AUSGABE 62 Jan. – März 2008 D EUR 10,90 A EUR 11, 9 0 AUSGABE 62 01-03 Zeitschrift für Architektur und Technik Behnisch Architekten: Therme Bad Aibling / Kubeneck Architekten: Landratsamt Ludwigsburg / TU Darmstadt: Solar Decathlon 2007 IA62_201.qxp 14.03.2008 11:39 Seite 2 34 ERWEITERUNGSBAU LANDRATSAMT LUDWIGSBURG: SCHILLERNDER MONOLITH Eine gewebte Fassade aus Metall und ein pneumatisches Dach aus ETFE-Folien über dem zentralen Atrium regeln Tageslicht und Raumklima für den Erweiterungsbau des Landratsamtes in Ludwigsburg. Mit der abstrakten Fassade bezieht sich der monolithische Baukörper auf die barocke Ordnung der umgebenden Kasernenbauten. Lageplan aus dem Wettbewerb mit möglichem 2. Bauabschnitt Fassade aus Metallgewebe Das feinmaschige, eloxierte Aluminiumgewebe wirkt tagsüber nach außen nahezu blickdicht, ist von innen aber gegen das Tageslicht transparent. IA62_201.qxp 14.03.2008 11:39 Seite 3 IA62_201.qxp 14.03.2008 11:39 Tages- und Kunstlichtsituation im Atrium Die großen, wie UFOs frei im Raum schwebenden Leuchten werfen an Sonnentagen ihr Schattenspiel in den gepflasterten Hof und lassen ihn als städtischen Platz erscheinen. Seite 4 IA62_201.qxp 14.03.2008 11:39 Seite 5 37 IA62_201.qxp 14.03.2008 11:39 Seite 6 38 Kubeneck Architekten zum Projekt Landratsamt in Ludwigsburg Der Erweiterungsbau ist als modernes Bürogebäude in das prägnante, teilweise denkmalgeschützte Quartier der Ludwigsburger Oststadt eingefügt. Bebauungsdichte, funktionale Flexibilität sowie technische, energetische und wirtschaftliche Effizienz waren maßgebliche Anforderungen an den Entwurf. Grundriss Erdgeschoss Schnitt Ansicht von Osten STÄDTEBAU AUSSENRAUM Das neue Gebäude orientiert sich am orthogonalen Grundriss der barocken Stadt und greift weitere wesentliche Aspekte seiner Umgebung auf. Die hohe Mauer, die nahezu das gesamte Grundstück umfaßt, wird als ortstypisches Element erhalten und vervollständigt. Das Gebäudevolumen wurde hierzu extrem komprimiert, um es als Solitär auf dem parkartig offenen Grundstück platzieren zu können. Die Umgrenzung schafft nach außen eine klare Definition des Straßenraumes, während nach innen ein geschlossener Garten als grünes Foyer des neuen Gebäudes entsteht. Im Straßenraum bleiben Haupteingang und Volumen des alten Kreishauses dominant. Innerhalb der klaren Begrenzung gewinnt das neue Gebäude als Solitär um so mehr Kraft und unterstreicht dies durch die schlichte Einheitlichkeit und Strenge der Hülle. Konsequent wird der geschlossene Garten mit einem durchgängigen Rasenteppich als zusammenhängender Raum interpretiert. Mit einem Durchbruch in der Mauer zum ehemaligen Garnisonslazarett bietet sich die Option für einen großzügigen Stadtteilpark. In der Achse des neuen Haupteingangs an der Eugenstraße wird auch die Verbindung zum alten Kreishaus hergestellt. FASSADE Die Fassade bezieht ihr Thema aus der Abstraktion der umgebenden Kasernenbauten und der inneren Organisation des Neubaus. In Anlehnung an die benachbarten Kasernengebäude wird sie aus Horizontalen und Vertikalen ‘gewebt’. Die horizontale Gliederung durch Gesimsbänder wird in eine Schichtung der geschossweise wechselnden Farbe übersetzt. Abweichend von den historischen Fassaden jedoch werden keine Hierarchien innerhalb dieser Struktur aufgebaut, sondern die Gleichartigkeit und die jederzeit veränderbare Aufteilung der Büroräume im Inneren bestimmt auch das serielle Bild nach außen. Die vermeintlich verschlossene Hülle aus Metallgewebe reflektiert die rötlich braunen Backsteinbauten in Farbigkeit, Rauheit und changierender Oberfläche. Ein je nach Lichteinfall und Blickwinkel verschieden schillernder Monolith beantwortet die Massivität des Ziegels mit einem modernen Material. Das feinmaschige, eloxierte Aluminiumgewebe wirkt tagsüber nach außen nahezu blickdicht, ist von innen aber gegen das Tageslicht sehr transparent. IA62_201.qxp 14.03.2008 11:39 Seite 7 39 ATRIUM Eine überraschend großzügige und lichte Halle bildet das Zentrum des Gebäudes. Hier öffnet sich die Fassade ohne Sonnenschutz viel stärker dem Betrachter. Der kanadische Ahorn reflektiert warmes Licht, dessen große Freundlichkeit durch den Kontrast zur äußeren Strenge zusätzlich betont wird. Der Treffpunkt für Mitarbeiter und Besucher während des Tages wandelt sich nach Dienstschluss zu einem eleganten Veranstaltungssaal. Die großen, wie UFOs frei im Raum schwebenden Leuchten werfen an Sonnentagen ihr Schattenspiel in den gepflasterten Hof und lassen ihn als städtischen Platz erscheinen. Abends erzeugen die dimmbar leuchtenden Scheiben Stimmungen von festlicher Brillanz bis zu dämmerndem Licht unter dem in der Dunkelheit zurücktretenden Dach. Für das Gebäudeklima stellt das Atrium eine wintergartenartige Pufferzone dar. Die Überdachung reduziert die ohnehin schon minimale Oberfläche des Kubus und damit Heizwärmeverluste. Zusätzlich wird solare Energie unter dem Dach des Atriums gesammelt oder durch den Sonnenschutz abgehalten. In Hitzeperioden wird die Nachtluft über Fassadenlüfter angesaugt und kühlt die Sichtbetondecken. Die große Speichermasse steht dann am Tage zur Temperierung der Büros zur Verfügung. Pneumatisches Dach: Luftgefüllte, bedruckte Folienkissen überdecken das Atrium, gehalten von einem äußerst filigranen Raumtragwerk. Sechs Bogenbinder überspannen mit weniger als 20 cm Querschnitt die Breite der Halle. Schlanke Druckstäbe verhindern ihr Kippen und federn die Lasten auf ein Seilnetz ab. Die bis zu 75 cm dicken Luftkissen bestehen aus ETFE-Folien in drei Lagen, deren Gesamtstärke nur einen halben Millimeter beträgt. Die mittlere Folie teilt jedes Kissen in zwei übereinanderliegende Luftkammern, deren Füllung mit einem Kompressor gesteuert wird. Ist die obere Luftkammer gefüllt, liegt die Mittelfolie unten im Kissen, bei gefüllter unterer Kammer befindet sie sich oben. Versetzte Druckraster auf den Folienlagen regulieren durch die Position der mittleren Folie die Sonneneinstrahlung ins Atrium. Innerhalb gut einer Woche konnte das Gebäude mit der vorgefertigten Konstruktion winterdicht geschlossen werden. Die Kosten des Daches werden weitgehend kompensiert durch die für das Atrium entfallenden Sonnenschutzanlagen. Das innovative System spart Energie, Rohstoffe und Kosten und erreicht so die hohen Anforderungen mit der gleichen Leichtigkeit, die die Gestaltung des Daches ausstrahlt. BÜRO WARTEBEREICHE FLUR Ursprünglich aus städtebaulichen Gründen wurde das Gebäude aufs Äußerste komprimiert. Im Inneren dient dies zugleich der Übersichtlich- keit und Kürze der Wege. Die Erschließung erfolgt über zwei Treppen und Aufzüge sowie horizontal umlaufende Flure. Im Norden und Süden befinden sich zweibündige Bürobereiche. Nach Westen und Osten ist der Grundriss einbündig und nur nach außen orientiert, während sich an der Atriumfassade die Wartebereiche für die Besucher befinden. Die Einzelbüros werden durch raumhohe Verglasungen in den Bürotrennwänden oder verglaste Türen in einer Flucht miteinander verbunden. Trotz der Optimierung sämtlicher Flächen lassen Aus- und Durchblicke das Gebäude an keiner Stelle eng oder klein wirken. Die Ursache findet sich im Grundriss, dessen Struktur der Abfolge von Schichten einer Zwiebel gleicht. Großer Wert wurde auf Materialsichtigkeit und eine freundliche und helle Farbgebung gelegt, deren Farbspektrum sich in hellen Erdtönen bewegt. Außenwand, Stützen und Decken sind in hellem Sichtbeton hergestellt. Die Treppenstufen aus dunkel geräucherter Eiche kontrastieren mit der elfenbeinfarbenen Bekleidung der Geländer wie eine Klaviatur. Die Wartebereiche aus massiver Eiche und Rückenlehnen aus rotem Filz wirken skulptural in die Fassade eingelassen. Die Flurdecken verbergen die Haustechnik hinter verzinkten Streckmetallpaneelen. Die digital bedruckte Tapete der Flurtrennwand basiert auf dem sehr abstrakten, orthogonalen Luftbild eines Weinberges des Photographen Olivier Lasserre. Die Nutzer identifizieren sich durch das Wissen um das Motiv mit diesem für die nordwürttembergische Landschaft so regionaltypischen Thema des Weinbaus. STEG Die beheizte Passage überspannt die Eugenstraße auf eine Länge von 34 m und verbindet das alte Kreishaus mit dem Erweiterungsbau. Die für die Nutzung wichtige Anbindung widerspricht jedoch der städtebaulichen Konzeption der barocken Ludwigsburger Alleen. Daher versteckt sich die Brücke in den Baumkronen und tritt im Straßenraum kaum in Erscheinung. Die einzige Stütze ist wie ein neuer Baumstamm in die Flucht der Alleebäume eingeordnet. WIRTSCHAFTLICHKEIT Der kompakte Bautypus mit minimierten Verkehrsflächen und ohne Klimaanlage schafft gegenüber den Standards für Gebäude ähnlicher Größe und Nutzung eine Reduktion des Bruttorauminhaltes von mind. 15 Prozent bei unveränderten Nutzflächen. Diese Einsparungen kamen der Qualität zu gute. Die massiv reduzierten Betriebskosten machen das Bauwerk auf lange Sicht nachhaltig. Das Projekt wurde exakt im Rahmen der finanziellen und terminlichen Vereinbarungen fertig gestellt. Bauherr Landkreis Ludwigsburg Projektsteuerung Wüstenrot Haus- und Städtebau GmbH Ludwigsburg Architekt Kubeneck Architekten Berlin/Ludwigsburg Tragwerksplanung BGB vertreten durch Hildenbrand Ingenieure Ludwigsburg Elektrotechnik ibb Burrer & Deuring Ludwigsburg HLS-Planung Köhler + Krebs vertreten durch IB Köhler Ludwigsburg Bauphysik Seeberger + Partner Bietigheim-Bissingen Außenanlagen Planungsgruppe Landschaft und Raum Korntal-Münchingen Gebäudeklima ebök, Tübingen Datennetz tschoerner-consulting Asperg Bodengutachten Geotechnik Südwest Bietigheim-Bissingen Baugrund / SiGeKo ABI, Oberstenfeld Vermessung Bartholomä + Kunzi Kornwestheim Fotos Jörg Hempel Photodesign, Aachen IA62_201.qxp 00 14.03.2008 11:39 Seite 8 IA62_201.qxp 14.03.2008 11:40 Seite 9 41 Büro Wartebereich Flur Die Einzelbüros werden durch raumhohe Verglasungen in den Bürotrennwänden oder verglaste Türen in einer Flucht miteinander verbunden. Die digital bedruckte Tapete der Flurtrennwand basiert auf dem sehr abstrakten, orthogonalen Luftbild eines Weinberges des Fotografen Olivier Lasserre.