wie Boden, Wasser und Luft und maximalen Frachten von Schadstoffen.
Die Wirkung des Ordnungsrechts in den vergangenen Jahrzehnten ist offenkundig. Gewässer in Deutschland sind weitgehend sauber und
die gesetzten Normen verhindern eine Stoffanreicherung. Auch im Bereich der Land- und
Forstwirtschaft wurden in der Vergangenheit
bevorzugt ordnungsrechtliche Vorgaben verwendet. Dabei sind heute die Grenzen des Ordnungsrechts erreicht und weitere Umweltentlastungen nur noch über freiwillige Vereinbarungen und Kooperationen im Bereich des Umwelt- und Naturschutzes zu erreichen. Zudem
bedarf der Klimawandel als globale Umweltherausforderung neuer Instrumente.
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Umweltbelange in andere
Politikbereiche integriert
Seit Jahren ist der Schutz der Umwelt ein fester
Bestandteil der wichtigsten Fachgesetze in der
Landwirtschaft. Ob im Dünge- oder im Pflanzenschutzrecht, beim Stallbau oder in der pflanzlichen und tierischen Produktion, in allen umweltrelevanten Fachbereichen der Landwirtschaft hat der Umweltschutz in den vergangenen Jahrzehnten breiten Raum eingenommen.
Daneben gelten die speziellen Umweltvorschriften des Boden- und Gewässerschutzes,
der Luftreinhaltung und des Naturschutzes sowie der Umweltverträglichkeitsprüfung. Spätestens seit dem Prozess von Cardiff (1998) ist
die Umweltpolitik in der EU kein isoliert zu betrachtender Politikbereich mehr, sondern wird
in alle Politikbereiche der Gemeinschaft integriert. In der Agrarpolitik zeigt sich dies in besonderem Maße, wenn unter anderem Umweltbelange für die Einführung der Entkoppelung
von Direktzahlungen oder für die Schaffung von
Cross Compliance herangezogen werden.
Zu Recht werden in Deutschland Pflanzenschutzmittel nur dann zum Einsatz in der Landwirtschaft zugelassen, wenn sie bei Anwendung
unter Einhaltung der guten fachlichen Praxis und
sämtlicher Auflagen nicht zu einer Gefährdung
von Verbraucher, Umwelt und Anwender führen.
Daneben haben technische Neuerungen und ein
verbessertes Bewusstsein in der Landwirtschaft
in der Vergangenheit deutliche Erfolge erzielt.
Dieser Weg der Effizienzsteigerung wird von der
Landwirtschaft mitgetragen. Derzeit geht die Politik in Deutschland und der EU aber zunehmend
dazu über, neben diesen fachlich fundierten
Maßnahmen auf Basis eines risikobasierten Ansatzes auch pauschale Mengenreduktionen zu
diskutieren oder auch umzusetzen. Ebenso sollen
zukünftig Pflanzenschutzmittel, die aus Umweltgesichtspunkten als bedenklich eingestuft werden oder über bestimmte Stoffeigenschaften verfügen, entweder per se verboten oder deren Einsatz mengenmäßig verringert werden. Als sogenannte prioritäre Stoffe im Sinne der Gewässer-
politik werden darüber hinaus die Umweltqualitätsnormen so drastisch verschärft, dass deren
Einhaltung faktisch nur erreicht werden kann,
wenn die Mittel nicht mehr eingesetzt werden.
Nulltoleranz – Grenzen des
Machbaren erreicht
In den 1980er Jahren wurde für Pflanzenschutzmittel im Gewässerschutz ein Trinkwassergrenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter
festgelegt. Dieser Wert spiegelte die damalige
technische Nachweisgrenze wider und entsprach sozusagen dem Nullwert. Heute haben
sich die Untersuchungsmethoden derart verbessert, dass der sprichwörtliche Zuckerwürfel
im Bodensee nachweisbar ist. Parallel dazu
wurden auch die Grenzwerte für Pflanzenschutzmittel zum Teil bis auf ein Tausendstel
des bisher geltenden Grenzwertes abgesenkt.
Bei Rückstandshöchstmengen für Pflanzenschutzmittel in Lebensmitteln werden zudem
indirekt die Anforderungen immer schärfer. Die
Rückstandshöchstmengen werden auf wissenschaftlicher Basis festgelegt und stellen sicher,
dass keinerlei Gefährdung für den Verbraucher
besteht. Dennoch fordern teilweise Lebensmitteleinzelhändler von ihren Lieferanten, die
gesetzlich festgelegten Rückstandshöchstmengen zu unterbieten. Damit wollen die Handelsunternehmen Glaubwürdigkeit beim Kunden
gewinnen, was die Gefahr birgt, dass staatliche
Grenzwerte ihre Glaubwürdigkeit als wissenschaftlich sichere Grenzen verlieren.
Je weiter diese Entwicklung geht, umso
schwieriger wird es zukünftig, die immer strenger werdenden Grenzwerte einzuhalten – zumal
die Landwirtschaft im offenen System der Natur
wirtschaftet. Dass aus einer Nulltoleranz als politischer Vorgabe faktisch ein Verbot bestimmter Stoffe folgen muss, zeigte sich im Jahr 2005
beim Fund von Ameisen-DNA und Splittern von
Mäuseknochen in Zuckerrübenschnitzeln, womit gegen das Verbot der Verfütterung tierischer Eiweiße an Wiederkäuer im Zuge von BSE
verstoßen wurde. Gleiches gilt derzeit für Sojaschrotimporte, in denen Spuren gentechnisch
veränderter Organismen (GVO) nicht ausgeschlossen sind, womit gegen die Nulltoleranz
gegenüber nicht zugelassenen GVO verstoßen
würde. Demgegenüber bedarf es auch zukünftig
der Grenzwerte und Regelungen im Umweltschutz, die wissenschaftlich basiert sind und
technisch machbar sein müssen. Ansonsten
setzt sich die Umweltpolitik zunehmend dem
Vorwurf aus, aus emotionalen Gründen eine
Verhinderungspolitik betreiben zu wollen.
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