THEMA UMWELT 1/2000 praktischer umweltschutz schweiz p Umwelt- und Wasserpolitik in Europa Neue Entwicklungen und die Rolle der Schweiz sch Inhalt Leitartikel Leitartikel Gian-Reto Plattner «Die Schweiz liegt in Europa.» 2 «Die Schweiz liegt in Europa.» Dossier «Umweltschutz in Europa» Jean-François Verstrynge Aktuelle Entwicklungen in der Umwelt- und Gewässerpolitik der EU Christoph Meier Die Umweltsituation in Europa nach 25 Jahren Umweltpolitik 6 Daniel Klingele Rechtsgrundlagen und Instrumente der europäischen Umweltpolitik 9 PUSCH Thema Umwelt 1/2000 Rinaldo Locatelli und Gyorgy Bergou Gemeinden spielen Schlüsselrolle. KGRE, ICLEI, Klima-Bündnis – drei Netzwerke 2 4 12 Andreas Grohmann Gesundes Trinkwasser ist ein zentrales Umweltanliegen 15 Christian Furrer Gesamtheitliche Wassernutzung in der Schweiz im Lichte der europäischen Entwicklung 18 Hans-Peter Klein Zeitgemässe Strukturen für die Schweizer Wasserversorgung 20 Ueli Bundi Nachhaltige Wassernutzung in der Schweiz, in Europa und weltweit 22 Ansichtssache Verbandsbeschwerderecht unter Beschuss 24 Planung & Umwelt Richard Maurer Veränderungen der Landschaft beurteilen 26 Recht & Umwelt Denise Köppel Gewerbeabfall kann auch Siedlungsabfall sein 27 … und ausserdem 28 Gian-Reto Plattner, Ständerat Kanton Basel-Stadt, Professor für Physik, Universität Basel Gerade im Umweltbereich setzt uns die europäische Politik einen engen Rahmen für unsere eigene Politik. Einmal, weil die Sachen, die wir diskutieren müssen, überall dieselben sind. Und zum andern, weil Europa – und vor allem die Europäische Union EU – ein sehr grosser, mächtiger und uns eng umschliessender Nachbar ist. Die EU ist unsere Haupthandelspartnerin. Wir verdienen das, wovon wir leben, hauptsächlich in der EU. Umgekehrt ist die Schweiz natürlich nicht die Haupthandelspartnerin der EU, denn diese lebt vor allem vom eigenen Binnenmarkt, und das ergibt ein Ungleichgewicht, nicht nur ein geografisches, sondern auch ein finanz- und machtpolitisches. Gegenseitiger Koordinationsbedarf Einerseits müssen wir in der Schweiz die Entwicklungen in der EU immer über kurz oder lang nachvollziehen. Andererseits müssen wir unsere Innenpolitik mit der EU abstimmen. Der Koordinationsbedarf besteht immerhin nicht nur unsererseits, sondern auch EU-seitig. Das Schulbeispiel Güterverkehr – Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene, Alpentransit, Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe – zeigt, dass auch wir manchmal bei uns etwas einführen können, ohne vorher zu fragen, wie wir das machen sollen. Nachher zieht dann der grosse Bruder zwar zögernd, aber doch gutwillig mit. «Thema Umwelt»: bewährtes Konzept unter neuem Namen Der Zusammenschluss der Vereinigung für Gewässerschutz und Lufthygiene VGL mit der Stiftung für Abfallverminderung SIGA/ ASS zu Pusch hat auch Änderungen bei der Fachzeitschrift «VGLInformation» zur Folge: Sie erscheint ab dieser Nummer neu unter dem Namen «Thema Umwelt» und mit leicht verändertem Aussehen. Unverändert hingegen bleibt das Konzept, das sich seit Jahren bewährt hat: «Thema Umwelt» wird weiterhin schwerpunktmässig zu einem aktuellen Thema Fachbeiträge veröffentlichen und Vollzugshilfen bieten. Die AutorInnen verschiedenster fachlicher Herkunft garantieren eine ausgewogene und unabhängige Darstellung des Themas. Rubriken wie «Recht und Umwelt» oder «Planung und Umwelt» runden den Inhalt ab, Leitartikel und Stellungnahmen unterstützen die Meinungsbildung der LeserInnen. Eine weitere Änderung zeichnet sich ab: Jacqueline Dougoud wird die Redaktion von «Thema Umwelt» nach über neun Jahren engagiertem Einsatz verlassen. Pusch sucht deshalb eine/n neue/n RedaktorIn (siehe Inserat letzte Seite). Wasser wird zum kontinentalen Problem Bisher war Wasser ein von Koordinierungszwängen noch relativ unberührtes Thema. Zwar hatten wir 1986 die Sandoz-Katastrophe in Basel. Was damals mit dem Rhein passierte, hörte nicht an der Grenze auf, sondern floss bis in die Nordsee. Anfangs 2000 kam es zu ähnlichen länderübergreifenden Katastrophen in Rumänien. Wir wissen hingegen auch, dass der Bodensee von den umliegenden Regionen schon lange als Wasserreserve gemeinsam bewirtschaftet wird. Dennoch waren Gewässerschutz und Trinkwasserversorgung als solche bisher eher ein nationales Thema. Und in der Schweiz mit ihren unzähligen kleinen Wasserversorgungen, die langsam alle an die Grenze ihrer Praktischer Umweltschutz Schweiz Pusch ist erfolgreich gestartet. Rund 250 Personen – VertreterInnen von Wissenschaft, Wirtschaft, Behörden und von verwandten Organisationen – nahmen am 17. Februar 2000 an der Gründungsfeier und am Symposium zur «Wasserpolitik im Spannungsfeld EU–Schweiz» teil. Im Bild Jean-François Verstrynge, Stv. Generaldirektor im Generaldirektorat Umwelt der Europäischen Kommission, sowie der Jongleur und Steptänzer Lukas Weiss, der die Ziele und Tätigkeiten von Pusch künstlerisch umsetzte. Möglichkeiten stossen, gehören sie gar zu den kantonalen und kommunalen Aufgaben. Die Uno-Berichte machen deutlich, dass Gewässerschutz insgesamt, und Trinkwasser und Wasserreinigung im Besonderen, zu den kontinentalen Aufgaben gehören. Trinkwasser wird sogar zu einem weltweiten Problem werden, vielleicht nicht gerade in der Schweiz, aber sicher an vielen Orten, wo viele Menschen leben. Auch bei dieser Frage ist der Zusammenfluss der Aktivitäten zwingend. Das gilt für alle grossen Fragen dieser Welt, sei es nun die Globalisierung im wirtschaftlichen, der Nord-Süd-Ausgleich im sozialen oder die Klimafrage im ökologischen Bereich – je ein Beispiel für die drei Säulen einer nachhaltigen Entwicklung. Nachhaltigkeit ist eine gemeinsame Aufgabe für alle, deren Lösung gerade darauf beruht, dass niemand dabei vergessen wird. 3 Aktivitäten müssen zusammenfliessen Die Schweiz mit ihrer bevorzugten Stellung bezüglich Niederschlägen und Topografie hat die Aufgabe, Wasserschloss für den Kontinent zu sein und entsprechend zum Wasser Sorge zu tragen, damit es – wenn nötig – zur Verfügung steht. Dossier «Umweltschutz in Europa» Ob die bilateralen Verträge zwischen der EU und der Schweiz zustande kommen oder nicht: Fragen des Umweltschutzes und der Wassernutzung gewinnen gesamteuropäisch an Bedeutung. Das Dossier auf den folgenden Seiten informiert über die wichtigsten Entwicklungen in der europäischen Umweltpolitik. Das Integrationsbüro des Sekretariats für Wirtschaft seco hat die Veröffentlichung dieses Hefts mit einem namhaften finanziellen Beitrag unterstützt. Herzlichen Dank! Sämtliche Internetadressen, die in diesem Heft vorkommen und noch ein paar weitere zu Europa, sind als Links auf der Homepage von Pusch einprogrammiert: www.umweltschutz.ch, Menüfeld Publikationen → Thema Umwelt. PUSCH Thema Umwelt 1/2000 Die umgekehrte Richtung ist die häufigere, nämlich dass wir uns innenpolitisch anhand dessen koordinieren, was in der EU bereits läuft. Ein Beispiel sind die vom Parlament beschlossenen Energieabgaben. Besonders die Exportwirtschaft und die multinationale Wirtschaft sind sehr darauf bedacht zu beweisen, dass wir hier einen unsinnigen Voraus- und Alleingang machen und ihnen dadurch – verglichen mit der ausländischen Konkurrenz – ungleich lange Spiesse in die Hand drücken. Sie möchten immer eine aussenhandelsneutrale Lösung, und das schränkt dann unsere innenpolitischen Ausgestaltungsmöglichkeiten ausserordentlich stark ein. Das ist eigentlich der Normalfall. Es ist nicht mehr so leicht, umweltpolitisch voranzugehen in einem kleinen Land. Im Grossen und Ganzen findet eine stille und allmähliche Gleichschaltung auch der Innovativkraft der Umweltpolitik in Europa und in der Schweiz statt. Annetta Steiner Allmähliche Angleichung Christoph Grün, Biel Leitartikel We need many Puschs Die Stiftung Praktischer Umweltschutz Schweiz ist seit Anfang des Jahres 2000 aktiv. Sie fördert, wie es der Name sagt, den praktischen Umweltschutz. PolitikerInnen ihrerseits sind eher abstrakte UmweltschützerInnen, sie versuchen Normen vorzugeben, Gesetze zu verfassen und zu beschliessen, die es dann den PraktikerInnen erlauben sollen, das zu tun, was vernünftig ist. Der jungen Stiftung Pusch wünsche ich einen guten Start und ein schönes und erfolgreiches Leben. «We need many pushs to get things done.» Eine Pusch genügt nicht, aber es ist gut, dass es mindestens diese eine jetzt gibt. 䡲 (Leicht gekürzte Wiedergabe der frei gehaltenen Ansprache von Gian-Reto Plattner an der Gründungsfeier von Pusch am 17.2.00). Dossier «Umweltschutz in Europa» Aktuelle Entwicklungen in der Umwelt- und Gewässerpolitik der EU Umwelt und Gesundheit sowie die Integration in andere Politikbereiche sind die Schwerpunkte der Umweltpolitik der europäischen Union EU. Mit einer WasserRahmenrichtlinie sollen die bisherigen Schutzbemühungen verstärkt und die Qualität der Gewässer in der EU in den nächsten Jahrzehnten wesentlich verbessert werden. von Jean-François Verstrynge Die EU ist in der Umweltschutzpolitik seit 30 Jahren aktiv und war in dieser Zeit auch ziemlich erfolgreich. Mittlerweile gibt es 270 umweltrelevante Gesetze. Praktisch jede Art von Verschmutzung wurde reglementiert, insbesondere nach Unfällen wie in Seveso, Bhopal oder Tschernobyl. PUSCH Thema Umwelt 1/2000 Probleme nicht mit Gesetzen lösbar 4 Heute sind wir aber mit Problemen konfrontiert, die sich nicht über gesetzliche Regelungen kontrollieren lassen: Es handelt sich um indirekte oder verhaltensabhängige Umweltverschmutzungen. Ein Beispiel ist das Nitratproblem. Die stetige Überdüngung durch die Landwirtschaft führt zur Verschmutzung des Grundwassers, was sich insbesondere in ebenen Ländern wie Holland oder Belgien stark auswirkt. Wir können nicht jedem Bauern einen Polizisten hinterherschicken, um ihn beim Düngen zu überwachen. Lösungen lassen sich nur mittels Verhaltensänderungen erzielen. Wir müssen die Bauern für dieses Problem sensibilisieren und ihnen Alternativen aufzeigen. Ein anderes Beispiel ist das Auto. Die Abgas-Bestimmungen der EU sind sehr streng. In den letzten Jahren hat aber die Benutzung des Autos so zugenommen, dass dadurch die positiven Effekte der mit technischen Verbesserungen und gesetzlichen Grenzwerten erzielten CO2Einsparungen aufgehoben wurden. Jean-François Verstrynge, Stv. Generaldirektor, Generaldirektorat Umwelt, Europäische Kommission, Rue de la Loi 200, B-1049 Brüssel, Telefon +32/2/295 11 47 www.europa.eu.int/comm/environment Schwerpunkt Gesundheit und Umwelt Für die neue Umweltkommissarin der EU, Margot Wallström, haben die Bereiche Gesundheit und Umwelt Priorität, da sie die BürgerInnen am stärksten betreffen. Bekannt ist zum Beispiel, dass das Fortpflanzungssystem des Mannes durch Umwelteinflüsse beeinträchtigt wird, aber wir kennen die genaue Ursache nicht. Wir werden vermehrt Forschung betreiben müssen. Das ist insofern schwierig, weil wir zwar das Problem sehen, aber die Wissenschaft die Auslöser noch nicht kennt. Ein weiterer Schwerpunkt der EUUmweltpolitik ist die Integration der Umweltaspekte in die gesamte Politik. Dies ist nicht einfach, wenn man weiss, wie ungern sich andere Länder dreinreden lassen. Aber wenn wir etwas erreichen wollen, müssen wir es tun. Mehr Integration mit dem 6. EU-Aktionsprogramm Das 5. Aktionsprogramm der EU wird Ende 2000 auslaufen. Die EU-Staaten haben beschlossen, ein sechstes folgen zu lassen, das Massnahmen bis ins Jahr 2010 formuliert. Es ist klar, dass die Integration in diesem Programm ein wesentliches Element sein wird. Eine weitere Pendenz ist Rio plus 10. Die EU-Länder, die Schweiz und andere Länder haben sich verpflichtet, bis ins Jahr 2002 ein Programm für eine nachhaltige Entwicklung vorzulegen. Die wenigsten haben es bisher präsentiert, auch die EU nicht. Aber die Staatsoberhäupter der EU haben beim letzten Treffen in Helsinki der Entwicklung eines solchen nachhaltigen Programms zugestimmt. Wie die drei Säulen der Nachhaltigkeit – Umwelt, Wirtschaft und Soziales – interagieren sollen, ist noch offen. Ein gutes Beispiel für die Entwicklung einer nachhaltigen Technologie ist die Übereinkunft mit der Europäischen Vereinigung der Autoproduzenten. Diese soll innerhalb von fünf Jahren eine Alternative zum benzinbetriebenen Auto entwickeln, also einen Technologiewechsel forcieren. Wenn wir dies erreichen, ist das ein grosser Schritt. Weiter Weg zur nachhaltigen Wassernutzung Nachhaltigkeit ist eine schwierige Angelegenheit. Es ist einfacher zu definieren, was nicht nachhaltig ist. Einige Beispiele: 䊳 Die Wasserknappheit in Athen anfangs der 90er Jahre, bei der die Stadt nur noch einen Fünftel ihres Wasserbedarfs selbst sicherstellen konnte. Für eine Stadt mit 4,5 Millionen EinwohnerInnen ist das unerträglich. Die EU finanzierte einen neuen Damm, um das Wasser des nächsten Flusseinzugsgebietes zu fassen und nach Athen zu bringen. 䊳 Der Trinkwasserverlust in Dublin. Als Dublin die EU um die Finanzierung einer neuen Trinkwasserversorgung bat, brachte eine Studie ans Licht, dass in der Stadt 44% des Trinkwassers aufgrund undichter Leitungen versickern. Die EU war zur finanziellen Unterstützung bereit, allerdings nicht für ein neues Wasserversorgungswerk, sondern für die Reparatur der Wasserleitungen. 䊳 Grössere Städte ohne Kläranlagen, wie zum Beispiel Brüssel und Mailand. Die EU ging mit Belgien und Italien deswegen vor Gericht. Es gibt auch gute Beispiele, wie die Zusammenarbeit Spaniens und Portugals bei der Wassernutzung. Drei grössere Flüsse fliessen von Spanien nach Keystone Dossier «Umweltschutz in Europa» Portugal, und Jahrhunderte lang stritten die beiden Staaten um die Wassernutzungsrechte. Ein Abkommen ermöglicht es beiden Ländern, ihre Dämme teilweise auf Territorium des Nachbarlandes zu erstellen und damit die Flüsse als gesamtheitliche Wassersysteme über die Landesgrenze hinaus zu nutzen. Dies bedingt auch eine enge Zusammenarbeit auf der Managementebene. Die Wasser-Rahmenrichtlinie Die neue Wasser-Rahmenrichtlinie strebt die Harmonisierung aller existierenden Richtlinien an. Neu dazu kommen zwei Punkte: Der erste ist die Schutzbestimmung im Einzugsgebiet der Flüsse. Damit sollen die Oberflächengewässer und das Grundwasser, sowohl quantitativ als auch qualitativ, geschützt werden. In einem zweiten Schritt soll der Schutz der Meere einbezogen werden. So soll die Sauberkeit des Baltischen Ziele Guter Zustand der Gewässer (gutes ökologisches Potenzial/guter chemischer Zustand) 䊳 Förderung einer nachhaltigen Wassernutzung 䊳 Beiträge zur Minderung von Überschwemmungen und Dürren 䊳 Integrierte Ansätze Gesamtheitliches Management ganzer FlussEinzugsgebiete 䊳 Einbezug von Oberflächengewässern und Grundwasser (plus Feuchtgebiete und angrenzende terrestrische Ökosysteme) 䊳 Einbezug von Wasserqualität, Wassermenge und Gewässerstrukturen Meeres verbessert werden. Dies bedingt Zusammenarbeit über die Grenzen der EU hinaus. Kaliningrad und St. Petersburg verschmutzen die Gewässer in dem Ausmass, wie die Finnen, Schweden und Dänen sie sauber halten. Wir müssen also in Russland intervenieren, damit es seine Gewässer nicht verschmutzt und das Baltische Meer davon profitiert. Dasselbe gilt auch für die Donau, die die grösste Verschmutzung des Schwarzen Meers verursacht. Wir müssen über die regionale Integration hinausgehen und internationale Abkommen abschliessen. Also auch mit der Schweiz. Das haben wir bereits innerhalb der Rheinkonvention getan, und wir werden auch über die Donau und das Mittelmeer verhandeln müssen. 䊳 Planung Bewirtschaftungspläne mit Massnahmenplänen für Flusseinzugsgebiete 䊳 Wirtschaftliche Instrumente Verursacherprinzip anwenden 䊳 Kostendeckende Wasserpreise anstreben 䊳 Partizipation Einbindung der interessierten Stellen und der Öffentlichkeit in die Planungs- und Entscheidungsprozesse 䊳 Integration Wasserbelange in andere Politikbereiche einbeziehen wie Landwirtschaft, Energie und Regionalentwicklung 䊳 Offene Punkte Noch ist die Wasser-Rahmenrichtlinie nicht in Kraft. Der Rat der Europäischen Union hat bereits sein Einverständnis gegeben; nun muss das Parlament noch zustimmen. Die Verhandlungen drehen sich um folgende Punkte: 䊳 Die Frist für die Implementierung der Richtlinie durch die EU-Mitglieder. 䊳 Die Höhe der Grenzwerte für gefährliche Stoffe. Die Kommission und das Parlament wollen hier striktere Regeln als der Rat der Europäischen Union. 䊳 Zukünftige Kosten für Wasser. Die EU ist der Meinung, dass Wasser etwas kosten muss. Gerade letztere Frage ist nicht unerheblich, bezahlen doch bei- spielsweise die EinwohnerInnen Irlands bis anhin gar nichts für ihre Wasserversorgung. Konsequenz davon ist die praktisch fehlende Sensibilisierung für die sparsame Wassernutzung. Im Gegensatz dazu hob Athen während der Wasserknappheit die Wasserpreise an. Um den künftigen Wasserbedarf und Versorgungsanlagen planen zu können, sind eine Finanzierung und eine Kontrolle des heutigen Wasserverbrauchs unbedingt nötig. Wasser und Sicherheit In unserem Teil Europas erscheint der Zusammenhang zwischen Wasser und Sicherheit nicht besonders wichtig. Aber wenn die Türkei EU-Mitglied wird, wird diese Frage auch zu einem EUProblem. Baut die Türkei Dämme für die Wasserversorgung, spielt gleichzeitig auch die Sicherheitsfrage mit hinein. Denn in allen Ländern, in denen Wasserknappheit herrscht, wird um die Nutzungsrechte gestritten. In der Nahostproblematik ist Wasser einer der Hauptstreitpunkte. Die Immigration aus den arabischen Ländern rührt zu einem Teil daher, dass in diesen Gegenden Wasserknappheit herrscht. Wie setzen wir also die Umweltpolitik in Zukunft ein, um die Sicherheitsfragen zu beeinflussen und mögliche Bedrohungen abzuwenden? Diese Frage können wir nicht alleine, sondern nur auf internationaler Ebene gemeinsam lösen. 䡲 PUSCH Thema Umwelt 1/2000 (Richtlinie 1999 des Europäischen Parlaments und des Rates der EU zur Schaffung eines Ordnungsrahmens Wasserpolitik in der EU) Ueli Bundi, Eawag Die Wasser-Rahmenrichtlinie in der Übersicht Mit dem 6. Aktionsprogramm will die EU die Umweltpolitik noch stärker in die anderen Politikbereiche einbinden, zum Beispiel in eine umweltverträglichere Ausgestaltung des Verkehrs. 5 Dossier «Umweltschutz in Europa» Die Umweltsituation in Europa nach 25 Jahren Umweltpolitik Erfolgreich war die europäische Umweltpolitik bisher vor allem dort, wo technische Massnahmen und Ordnungsrecht zum Einsatz kamen. Defizite gibt es hauptsächlich bei den Entwicklungen in der chemischen Industrie, beim Verkehr, beim Tourismus und in der Landwirtschaft. 6 Nach mehr als 25 Jahren Umweltpolitik zieht die Europäische Umweltagentur (EUA) Bilanz. In ihrem Bericht «Umwelt in der Europäischen Union – an der Wende des Jahrhunderts» beschreibt sie den Zustand der Umwelt in der EU und gibt eine Einschätzung der Entwicklung bis 2010 (siehe Tabelle). Messbare Erfolge gibt es vor allem dort, wo die Umweltpolitik mit ihren klassischen Instrumenten wie End-ofpipe-Massnahmen und Ordnungsrecht operierte. Beim Festlegen von klaren Zielen und politischen Richtlinien wurden dagegen bisher keine Fortschritte gemacht. Das grösste Hindernis für Verbesserungen ist indes nicht die Politik, sondern die mit dem Prinzip der Nachhaltigkeit unverträgliche Entwicklung einiger Wirtschaftssektoren wie chemische Industrie, Abfallwirtschaft, Verkehr, Tourismus und Landwirtschaft, aber auch das Individualverhalten. Viele Gemeinden und Unternehmen stehen Programmen der Lokalen Agenda 21 heute positiv gegenüber. Instrumente wie Umweltaudit und Umweltmanagement finden vermehrt Eingang in die Unternehmen, allerdings mit grossen Unterschieden innerhalb der EU: 75% der zertifizierten Unternehmen befinden sich in Deutschland. Die Ökoeffizienz im Energiewesen sowie bei Industrie und Verkehr konnte verbessert werden: Die Emissionen pro erzeugte Einheit sanken. Konsum wird um 50% steigen Die erzielten Verbesserungen werden jedoch durch die Menge der gefahrenen Keystone PUSCH Thema Umwelt 1/2000 von Christoph Meier Kilometer und der konsumierten Güter wieder zunichte gemacht. Zudem verlagert sich der Verkehr zunehmend auf die Strasse und in die Luft. Trotz gleich bleibender Bevölkerungszahl in der EU wird von 1995 bis 2010 eine Steigerung des Konsums um 50% prognostiziert. Gründe sind höhere Einkommen, kleinere Haushalte und mehr Freizeit. Da die Produktion schneller wächst als die Recyclingraten, nimmt die Abfallmenge weiter zu. Nach wie vor wird der Hauptanteil der Abfälle deponiert. Für den Zeitraum 1996 bis 2010 wird ein Anstieg des Tourismus um 50% erwartet, mit entsprechenden Auswirkungen auf Verkehr und Energiebedarf. Problematisch wird dies vor allem für ökologisch empfindliche Gebiete wie die Küstenregionen. Die generelle Urbanisierung, die Verschlechterung des Zustands der ländlichen Umwelt sowie die zunehmende Bedrohung der biologischen Vielfalt und der Naturgüter in Erfolge und neue Instrumente Durch den reduzierten Eintrag von Phosphor und organischen Stoffen verbesserte sich die Wasserqualität der Fliessgewässer erheblich. Die Luftqualität in den Städten hat sich dank des Rückgangs der grenzüberschreitenden Luftverschmutzung und säurebildender Substanzen erholt. Die Freisetzung ozonzerstörender Substanzen wurde deutlich reduziert. Christoph Meier, Praktischer Umweltschutz Schweiz Pusch. Zusammenfassung des Berichts «Umwelt in der Europäischen Union an der Wende des Jahrhunderts» (siehe Literatur Seite 7). Von den europäischen Küsten sind etwa 85% durch Belastungen gefährdet, die von der Urbanisierung herrühren. Dossier «Umweltschutz in Europa» Mittel- und Osteuropa sowie im Mittelmeerraum sind ebenfalls absehbar. Die Landwirtschaft beeinträchtigt trotz rückläufiger Einsatzmengen von Düngemitteln und Pestiziden nach wie vor die Umwelt: Problematisch sind Nährstoffeintrag, Pflanzenschutzmittel im Grundwasser, Bodenzustand, Verringerung der biologischen Vielfalt. Gerade bei Themen von grossem öffentlichem Interesse besteht erhebliche Ungewissheit, so etwa bezüglich der Auswirkungen von Schadstoffen in Lebensmitteln oder der gesundheitlichen und ökologischen Gefahren gentechnisch veränderter Organismen. und grössere Probleme geschaffen. Fazit: Solange der Umweltschutz nicht in die übrigen wirtschaftlichen und politischen Strategien integriert wird, geht es nicht vorwärts. 䡲 Ohne Integration kein Fortschritt Literatur EUA: Umwelt in der Europäischen Union an der Wende des Jahrhunderts. Informationen und Bezug (gratis): Europäische Umweltagentur EUA, 1999, 44 Seiten, deutsch und weitere EU-Sprachen. Fax +45 33 36 71 99, [email protected], http://org.eea.eu.int:80/documents/3-yearly/ Einige Probleme sind zwar durch die Umweltpolitik etwas gemildert worden (siehe Tabelle). Die jenseits ihres Einflusses liegende Wirtschaftspolitik und andere Politikfelder haben aber neue Bereich Gegenwart Zukunft (Prognosen) Treibhausgase und Klimaveränderung Die Kohlendioxidemissionen gingen zwischen 1990 und 1996 um etwa 1% zurück. Die Methanemissionen entwickeln sich rückläufig. Der Ausstoss von Treibhausgasen wird zwischen 1990 und 2010 um etwa 6% zunehmen. Man vermutet einen Anstieg der atmosphärischen Konzentrationen von Kohlendioxid (um 45%), Methan (80%) und Distickstoffmonoxid (20%) bis 2010. Somit steigen auch die Temperaturen und die Meeresspiegel. Die Jahresmitteltemperaturen stiegen seit 1990 weltweit um 0,3 bis 0,6 °C. Ozonabbauende Substanzen Die wirksame Gesamtkonzentration von Chlor und Brom erreichte 1994 ihren Höchstwert und geht seitdem zurück. Der Einsatz ozonabbauender Substanzen ist rascher zurückgegangen als durch internationale Auflagen gefordert. Die Halonkonzentration in der Atmosphäre steigt hingegen nach wie vor. Grenzüberschreitende Luftverunreinigung In den meisten Ländern sind die Emissionen von Schwefeldioxid, flüchtigen organischen Verbindungen (VOC) und Stickoxiden zurückgegangen. Die Erfolge bei stationären Quellen wurden aber durch die wachsenden Emissionen des Verkehrs (inklusive internationaler Schiffsverkehr) beinahe aufgewogen. Der Ausstieg aus Produktion und Verwendung ozonabbauender Stoffe wirkt sich positiv auf die Ozonschicht aus. Mit der vollständigen Erholung ist dennoch nicht vor 2050 zu rechnen. Die ultraviolette Strahlung und ihre schädlichen Auswirkungen (Hautkrebs) werden vermutlich weiter zunehmen. Es ist mit einem Rückgang der Emissionen aller wichtigen Gase, die zur Versauerung und Eutrophierung (Überdüngung) beitragen, zu rechnen. Dies dürfte zu deutlichen Verbesserungen an den betroffenen Ökosystemen führen. Seit 1994 werden sämtliche in der Ozonrichtlinie festgelegten Schwellenwerte für Sommersmog überschritten. Gefährliche Stoffe Das durch chemische Stoffe verursachte Risiko konnte durch verschiedene Kontrollmassnahmen verringert werden. Emission und Umweltkonzentration von Blei und schwer abbaubaren organischen Schadstoffen sind im Abnehmen begriffen. Bei anderen Schwermetallen, insbesondere Cadmium und Kupfer, ist der Trend steigend. 75% der auf dem Markt erhältlichen, in Massen produzierten Chemikalien sind nicht einer Minimalrisikoanalyse (Toxizität und Ökotoxizität) unterzogen. Gewässerbelastung Die Einleitung organischer Stoffe hat zwischen 1985 und 1999 um 50 bis 80% abgenommen. Die Zahl der stark verschmutzten Flüsse ist erheblich zurückgegangen, da viele Punktquellen von Phosphor eliminiert wurden. Die Nitratkonzentrationen in den Flüssen haben sich seit 1980 wenig verändert. Der Eintrag aus der Landwirtschaft ist nach wie vor zu hoch. Die EU-Länder entnehmen jährlich im Schnitt rund 21% ihrer regenerierbaren Süsswasserressourcen, was als dauerhaft umweltverträglich gilt. Grosse Verluste hingegen sind in den südlichen EU-Ländern zu verzeichnen, wo jährlich ca. 18% durch Bewässerung verloren gehen. PUSCH Thema Umwelt 1/2000 Übersicht über die heutige und die künftige Umweltsituation 7 Die Chemieproduktion und die Gesamtemissionen gefährlicher Substanzen in der EU werden bei deutlichen regionalen Unterschieden ansteigen. Bis 2010 wird eine erhebliche Zunahme der Emissionen von Quecksilber, Cadmium und Kupfer erwartet. Hingegen dürften die Emissionen und Immissionen von Blei, Dioxinen und polychloriertem Biphenyl (PCB) zurückgehen. Die Wasserqualität der Fliessgewässer und Seen in der EU dürfte sich aufgrund des reduzierten Eintrags von Stickstoff und Phosphor verbessern. Der Beitrag der Abwasserbehandlung ist besonders gross, doch steigt damit auch die Menge an Schlamm. Ohne Massnahmen zur Verringerung des Eintrags von Phosphor und Stickstoff aus der Landwirtschaft bleiben die Gewässer in Regionen mit intensiver Landwirtschaft gefährdet. Der Gesamtwasserbedarf wird voraussichtlich bis 2010 verhältnismässig stabil bleiben. (Fortsetzung nächste Seite) Dossier «Umweltschutz in Europa» Übersicht über die heutige und die künftige Umweltsituation (Fortsetzung) Bereich Gegenwart Bodendegradation Steigende Erosion, anhaltende lokale und diffuse Kontamination und Bodenversiegelung führen zu irreversiblen Verlusten. Abfall Die Ziele der EU-Abfallstrategie wurden nicht erreicht: Zwischen 1990 und 1996 ist die Abfallmenge um 10% gestiegen. Die Deponierung ist nach wie vor die üblichste Entsorgungsmethode. Zukunft (Prognosen) Trotz politischer Initiativen auf EU- und nationaler Ebene ist mit steigendem Abfallvolumen zu rechnen. Das Recycling hat sich in einer Reihe von EU-Mitgliedstaaten äusserst erfolgreich entwickelt, jedoch nicht rasch genug, um die Abfallströme insgesamt zu verringern. Natürliche und technologische Gefahren Zwischen 1990 und 1996 lagen die wirtschaftlichen Verluste aufgrund von Hochwasser und Erdrutschen viermal höher als in der gesamten vorangegangenen Dekade. Seit 1984 wurden in der EU über 300 Industrieunfälle gemeldet. Viele der scheinbar trivialen «Lehren» aus diesen Unfällen wurden noch nicht in Industriepraxis und -normen einbezogen. PUSCH Thema Umwelt 1/2000 Menschliche Gesundheit In der EU sind traditionelle umweltbedingte Gesundheitsprobleme, unsauberes Trinkwasser, unzureichende Hygiene und schlechte Wohnbedingungen im Wesentlichen verschwunden. Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge ist die Gesundheit zu weniger als 5% direkt von Umwelteinwirkungen betroffen. Unter der erwachsenen, städtischen Bevölkerung werden vermutlich 40 000 bis 150 000 Todesfälle jährlich durch Schwebestaub in der Luft verursacht. Komplexe von Schadstoffen in der Luft, im Wasser, in Nahrungsmitteln, Konsumgütern und Gebäuden können die Lebensqualität insgesamt beeinträchtigen oder zur Entstehung von Asthma, Allergien, Vergiftungen, gewissen Krebsarten und Immunsuppression beitragen. Städtische Gebiete 8 Die Luftqualität städtischer Gebiete hat sich von 1990 bis 1999 verbessert, weil die Konzentration der Schadstoffe zurückgegangen ist. Schwebestaub liegt trotz Abwärtstrend über den WHO-Richtwerten. Trotz erheblicher Senkung der Lärmgrenzwerte aus Einzelquellen leben mehr als 30% der EU-Bevölkerung in erheblich belasteten Wohnungen (Strassenlärm). Küsten- und Meeresregionen Etwa ein Drittel der EU-Bevölkerung lebt an Küsten. Von diesen sind etwa 85% durch verschiedene Belastungen gefährdet, die generell mit der Urbanisierung zusammenhängen. Für die menschliche Gesundheit werden vor allem von Belang sein: Wasserverschmutzung (Nitrat- und Pestizidrückstände, Trinkwasser aus geringer Tiefe), Lärmbelastung (stressbedingte Zunahme von Herz-Kreislauf-Erkrankungen), Chemikalienemissionen, belastete Nahrungsmittel Luftverschmutzung und Ozonabbau. Infolge Grenzwertüberschreitungen von Schwebestaub, Stickstoffdioxid, Benzo(a)pyren und Ozon in den meisten Städten werden die Lebenserwartung sinken und die Sterblichkeit sowie die allergischen Atemwegserkrankungen weiter ansteigen. Die Luftqualität dürfte sich weiter verbessern. Die Bevölkerung wird bei den meisten schädlichen Substanzen ausser Schwebestaub, Stickstoffdioxid, Benzo(a)pyren und Ozon nicht mehr von Konzentrationen über den Grenzwerten belastet. Die Lärmbelastung wird sich aufgrund des wachsenden Verkehrsaufkommens vermutlich verschlimmern. Die Benachteiligung einzelner Küstenregionen ist eine schlechte Voraussetzung für ein umfassendes Umweltmanagement. Hauptprobleme sind die schlechte Wasserqualität, die Küstenerosion und das Fehlen eines integrierten Küstenzonenmanagements. Natur und biologische Vielfalt Fragen der biologischen Vielfalt werden vermehrt in die Landwirtschaftspolitik eingebunden. Die Zerstörung des Lebensraums von Tieren und Pflanzen gefährdet die biologische Vielfalt (Vordringen der Vorstädte in ländliche Gebiete, Gleichförmigkeit der Landschaften). Verschmutzung (Eutrophierung, Versauerung) sowie Einschleppung fremder Arten sind die Ursache dafür, dass sich einzelne Tier- und Pflanzenarten übermässig ausbreiten können. Die Art der Landnutzung, die Verschmutzung sowie die Einschleppung fremder Arten werden praktisch für ganz Europa bis 2010 von Bedeutung sein. Von 1990 bis 2050 werden die arktischen und die gebirgigen Regionen hauptsächlich vom Temperaturanstieg, Südeuropa mehr von veränderten Niederschlagsmengen betroffen. Dadurch kann sich die Verteilung der Arten deutlich verändern. Dossier «Umweltschutz in Europa» Seit 1987 gehört es zu den Aufgaben der EU, die Umwelt zu schützen, ihre Qualität zu verbessern sowie eine rationelle Nutzung der Ressourcen zu gewährleisten. Mit bislang fünf Aktionsprogrammen sowie weiteren Instrumenten – Umweltverträglichkeitsprüfung, Umweltzeichen, EMAS – kommt sie ihren Verpflichtungen nach. von Daniel Klingele mit den wirtschaftlichen Zielen der EU entgegen. Gleichzeitig wurde auch die Gefährdung der gemeinsamen Umwelt mehr und mehr wahrgenommen. Die EU hat seit 1972 weit über 200 verbindliche Rechtsakte erlassen. Die Rechtsgrundlagen der EU-Umweltpolitik Mit der Einheitlichen Europäischen Akte wurde 1987 ein eigenes Kapitel «Umwelt» in den EG-Vertrag (EGV) Keystone Eine Zuständigkeit der Europäischen Union für die Umweltpolitik war in den Gründungsverträgen von 1957 nicht vorgesehen. Bereits zu Beginn der 70er Jahre wurde aber die grundsätzliche Notwendigkeit und Legitimität einer gemeinsamen Umweltpolitik der EU anerkannt und auch vom Europäischen Gerichtshof bestätigt. Die umweltpolitischen Massnahmen und umweltrelevanten Produktenormen der Mitgliedstaaten erwiesen sich nämlich zunehmend als Handelshemmnisse und standen so- Regelungen wie das kürzlich von der Kommission präsentierte «Weissbuch zur Umwelthaftung» sind wichtig. Dies unterstreichen die Katastrophen mit dem Tanker Erika in der Bretagne im Dezember 1999 und in den rumänischen Bergwerken im Januar und März 2000. aufgenommen. Zu den Aufgaben der EU gehörte nun ausdrücklich die Aufgabe, die Umwelt zu erhalten, zu schützen und ihre Qualität zu verbessern sowie eine umsichtige und rationelle Verwendung der natürlichen Ressourcen zu gewähren. Die für die Gestaltung der EU-Umweltpolitik massgeblichen Prinzipien wurden im EG-Vertrag im Sinne bindenden Rechtes festgeschrieben.Umweltbeeinträchtigungen soll vorgebeugt werden (Vorbeugungsprinzip), sie sollen nach Möglichkeit an ihrem Ursprung bekämpft werden (Ursprungsprinzip), und der Verursacher soll für den entstandenen Schaden zahlen (Verursacherprinzip). Es wurde auch die Pflicht verankert, die Erfordernisse des Umweltschutzes bei der Festlegung und Durchführung der anderen Politiken einzubeziehen (Querschnittsfunktion des Umweltschutzes). Hierdurch wurde der Gedanke des Umweltschutzes als ein überall und ständig mit zu bedenkender Grundsatz besonders aufgewertet. Durch den Maastrichter Vertrag beziehungsweise den Amsterdamer Vertrag wurde schliesslich der Grundsatz der dauerhaften und nachhaltigen Entwicklung in den EG-Vertrag aufgenommen, und die Rechte des Europäischen Parlamentes wurden verstärkt. Heute werden Umweltschutzmassnahmen (ausgenommen fiskalische Bestimmungen) auf Vorschlag der Kommission vom Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit verabschiedet, wobei das tendenziell umweltfreundliche Europäische Parlament ein Mitentscheidungsrecht hat. In den Richtlinien und Verordnungen werden in der Regel Mindeststandards festgelegt. Mit der Umsetzung und dem Vollzug des Umweltrechts sind im Wesentlichen die Mitgliedstaaten betraut. Daniel Klingele, diplomatischer Mitarbeiter, Integrationsbüro EDA/EVD, Bundeshaus Ost, 3003 Bern, Tel. 031/322 23 13, [email protected], www.europa.admin.ch PUSCH Thema Umwelt 1/2000 Rechtsgrundlagen und Instrumente der europäischen Umweltpolitik 9 Dossier «Umweltschutz in Europa» Die Kommission überwacht aber die Anwendung und Einhaltung des EUUmweltrechts und kann einen Mitgliedstaat vor dem Europäischen Gerichtshof verklagen, wenn sie der Ansicht ist, dass dieser gegen Vorschriften verstösst oder diese unzureichend umsetzt. Strenge Regelungen teilweise möglich Der EG-Vertrag sieht ausdrücklich vor, dass die Mitgliedstaaten bei anlage- und standortbezogenen Umweltvorschriften (Artikel 175ff. EGV) die Möglichkeit haben, striktere Schutzmassnahmen beizubehalten oder zu erlassen, zum Beispiel betreffend Wasser- und Luftqualität oder Abfallentsorgung. Bei produktbezogenen Vorschriften (beispiels- weise technische Vorschriften für Fahrzeuge oder Geräte) besteht nach Erlass einer Harmonisierungsmassnahme vom Grundsatz her keine Möglichkeit mehr, das Umweltrecht autonom weiterzuentwickeln, da sonst gegen die Regeln des Binnenmarktes verstossen würde. Auf Basis der im EG-Vertrag enthaltenen Schutzklausel (Artikel 95 Absatz 4 und 5) kann ein Mitgliedstaat aber bestehende strengere Vorschriften beibehalten oder einführen, falls sie durch wichtige Erfordernisse gerechtfertigt sind beziehungsweise sich auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse stützen und keine willkürliche Diskriminierung zur Folge haben. Für jene Produktebereiche, für die noch keine Harmonisierung der Stan- Bedeutende Instrumente der EU-Umweltpolitik Neben Rahmenvorschriften, die ein hohes Mass an Umweltschutz und gleichzeitig einen funktionierenden Binnenmarkt gewährleisten sollen, stehen der Gemeinschaft weitere Instrumente zur Verfügung. Die wichtigsten sind: PUSCH Thema Umwelt 1/2000 Europäische Umweltagentur (EUA): Die seit 1994 tätige Agentur in Kopenhagen 10 sammelt und verarbeitet Umweltdaten und informiert die EU, die Mitgliedstaaten, aber auch Drittstaaten objektiv (siehe auch Seite 6ff.). Ihre beratende Funktion spielt eine immer grössere Rolle bei der Annahme neuer Massnahmen oder der Bewertung der Auswirkungen bisheriger Vorschriften. Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP): Durch diese Richtlinie wurde ein syste- matisches Verfahren zur Bewertung möglicher Umwelteinwirkungen einzelner Projekte eingeführt, wobei die Öffentlichkeit in das Entscheidungsverfahren mit einbezogen werden muss. Beim Bau grösserer Anlagen (wie Kernkraftwerke) muss zudem eine grenzüberschreitende Konsultation vorgenommen werden. Umweltzeichen (Eco-Label): Der Hersteller oder ein Erstimporteur eines Produktes kann ein Umweltzeichen beantragen. Ziel ist es, Produktion, Vermarktung und Gebrauch von möglichst umweltschonenden Produkten zu fördern und die KonsumentInnen über die Umweltauswirkungen einzelner Produkte besser zu informieren (siehe «VGL-Information» 3/99). EMAS: Dies ist ein System der freiwilligen Durchführung von Umweltbetriebs- prüfungen. Um ein Umweltzertifikat zu erhalten, müssen sich Unternehmen des produzierenden Gewerbes einer Umweltbetriebsprüfung unterziehen und einen Umweltbericht veröffentlichen. Ab Mitte des Jahres 2000 werden auch alle anderen Branchen und die Verwaltung am System teilnehmen können; die internationale Umweltnorm ISO 14001 soll als eine der Anforderungen in das EMAS-System integriert werden. LIFE: Dieses Finanzierungsinstrument unterstützt Massnahmen zugunsten der Umwelt in der Gemeinschaft und bestimmten Drittländern. Für die Jahre 2000 bis 2004 stehen für das LIFE-Programm Mittel von insgesamt 613 Millionen Euro zur Verfügung. Freier Zugang zu Informationen: Nationale Behörden müssen Umweltinformationen auf Anfrage allen natürlichen und juristischen Personen zugänglich machen, ohne dass diese ein berechtigtes Interesse nachweisen müssen. dards vorgenommen wurde, darf einem in einem anderen Mitgliedstaat rechtmässig hergestellten Produkt der Marktzugang in einem anderen Mitgliedstaat grundsätzlich nicht verwehrt werden. Gemäss der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes kann dieser Grundsatz unter bestimmten Bedingungen aber aus Umweltschutzgründen eingeschränkt werden. Der Gerichtshof urteilte beispielsweise, dass Dänemark sein System von Pfandflaschen für Bier und alkoholfreie Getränke aus Umweltschutzgründen beibehalten darf, obwohl es zu spürbaren Handelsbeeinträchtigungen führt. Erwähnenswert ist zudem, dass Österreich, Finnland und Schweden bei ihrem Beitritt zur EU in gewissen Bereichen (z.B. Schwefelgehalt von Dieselöl, Kennzeichnung von gefährlichen Stoffen) während einer Übergangszeit von vier Jahren strengere Bestimmungen beibehalten konnten. Die EU ihrerseits hat sich verpflichtet, ihre Vorschriften zu überarbeiten. Nach Ablauf dieser vier Jahre hatte die EU ihre Standards verschärft, so dass sie entweder gleich strikt oder aber noch strenger waren als die Vorschriften in den drei Ländern. Vorsorge mit den Umwelt-Aktionsprogrammen Als Orientierung zur Konzeption ihrer Politik dienten der EU seit 1973 fünf Aktionsprogramme. Darin legt die Gemeinschaft Leitlinien und Ziele fest. Ging es bei den ersten beiden Aktionsprogrammen vor allem darum, erkannte Umweltschäden zu beheben, stand in den späteren Aktionsprogrammen vermehrt die vorbeugende Umweltpolitik im Vordergrund. Bereits das Dritte Aktionsprogramm von 1983 – 1986 unterstrich die Notwendigkeit der Einbeziehung von Umwelterfordernissen bei allen Gemeinschaftsaktionen und legte den Schwerpunkt auf die Grundprinzipien der Vorbeugung und Verhütung. Mit der Anerkennung der natürlichen Ressourcen als Grundlage, aber auch als Grenze der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der EU wurde mit dem Vierten Aktionsprogramm von 1987–1992 der Übergang zu einer vorbeugenden Politik vollzogen. Mit Signifikante internationale Rolle In Artikel 175 EGV wird als eines der Ziele der Umweltpolitik der EU die Förderung von Massnahmen auf internationaler Ebene zur Bewältigung regionaler oder globaler Umweltprobleme genannt. Die EU arbeitet dafür mit anderen Ländern und internationalen Organisationen zusammen. Zur Zeit ist die EU Vertragspartei von mehr als 30 Umweltübereinkommen und -vereinbarungen. Zu nennen sind etwa das Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht, das Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung von gefährlichen Abfällen sowie die UNKonventionen über biologische Vielfalt und über Klimaänderungen oder das Kyoto-Protokoll. Die EU unterhält zudem enge Beziehungen zum Umweltprogramm der Vereinten Nationen in Nairobi (UNEP) oder nimmt aktiv an den Arbeiten der UN-Kommission für nachhaltige Entwicklung teil. Zwischen der Schweiz und der EU besteht zur Zeit kein bilaterales Abkommen betreffend Umweltfragen. Aussichten In einer Gesamtbewertung des 5. Umwelt-Aktionsprogramms kommt die Kommission zum Schluss, dass die EU Fortschritte gemacht hat bei der Einführung neuer und verbesserter Instrumente zum Schutz der Umwelt. Die EU-Umweltpolitik hat eine Verringerung der grenzüberschreitenden Luftverschmutzung, eine Verbesserung der Wasserqualität und eine Verringerung ozonschädigender Stoffe bewirkt. Die Kommission weist aber auch darauf hin, dass die Umsetzung der EU-Umweltvorschriften in den Mitgliedstaaten besser sein könnte. Auch gebe der Zustand der Umwelt insgesamt weiter Anlass zu Besorgnis, und in einigen Bereichen werde die Belastung wahrscheinlich noch zunehmen. Gemäss Kommission müssen deshalb die Einbeziehung von Umweltbelangen in andere Gemeinschaftspolitiken verstärkt und die BürgerInnen und Interessengruppen stärker beteiligt werden. Bei der Einbeziehung von Umweltbelangen sollten so weit wie möglich quantifizierte Ziele und Massnahmen festgelegt, europäische, nationale und lokale Komponenten berücksichtigt und Indikatoren für die Überprüfung der Fortschritte vorgesehen werden. Auch muss sichergestellt werden, dass die betroffenen Kreise sich ihrer Verantwortung verstärkt bewusst werden und bestehende Instrumente (wie EMAS und Umweltzeichen, siehe Kasten) besser nutzen. Diese Instrumente sollten durch die Schaffung eines Systems von Haftungsregeln ergänzt werden, so dass die VerursacherInnen für Umweltschäden zahlen müssen. Die Kommission will demnächst Vorschläge für solche Haftungsregeln vorlegen. Eine bessere Information der BürgerInnen soll schliesslich dazu führen, dass diese sich ihrer Verantwortung bewusst werden und dementsprechend handeln. Als entschei- Das Basler Übereinkommen mit 131 Vertragsstaaten sorgt für die Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs mit gefährlichen Abfällen. denden Schritt für eine Verbesserung des Umweltschutzes betrachtet die Kommission zudem die vollständige Umsetzung der bereits erlassenen Rechtsakte durch die Mitgliedstaaten. Oft mangelt es in den Mitgliedstaaten an abschreckenden, wirkungsvollen und angemessenen Sanktionen für Vergehen gegen Umweltschutzbestimmungen. Um den Mitgliedstaaten mehr Flexibilität zu lassen, wird die EU zudem vermehrt Rahmenrichtlinien erlassen. In diesen werden die Ziele festgelegt, aber den Mitgliedstaaten wird die Flexibilität gelassen, die notwendigen Massnahmen nach ihrem Ermessen und den regionalen und lokalen Gegebenheiten entsprechend durchzuführen. Schliesslich stellt die Erweiterung der EU um die mittel- und osteuropäischen Länder eine Herausforderung dar, da die Lage der Umwelt in diesen Ländern teilweise sehr schlecht ist. Andrerseits wird sie zu einer Stärkung des Umweltschutzes in Europa führen. Die EU verlangt nämlich von den beitrittswilligen Ländern die vollständige Umsetzung und praktische Anwendung der EURechtsvorschriften im Umweltbereich und die Integrierung des Grundsatzes der nachhaltigen Entwicklung bei der Formulierung und der Umsetzung der Politik in allen anderen Sektoren. 䡲 PUSCH Thema Umwelt 1/2000 dem Fünften Aktionsprogramm von 1992– 2000 wird diese Strategie weitergeführt. Als Kernpunkt des Programmes sollten neben polizeirechtlichen Instrumenten vermehrt auch marktwirtschaftliche Instrumente zur Anwendung kommen, beispielsweise Steuern, Abgaben, die Vergabe von Umweltzeichen, freiwillige Vereinbarungen oder das EU-System für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung (EMAS). Zudem werden fünf Schwerpunktbereiche genannt, in welche die Umweltaspekte einbezogen werden sollten: Industrie, Energie, Verkehr, Landwirtschaft, Tourismus. In diesem Sinne hat die Kommission auch eine stärke Einbeziehung der Umweltbelange in alle Tätigkeiten und Politikbereiche der EU vorgeschlagen. Die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten haben im Juni 1998 diesen Vorschlag aufgenommen und die verschiedenen Räte (zum Beispiel Verkehrsministerrat, Energieministerrat) aufgefordert, ihre eigenen Strategien zu entwickeln und über die Eingliederung des Umweltschutzes in ihren Bereichen Bericht zu erstatten. (Zu den wichtigsten Instrumenten der EU-Umweltpolitik siehe Kasten Seite 10.) Atelier Fischer, Hittnau Dossier «Umweltschutz in Europa» 11 Dossier «Umweltschutz in Europa» Gemeinden spielen Schlüsselrolle labors für Umweltpolitiken. Oft dienen denn auch die von ihnen erprobten konkreten Innovationen als Modell für staatliche Programme und Politiken. Die kommunale und regionale Verwaltung ist heute im Wandel begriffen. Ihre Aufgaben ändern sich generell. Zahlreiche neue Anforderungen kommen auf sie zu. Viele Behörden reagieren mit Weitsicht und Erfindungsgeist. Sie entwickeln umfassende Programme zum Einsparen von Energie und Wasser, sie bauen Radwege und fördern den öffentlichen Verkehr, sie sorgen dafür, dass Abfall rezykliert und der Gebrauch von umweltbelastendem Material vermieden wird. Zahlreiche neue Aufgaben kommen auf regionale und kommunale Behörden zu – auch beim Umweltschutz. Staatliche und regionale Behörden sowie lokale BürgerInnengruppen müssen neue Formen der Zusammenarbeit finden. Der Kongress der Gemeinden und Regionen Europas (KGRE), der Internationale Rat für kommunale Umweltinitiativen (ICLEI) und das Klima-Bündnis zeigen Wege auf. 12 Die lokalen und regionalen Behörden spielen eine Schlüsselrolle im Umweltschutz. Sie nehmen zahlreiche wichtige Aufgaben wahr, mit denen sie zu einer zukunftsbeständigen Entwicklung und zur Verbesserung der Lebensqualität in ihrer Gemeinde oder Region beitragen können. Zudem sind sie selbst bedeutende Arbeitgeber und Verbraucher. Als solche tragen sie die Verantwortung für Nachhaltigkeit in ihrer eigenen Verwaltung. Die grösste Bedeutung kommt jedoch der Tatsache zu, dass die Gemeinden und Regionen ihren WählerInnen gegenüber verantwortlich sind. Sie sind zuständig für Planung, Investition, für den Ordnungsrahmen, das Management und die Ausführung, weil sie der davon betroffenen Bevölkerung am nächsten stehen. Dadurch sind sie am ehesten in der Lage, direkt auf ihre Wünsche und Bestrebungen einzugehen. Städte und ihre Fähigkeit, zur «Zukunftsbeständigkeit» beizutragen, sind seit einiger Zeit vorrangige Themen der europäischen Entscheidungsträger. Gemeinden sind Erfinderlabors für Umweltpolitiken Zum Glück haben schon viele Gemeinden und Regionen in ganz Europa auf eigene Faust Initiativen ergriffen, um die Ursachen der Umweltbelastung an der Wurzel anzupacken. Vielerlei Projekte werden durchgeführt, an denen lokale und regionale Behörden, Freiwilligenorganisationen sowie Verbände und Unternehmen neue Partnerschaften eingehen. Vom Recycling über die Verkehrsverminderung bis zum lokalen FCKW-Verbot und zur Städtepartnerschaft fungieren die Gemeinden und Regionen gewissermassen als Erfinder- Galoppierende Verstädterung In den verschiedenen Ländern besitzen die Gemeinden und Regionen zwar ganz unterschiedliche Strukturen und Machtbefugnisse. Die Umweltprobleme, mit denen sie sich konfrontiert sehen, sind jedoch weitgehend dieselben. Die Ballungsräume sind grossflächiger und dichter bevölkert denn je. Nie zuvor haben sie so viel Energie und Ressourcen verbraucht. Nie war das Abfallaufkommen so gross. Mit einer Bevölkerung, die zu 70% in Stadtgebieten lebt, ist Europa die am stärksten verstädterte Weltregion. Die Umweltverträglichkeit europäischer Schwierige Aufgabe Keystone PUSCH Thema Umwelt 1/2000 von Rinaldo Locatelli und Gyorgy Bergou Die zunehmende Verstädterung ist eines der grössten Probleme Europas. Fragt sich nur, ob alle Gemeinden und Regionen in der Lage sind, diesem Beispiel Folge zu leisten und, wenn nicht – welche Hindernisse sie zu überwinden haben. Generell steht einem gesamteuropäischen Vorgehen die grosse Verschiedenartigkeit des Einsatzgebiets entgegen, in dem es stattfinden soll. In einer Reihe von Ländern haben die Kommunal- und Regionalpolitiker allen Grund zu Klagen. Einerseits verfügen sie über eine zu geringe Anordnungsbefugnis und Finanzkraft, um mit den globalen Auswirkungen ihrer Aktivitäten fertig zu werden. Andererseits sind sie immer weniger im Stande, die zunehmend komplexen Probleme in den Griff zu bekommen, mit denen sie konfrontiert sind. In vielen Fällen ging die Übertragung von Verantwortung nicht Hand in Hand mit der entsprechenden Zuweisung von Geldmitteln und von Machtbefugnis. Unzulängliche Mittel und fehlender politischer Wille gelten als Haupthindernisse, die der Zukunftsbeständigkeit im Wege stehen. Zwar verfügen die meisten europäischen Kommunen über Einnahmen aus Steuern, Gebühren und Abgaben sowie Zuweisungen vom Staat, aber in deren Höhe bestehen erhebliche Unterschiede. Rinaldo Locatelli, Gyorgy Bergou, Sekretariat Kongress der Gemeinden und Regionen Europas (KGRE), Europarat, F- 67075 Strasbourg, Telefon +33/3 88 41 28 04, [email protected], [email protected], www.coe.fr Dossier «Umweltschutz in Europa» Notwendige Reformen Rat der Europäischen Union ≠ Europarat Dem lokalen Handeln sind oft nationale oder internationale Grenzen gesetzt. Der Kongress der Gemeinden und Regionen Europas (KGRE) hat deshalb die Regierungen zu einer Reform ihrer nationalen und internationalen Politiken aufgerufen, damit sie Marktpreissignale setzen, die mit der Zukunftsbeständigkeit vereinbar sind. Das soll heissen, dass anstatt der Arbeit die Ressourcen und umweltfreundlichere Produktionssysteme gefördert werden sollten. Die Europäische Union Die Europäische Union (EU) zählt 15 Mitgliedstaaten und kennt fünf wichtige Institutionen: 䊳 Europäisches Parlament (Legislative, Sitze proportional zur Bevölkerung der Länder) 䊳 Rat der Europäischen Union (Ministerrat, seine Zusammensetzung ist je nach Beratungsgegenstand unterschiedlich, z.B. Umweltminister für Umweltfragen, exekutive und legislative Funktionen, verschiedene Beschlusskompetenzen) 䊳 Europäischer Rat (Staats- und Regierungschefs, setzt Prioritäten und legt politische Zielvorstellungen fest, trifft sich mindestens zweimal jährlich) 䊳 EU-Kommission (Exekutive mit 20 Mitgliedern; die Kommissionsdienste beschäftigten 1998 rund 21 000 Personen; http://europa.eu.int/comm/) Im Gegenzug müssen sich die Kommunal- und Regionalbehörden selbst einem Wandel unterziehen. Der Druck, mit dem eine Veränderung erreicht werden soll, kommt von unten, also von Bürgerinitiativen, die ein grösseres Mitspracherecht für sich und Rechenschaft von den ihnen am nächsten stehenden Behörden verlangen. Die Bürokratie und Organisationsstruktur wird sich deshalb anpassen müssen: Das heisst, gleichberechtigte Zusammenarbeit mit den betreffenden Gruppen, Überlassung von Machtbefugnissen. Die verschiedenen Verwaltungsebenen und die Bürgergruppen werden Wege zur Zusammenarbeit finden müssen, um den Anforderungen der Bevölkerung entgegenzukommen, und zwar auf eine Art, welche die Umwelt weniger unter Druck setzt. 䡲 Umweltthemen beim Kongress der Gemeinden und Regionen Europas Im Laufe der Jahre hat der Europarat (siehe Kasten) wesentlich zur Förderung des Umweltbewusstseins beigetragen. Mit Umweltfragen befassten sich Regierungsexperten, ein Fachausschuss der Parlamentarischen Versammlung und der Kongress der Gemeinden und Regionen Europas (KGRE). Dieser hat unter anderem diverse Berichte erstellt, um lokalen und regionalen Behörden mögliche Wege und Mittel zum Schutz ihrer Umwelt aufzeigen: 䊳 Der Bericht über die kommunale und regionale Umweltpolitik in Europa befasst sich mit der Frage, was die Gemeinden und Regionen unternehmen, um ihrer Verantwortung auf diesem Gebiet gerecht zu werden. Der Bericht über Qualität und Quantität von Trinkwasser in Europa stellt fest, dass die hohe Bevölkerungsdichte, der schlechte Zustand der Versorgungssysteme und der zu geringe Gebrauch von Oberflächengewässern die Hauptursachen von Wasserversorgungsproblemen sind. 䊳 Der Bericht zur Bekämpfung des Treibhauseffekts und zum Schutz der Ozonschicht empfiehlt verschiedene Politiken, um die Klimakatastrophe abzuwenden. 䊳 Der Bericht über die Umwelt in den mittel- und osteuropäischen Ländern gibt einen Überblick über den aktuellen Zustand, über bereits getroffene Massnahmen und mögliche neue Ansätze. 䊳 (Judikative) www.europa.eu.int/inst-de.htm, www.europa.admin.ch/d/int/ri.htm Der Europarat Seit seiner Gründung im Jahre 1949 arbeitet der Europarat in Strasbourg am Aufbau eines gemeinsamen Europas, dessen Grundlage Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit sind. Er zählt 41 Mitgliedstaaten, unter anderem auch die Schweiz, und umfasst drei wichtige Institutionen: 䊳 Ministerkomitee (Entscheidungsorgan) 䊳 Parlamentarische Versammlung (beratendes Gremium) 䊳 Kongress der Gemeinden und Regionen Europas (KGRE, Sprachrohr der lokalen Demokratie) www.coe.fr/ Der Bericht über die Umweltzusammenarbeit zwischen Gemeinden und Regionen im östlichen Baltikum beschreibt die dortigen kommunalen Umweltpolitiken und Kooperationsmechanismen. 䊳 Der Bericht über das europäische Naturschutzjahr (1995) ermuntert die Gemeinden und Regionen zur Durchführung von Projekten, die den Erhalt der biologischen Vielfalt fördern. 䊳 Mit dem Bericht über die nachhaltige Entwicklung auf kommunaler und regionaler Ebene unterstützt der KGRE die europäische Kampagne zukunftsbeständiger Städte politisch. 䊳 Innovative Beispiele sind als Grundlage des Leitfadens der wirtschaftlichen Instrumente für Gemeinde- und Regionalbehörden. Dieser gibt Basisinformationen über Einsatz und Wirkung von Wirtschaftsinstrumenten auf Umwelt, Finanzen und Beschäftigung. 䊳 Der Entwurf einer europäischen Landschaftskonvention entspricht dem Wunsch europäischer BürgerInnen nach internationalen Rechtsgarantien zum Schutz der Landschaft. 䡲 䊳 Informationen und Bezug: Gyorgy Bergou, Sekretär der KGRE-Arbeitsgruppe Umwelt und nachhaltige Entwicklung, Europarat, F-67075 Strasbourg, Telefon +33/3 88 41 28 04, [email protected], www.coe.fr PUSCH Thema Umwelt 1/2000 Umwelt weniger unter Druck setzen 䊳 Gerichtshof 13 Dossier «Umweltschutz in Europa» Klima-Bündnis der europäischen Städte Das «Klima-Bündnis der europäischen Städte mit indigenen Völkern der Regenwälder/Alianza del Clima e.V.» wurde im Jahr 1990 von VertreterInnen europäischer Kommunen und indigener Völker Amazoniens gegründet. Die gemeinsamen Ziele sind im Klima-Bündnis-Manifest niedergelegt und im Jahr 1992 in die Vereinssatzung aufgenommen worden. Sie umfassen die Halbierung der CO2-Emissionen in den Bereichen Energie und Verkehr, den kommunalen Tropenholzverzicht sowie die Unterstützung der Indianervölker Amazoniens beim Erhalt des tropischen Regenwaldes, bei der Sicherung ihrer Landrechte und bei der nachhaltigen Nutzung ihrer Gebiete. Bundesländer und Nichtregierungsorganisationen arbeiten als assoziierte Mitglieder mit. Die COICA, der Dachverband der nationalen Indianerorganisationen aus der Amazonasregion, und die von ihr vertretenen indianischen Gemeinden sind die Kooperationspartner der europäischen Klima-Bündnis-Kommunen. Tätigkeitsgebiete Im Klima-Bündnis sind vor allem die kommunalen Handlungsfelder angesprochen, die in ihren Auswirkungen eine globale Dimension besitzen. Dies sind die Bereiche Energie, Verkehr, Tropenholz, Zusammenarbeit mit indigenen Völkern, umwelt- und entwicklungspolitische Bildung, biologische Vielfalt und Lokale Agenda 21. Inzwischen sind dem Klima-Bündnis über 800 Städte, Kommunen und Landkreise aus zehn europäischen Ländern (davon 12 Gemeinden aus der Schweiz) als ordentliche Mitglieder beigetreten. 14 Im Internationalen Rat für Kommunale Umweltinitiativen (International Council for Local Environmental Initiatives ICLEI) haben sich lokale Behörden zur Vermeidung und Lösung lokaler, regionaler und globaler Umweltprobleme zusammengeschlossen. Dieses Ziel wollen sie durch lokale Aktionen erreichen. Gegründet wurde ICLEI 1990 als Rat für kommunale Umweltinitiativen – unter der Schirmherrschaft des UnoUmweltprogramms und des internationalen Gemeindeverbands (International Union of Local Authorities IULA). Dem Rat gehören über 300 Grossstädte, Städte und Gemeinden mit ihren entsprechenden Organisationen an. Ziele und Umsetzung Lokale Initiativen tragen viel zur Verbesserung der Lebensqualität der BürgerInnen bei. Informationen: Klima-Bündnis der europäischen Städte, European Secretariat, Galvanistrasse 28, D-60486 Frankfurt am Main, Tel. +49/69/707 90 083, Fax +49/69/703 927, [email protected], www.klimabuendnis.org ICLEI fördert lokale Aktionen mit globaler Verantwortung Keystone PUSCH Thema Umwelt 1/2000 10 europäische Länder machen mit Durch Konferenzen, Seminare und Veröffentlichungen fördert das KlimaBündnis den Erfahrungsaustausch zwischen den Gemeinden, verbreitet positive Beispiele und erfolgreiche Strategien der Kommunen, erarbeitet gemeinsam mit den Mitgliedern Empfehlungen zum Vorgehen und fordert politische Unterstützung für den Klimaschutz auf nationaler und internationaler Ebene. Die Europäische Klima-BündnisGeschäftsstelle in Frankfurt am Main wird in mehreren Ländern von nationalen Koordinationsstellen unterstützt. Die Arbeit der Klima-Bündnis-Städte Schweiz (KBSS) koordiniert Emil Stutz, Stadtökologe der Stadt Zug, Telefon 041/728 23 85, [email protected]. 䡲 ICLEI hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit lokalen Behörden eine weltweite Bewegung für eine zukunftsbeständige Entwicklung aufzubauen und zu unterstützen. Konzentrierte lokale Aktionen sollen messbare Verbesserungen der globalen Umweltbedingungen erzielen. Den unterschiedlichen Anforderungen der LokalpolitikerInnen mit ihren Politiken, Entscheidungsprozessen, Strukturen und Praktiken wird dabei Rechnung getragen. Erreicht werden soll das Ziel durch internationale Netzwerke und Kampagnen. Die «Lokale Agenda 21 (LA 21)» sowie «Städte für den Klimaschutz (CCP)» sind zwei Beispiele. Ein weiteres ist das innovative Umweltmanagementprogramm in Europa. Zahlreiche Fortbildungsprojekte und technischer Beistand sowie regionale Netzwerke helfen den Kommunen, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Die Städte zu besseren Umweltleistungen hinzuführen wird sicher auch weiterhin zu den ICLEI-Aufgaben gehören. Aber auch das Trinkwassermanagement, der Bodenschutz und die Raumplanung zählen künftig dazu. 䡲 Informationen: Europasekretariat, Eschholzstrasse 86, D-79115 Freiburg, Telefon +49/761/ 368 920, [email protected], www.iclei.org Dossier «Umweltschutz in Europa» Gesundes Trinkwasser ist ein zentrales Umweltanliegen von Andreas Grohmann akzeptiert wird (Chlorung des Trinkwassers zur Abwehr von Krankheiten). Wie gesund ist unser Trinkwasser? Die Frage «Wie gesund ist unser Trinkwasser?» lässt sich im Sinne der Hygiene beantworten: Es ist sehr gesund, wenn bei Ressourcenschutz, Gewinnung, Aufbereitung und Verteilung die Regeln der Technik strikt eingehalten werden. Das Produkt ist ein Wasser mit den Eigenschaften «farblos, klar, kühl, geruchlos und geschmacklich einwandfrei, und es ist appetitlich und zum Genuss anregend». Dabei reicht es nicht aus, Gesetze und Verordnungen als Massstab zu nehmen. Wasser hauptsächlich zur Seuchenabwehr Keystone Trinkwasser orientiert sich am Bild einer klaren Quelle: ursprünglich rein, Lebensquell, unverzichtbar. Grenzwerte für Trinkwasser festzulegen ist ein Widerspruch in sich. Sie werden jedoch verständlich beim Bemühen, Verunreinigungen abzuwehren: 䊳 nach Massgabe des technisch Unvermeidbaren, mit dem Ziel, keine Abweichung vom ursprünglich Reinen zu erkennen, 䊳 nach Massgabe des gesundheitlich Unbedenklichen, was wiederum im Hinblick auf die Unempfindlichkeit der menschlichen Natur manche Verunreinigung zulässt, 䊳 nach Massgabe des Unvermeidlichen, sofern ein Nutzen erkennbar ist und Die Landwirtschaft benötigt weitaus am meisten Wasser. Nur 3 Liter Trinkwasser werden täglich für die Zubereitung von Speisen und Getränken benötigt. Weitere etwa 97 Liter dienen der Abwehr von seuchenhygienischen Gefahren. Diese Gefahren (Hepatitis, Ruhr, infektiöse Hauterkrankungen) werden erst bei einer Unterbrechung der Wasserversorgung wahrgenommen, wenn keine Körperpflege mehr möglich ist, wenn die Wohnungspflege vernachlässigt werden muss und die Fäkalien wegen mangelnder Toilettenspülung nicht entsorgt werden können. Bei den vorbeugenden Schutzmassnahmen muss auch mit dem Auftreten von neuartigen Krankheitserregern gerechnet werden, so mit Legionellen und mit pathogenen Escheria coli (siehe auch «VGL-Information» 2/99). Nichts berechtigt zur Annahme, dass von nun an alles so bleiben wird, wie es ist. Die Prof. Dr. Andreas Grohmann, Leiter Abteilung Trinkwasserhygiene, Umweltbundesamt, Corrensplatz 1, D-14195 Berlin, Telefon +49/30/8903 1588, www.umweltbundesamt.de PUSCH Thema Umwelt 1/2000 Ein Wasser, das «nur» die Parameterwerte einhält, ist als Trinkwasser unzumutbar, obwohl es rechtlich nicht zu beanstanden ist. Gesetze und Verordnungen sind nur notwendige Mindestanforderungen und nur unvollkommen geeignet als Massstab für gesundes Trinkwassers. Die Festsetzung von Grenzwerten für Parameter des Trinkwassers ist ein eigenständiger Prozess aus Kooperations-, Vermeidungs- und Verursacherprinzip, bei dem sowohl die technischen Möglichkeiten der Vermeidung als auch die gesundheitlich zulässigen Höchstkonzentrationen bei lebenslanger Aufnahme von Schadstoffen mit dem Trinkwasser zu berücksichtigen sind (Grohmann, 1996, WHO, 1993). Trinkwasser ist Träger, Ansporn, Mahnung und zugleich Sensor der Wirksamkeit von Umweltschutzmassnahmen. Am Beispiel des Trinkwassers werden einige wichtige Grundprinzipien des Umweltschutzes aufgezeigt. Die Wasser-Rahmenrichtlinie der EU, die 2000 verabschiedet werden soll, wird die Sicherung der Trinkwasserversorgung unterstützen. 15 Wasserversorgung Zürich Dossier «Umweltschutz in Europa» Die im Wasser festgestellten Konzentrationen betragen etwa 1⁄10 der Konzentrationen, die sich rechnerisch aus der Verordnung dieser Arzneimittel im Wasserversorgungsgebiet ergeben. So sind nur diejenigen Mittel im Wasser zu erwarten, die häufig verschrieben, verkauft und verwendet werden. Erst allmählich wird die Notwendigkeit anerkannt, dass neben den Bewertungen des Nutzens und der Risiken von Arzneimitteln auch die Umweltverträglichkeit betrachtet werden muss. Clofibrin beispielsweise wirkt zwar erst in Konzentrationen von 40 000 µg/l (40 mg/l) auf Leuchtbakterien negativ, beeinträchtigt aber die Reproduktion von Daphnien bereits mit Konzentrationen von etwa 10 µg/l. Besonders für grosse Städte ist eine nachhaltige Wasserversorgung sehr wichtig. Tierarzneimittel besonders problematisch PUSCH Thema Umwelt 1/2000 Hygiene muss vor dem Auftreten von neuartigen Krankheitserregern ständig auf der Hut sein. 16 Landwirtschaft hat den grössten Wasserbedarf Wo eine nachhaltige Wasserversorgung anzusetzen hat, zeigt der Wasserbedarf des Menschen (siehe Tabelle unten). Nicht die Versorgung mit Trinkwasser zur Zubereitung von Speisen und Getränken sowie zur Erhaltung der Hygiene benötigt am meisten Wasser, sondern die Landwirtschaft. Zur Erzeugung menschlicher Nahrung verbraucht sie 30- bis 60-mal so viel Wasser, wie direkt in die Siedlungen gelangt (Klon und Wolter, 1997). Dieser Zusammenhang bleibt in den nördlichen Ländern mit ausreichendem Regen verborgen. Wie wichtig die Wasserversorgung für die Landwirtschaft ist, wird erst in Gebieten mit langer Trockenzeit deutlich. Hier gilt, dass es Wasserbedarf je EinwohnerIn in m3/Jahr in Siedlungen und Haushalten für Herstellung von Lebensmitteln – ohne Fleisch – mit Fleisch 35 1000 2200 mittlere Industrie 50 Grossindustrie 50 keine Trinkwassernot gibt, solange genügend Wasser für die Landwirtschaft verfügbar ist. Denn es ist recht einfach, das vorhandene Wasser als Trinkwasser in den Städten zu nutzen, nach der Nutzung nahezu vollständig zu reinigen und es dann der Landwirtschaft zur Bewässerung in der Umgebung grosser Städte zur Verfügung zu stellen. Ein weiterer Aspekt betrifft die internationale Arbeitsteilung zwischen Wassernutzung und Lebensmittelproduktion (Zehnder, 1999). Mit importierten Lebensmitteln sparen zum Beispiel Israel etwa 800 m3/Jahr und Libyen etwa 600 m3/Jahr je EinwohnerIn an Wasser. Diese Mengen – virtuelles Wasser genannt – müssten ohne Import der Lebensmittel jährlich zusätzlich zur Verfügung gestellt werden, zum Beispiel durch weitere Entsalzungsanlagen. Mikroverunreinigungen: Arzneimittel und hormonaktive Stoffe Die Entdeckung von Arzneimittelrückständen im Wasser Anfang der 90er Jahre ist weder überraschend noch besonders alarmierend. Sie ist das Ergebnis einer verbesserten Analysentechnik, mit der sich geringe Spuren von Stoffen im Wasser nachweisen lassen. Dank des Nachweises lassen sich Massnahmen ergreifen, bevor eine Gesundheitsgefährdung eintreten kann. Die grösste Gefahr der Verunreinigung des Wassers geht von Tierarzneimitteln aus, die vorbeugend gegen Krankheiten oder zur Leistungsförderung eingesetzt werden. In der Gülle der Massentierhaltung finden sich so hohe Konzentrationen, dass bei Auswaschungen erhebliche Auswirkungen auf die Gewässer zu erwarten sind. Hinzu kommt die zunehmende Resistenz von Bakterien gegenüber wichtigen Antibiotika. Auf Tierarzneimittel sind deshalb dieselben Standards anzuwenden, die für andere Chemikalien üblich sind. Für Humanarzneimittel werden allerdings andere Massstäbe gelten, weil der Heilungserfolg nicht gefährdet werden darf. Da aber eine Belastung des Wassers nur von sehr häufig verkauften Arzneimitteln ausgeht, ist es angemessen, zusammen mit den Herstellern für diese wenigen Stoffe nach Wegen zu suchen, um die Belastungen des Wassers zu minimieren. Schwieriger wird die Bewertung der hormonellen Wirkung einiger Stoffe. Hierzu gehören Alkylphenole, Phtahlate, Tributylzinn-Verbindungen und auch DDT. Bei marinen Schnecken wurden Störungen der hormonellen Steuerung bereits bei Konzentrationen von 0,01 µg/l nachgewiesen, also weit unterhalb der bekannten anderen toxischen Wirkungsgrenzen. Das Problem kann weder durch Abwasserreinigung Dossier «Umweltschutz in Europa» Wasser aus Kreislauf ist so sicher wie aus unbelasteten Quellen Die Wasserversorgung funktionierte traditionellerweise meist nach dem Durchlaufprinzip: von der reinen Quelle durch die Stadt und als verbrauchtes Wasser in das Irgendwo, nach dem keiner fragt. Die Kontamination mit schwer abbaubaren Stoffen erscheint als Versagen der Sorgfaltspflicht der Verursacher, Versagen der Aufsicht der Behörden und Versagen der Politik bezüglich strenger, wirksamer Umweltschutzgesetze. Eine nachhaltige Entwicklung hingegen setzt auf den Kreislauf, entweder in einem Multibarrierensystem «Trinkwasser → mechanisch biologische Abwasserreinigung → weitergehende Abwasserreinigung → Oberflächengewässer → Bodenpassage/Uferfiltration → Trinkwasser» oder indirekt nach Verwendung des nahezu vollständig gereinigten Wassers in der Landwirtschaft. Beim Kreislauf sind Belastung und Reinigung integraler Bestandteil des Systems. Aufgabe der Verwaltung ist die Regulierung dieses Prozesses unter Einbeziehung der Bedürfnisse der Menschen und der technischen Möglichkeiten. Die Grenzen zwischen Durchlauf und Kreislauf werden immer weiter verschwimmen. Denn eine nachhaltige Wasserversorgung kann auf die Entfernung schwer abbaubarer organischer Verbindungen nicht verzichten. Eine Wasserversorgung mit Kreislauf des Wassers reagiert zwar empfindlicher auf Unachtsamkeiten im Umgang mit gefährlichen Stoffen, ist aber bei sachgemässer Bewertung, Beschränkung, Verbot oder aber biologischem Abbau von toxischen Stoffen im Klärwerk genauso sicher wie die Wasserversorgung aus einer unbelasteten Quelle. Dies ist von besonderer Bedeutung für die Entwicklung grosser Städte, die auf eine nachhaltige Wasserversorgung achten müssen. 䡲 Die Wasser-Rahmenrichtlinie der EU und das Trinkwasser Von 1972 bis 1980 hat die EU zahlreiche Richtlinien verabschiedet, die sich mit dem Schutz des Wassers befassten. Hiervon hatten auf die Trinkwasserversorgung neben der Trinkwasserrichtlinie 80/778/EWG (jetzt 98/83/EG) folgende weitere Richtlinien direkt oder indirekt Einfluss: 䊳 Richtlinie über Oberflächenwasser und Trinkwassergewinnung (75/440/EWG) 䊳 Grundwasserrichtlinie (80/68/EWG) 䊳 Richtlinie über die Ableitung gefährlicher Stoffe (76/464/EWG) Derzeit bestehen über 30 EU-Richtlinien, die den Wasserbereich betreffen. Dieser Flickenteppich, der sich aufgrund sehr unterschiedlicher Bedürfnisse und Probleme entwickelt hat, weist erhebliche Defizite und Inkonsistenzen auf. Die Wasserrichtlinien stellen damit keine befriedigende Grundlage für eine moderne europäische Wasserpolitik dar (Bundesumweltministerium, 1999). Diese Defizite sollen mit der Wasser-Rahmenrichtlinie (WRRL) durch ein modernes, kohärentes europäisches Wasserrecht behoben werden. Die WRRL ist mittlerweile in der Abstimmung zwischen der Kommission und dem Europäischen Parlament (Dokument 599PC0271, siehe http://europa.eu.int/eur-lex/de/com/ dat/1999/de_599PC0271.html). Mit einer Verabschiedung wird im Laufe des Jahres 2000 gerechnet. Zielsetzung Die Richtlinie hat folgende Ziele: 䊳 den Schutz und die Verbesserung der aquatischen Ökosysteme 䊳 die Förderung einer nachhaltigen Nutzung der Wasserressourcen Im Rahmen der Bestrebungen, einen guten Zustand der Gewässer herzustellen, soll auch Folgendes erreicht werden: 䊳 eine stetige Verringerung der Gewässerverschmutzung durch gefährliche Stoffe entsprechend den Meeresschutzabkommen 䊳 eine Verminderung der ökologischen Auswirkungen von Hochwasser und Dürren Einzig die inzwischen verabschiedete Trinkwasserrichtlinie (98/83/EG) wurde von der WRRL ausgenommen. Trotzdem ist eine Identifizierung der Trinkwasserhygiene mit den Zielen der WRRL möglich. Sowohl der Grundwasserschutz in Einzugsgebieten für die Trinkwasserversorgung als auch der Schutz vor gefährlichen Stoffen scheint ausreichend gesichert – umso mehr, als sich die WRRL ausdrücklich zu den Zielen der Vermeidung jeglicher Verschlechterung der aquatischen Umwelt bekennt. Auch die Aufstellung von Flussgebietsplänen für Flussgebietseinheiten mag als ein geeignetes Instrument zur Sicherung einer nachhaltigen Versorgung mit einwandfreiem Trinkwasser gelten. Jedenfalls sind daran erhebliche Hoffnungen geknüpft, auch wenn die Fristen für die Umsetzung der WRRL mit etwa 18 bis zu 30 Jahren sehr lang erscheinen. Literatur Bundesumweltministerium (Hrsg.): Neue Europäische Wasserrahmenrichtlinie. Umwelt Nr. 5/1999, S. 228–231, (www.umweltbundesamt.de/wasser/themen/5_99_wrrl.htm). Grohmann, A. (Red.), Umweltbundesamt (Hrsg.), (1996): Transparenz und Akzeptanz von Grenzwerten am Beispiel des Trinkwassers. Erich Schmidt Verlag, Berlin. Klohn, W. und Wolter, H. (1997): Perspectives of Food Security and Water Development. DVWK Bulletin 20, Deregulation, Decentralisation, Privatisation and Irrigation. Wirtschafts- und Verl.Ges. Gas und Wasser, Bonn. Umweltbundesamt: Jahresbericht 1996 und Jahresbericht 1997, Berlin (www.umweltbundesamt.de). WHO (World Health Organization, 1993): Guidelines for Drinking Water Quality, 2nd ed., Vol. 1: Recommendations. WHO, Geneva. Zehnder, A.J.B.: Wassernutzung und Nahrungsmittelproduktion – eine internationale Arbeitsteilung? Eawag news 46 (1999), 18–20 (Eawag, 8600 Dübendorf; www.eawag.ch). PUSCH Thema Umwelt 1/2000 noch durch besondere Verfahren der Trinkwasseraufbereitung vollständig gelöst werden, sondern nur durch strenge Beschränkung oder durch Verbot der beanstandeten Stoffe. 17 Dossier «Umweltschutz in Europa» Gesamtheitliche Wassernutzung in der Schweiz im Lichte der europäischen Entwicklung Die schweizerische Gesetzgebung ist – hinsichtlich der Wasser-Rahmenrichtlinie – EU-konform. In einzelnen Punkten sind die schweizerischen Bestimmungen strenger als jene der EU. Die Koordination mit dem Ausland wird hauptsächlich über die internationalen Kommissionen und Abkommen laufen, an denen die Schweiz schon seit langem beteiligt ist. PUSCH Thema Umwelt 1/2000 von Christian Furrer 18 Die Wasserwirtschaft beschäftigt sich umfassend mit den Eingriffen in den Wasserkreislauf, welche der Nutzung der Wasservorkommen, dem Schutz der Gewässer und der Abwehr schädigender Wirkungen des Wassers dienen. In Artikel 24 der Bundesverfassung von 1874 wurde dem Bund die Oberaufsicht über Wasserbau- und Forstpolizei zugewiesen: Das Wasserbaupolizeigesetz von 1877 (Hochwasserschutz) ist das erste Bundesgesetz im Bereich der Wasserwirtschaft. Im Jahre 1908 folgte der Wasserwirtschaftsartikel der Bundesverfassung (Art. 24bis), der als Nutzungsartikel mengenmässige Eingriffe in den Wasserhaushalt regelte. Das Bundesgesetz von 1916 über die Nutzbarmachung der Wasserkräfte leitete den Ausbau der Wasserkraftnutzung zur Energieerzeugung ein, der in den Jahren 1946 bis 1970 seine Blütezeit erreichte. Der Anteil der Wasserkraft – als einheimische und erneuerbare Energie – an der Elektrizitätsproduktion in der Schweiz beträgt heute 60 Prozent. Von der sektoralen zur übergreifenden Wasserwirtschaft Im Jahre 1953 wurde die Bundesverfassung durch einen Artikel zum Schutz der Gewässer gegen Verunreinigung (Art. 24quater) ergänzt, 1955 wurde das Dr. Christian Furrer, Direktor, Bundesamt für Wasser und Geologie BWG, Postfach, 2501 Biel, Telefon 032/328 87 83, [email protected], www.bwg.admin.ch erste Gewässerschutzgesetz (qualitativer Schutz) erlassen und 1971 revidiert. Mit der Aufnahme eines neuen Wasserwirtschaftsartikels (24bis) in die Bundesverfassung wurde dann 1975 die Basis für eine ganzheitliche Betrachtungsweise geschaffen. Die anzustrebenden Ziele sind wie folgt umschrieben: Haushälterische Nutzung und Schutz der Wasservorkommen sowie Abwehr schädigender Einwirkungen des Wassers, unter Berücksichtigung der gesamten Wasserwirtschaft. Diese Ziele stehen auch im Artikel 76 (Absatz 1) der neuen Bundesverfassung. Das 1992 vom Schweizer Volk gutgeheissene revidierte Gewässerschutzgesetz brachte entscheidende Verbesserungen, indem es unter anderem für Flüsse und Bäche angemessene Restwassermengen festlegt, den natürlichen Wasserkreislauf unterstützt und den Grundwasserschutz verstärkt. Das Wasserbaugesetz von 1991 will bauliche Eingriffe auf ein Minimum beschränken und die Wiederherstellung naturnaher Verhältnisse ermöglichen. Fünf Wasserziele in der Departementsstrategie Im Zweckartikel der neuen Bundesverfassung (Artikel 2 Absatz 2) verpflichtet sich die Schweizerische Eidgenossenschaft dazu, die nachhaltige Entwicklung zu fördern. An diesem Grundsatz orientiert sich auch die Departementsstrategie des Bundesamtes für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation Uvek, die per 1. Januar 2000 erlassen wurde. Bei der Erfüllung der wasserwirtschaftlichen Aufgaben haben die Bundesämter – insbesondere das Buwal und das Bundesamt für Wasser und Geologie BWG – die ökologische, wirtschaftliche und soziale Dimension der Nachhaltigkeit zu berücksichtigen. Dies setzt eine ständige Abwägung der drei Schlüsselfaktoren der Nachhaltigkeit (Wirtschaft, Soziales und Ökologie) voraus. Es wird nicht einfach sein, diesem Anspruch gerecht zu werden. Denn im konkreten Einzelfall ist häufig umstritten, wie die Zielkonflikte zwischen ökologischen Anforderungen, volkswirtschaftlichen Bedürfnissen und den Anliegen der Bevölkerung zu lösen sind. Für die Wasserressourcen gelten – gemäss Strategie – folgende Ziele: 䊳 Die sichere Versorgung mit Trinkwasser von ausreichender Qualität (ganzheitlicher Schutz der Grundwasservorkommen, wo erforderlich qualitativ verbessert und angereichert). 䊳 Genügend Ressourcen von ausreichender Qualität und Menge für Industrie, Landwirtschaft, Fischerei, Transport und Wasserkraftnutzung. 䊳 Erhaltung oder Wiederherstellung natürlicher Wasserkreisläufe; Gewässer als natürliche Lebensräume für Tiere und Pflanzen. 䊳 Effiziente Bewirtschaftung des Wassers mit dem Ziel, Hochwasserschäden und die Folgen von Trockenheit zu minimieren. 䊳 Nutzung der Wasserkraft – als einheimische und erneuerbare Energie – mindestens auf dem heutigen Niveau. Zielkonflikte offen legen Durch eine amtsübergreifende Kooperation will der Bund sicherstellen, dass Der Schutz des Rheins soll mit dem Übereinkommen vom 12. April 1999 verbessert werden. Dieses liegt bei den eidgenössischen Räten zur Ratifizierung vor. die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit frühzeitig einbezogen werden. Dabei sind die Zielkonflikte offen zu legen und die getroffenen Wertungen zu begründen. Der Bund sucht gemeinsam mit externen Partnern in- und ausserhalb der Bundesverwaltung nach tragfähigen Lösungen. Er ist sich bewusst, dass er seine Ziele nicht allein erreichen kann, sondern auf eine enge Zusammenarbeit mit Kantonen, Gemeinden, öffentlichen und privaten Unternehmungen sowie gemeinnützigen Organisationen angewiesen ist. Grenzüberschreitende Wasserwirtschaft Bei der Europäischen Wasser-Rahmenrichtlinie (WRRL) geht es vor allem um die Qualitätsverbesserung von Oberflächengewässern und Grundwasser (s. Kasten Seite 17). Ziele und Massnahmen sollen innerhalb von Einzugsgebieten (Flussgebietseinheiten) umgesetzt werden. Wenn eine Flussgebietseinheit über das Gebiet der Gemeinschaft hinausgeht, bemühen sich die Mitgliedstaaten um geeignete Koordinierung mit den entsprechenden Nichtmitgliedstaaten (Erwägung 31, Artikel 3 Ziffer 5). Das betrifft insbesondere auch die Schweiz. Sie wird Ansprechstellen bezeichnen müssen, damit die nach Anhang 1 zuständigen Behörden aus dem EU-Raum über entsprechende Partner verfügen. Diese Stossrichtung steht im Einklang mit der von der Schweiz 1995 ratifizierten Helsinki-Konvention: Übereinkommen zum Schutz und zur Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe und internationaler Seen. Dieses Rahmenübereinkommen bezweckt die Verstärkung der Massnahmen zum Schutz ober- und unterirdischer grenzüberschreitender Gewässer. Es ist auf die Verbesserung der Wasserqualität ausgerichtet. Auf bilateraler Ebene bestehen schon lange vertragliche Beziehungen mit EUStaaten zum Schutz von Gewässern, was zeigt, dass die Bestrebungen auf beiden Seiten in die gleiche Richtung gehen. Schweiz an multilateralen Übereinkommen beteiligt Auf multilateraler Ebene zu erwähnen sind die Vereinbarung vom 29. April 1963 über die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigungen und das Übereinkommen vom 3. Dezember 1976 zum Schutz des Rheins gegen chemische Verun- reinigung. Beide Vereinbarungen werden jetzt durch das Übereinkommen vom 12. April 1999 zum Schutz des Rheins abgelöst. Der Bundesrat hat am 8. Oktober 1999 beschlossen, den eidgenössischen Räten die Genehmigung des Übereinkommens zu beantragen. Das neue Rheinschutz-Übereinkommen ist mit der Wasser-Rahmenrichtlinie vereinbar. Es ist einer ökologisch ganzheitlichen Betrachtung des Rheins verpflichtet. Insbesondere sollen die natürlichen Fliessgewässerfunktionen einschliesslich der freien Fischwanderung gewährleistet werden. Bei technischen Ausbaumassnahmen im Bereich des Hochwasserschutzes, der Schifffahrt und der Wasserkraftnutzung müssen die ökologischen Erfordernisse berücksichtigt werden. Die Schweiz kann die Verpflichtungen des neuen Übereinkommens erfüllen, ohne das nationale Gewässerschutzrecht zu erweitern oder zu verschärfen. CH-Recht ist eurokonform In den vergangenen Jahrzehnten wurden in der Schweiz und in den EU-Ländern erfreuliche Fortschritte in der Wasserpolitik erzielt. Es ist auch klar geworden, dass Wasser keine Grenzen kennt: Die Bedeutung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere innerhalb der gemeinsamen Einzugsgebiete, hat zugenommen. Die Wasser-Rahmenrichtlinie der EU wird dieser Entwicklung neue Impulse geben. Die schweizerische Gesetzgebung ist – bezüglich Wasser-Rahmenrichtlinie – EU-konform. In einzelnen Punkten sind die schweizerischen Bestimmungen strenger als jene der EU. Tendenzen und Stossrichtung sind auf beiden Seiten dieselben. In Zukunft wird es unter anderem darum gehen, auf internationaler Ebene die Grundlagen besser gegenseitig abzustimmen. Oberlieger und Unterlieger an Flussgebieten sind aufeinander angewiesen. Dabei ist stets von einer ganzheitlichen Betrachtungsweise auszugehen: Eine zukunftsweisende Hochwasservorsorge – wie sie zum Beispiel grenzüberschreitend auf dem Rhein angestrebt wird – muss im Einklang mit einem ökologisch ausgerichteten Gewässerschutz stehen. 䡲 PUSCH Thema Umwelt 1/2000 Keystone Dossier «Umweltschutz in Europa» 19 Dossier «Umweltschutz in Europa» Zeitgemässe Strukturen für die Schweizer Wasserversorgung Die Öffentlichkeit fordert von der Schweizer Wasserversorgung mehr Flexibilität und Wirtschaftlichkeit. Dies ist nur mit neuen Strukturen zu erreichen. Als bestmögliche Organisationsform für das Trinkwassermonopol werden selbstständige, regionale oder überregionale Wasserversorgungsunternehmen vorgeschlagen, die mehrheitlich in Besitz der versorgten Gemeinden sind. PUSCH Thema Umwelt 1/2000 von Hans-Peter Klein Die Schweizer Wasserversorgung ist mit ihren gegenwärtigen Strukturen schlecht für die auf sie zukommenden Aufgaben vorbereitet. Es fragt sich, wie sie sich den zukünftigen Herausforderungen nach mehr Effizienz, grösserer Kundennähe und Leistungsfähigkeit stellen will. Dabei dürfen nicht nur wirtschaftliche Gesichtspunkte und eine kurzfristige Gewinn-Maximierung im Vordergrund stehen, wie es bei einem natürlichen Monopol naheliegen würde. Vorrangig berücksichtigt werden müssen Wasserqualität und Versorgungssicherheit und zumindest gleichrangig Kundenzufriedenheit, Umweltverträglichkeit und auch ethische Gesichtspunkte wie das Recht jedes Menschen auf ausreichende Versorgung mit Wasser. 20 Unterschiedliche Rechtsformen In der Schweiz steht überall ausreichend gutes Wasser für die Trinkwasserversorgung zur Verfügung, sei dies Quell- und Grundwasser oder Wasser aus Seen und Flüssen. Dies hat, zusammen mit der föderalistischen Struktur der Schweiz und dem Streben nach weitgehender Autonomie, zu einer sehr starken Aufsplitterung der Wasserversorgung geführt. Bund und Kantone haben die Verantwortung für die Wasserversorgung an die Gemeinden delegiert. Deshalb gibt es für eine Bevölkerung von rund 7 Millionen in der Schweiz mehr als 3000 Wasserversorgungsunterneh- Hans-Peter Klein, Direktor Wasserversorgung Zürich, Hardhof 9, 8023 Zürich, Telefon 01/435 21 11, [email protected], www.wvz.ch men, die in der Regel von der politischen Gemeinde selbst in Form von öffentlichen Anstalten oder Kooperationen betrieben werden. Vereinzelt existieren Aktiengesellschaften mit der öffentlichen Hand und auch Privaten als Teilhaber. Zudem vernetzen zur Zeit mehrere Gemeinden ihre Wasserversorgungen und schliessen sich in Gruppenwasserversorgungen als öffentlich-rechtliche Zweckverbände oder als einfache Gesellschaften zusammen, um die Aufgabe der Wasserversorgung, insbesondere Wassergewinnung und Spitzenabdeckung, gemeinsam zu lösen. In den Ballungsgebieten Zürich, Genf, Bern und Basel kommt zu der Gruppenwasserversorgung die Überlagerung mit einem überregionalen Verbundsystem hinzu. Ausser den reinen Wasserversorgungen existieren in vielen Gemeinden Polyversorger, also Betriebe, die mehrere Versorgungsaufgaben – Wasser, Gas, Strom und Kabelfernsehen – wahrnehmen. Dagegen kommt es praktisch nicht vor, dass Wasserversorgung und Abwasserentsorgung unter einer gemeinsamen Unternehmungsführung stehen. Ungeeignete Struktur durch extreme Grössenunterschiede Auch die Grössen der verschiedenen Wasserversorgungen sind sehr unterschiedlich. Lediglich fünf Versorgungen – Basel, Bern, Genf, Lausanne und Zürich – geben Trinkwasser an jeweils mehr als 100 000 Personen ab. Diese fünf Versorgungen liefern zusammen jährlich rund 250 Millionen Kubikmeter Wasser an ihre Kunden, während es bei den über 1200 Klein- und Kleinstversorgungen mit jeweils weniger als 500 KundInnen lediglich 50 Millionen Kubikmeter sind. Diese Struktur ist für die Lösung heutiger und zukünftiger Probleme aus verschiedenen Gründen nicht mehr geeignet: 1. Die öffentlichen Unternehmen und damit auch die Wasserversorgung sind zu wenig flexibel und effizient. Dies ist auf die Politisierung unternehmerischer Entscheide zurückführen. Auch rein betriebswirtschaftliche Entscheide über Sparmassnahmen, dringend notwendige Investitionen oder begründete Tarifanpassungen unterliegen politischen Stimmungen. Die Entscheidungswege sind oftmals lang und kompliziert. 2. Die Finanzknappheit der öffentlichen Hand verzögert oder verhindert notwendige Investitionen für Unterhalt und Erneuerung der kapitalintensiven Infrastrukturen. Die Folge davon ist ein teilweise schlechter Zustand der Anlagen und des Leitungsnetzes und ein Investitionsstau. Investitionen, die heute vernachlässigt werden, müssen die nächsten Generation tragen. Hier können neue Finanzierungsmodelle weiterhelfen. 3. Viele Wasserversorgungen arbeiten heute aufgrund mangelnder Koordination unter den Gemeinden und wegen ihrer unterschiedlichen Betriebsgrössen unwirtschaftlich. Zum Teil entstehen volkswirtschaftlich unsinnige Überkapazitäten, anstatt dass vorhandene Synergien genutzt würden. Durch gemeinsam genutzte Produktions- und Speicherkapazitäten kann beispielsweise die Versorgungssicherheit ohne Mehrkosten erhöht werden. 4. Darüber hinaus kommen die kleinen Wasserversorgungen zunehmend in Schwierigkeiten wegen der steigenden gesetzlichen Anforderungen (Hygienevorschriften, Selbstkontrolle, Qualitätssicherung, Arbeitssicherheit, Notwasserversorgung). Mit dem vorhandenen Personal, das häufig nicht über die notwendige Fachausbildung verfügt, sind die höheren Standards nur noch schwer erfüllbar. Um ihnen genügen zu können, benötigen die Wasserversorgungen Werkpersonal mit einer weitergehenden Ausbildung. Fotos: Wasserversorgung Zürich Dossier «Umweltschutz in Europa» Lösungsansätze zur betriebswirtschaftlichen Optimierung Politische und unternehmerische Verantwortung trennen Bei der Umstrukturierung der Schweizer Wasserversorgung sollten die Erfahrungen des Auslandes genutzt werden. Die Ansprüche an die Wasserqualität steigen. Um sie zu erfüllen, ist gut ausgebildetes Personal notwendig. Gleichzeitig gilt es, den besonderen Umständen der Schweiz mit den reichlich vorhandenen Wasserressourcen und dem relativ guten Zustand der bestehenden Anlagen und des Leitungsnetzes Rechnung zu tragen. Auch die berechtigten Forderungen der VerbraucherInnen nach weiterhin hoher Versorgungssicherheit und guter Wasserqualität sind zu berücksichtigen. Unter diesen Voraussetzungen ist ein stufenweises Vorgehen möglich: In einem ersten Schritt sind die staatlichen Unternehmen zu verselbstständigen, das heisst aus der Verwaltung auszugliedern. Sie könnten zu privaten Gesellschaften werden, die aber weiterhin ganz oder zumindest mehrheitlich im Besitz der Gemeinden sind. Durch diese Ausgliederung werden politische und unternehmerische Verantwortung getrennt. Das Unternehmen bleibt unter staatlicher Kontrolle, weil PolitikerInnen in den Verwaltungsrat Einsitz nehmen. Die Politik konzentriert sich dort unter Wahrung des gesetzlichen Leistungsauftrags auf die Festlegung der langfristigen Unternehmensziele und der zugehörigen Strategie. Die Unternehmensführung andererseits nimmt die operativen Aufgaben wahr. Mit der so gewonnenen Handlungsfreiheit kann sie besser und schneller auf neue oder veränderte Situationen reagieren. Für notwendige Investitionen kann die bestmögliche Finanzierung gesucht werden. Kontrollmechanismen Bei einer Verselbstständigung stellt sich die Frage nach der Preiskontrolle, die verhindert, dass das Monopol missbraucht wird. Diese nimmt heute bei den Gemeindeunternehmen die Politik und letztendlich, mittels des Finanzreferendums, die Stimmbevölkerung wahr. Neu fällt diese Aufgabe dem Preisüberwacher zu. Er ist befugt, unter gewissen Bedingungen Tariferhöhungen zu verbieten oder sogar Tarifreduktionen zu verfügen. Dies fordert von den Unternehmen eine offene Darlegung ihrer Kosten. Zusätzlich braucht es eine technische Aufsicht. Sie wacht darüber, dass die Wasserversorgung nicht eine Gewinnmaximierung zu Lasten der Anlagesubstanz, der Umwelt oder der Zukunftsplanung macht. Diese Aufgabe nehmen heute bei den Gemeindebetrieben kantonale Behörden wahr. Die Beantwortung der Fragen nach Preisüberwachung und technischer Kontrolle sind schon jetzt aktuell, da von der geplanten und eingeleiteten Verselbstständigung von Polyversorgern auch Wasserversorgungen betroffen sind. Es bleibt zu hoffen, dass diese PUSCH Thema Umwelt 1/2000 Es gibt verschiedene Ansätze für die Neuorganisation der Wasserversorgung. Diese reichen von einer vollständigen Überführung in Privateigentum, wie sie in England praktiziert wurde, über die Bildung selbstständiger Unternehmen ausserhalb der Verwaltung, die aber im Besitz der versorgten Gemeinden bleiben, wie in den Niederlanden, bis hin zur Gewährung von mehr operativer Freiheit im Rahmen des New Public Management. Daneben finden Zusammenschlüsse zu grösseren, leistungsfähigeren Unternehmen teilweise unter Einbezug der Abwasserentsorgung statt. Bei allen Ansätzen kann jedoch kein echter Wettbewerb zur Effizienzsteigerung geschaffen werden, da die Trinkwasserversorgung ein natürliches Monopol ist: Die KonsumentInnen eines Gebietes können aus wirtschaftlicher Sicht nur über ein einziges Verteilnetz versorgt werden. Für die Verteilung kann es daher keinen Wettbewerb geben. Und auch hinsichtlich der Förderung des Trinkwassers sind der Einführung eines freien Wettbewerbes aus Gründen des Gewässerschutzes und des nachhaltigen Ressourcenschutzes enge Grenzen gesetzt. Den Beweis, dass ein privates Monopol als oberstes Ziel die Gewinnmaximierung und nicht die Kundenzufriedenheit hat, haben die privaten englischen Wasserversorgungsunternehmen in den letzten 10 Jahren erbracht. Deshalb scheint es wichtig, dem staatlich kontrollierten Monopol den Vorzug zu geben. 21 Dossier «Umweltschutz in Europa» Unternehmen sich nicht den im Folgenden beschriebenen regionalen Zusammenschlüssen verweigern, weil ihnen das gewinnträchtige Monopol für Quersubventionierungen dienen kann. PUSCH Thema Umwelt 1/2000 Grössere Betriebe nötig 22 Die Verselbstständigung alleine hat keinen Einfluss auf die volkswirtschaftlich sinnvolle Planung und Nutzung der Anlagen sowie die wirtschaftlich optimale Betriebsführung. Dies ist nur mit der Schaffung von grösseren Unternehmen wie in England oder Holland möglich. Deshalb müssen auch in der Schweiz in einem zweiten Schritt die verselbstständigten, aber vielfach zu kleinen und daher unwirtschaftlichen Wasserversorgungen zusammengeschlossen werden zu leistungsfähigen regionalen oder überregionalen Unternehmen. Diese sind für Wassergewinnung, Aufbereitung, Transport, Speicherung und Verteilung zuständig. Damit verschwinden auch die unsinnigen politischen Grenzen von Versorgungsgebieten zugunsten natürlicher, geografischer Grenzen. Diese Unternehmen können die vielfältigen Synergien nutzen, unter anderem bei der Qualitätssicherung, Wartung und Unterhalt der Anlagen, der Lagerhaltung, beim Bereitschaftsdienst, der Wasseranalytik und den Installationskontrollen sowie bei kaufmännischen Aufgaben und bei der Öffentlichkeitsarbeit. Die von der Tagespolitik unabhängige Unternehmungsführung sorgt für klare Entscheidungen, für deren rasche Kommunikation und die Vermeidung von Doppelspurigkeiten. 䡲 Nachhaltige Wassernutzung in der Schweiz, in Europa und weltweit Die nachhaltige Wassernutzung gibt es nicht. Es geht vielmehr darum, problematische Nutzungsarten schrittweise zu verbessern, sprich nachhaltiger zu gestalten. Je nach Problem- und Bedürfnislage sind dabei unterschiedliche Stossrichtungen erforderlich. Das gilt nur schon innerhalb der Schweiz. Gar völlig andersartige Situationen finden sich in der Dritten Welt oder in Schwellenländern. Gemeinsam ist, dass Nachhaltigkeit in ökologischer, ökonomischer und sozialer Hinsicht sehr oft nicht besteht. In der EU und in der Schweiz sind die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen, die Umsetzung wird jedoch 20 bis 30 Jahre erfordern. von Ueli Bundi Die Europäische Union EU postuliert mit ihrer Wasser-Rahmenrichtlinie (WRRL), dass die lebensnotwendigen Nutzungen der Gewässer gewährleistet sein müssen. Sie sind aber so auszulegen, dass die Gesundheit der Menschen nicht beeinträchtigt wird und die Gewässerökosysteme als naturnahe Lebensräume für Tiere und Pflanzen bestehen können. Weit entfernt von den Zielen Von den erwähnten Zielen sind wir heute in Mitteleuropa weit entfernt. Viele Gewässer sind stark verbaut und können wichtige Funktionen nicht erfüllen, zum Beispiel als naturnahe Lebensräume und erbauliche Elemente der Landschaft. Weiterhin gibt es gefährliche chemische Belastungen. Das haben uns die Erkenntnisse über hormonelle Wirkungen von Chemikalien und Medikamenten, die sich in einer Vielzahl im Wasser finden, wieder vor Augen geführt. Der Konflikt zwischen der Wasserkraftnutzung und den ökologischen Funktionen der Gewässer spielt gerade in den Alpenländern weiterhin eine wichtige Rolle. Der moderne Gewässerschutz hat auch einen hohen Preis. Kos- ten und Vollzugsaufwand sind enorm, ebenso der Bedarf an finanziellen, technischen und materiellen Mitteln. In Regionen, wo sich Ballungsräume und die Landwirtschaft rasch entwickeln, wie etwa in Teilen Südeuropas, wird das Wasser zunehmend rar und zugleich verunreinigt. Es entsteht ein grosser Druck zur Nutzung tiefliegender Grundwässer, die sich nur langsam erneuern, sowie zur Fernwasserversorgung. Dies führt zu gravierenden, langfristig wirksamen ökologischen Problemen. Primäre Bedürfnisse stillen In den Entwicklungsländern haben über eine Milliarde Menschen keinen Zugang zu qualitativ und quantitativ genügendem Trinkwasser. Gar mehr als 1,7 Milliarden Menschen sind praktisch ohne hygienische Fäkalienentsorgung. Die Folge davon sind verbreitete Infektionskrankheiten, die zu vielen Todesfällen führen. Hier geht es primär darum, einen minimalen Wasserkomfort zu gewährleisten und damit grundlegende hygienische Bedürfnisse zu befriedigen. Bestehende Konflikte mildern Das Recht der BürgerInnen auf eine ausreichende Versorgung mit qualitativ gutem Wasser ist genauso wichtig wie die Wirtschaftlichkeit der Versorgungen. Ueli Bundi, Präsident Pusch, Mitglied Direktion Eidg. Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz Eawag, 8600 Dübendorf, Telefon 01/823 50 21, [email protected], www.eawag.ch Wasser ist ein Schlüsselfaktor für Entwicklung, Wohlstand und Wohlergehen, ausschlaggebend für die Natur, die Pro- Dossier «Umweltschutz in Europa» Der Beitrag von Praktischer Umweltschutz Schweiz Pusch zur nachhaltigen Ressourcennutzung nutzung. Der Transfer geht von der Wissenschaft, Wirtschaft, den Behörden und der Politik zu den Handelnden und Betroffenen, speziell den Gemeinden, den Dienstleistern und der Bevölkerung. Er erfolgt in unterschiedlicher Form, beispielsweise durch Seminarien, Ausbildungskurse und konkrete Handlungshilfen. Der Transfer geht aber auch in umgekehrter Richtung. Denn auch beim konkreten Handeln entsteht neues Wissen und Know-how, das die Entwicklung der Ansätze und Instrumente der nachhaltigen Umweltnutzung massgeblich befruchten kann. Um die Transfers bewerkstelligen zu können, muss Transferstelle für nachhaltige Ressourcennutzung Wi rtsc haf t Entwicklungsländer PUSCH t Rech Pusch versteht sich als Transferstelle für Wissen, Know-how und gesetzliche Vorgaben zur nachhaltigen Ressourcen- duktion von Nahrungsmitteln, die Gesundheit und die Wirtschaft. Es ist durch nichts ersetzbar und muss bewusst und sorgfältig bewirtschaftet werden. Am Wasser bestehen zumeist verschiedene, sich widersprechende Interessen. Nach- Partnerschaften Behörd en Wissenschaft Transferstelle für nachhaltige Umweltnutzung Pusch die Materie selber verdauen und für die jeweiligen EmpfängerInnen verständlich machen. Auch daraus entsteht neues Wissen und Know-how. Pusch sucht in ihrer Tätigkeit immer die aktive Partnerschaft mit anderen privaten und öffentlichen Institutionen. Dadurch lassen sich Kräfte bündeln und Synergien erzeugen. Ihr Engagement für und mit verschiedenartigen Gruppierungen macht Pusch auch zur Vermittlerin zwischen unterschiedlichen Interessen. Die Rolle als Mediatorin hat für sie in der Abfallwirtschaft bereits Tradition und wird auch bei der Wasserund bei anderen Ressourcennutzungen zum Tragen kommen. k liti Po Mediation haltiges Nutzen heisst in jedem Fall, die unterschiedlichen Nutzungsinteressen gesamthaft zu erfassen und die bestehenden Konflikte mit Blick auf ein optimales Gemeinwohl zu behandeln und zu mildern. Die Konfliktlösung soll in Schwellenländer Entwickelte Länder Hygiene Nahrung Komfort Wohlstand Ökologie Ästhetik Die Anforderungsprofile einer nachhaltigen Wassernutzung sind je nach Ausgangslage unterschiedlich (sie variieren allerdings auch innerhalb der Ländertypen). r tze Nu ter Belas Dienstleister Gemeinde n Schu len B ev öl k eru ng transparenten Verfahren unter Beteiligung aller Interessierten und Betroffenen geschehen. Die Wegfindung der nachhaltigen Wassernutzung ist auf gute methodische, technische, wirtschaftliche und politische Instrumente angewiesen. Zu erwähnen sind beispielsweise die Technologien zur Wasserversorgung, zur Abwasserbehandlung oder zur Bewässerung in der Landwirtschaft. Eine wichtige Rolle spielen auch wirtschaftliche Anreizsysteme, welche die wirtschaftliche und ökologische Optimierung der Wassernutzung massgeblich unterstützen können. In der EU und in der Schweiz sind diese Zusammenhänge erkannt und sollen nun zum Tragen kommen. Die Umsetzung erfolgt als Fortsetzung der bisherigen Anstrengungen zum Gewässerschutz und wird uns in den kommenden 20 bis 30 Jahren stark fordern. 䡲 PUSCH Thema Umwelt 1/2000 Die Stiftung Pusch will als massgebende Kraft für eine nachhaltige Ressourcennutzung auf lokaler und regionaler Ebene wirken. Sie versteht sich dabei als vertrauenswürdige Partnerin aller Akteure und Betroffenen. Der lokal-regionale Fokus steht im Vordergrund, weil das Handeln hier unmittelbar wirksam ist für die Lebensqualität der ansässigen Bevölkerung. Damit können aber auch wichtige Beiträge zur Lösung nationaler und internationaler Umweltprobleme geleistet werden. Lokal und regional getragenes Handeln bildet die Voraussetzung für nachhaltige Fortschritte auf jeder Ebene der Umweltentwicklung. Als nationale Organisation konzentriert sich Pusch auf schweizerische Lokalitäten. Sie wird aber auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit fördern und ihre Ansätze im internationalen Kontext ausrichten. 23 Ansichtssache Verbandsbeschwerderecht unter Beschuss Seit über 30 Jahren sehen das Umweltschutzgesetz (USG) sowie das Natur- und Heimatschutzgesetz (NHG) ein Verbandsbeschwerderecht vor. Dieses erlaubt es, national aktiven, beschwerdeberechtigten Verbänden gegen Bau- und Infrastrukturvorhaben Beschwerde zu erheben, um die gültigen Gesetzesbestimmungen durchzusetzen. Eine parlamentarische Initiative verlangt zurzeit seine Aufhebung. Hans Fehr, Nationalrat SVP und Initiant, und Martin Bösch, Präsident von Pro Natura, erläutern ihre Gründe für die Abschaffung respektive die Beibehaltung des Beschwerderechts. PUSCH Thema Umwelt 1/2000 Stopp dem Missbrauch mit Verbandsbeschwerde 24 Hans Fehr, Nationalrat SVP, Eglisau 1999 reichte ich im Nationalrat meine Parlamentarische Initiative zur «Abschaffung des Verbandsbeschwerderechts im Bau- und Planungsbereich» – zusammen mit 82 NationalrätInnen – ein (siehe Kasten). Und ich nehme davon kein Wort zurück. Im Gegenteil: Es ist völlig unverständlich, dass der Bundesrat vor 11⁄2 Jahren auch noch der militanten Organisation Greenpeace Schweiz die Beschwerdelegitimation verliehen hat – einer Organisation, die 1998 vom Bundesgericht wegen Hausfriedensbruchs und Nötigung strafrechtlich verurteilt worden ist! Ein typisches Beispiel Stellvertretend für hunderte von anderen Fällen sei das folgende Beispiel genannt: Vor gut sechs Jahren wollte ein Unternehmen in Biel ein Einkaufszentrum erstellen. Vorschriftsgemäss wurde zunächst der Nachweis erbracht, dass Hans Fehr, Geschäftsstelle AUNS, Postfach 218, 3000 Bern 16, Tel. 031/356 27 27, [email protected], www.auns.ch das Vorhaben nötig, sinnvoll und von Nutzen sei. Die kantonalen Behörden gaben grünes Licht. Danach brauchte es eine Änderung des Zonenplanes sowohl der Stadt Biel als auch des regionalen Richtplanes. Die betroffenen Gemeinden und die Stimmberechtigten der Stadt Biel haben diesen Änderungen zugestimmt, und damit im Grundsatz auch dem Projekt. Aufgrund der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) wurde das Projekt redimensioniert, die Bedingungen der UVP wurden erfüllt. Danach reichte die Bauherrschaft das Baugesuch ein. Das Vorhaben wurde jedoch auf unbestimmte Zeit blockiert – durch eine Beschwerde des VCS! Beschwerderecht von Städten, Gemeinden und Direktbetroffenen bleibt gewahrt Wenn von Befürworterseite gebetsmühleartig behauptet wird, nur ein relativ kleiner Teil der Beschwerden stamme von Umwelt- und Heimatschutzverbänden, so geht dies am Problem vorbei. Genau in diesen leider zahlreichen Fällen geht es oft um Bauvorhaben in vielfacher Millionenhöhe und um wichtige volkswirtschaftliche Vorhaben wie beispielsweise «Bahn 2000» im Raum Langenthal. Und genau in diesen Fällen handeln die Umweltverbände oft willkürlich, unberechenbar, und sie verstossen gegen Treu und Glauben. Fazit: Das oft willkürlich angewandte und als Drohungs-, Erpressungs- und Blockierungsinstrument missbrauchte Verbandsbeschwerderecht muss abgeschafft werden. Das sinnvolle Beschwer- Initiative zur «Abschaffung des Verbandsbeschwerderechts im Bau- und Planungsbereich» «Das Verbandsbeschwerderecht, insbesondere jenes der Umweltschutzorganisationen, das vor über 25 Jahren auf Bundesebene eingeführt wurde, erweist sich immer mehr als folgenschwerer Hemmschuh für unsere Wirtschaft, für Gewerbe und Arbeitsplätze. Dringend nötige Bauvorhaben im öffentlichen und privaten Bereich werden durch Verbandsbeschwerden, die wie ein Vetorecht wirken, oft auf Jahre hinaus verzögert, blockiert oder sogar verhindert. Verbandsbeschwerden setzen oftmals die Entscheide von demokratisch gewählten Behörden oder des Volkes ausser Kraft. Dies ist sowohl aus wirtschaftlicher als auch aus rechtsstaatlicher Sicht unhaltbar. Die Verbände haben in der Regel einen sehr langen Atem; sie ziehen die Beschwerden nicht selten bis ans Bundesgericht. Investoren werden unter Druck gesetzt und mit Beschwerdedrohungen geradezu erpresst, damit Bauvorhaben in ihrem Sinne ausgeführt oder verhindert werden. Den Schaden haben die öffentlichen und privaten Investoren, die Gewerbetreibenden, also jene Leute, die arbeiten, Arbeitsplätze schaffen und Steuern bezahlen. Die oft willkürliche Verzögerungs- und Verhinderungspraxis von Verbänden wirkt sich in wirtschaftlich schwierigen Zeiten besonders verheerend aus. Eine Umfrage der kantonalen Baudirektorenkonferenz und weitere Abklärungen haben ergeben, dass derzeit baureife Investitionsvorhaben von vielen Milliarden Franken durch Verbandsbeschwerden und durch «politische Unwägbarkeiten» blockiert werden oder während Jahren blockiert und zum Teil gar verhindert wurden. Beispiele sind: der Flughafenausbau Zürich-Kloten, der Islisbergtunnel im Bezirk Affoltern, die Westumfahrung Zürich, der Casino-Grossbau Gäu in Egerkingen, ein grosses Möbelzentrum in Rothrist, der Baregg-Tunnel, ein Parkhaus im Flughafen Kloten, ein Baukomplex in Wallisellen, um nur einige zu nennen.» (Begründung von Hans Fehr) derecht von Kantonen, Gemeinden und betroffenen Privaten und die umfangreichen Auflagen im Planungs- und Baube- willigungsverfahren (inklusive Umweltverträglichkeitsprüfung) genügen für einen effizienten Umweltschutz vollauf! Pro Natura Ansichtssache Verbandsbeschwerde – Rechte für die Natur! Wie kommt die Natur zu ihrem Recht? Auenwälder, Hochmoore und Birkhühner haben keine Lobby. Sie brauchen deshalb eine Anwältin, welche für sie und ihr Überleben eintritt. Diese Rolle übernimmt Pro Natura mit dem Instrument der Verbandsbeschwerde. Stellen Sie sich vor, das Verbandsbeschwerderecht ist abgeschafft. Und Sie erfahren aus der Zeitung, dass in Ihrer Gemeinde soeben der Bau eines grossen Bootshafens im Schilfgürtel bewilligt wurde – in krasser Verletzung der Gesetze, welche die Erhaltung der Ufervegetation zwingend verlangen! Ohnmächtig müssen Sie dieser Naturzerstörung zuschauen, denn ohne Verbandsbeschwerde ist gegen einen solchen Entscheid nichts zu machen. Immer wieder: Angriff gegen Verbände Kaum wurde der letzte Angriff gegen das Verbandsbeschwerderecht pariert, lancierte Nationalrat Hans Fehr im Parlament eine neue Attacke zu dessen Abschaffung. Argumente wie «Hemmschuh für Wirtschaft, Gewerbe und Arbeit» wurden vorgebracht, und sogar erpresserische Machenschaften und trölerische Absichten werden den beschwerdeberechtigten Verbänden vorgeworfen. Darüber hinaus wird kolportiert, die Verbände würden «diktatorisch entscheiden». Wer so daherredet, übersieht dabei (wider besseres Wissen) unsere rechtsstaatliche Ordnung – es sind die Behörden und Gerichte, die Martin Boesch, Pro Natura, Postfach, 4020 Basel, Telefon 061/317 92 11, [email protected], www.pronatura.ch Dichtung und Wahrheit Tatsache ist, dass kaum 10% aller Einsprachen von den Schutzverbänden eingereicht werden. Die übrigen 90% erfolgen durch Private, Gemeinden und andere Interessengruppen. Und mit fast 70% positiven Entscheiden ist die Erfolgsquote der Schutzverbände so hoch, dass von Missbrauch keine Rede sein kann. Im Gegenteil: Nur dank dem Beschwerderecht der Verbände erhalten die Gerichte Gelegenheit, dem Recht auch Nachachtung zu verschaffen, wenn untergeordnete Instanzen dazu nicht in der Lage sind. Die Gegner der Verbandsbeschwerde fürchten in Tat und Wahrheit die korrekte Anwendung unserer Gesetze und die Wahrnehmung der öffentlichen Interessen – ein sehr merkwürdiges Rechtsverständnis für eidgenössische Parlamentarier! Einmal mehr muss auch festgehalten werden, dass Pro Natura pro Jahr und Kanton bloss vier bis sechs Beschwerden macht. Diese führen vorwiegend zu Einigungen oder werden gutgeheissen, so dass wir bloss wenige weiterziehen müssen. Und von diesen zirka 20 Beschwerden gelangt wiederum nur ein Viertel, also vier bis fünf Fälle pro Jahr, auf Bundesebene. Präventive Wirkung Obwohl nicht sehr häufig genutzt, hat das Beschwerderecht seit seiner Einführung zunehmend an Bedeutung gewonnen. Die meisten Bauherren und Behörden wissen um die Rechte der Natur und kennen das Beschwerderecht der Verbände. So erwägen sie bereits in der Projektierungsphase die Umweltverträglichkeit ihres Vorhabens. Und wenn es nicht zu diesem Zeitpunkt Zwischen 1972 und 1980 drohte im Aletschgebiet, einer der schönsten Landschaften der Schweiz, ein fataler Eingriff. Heute sind alle froh, dass das damalige Projekt abgeändert wurde – und die Region trotzdem gut mit Wasser versorgt ist. geschieht, so spätestens dann, wenn Pro Natura oder andere Schutzverbände sie mittels Einsprache an ihre Pflicht erinnern. Durch die mehr oder weniger freiwillige, aber häufig sehr effiziente Zusammenarbeit werden vielerorts allseitig befriedigende Lösungen gefunden, überdimensionierte Projekte auf ein vernünftiges Mass reduziert oder riskante Vorhaben aufgegeben, bevor die Gerichte sich dazu äussern müssen. Wirtschaft kontra Umwelt Der Streit um das Verbandsbeschwerderecht ist nur die Spitze des Eisberges. Denn nicht die Beschwerden als solche sind der Wirtschaft offenbar im Wege, sondern die korrekte Beachtung der öffentlichen Interessen. Letztlich geht es den Gegnern dieses Rechtsbehelfes also um die gesamte Umweltschutzgesetzgebung, vorab um das Natur- und Heimatschutzgesetz. Deren Schwächung, ja Abschaffung ist das eigentliche Ziel von Nationalrat Hans Fehr und seinen Verbündeten. Es wäre ehrlicher, den Angriff direkt gegen diese Gesetze zu richten als gegen die Schutzverbände, welche lediglich ihre Aufgabe wahrnehmen, der Natur zu ihrem Recht zu verhelfen beziehungsweise die Behörden zu ermahnen, 䡲 die Gesetze korrekt anzuwenden. Literatur Tanquerel et al. (1999): Evaluation du droit de recours des organisations de protection de l’environnement. Rosenmund (1999): Pro Natura-Einspracheund Beschwerdetätigkeit in den Kantonen. PUSCH Thema Umwelt 1/2000 Martin Boesch, Professor HSG, Präsident von Pro Natura, Basel entscheiden, nicht Pro Natura! Und obwohl solche Behauptungen jeglicher Grundlage entbehren, sind sie leichter in Umlauf gebracht als entkräftet. 25 Planung & Umwelt Veränderungen der Landschaft beurteilen Eine Checkliste des Kantons Aargau erlaubt es, Landschaftsveränderungen systematisch zu beurteilen. Sie unterstützt Behörden bei der Interessenabwägung, wenn ein Veränderungsgesuch vorliegt. 26 Zwei Prozesse prägen die Landschaft: einerseits die Ausdehnung und Qualität der Siedlungen, anderseits jene Veränderungen, die ausserhalb der Bauzonen ablaufen. Die Trennung von Siedlungsund Nichtsiedlungsgebiet ist ein Hauptanliegen der Raumplanung. Trotz der Konzentration der baulichen Nutzung im Baugebiet sind auch weiterhin Bauten und Anlagen ausserhalb der Bauzonen möglich, sei es als Ausnahme oder als zonenkonforme Veränderung. Überall dort, wo aus den Bestimmungen der Nutzungsordnung keine abschliessenden Entscheide ableitbar sind, müssen die Behörden eine Interessenabwägung durchführen, bevor über ein Veränderungsgesuch entschieden werden kann. Anspruchsvolle Abwägung der Interessen Diese Interessenabwägungen sind für die Beteiligten eine besondere Herausforderung. Artikel 3 der Raumplanungsverordnung (RPV) gibt einen groben Raster vor, wie dabei vorzugehen ist. Je offener die Schutz- und Entwicklungs- ziele für einen Raum formuliert sind, desto mehr findet die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Natur- und Landschaftsschutz in jedem einzelnen dieser Verfahren wieder neu statt. Der Qualitätssicherung in den genannten Einzelverfahren kommt daher grosse Bedeutung zu. Mit der Öffnung der Landwirtschaftszone für weitere Bauten durch die Änderung des Bundesgesetzes über die Raumplanung ist die Problematik noch akzentuiert worden. Die Frage der Landschaftsverträglichkeit stellt sich zudem bei der Ausscheidung von Spezialzonen nach Artikel 16a Absatz 3 des Raumplanungsgesetzes (RPG). Am 1. Dezember 1999 hat der aargauische Regierungsrat eine «Checkliste zur Beurteilung von Landschaftsveränderungen» zur Kenntnis genommen und für die Verwaltungspraxis als methodisch verbindlich erklärt. Bereits 1979 hatte eine Arbeitsgruppe eine Vorläuferliste dazu erarbeitet. Die Methodik diente zur Beurteilung von Gesuchen für Konzessionen, Bauten und Anlagen, aber auch bei der Ausweisung neuer Nutzungszonen. Seither hat sie sich in Keine Vorwegnahme von Entscheiden Der methodische Leitfaden nimmt keine Gewichtungen oder materiellen Entscheide vorweg, sondern stellt die Nachvollziehbarkeit für alle Betroffenen sicher. Sie besteht aus dem Vorschlag für ein schrittweises Vorgehen, ergänzt mit Rechtskommentar und Beispielen aus der Verwaltungs- und Gerichtspraxis von Bund und Kantonen. Obwohl die Beispiele hauptsächlich aus dem Kanton Aargau stammen, ist das methodische Vorgehen in der ganzen Schweiz einsetzbar. 䡲 Eine Kurzform der Checkliste (ohne Rechtskommentar) ist abrufbar unter www.ag.ch/natur2001, Menü Arbeitshilfen. Die gedruckte Publikation ist erhältlich beim Baudepartement Kanton Aargau, Abteilung Landschaft und Gewässer, Buchenhof, 5001 Aarau, Telefon 062/835 34 55. Richard Maurer, Leiter Abteilung Landschaft und Gewässer, Baudepartement Kanton Aargau, Buchenhof, 5001 Aarau, Tel. 062/835 34 50, [email protected], www.ag.ch/natur2001 documenta natura PUSCH Thema Umwelt 1/2000 von Richard Maurer den Grundzügen bewährt. Neue Rechtsgrundlagen – 1979 war noch nicht einmal das RPG in Kraft –, zahlreiche Revisionen von Erlassen und schliesslich der kantonale Richtplan mit der Ausweisung der Siedlungstrenngürtel oder der Landschaften von kantonaler Bedeutung gaben Anlass dazu, die Checkliste zu aktualisieren. Die nun vorliegende Methodik ist zwischen den verschiedenen Fachabteilungen des Kantons Aargau, dem Rechtsdienst des Regierungsrates und des Verwaltungsgerichtes abgestimmt und mehrfach ausgetestet. Landschaftswandel: Ansicht von Zuoz GR und dem Südosthang. Links die Landschaft im Jahr 1899 (im Vordergrund der Inn), rechts eine Aufnahme aus dem Jahr 1996. VU VUR R Recht & Umwelt Vereinigung für Umweltrecht Die Umweltschutzgesetzgebung verwendet neben dem allgemeinen Abfallbegriff auch Unterbegriffe wie «Siedlungsabfälle», «Bauabfälle» sowie «Sonderabfälle». Die Abgrenzung der einzelnen Ausdrücke ist in der Rechtsprechung jedoch nicht restlos geklärt. Im folgenden Fall hatte das Bundesgericht den Begriff des Siedlungsabfalles im Zusammenhang mit dem kantonalen Entsorgungsmonopol näher zu spezifizieren. Dabei musste es insbesondere zur Zusammensetzung des Siedlungsabfalles sowie zum Mengenkriterium Stellung nehmen. Ausgangslage Am 3. Mai 1994 wurden die Heer AG sowie weitere Gewerbebetriebe in Reinach BL vom Gemeinderat verpflichtet, ihre vermischten Abfälle ab 1. August 1994 durch das von der Gemeinde beauftragte Entsorgungsunternehmen abführen zu lassen sowie die entsprechenden Gebühren dafür zu entrichten. Gegen diese Verfügung erhoben die Heer AG sowie weitere betroffene Betriebe beim Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft Beschwerde. Der Regierungsrat sowie später auch das Verwaltungsgericht wiesen die Beschwerde ab. Die Verfügungsadressaten gelangten anschliessend ans Bundesgericht. Argumentation der Beschwerdeführer In ihrer Beschwerdeschrift stellen sich die Beschwerdeführer auf den Standpunkt, dass es sich beim umstrittenen Abfall um gewerblichen Abfall handle, für dessen Entsorgung jeder Gewerbebetrieb selber zuständig sei und nicht das von der Gemeinde beauftragte Entsorgungsunternehmen. Sie argumentieren, dass ihre Abfälle sowohl aus quantitativen Gründen als auch wegen der Zusammensetzung nicht als Siedlungsabfälle gelten könnten und daher auch nicht unter das kantonale Entsorgungsmonopol fielen. Stellungnahme des Bundesgerichts Laut Umweltschutzgesetz (USG) ist es Aufgabe der Kantone, Siedlungsabfälle, Abfälle aus dem öffentlichen Strassenunterhalt und der öffentlichen Abwasserreinigung sowie Abfälle, deren Inhaber nicht ermittelt werden kann oder zahlungsunfähig ist, zu entsorgen, Denise Köppel, Fürsprecherin, juristische Mitarbeiterin der Vereinigung für Umweltrecht VUR, Postfach 2430, 8026 Zürich, Telefon 01/241 76 91, Fax 01/241 79 05, [email protected], www.VUR-ADE.ch wobei die Kantone den Entsorgungsauftrag an die Gemeinden delegieren dürfen. Im vorliegenden Fall hat der Kanton Basel-Landschaft von dieser Möglichkeit insofern Gebrauch gemacht, als die Sammlung der Siedlungsabfälle Aufgabe der Gemeinden ist, die Beseitigung jedoch vom Kanton erledigt wird. In der Umweltschutzgesetzgebung des Bundes werden neben einem allgemeinen Abfallbegriff verschiedene Unterbegriffe wie «Siedlungsabfälle», «Bauabfälle» sowie «Sonderabfälle» verwendet. Diese Unterbegriffe, so das Bundesgericht, würden jedoch nicht abschliessend Kategorien von unterschiedlichen Abfallarten bezeichnen, sondern es könnten durchaus inhaltliche Überschneidungen bestehen. Sonderabfälle, deren umweltverträgliche Entsorgung besondere Massnahmen erfordert, könnten somit auch als Siedlungsabfälle gelten. Laut der Botschaft des Bundesrates zur USG-Revision 1995 sind Siedlungsabfälle Abfälle, die aus Haushalten stammen, sowie andere Abfälle mit vergleichbarer Zusammensetzung, zum Beispiel aus Gewerbe- und Dienstleistungsbetrieben. Der umstrittene Abfall setzt sich laut Feststellung des Verwaltungsgerichts folgendermassen zusammen: Betriebsspezifischer Abfall wie Verpackungsmaterial, Holz, Kabel, Schläuche, Plastik, Teppichreste, Parkett- und Sockelleisten, Wischgut etc. vermischt mit Getränkedosen, Speiseresten, Abfallsäcken und weiteren Haushaltabfällen. Ausgehend von dieser Abfallzusammensetzung stellte sich das Bundesgericht hier die Frage, ob diese Art von vermischten Abfällen mit Haushaltabfällen vergleichbar sei und ob die Menge bei der Definition des Siedlungsabfalles überhaupt eine Rolle spiele. Dabei reicht laut Bundesgericht allein die Tatsache, dass Abfälle aus Industrie und Gewerbe vermischt vorliegen, nicht aus, um diese als Siedlungsabfall zu qualifizieren. Im Weiteren hätten die Kantone die Möglichkeit, die Entsorgungspflicht auf die Inhaber zu übertragen, wenn die Abfälle sortenrein, das heisst sortiert bereitgestellt würden (z.B. Glas, Karton, Altpapier etc.). Umgekehrt könnten die Abfallinhaber in solchen Fällen das Recht beanspruchen, diese Abfälle in Eigenverantwortung zu entsorgen. So entschied das Bundesgericht, dass die zur Diskussion stehenden Abfälle von ihrer Zusammensetzung her mit Abfällen aus Haushalten vergleichbar seien sowie dass solche vermischte, das heisst unsortierte Abfälle grundsätzlich unabhängig von der Menge als Siedlungsabfall zu gelten hätten. Der umstrittene Abfall fällt somit unter das kantonale Entsorgungsmonopol. Die Beschwerde wurde abgewiesen. Nähere Angaben zum besprochenen Fall: Urteil des Bundesgerichts vom 22. Juni 1999 (Umfang 13 Seiten, veröffentlicht in «Umweltrecht in der Praxis (URP)», 1999/Heft 9, Seite 786ff.) Wer ist die VUR? Die Vereinigung für Umweltrecht wurde 1985 gegründet. Sie ist eine private, nichtkommerzielle Fachorganisation mit dem Ziel, das Umweltrecht und seine Anwendung zu fördern. Zu diesem Zweck organisiert die VUR regelmässig Tagungen und gibt die Zeitschrift «Umweltrecht in der Praxis» sowie den «Kommentar zum Umweltschutzgesetz» heraus. Im weiteren führt sie eine Sammlung von Gerichts- und Verwaltungsentscheiden. In «Thema Umwelt» werden jeweils Entscheide besprochen, die für PraktikerInnen in den Gemeinden von Nutzen sind. Dabei wird aus Platzgründen nur auf das Wesentliche eingegangen. Wer aber mehr wissen möchte, kann entweder die Zeitschrift «Umweltrecht in der Praxis» abonnieren (erscheint rund achtmal pro Jahr; Jahresabonnement: Fr. 110.–) oder die entsprechende CD-ROM (für PC und Mac) mit den Jahrgängen 1986 bis 1998 bestellen. Vereinigung für Umweltrecht VUR, Postfach 2430, 8026 Zürich, Telefon 01/241 76 91, Fax 01/241 79 05, [email protected], www.vur-ade.ch PUSCH Thema Umwelt 1/2000 Gewerbeabfall kann auch Siedlungsabfall sein 27 PUSCH Thema Umwelt 1/2000 Veranstaltungen 28 Jahrestagung, 21.6.2000, Landhaus, Solothurn «Umweltabgaben – Ergänzung oder Ersatz für Polizeirecht?» Über das Zusammenspiel von marktwirtschaftlichen Instrumenten, Umweltschutz und dem Menschen als ökonomisch denkendem Wesen. Informationen: VUR, Postfach 2430, 8026 Zürich, Telefon 01/241 76 91, Fax 01/241 70 05, [email protected], www.vur-ade.ch Jahresprogramm 2000 «Bergwald: Schutz für alle» Das Bergwaldprojekt organisiert einwöchige Arbeitseinsätze in Bergwäldern Deutschlands und der Schweiz für forstliche Laien ab 18. Durch anspruchsvolle Waldarbeiten unter professioneller Betreuung wächst das Verständnis für die Funktionen des Waldes und damit auch die Motivation, ihn zu schützen. Anmeldung: Bergwaldprojekt, Rigastrasse 14, 7000 Chur, Telefon 081/252 41 45, Fax 081/252 41 47, [email protected], www.bergwaldprojekt.ch Studie des ökologischen Fussabdruckes «Energie – Wirtschaft – Nachhaltigkeit» Daten, Perspektiven, Energiemodelle und Analysen der Auswirkungen von Massnahmen, Kosten und Wirtschaftlichkeit, Energiemassnahmen und Vollzug der Energiepolitik, Verkehrsmassnahmen, Energiemärkte. Ruedi Meier, Martin Renggli, Pascal Previdoli (Hrsg.). Verlag Rüegger. 1999. 270 Seiten, ISBN 3 7253 0665 6, Fr. 39.–. Bestellungen an: BBV, Postfach 134, 7004 Chur, Telefon 081/258 33 37, Fax 081/250 26 66 Pusch sucht RedaktorIn für THEMA UMWELT Als RedaktorIn sind Sie zuständig für die Herausgabe unserer Mitgliederzeitschrift – von der Konzeption über die Redaktion, das Korrektorat und die Bildsuche bis zur Vorbereitung und Begleitung der Produktion. Wenn Sie … 䊳 䊳 Buwal-Tagung zur Lokalen Agenda 21, 23./24.8.2000, Bern «Die neue Herausforderung für den Umweltschutz» Umwelt und Umweltschutz sowie die Bedeutung von NGOs in der nachhaltigen Entwicklung. Tagung mit Referaten, Workshops und Posterausstellung. Auskunft: Claudia Drexler, Schweiz. Gesellschaft für Umweltschutz, Postfach, 8032 Zürich, Tel. 01/251 28 26, [email protected] www.umweltschutz.ch Die Website von Praktischer Umweltschutz Schweiz Pusch verschafft Zugang zu den aktuellsten Umweltinformationen. Neben Literatur- und Medienlisten finden sich im «Wegweiser Umwelt» über 200 systematisch erfasste Verweise auf Organisationen, Behörden, Umwelt-Sites, Gesetze und Angebote zur Umweltbildung. 䊳 sich engagiert und professionel mit Umweltfragen auseinandersetzen und fähig sind, komplexe Zusammenhänge klar darzustellen, Erfahrung als RedaktorIn mitbringen und Ihnen die hohe Qualität von Drucksachen am Herzen liegt, Deutsch einwandfrei beherrschen und über gute Kenntnisse in Französisch und Englisch verfügen, … dann bieten wir Ihnen eine 50%-Anstellung in unserem 9-köpfigen Team. Zusätzlich zur Redaktion von «Thema Umwelt» arbeiten Sie an verschiedenen Publikationen und Projekten mit. Als Alternative besteht die Möglichkeit, dass Sie «Thema Umwelt» als freie/r MitarbeiterIn im Auftrag produzieren. Auskünfte: Ion Karagounis, Telefon 01/267 44 11. Bewerbung mit Arbeitsproben an: Praktischer Umweltschutz Schweiz Pusch, Hottingerstrasse 4, Postfach 211, 8024 Zürich THEMA UMWELT 2/2000: Elektromagnetische Felder Titelfoto: Keystone Sammelband «Die Gewinner und die Verlierer im globalen Wettbewerb» Warum Öko-Effizienz die Wettbewerbsfähigkeit stärkt: 44 Nationen im Test. Andreas Sturm, Mathis Wackernagel, Kaspar Müller. Verlag Rüegger. 1999. 80 Seiten, ISBN 3 7253 0653 2, Fr. 28.–. Bestellungen an: BBV, Postfach 134, 7004 Chur, Telefon 081/258 33 37, Fax 081/250 26 66 Erscheint: vierteljährlich Bezug: Broschüre (16 Seiten) CHF 12.–, Merkblätter (6 Seiten) je CHF 5.–, Set mit 1 Broschüre und 4 Merkblättern CHF 25.–. Pusch, Postfach 211, Hottingerstrasse 4, Telefon 01/267 44 11, Fax 01/267 44 14, [email protected] Adressverzeichnis «Recycling Guide» 300 Adressen von offiziellen Sammelstellen und Entsorgungsbetrieben der S.EN.S. Für alle, die sich mit der Rücknahme und der umweltverträglichen Entsorgung von ausgedienten Elektronik- und Elektrogeräten befassen. Erhältlich in D/F/I. Bezug: Stiftung Entsorgung Schweiz S.EN.S, Hottingerstasse 4, Postfach 168, 8024 Zürich, [email protected], www.sens.ch Auflage: 2300 Ex. Bodenkundliche Gesellschaft Schweiz ist das Heft im Mitgliederbeitrag inbegriffen Einzelpreis: Fr. 15.– BGS Literatur Belichtung: Repro+Montage AG, Sellenbüren Druck: Ammann Druck, Sellenbüren, auf Cyclus Recyclingpapier Abonnement: Fr. 50.– pro Jahr; für PUSCH-Mitglieder Betrifft Boden Neue Pusch-Broschüre und -Merkblätter «Betrifft Boden. 9 Aktionsfelder für den kommunalen Bodenschutz». Viele Fragen rund um die Nutzung des Bodens entscheiden sich im Alltag, besonders bei der Raumplanung, bei Bauvorhaben, bei der Freizeitgestaltung und in der Land- und Forstwirtschaft. Gemeinden können einen wichtigen Beitrag leisten zur langfristigen Erhaltung der Böden. Wie, zeigt diese Broschüre, die Pusch mit der Bodenkundlichen Gesellschaft Schweiz BGS publiziert hat. Vier Bodenschutz-Merkblätter konkretisieren die in der Broschüre präsentierten Massnahmen: – Bodenschutz in der Nutzungsplanung – Bodenschutz beim Bauen – Bodenschutz bei Sport und Freizeit – Bodenschutz bei der Abfallentsorgung Praktischer Umweltschutz Schweiz Herausgeber: Praktischer Umweltschutz Schweiz PUSCH, Hottingerstrasse 4, Postfach 211, 8024 Zürich, Telefon 01/267 44 11, Bodenschutz in der Gemeinde: 9 Aktionsfelder Pusch Impressum: Ausgabe 1/2000, März 2000 Betrifft Boden Fax 01/267 44 14, [email protected], www.umweltschutz.ch Redaktion: Jacqueline Dougoud (jd), Ion Karagounis (ik) Satz und Bild: Peter Nadler, Küsnacht … und ausserdem