DE_SANAA_April 2013

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SANAA: Produktionshalle auf dem Vitra Campus
Entwicklung des Vitra Campus
Mehr als zehn Jahre, seit 1993 – dem Jahr in dem der Konferenzpavillon von Tadao
Ando sowie das Feuerwehrhaus von Zaha Hadid und ein Jahr später die Fabrikhalle
von Álvaro Siza eingeweiht wurden –, war auf dem Vitra Campus in Weil am Rhein
kein Neubau mehr errichtet worden. Eine neue Ausbauphase begann 2006 mit
Aufträgen an Herzog & de Meuron und das japanische Architekten-Team SANAA.
Die Basler Architekten wurden mit dem im Norden des Campus ausserhalb des
eigentlichen Produktionsgeländes gelegenenen VitraHaus betraut. Dieses dient der
Präsentation der Vitra Home Collection, bildet zusammen mit dem Vitra Design
Museum von Frank Gehry den Eingangsbereich des Firmengeländes und konnte
Anfang 2010 eröffnet werden. SANAA begannen mit der Planung einer von
Vitrashop – einem zur Vitra-Gruppe gehörenden Ladenbau-Unternehmen –
genutzten Produktionshalle im Süden des Campus. Durch die beiden neuen
Gebäude gelang überdies eine partielle Neustrukturierung des Campus-Areals,
insbesondere eine Entflechtung von Werks- und Besucherverkehr. Während die auf
das Feuerwehrhaus zuführende Zentralachse seither vor allem von Besuchern
genutzt wird, erfolgen Anlieferung und Abtransport primär über eine weiter östlich
gelegene Werksstrasse.
Die Wahl von SANAA
Mit dem Auftrag an SANAA setzt Vitra die seit 25 Jahren verfolgte Strategie fort,
international bedeutende zeitgenössische Architekten mit der Erweiterung des
Campus zu betrauen. Das von Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa 1995 in Tokio
gegründete Architekturbüro SANAA (S
Sejima and Nishizawa and A ssociates),
zunächst durch Wohnhäuser und kleinere Museen in Japan bekannt geworden,
konnte in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts eine Reihe wichtiger Projekte in
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Europa und Nordamerika realisieren, darunter die Zollverein School of Management
and Design, das Kultur- und Theaterzentrum in Almere, den Glass Pavilion des
Toledo Museum of Art, das New Museum of Contemporary Art in New York und das
Rolex Learning Center der EPFL Lausanne. 2012 eröffnete der Louvre Lens, die
nordfranzösische Dépendance des Museums im Grossraum Lille.
Rolf Fehlbaum, Verwaltungsratspräsident von Vitra, erklärt, was ihn an der
architektonischen Haltung von SANAA interessiert und zur Wahl des japanischen
Teams führte: eine Architektur der Leichtigkeit und der Präzision, die gleichwohl
weder von einem verkrampften Formalismus, noch von der bemühten Suche nach
Originalität oder von einem moralisierenden Minimalismus bestimmt ist. Das
«Wegnehmen von allem, was nicht essenziell ist» sieht er als Charakteristikum – also
die Reduktion bis zu einem Punkt, an dem Architektur und Struktur das Programm
sichtbar werden lassen.
Tatsächlich besteht eine der Qualitäten der Architektur von SANAA darin, komplexe
Raum- und Funktionsprogramme zu analysieren und dafür konsequent reduzierte,
räumlich adäquate Entsprechungen zu suchen, die mit konventionellen Hierarchien
brechen und Freiheiten bei der Nutzungen ermöglichen. Ein Beispiel hierfür ist das
21st Century Museum of Contemporary Art in Kanazawa (2004), bei dem
Ausstellungssäle unterschiedlicher Grösse, Form und Proportion sowie weitere
Funktionsräume in eine kreisförmige Zirkulationsfläche eingelagert sind, so dass
flexible Bespielungen möglich sind.
Eine Fabrikationshalle ohne Vorbild
Bei den grösseren Projekten, die SANAA bis heute realisiert haben, handelt es sich
fast ausschliesslich um Kultur- oder Universitätsbauten. In Weil am Rhein – ihrem
ersten Bau einer Produktionsstätte – ging es darum, mit einer vergleichbaren
Haltung eine Fabrikationshalle zu bauen.
Auslöser für die Planung war der Wunsch von Vitra, eine nahe der Südecke des
Firmengeländes befindliche alte Produktionshalle zu ersetzen, die den Grossbrand
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von 1981 mit nur leichten Beschädigungen überdauert hatte. Das Bestandsgebäude
war nicht nur in die Jahre gekommen, es erwies sich angesichts des gestiegenen
Raumbedarf auch als zu gering dimensioniert. Für den Neubau wurden 20'000
Quadratmeter Grundfläche gefordert – an Stelle der 12'000 Quadratmeter der alten
Halle.
Das seitens der Firmenleitung den Architekten vorgelegte Programm sah vor, die
Gesamtfläche in vier separate Bereiche zu unterteilen, die optimal und unabhängig
voneinander betrieben werden könnten, bei Bedarf aber auch als Gesamtfläche
einen optimalen Betriebsablauf gewährleisten. Nach ausgiebiger Analyse des
Briefings schlugen SANAA schliesslich vor, die formalen Vorentscheidungen zu
revidieren und statt vierer orthogonaler Volumina, die mit dem Raster des Campus
korrelieren sollten, ein einziges rundes Gebäude zu errichten. Diesem zunächst
ungewöhnlich erscheinenden Vorschlag lag die Erkenntnis zugrunde, dass Logistik
und Produktion heute nicht mehr starr und hierarchisch erfolgen, sondern Flexibilität
erfordern. Dies gilt auch und gerade für den Nutzer der neuen Halle, das
Ladenbauunternehmen Vitrashop. Vitrashop nutzt für den Bau von Einrichtungen
zwar vorwiegend Standardelemente, doch werden diese entsprechend den
Wünschen und Vorgaben der Kunden konfektioniert, was einem strikt linearen
Waren- und Verarbeitungsfluss widerspricht. Das Innere der Halle gliedert sich
daher in Zonen: Im nördlichen Teil der Halle befinden sich die Hochregallager mit
den angelieferten Materialien und Halbfertigprodukten, in der Mitte die
Montagezone und im südlichen Teil das Abhollager. Die kreisförmige Struktur erlaubt
Anlieferung und Abholung je nach Bedarf an ganz unterschiedlichen Orten und
führt damit zur Reduktion, Optimierung und Entflechtung der Verkehrsströme
innerhalb der Halle. Auch die Montagezone in der Mitte kann entsprechend der
eintreffenden Aufträge variabel konfiguriert werden.
Die Kreisform ist für Fabrikationshallen bislang ungewöhnlich, doch sprach in Weil
am Rhein alles für diese Lösung, so dass SANAA die Auftraggeber davon
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überzeugen konnte. Ideal bei der Kreisform erweist sich überdies das Verhältnis von
Fassadenfläche zu Rauminhalt.
Mit einem Durchmesser von mehr als 160 Metern handelt es sich bei der – im Übrigen
nicht exakt kreisförmigen – Rundhalle um das flächenmässig grösste Gebäude auf
dem Vitra Campus. Das 11,4 Meter hohe Bauwerk, unter dessen südöstlicher Hälfte
sich eine geräumige Tiefgarage sowie einige Nebenräume befinden, wurde in zwei
Bauabschnitten errichtet, um die Produktion auf dem Firmengelände möglichst
wenig zu beeinträchtigen. Zunächst entstand eine Hälfte des Neubaus neben der
alten Halle, nach deren Abriss das Halbrund des Neubaus zur Gesamtform ergänzt
wurde. Die Fassade und die Mittelwand, welche beide Hälften der Halle
voneinander trennt, bestehen aus hochrechteckigen, vorfabrizierten und
zweischaligen Betonelementen, die vor Ort ausgegossen und damit verbunden
wurden; aufgrund der enormen Dimensionen konnte auf eine Krümmung der
Einzelelemente verzichtet werden. In Verbindung mit der Mittelwand ergibt die
Rundform ein statisch perfektes und steifes Gefüge, in das das aus einer
orthogonalen Struktur bestehende Stahlgerüst des Inneren eingestellt ist. 9,5 Meter
hohe Stahlstützen stehen in einem Raster von 17,5 x 22, 8 Metern und tragen die
Konstruktion des Dachs. Da die Aussteifung über den Betonmantel erfolgt, liessen
sich die Dimensionen des Tragwerks minimieren.
Die Herausforderung der Architekten, bestand nicht zuletzt darin, die komplexen
Anforderungen der Haustechnik – Elektronik, Lüftung, Dachentwässerung, Sprinkler
etc. – samt ihrer unterschiedlichen Raster mit der extrem filigranen Tragstruktur der
Halle in Einklang zu bringen. Dies ist auf eine erstaunlich präzise Weise gelungen –
und führt zu einem Innenraum, der sich von üblichen Halleninnenräumen deutlich
unterscheidet. Hier wurde das Interieur nicht als multifunktionaler, flexibel nutzbarer
Hohlraum innerhalb einer Fassadenhülle verstanden, sondern als zentrale
architektonische Aufgabe. Bis hin zu den Schrauben des Hochregallagers wird die
Gestaltungsintention der Architekten erkennbar, die im Rahmen ihrer Aufgabe nichts
dem Zufall überlassen haben. Zur überaus angenehmen Arbeitsatmosphäre in der
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Halle trägt die exzellente Belichtung bei, die durch den engen Rhythmus paralleler
Lichtbänder im Dach gewährleistet wird. Hinzu kommen vereinzelte Fenster im
oberen Teil der Fassade. Wesentlich für die atmosphärische Stimmung im Inneren ist
darüber hinaus die radikale Reduktion der Farbigkeit. Verschiedene Grau- und
Weisstöne prägen den Innenraum; diverse Signalfarben, die bei üblichen
Industrieinterieurs ins Auge fallen, wurden vollständig vermieden.
Die in parallelen Reihen aufgestellten und dem Konstruktionsraster folgenden
Regale tragen wie auch die Querwand und die verstreuten Fenster zur Orientierung
in einem Gebäude bei, dessen Dimensionen gewaltig sind. Bei Bedarf kann das
Hochregalsystem entfernt oder anders zusammengestellt werden. Die Ladebuchten
sind auf beiden Seiten des Gebäudes in einer entlang der Fassade verlaufenden
Raumschicht angeordnet, die auch die Büros umfasst. Dass die Zwischenwände
radial orientiert sind, lässt sich aufgrund des grossen Durchmessers der Halle kaum
spüren. Bei Bedarf können die Ladebuchten zukünftig in Büros verwandelt werden
oder umgekehrt. Eine Werkstatt für emissions- oder lärmintensive Tätigkeiten steht als
einziger weiterer geschlossener Einbau im östlichen Teil der Halle; das offene
Oberdeck dient als Aufenthaltsbereich.
Vorhang-Fassade
Eine grosse Herausforderung stellte die Gestaltung der Fassade dar, die der aussen
gedämmten Fassade vorgeblendet ist und das gesamte Volumen umhüllt. Zur
Anwendung kamen gebäudehohe, ca. 1,8 Meter breite und 11 Meter hohe Elemente
aus gewelltem Acrylglas. Diese bestehen aus einer äusseren farblos-transparenten
und einer inneren opak-weissen Schicht. Die einzelnen Paneele wurden zunächst
flach gegossen, anschliessend auf 60 Grad erhitzt und dann vakuumverformt, um die
Wellenstruktur zu erzielen. Da kein Hersteller Elemente dieser Grösse verarbeiten
konnte, musste ein spezieller Ofen errichtet werden.
Zentrales Anliegen der Architekten war es, eine augenfällige Iteration zu vermeiden.
Daher wurden drei unterschiedliche Elemente mit einer variierenden Abfolge von
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schmaleren oder breiteren Wellen entwickelt. Weil die unsichtbar aufgehängten
Paneele auch um 180 Grad verdreht eingesetzt werden konnten, ergaben sich in der
Abfolge letztlich sechs verschiedene Typen. Ziel bei der Anordnung war die
Vermeidung eines sichtbaren Rapports und darüber hinaus die perfekte Abstimmung
auf die Fassadenöffnungen (Fenster, Ladebuchten, Tore).
Von weitem homogen, durch die weisse Farbe und ihren Glanz fast surreal
anmutend, gewinnt die Fassade, je näher man tritt, an Lebendigkeit und Tiefe. Weil
man stets nur einen Teil des Volumens sehen kann, wirkt das Gebäude von aussen
viel kleiner als es in Wirklichkeit ist. Der Eindruck von Leichtigkeit und Transparenz
stellt sich ein, obwohl nirgends tatsächlich Einblick in die Halle gewährt wird. Im
Gegenteil: Das Gebäude bleibt enigmatisch und verrät kaum etwas über seine
Funktion. Der fast immaterielle Charakter wird dadurch verstärkt, dass von aussen
nur die textil anmutende Fassadenhaut erkennbar ist, während Fassade, Dach und
Tragstruktur der Fabrikationshalle unsichtbar bleiben.
Dass die Grundriss-Geometrie nicht dem Ideal des Kreises folgt, ist von aussen nicht
zu erkennen, noch nicht einmal zu erahnen – vielleicht aber unbewusst zu spüren. So
wie SANAA in vielen ihrer Bauten klassische Symmetrien vermeiden, operieren sie
immer wieder mit leicht verzerrten geometrischen Figuren. Man mag hier an das
ästhetische Konzept des Wabi-Sabi denken, also jener japanischen Vorstellung,
dass Unvollkommenheit und ästhetische Vollendung einander nicht widersprechen.
Das subtil verformte «Alessi Tea Set» (2004) von SANAA weist in diese Richtung.
Angesichts ihres Projekts für Vitra sprechen Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa
auch davon, etwas von der Lebendigkeit der Freihandzeichnung, die bei ihnen stets
am Anfang des Entwurfsprozesses steht, in die mit dem Computer gerechnete
Realität zu übertragen. Und konstatieren: «My impression is that the circle, the
perfect circle is a bit too rigid.»
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SANAA
Das Architekturbüro SANAA (Sejima and Nishizawa and Associates) wurde 1995 von
Kazuyo Sejima und ihrem früheren Mitarbeiter Ryue Nishizawa in Tokio gegründet.
Sejima, geboren 1956 in der Präfektur Ibaraki, studierte an der privaten
Frauenuniversität Nihon Joshi Daigaku und gründete 1987 Kazuyo Sejima &
Associates. Nishizawa, geboren 1966 in der Präfektur Kanagawa, studierte an der
Staatlichen Universität Yokohama und gründete 1997 das Office of Ryue Nishizawa.
Neben dem Gemeinschaftsunternehmen SANAA führen die Partner auch ihre
eigenen Architekturbüros weiter. Seit 2001 unterrichten sie an der Keio University
Tokio (Sejima) und in Yokohama (Nishizawa) und waren darüber hinaus als
Gastprofessoren an der EPFL Lausanne, in Princeton und an der Harvard Graduate
School of Design tätig. Nachdem SANAA in den Neunzigerjahren Wohnhäuser und
kleinere Museen in Japan realisiert hatte, verlagerte sich der Schwerpunkt der
Tätigkeit seit dem Jahr 2000 in den Westen, wo sie zurzeit als das erfolgreichste
japanische Architekturbüro gelten können. Im Jahr 2006 wurden die Zollverein
School of Management and Design in Essen, der Glass Pavilion des Toledo Museum
of Art in Toledo, Ohio, und das Bürogebäude WSJ-158 auf dem Novartis Campus in
Basel, im Folgejahr das Theater und Kulturzentrum «De Kunstlinie» in Almere und ds
New Museum of Contemporary Art in New York fertig gestellt. Auf den Serpentine
Pavilion in London 2009 folgten 2010 das Rolex Learning Center der EPFL Lausanne
und 2012 die Dépendance des Louvre im nordfranzösischen Lens. Unter den
jüngeren japanischen Bauten sind insbesondere der Store für Dior an der
Omotesando Road in Tokio (2003) und das 21st Century Museum of Contemporary
Art in Kanazawa (2004) hervorzuheben. Die internationale Anerkennung des Werks
von SANAA hat Niederschlag in einer Reihe wichtiger Preise gefunden: Erich
Schelling Architekturpreis Karlsruhe (2000), Goldener Löwe für den Beitrag auf der
9. Architekturbiennale Venedig (2004), Preis des Japanischen Architekturinstituts
(2006), Kunstpreis Berlin (2007), Pritzker-Preis (2010). 2010 leitete und kuratierte
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Kazuyo Sejima als erste Frau überhaupt die 12. Internationale Architekturbiennale in
Venedig.
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