16.3 Thermische Schäden durch Kälte Referenzen [1] Cherington M. Central nervous system complications of lightning and electrical injuries. Semin Neurol 1995; 15: 233 – 240 [2] DeBono R. A histological analysis of a high-voltage electric current injury to an upper limb. Burns 1999; 25: 541 [3] Fish RM. Electrical Injury: Part III. Cardiac monitoring indications, the pregnant patient, and lightning. J Emerg Med 2000; 18: 181 – 187 [4] Goffeng LO, Veiersted KB, Moian R et al. Incidence and prevention of occupational electrical accidents. Tidsskr Nor Laegeforen 2003; 123:2457 – 2458 [5] Hunt JL, Sato RM, Baxter CR. Acute electric burns: Current diagnostic and therapeutic approaches to management. Arch Surg 1980; 115: 434 – 438 [6] Kim SH, Cho GY, Kim MK et al. Alterations in left ventricular function assessed by two-dimensional speckle tracking echocardiography and the clinical utility of cardiac troponin I in survivors of high-voltage electrical injury. 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Die meisten Fälle finden sich in Regionen mit strengem Winter. Eine wesentliche Gruppe umfasst Personen mit OutdoorAktivitäten, wie z. B. Skifahrer, Kletterer und Schwimmer. In den USA versterben aktuell pro Jahr ca. 600 Patienten an einer primären Hypothermie [1]. 16.3.3 Physiologie und Pathophysiologie Die Körperkerntemperatur wird physiologisch eng in der „thermoneutralen Zone“ zwischen 36,5 und 37,5 °C reguliert. Außerhalb dieses Bereiches werden thermoregulatorische Antwortmechanismen aktiviert. Der Hypothalamus steuert die Thermoregulation durch verstärkte Wärmeerhaltung (periphere Gefäßverengung, Verhaltensänderung) und Wärmeerzeugung (Schüttelfrost, Anstieg von Thyroxin und Adrenalin). Einschränkungen der Funktionen des ZNS können diese Mechanismen beeinträchtigen. Unter Ruhebedingungen produziert der Mensch durch den zellulären Metabolismus 40 – 60 kcal Wärme pro m² Körperoberfläche, v. a. in Leber und Herz. Die Wärmeerzeugung steigt durch Muskelzittern auf das 2- bis 5-Fache. Die Schwelle für Shivering ist etwa 1 °C niedriger als die für Vasokonstriktion und wird als letzte Möglichkeit des Körpers angesehen, die Temperatur aufrechtzuerhalten [3]. Die Mechanismen der Wärmeerhaltung können bei anhaltender Kälte verloren gehen, die Körperkerntemperatur kann sekundär durch Ermüdung und Glykogendepletion absinken. Prinzipiell erfolgt die Ableitung der Körperwärme entweder durch direkten Umgebungskontakt (feuchte Kleidung, Kontakt mit Metallen), durch Konvektion (Wind) oder durch Abstrahlung (Wärmefluss vom warmen zum kalten Objekt). Definition S. G. Sakka, F. Wappler ● 16.3.1 Einleitung ● Die Einwirkung von Kälte kann zu Schädigungen von Blutgefäßen, Nerven und der Haut bis zu einer Senkung der Körpertemperatur mit funktionellen Störungen letztlich aller Organe führen. Eine längerfristige Einwirkung feuchter Kälte um den Gefrierpunkt vermittelt lokale Erfrierungen („Schützengrabenfuß“), während trockene Kälte deutlich unterhalb des Gefrierpunkts eine akzidentelle Hypothermie zur Folge hat. Die Anfälligkeit des Organismus gegenüber Kälte wird u. a. verstärkt durch Dehydratation, Drogen-, Alkoholgenuss, Anämie und Herz-KreislaufErkrankungen. Vor allem sehr junge und alte Menschen sind gegenüber Kälte gefährdet. Definition . Eine Hypothermie (Körperkerntemperatur < 35 °C) entsteht, wenn der Körper die physiologische Temperatur nicht mehr aufrechterhalten kann. 16.3.2 Inzidenz Genaue Zahlen zur Inzidenz der Hypothermie liegen nicht vor, da die Patienten, die stationär aufgenommen werden, nur die „Spit- Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Literatur . Konduktion ist definiert als kinetische Wärmestrahlung von einem zu einem anderen Objekt. Konvektion bezeichnet eine dynamische Wärmeleitung mittels Medium (z. B. Blut oder Luft) von einem zu einem anderen Objekt. ▶ Mechanismen des Wärmeverlustes. Ein Wärmeverlust erfolgt über mehrere Mechanismen, der bedeutendste davon, unter trockenen Bedingungen, ist die Abstrahlung (55 – 65 % der Wärmeverluste). Konduktion und Konvektion tragen je zu 15 % des Temperaturverlustes bei, Respiration und Evaporation bestimmen den Restanteil. Konduktive und konvektive Wärmeverluste sind die wichtigsten Mechanismen für eine akzidentelle Hypothermie. Konduktion ist v. a. bei Ertrinken oder Eintauchen von Bedeutung, zumal die thermische Leitfähigkeit von Wasser bis zu 30-mal größer ist als die von Luft. Sobald das kompensatorische Muskelzittern aufhört, ist der Körper nicht mehr in der Lage, sich selbst zu erwärmen und die Körperkerntemperatur sinkt. Die endogene Thermoregulation besteht nicht mehr bei etwa < 30 °C, darum bedarf es dann externer Wärmequellen für die Wiedererwärmung. Eine Hypothermie verlangsamt alle physiologischen Funktionen, einschließlich des kardiovaskulären und respiratorischen Systems, neuromuskuläre und metabolische Prozesse (van’t Hoff-Regel). Auf zellulärer Ebene führt die Einwirkung von Kälte zur Störung der Natriumpumpe und letztlich zum Aufbrechen der Zellmembranen infolge einer hydropischen Schwellung 16 1017 Thermische und physikalische Schädigungen durch eine gestörte osmotische Regulation. Im Gefäßsystem kommt es zur Aggregation von Erythrozyten und Mikroembolien. Mit dem Ziel der Lebenserhaltung entstehen arteriovenöse Shunts, erfrorene Regionen werden „geopfert“. Hypothermie wirkt sich auch auf das Immunsystem aus. Die zelluläre Immunabwehr sinkt, die Wundheilung verzögert sich und so erhöht sich das Risiko von Infektionen. Es muss mit einer verlängerten Wirkzeit der meisten Medikamente gerechnet werden, da deren Verstoffwechselung und Abbau verlangsamt werden. 16.3.4 Klinisches Bild Besonders gefährdet sind die Akren, wie Hände, Füße, Ohrläppchen und die Nasenspitze. Die betroffenen Bereiche werden immer kälter, bis Gewebeschäden entstehen oder sie im Extremfall einfrieren. Die Gradeinteilung von Erfrierungen kann erst nach dem Wiedererwärmen vorgenommen werden und hängt von der Blasenbildung und der Dauer bis zur vollständigen Wiedererwärmung ab. Merke * ▶ 1. Grad: Der betroffene Körperteil ist initial blass und gefühllos (infolge Ischämie). Bei Wiedererwärmung kommt es zu Schwellung, Schmerzen und Pruritus (Hyperämie). Abb. 16.8 Grad 2 einer Erfrierung der Hand, charakterisiert durch Rötung und Blasenbildung (Quelle: Dr. Walter Perbix, Klinik für Plastische Chirurgie, Klinikum Köln-Merheim, Universität Witten/ Herdecke, mit freundlicher Genehmigung). ▶ 2. Grad: Blasenbildung, Akrozyanose (▶ Abb. 16.8). Nur die Haut ist betroffen! Zu Ödem und Blasenbildung kommt es frühestens nach 1 Tag. Nach 2 – 3 Wochen Ausbildung von oberflächlichen, schwarzen Krusten, die sich allmählich abheben. ▶ 3. Grad: Gewebsuntergang (Schwarzfärbung; ▶ Abb. 16.9). Tiefe Gewebeveränderungen! Nach Wiedererwärmung löst sich der Gefäßspasmus nicht. In der terminalen Strombahn kommt es zur Vasodilatation mit Blutflussverlangsamung. Sauerstoffdefizit mit Permeabilitätsstörung, Ödembildung und Plasmaaustritt folgen. Es kommt zu Nekrosebildung, Demarkierung, Gangrän und Phlegmone! Maßnahmen ● ● ● 1. Grad: Kälteeinwirkung beenden, feuchte Kleidung entfernen, abtrocknen, bewegen, passiv aufwärmen. – Restitutio ad integrum! 2. Grad: Keine aktive oder passive Wärme, Wunden versorgen, Basismaßnahmen zur Sicherung der Vitalfunktionen. 3. Grad: Extremitäten nicht bewegen, da sie aufgrund Totalvereisung abbrechen können! Ansonsten Therapie wie bei 2. Grad. Merke * Das endgültige Ausmaß der Erfrierung ist erst nach 4 – 6 Tagen feststellbar! Hypothermie 16 1018 Eine Hypothermie betrifft alle Organsysteme, die eindrücklichsten Effekte sind im Herz-Kreislauf-System und im ZNS zu beobachten. Die Hypothermie führt zu einer Verminderung der Depolarisation der Herzschrittmacherzellen, was eine Bradykardie zur Folge hat. Abb. 16.9 Grad 3 einer Erfrierung des Fußes, charakterisiert durch Nekrose (Schwarzfärbung; Quelle: Dr. Walter Perbix, Klinik für Plastische Chirurgie, Klinikum Köln-Merheim, Universität Witten/Herdecke, mit freundlicher Genehmigung). Merke * Diese Bradykardie ist nicht vagal vermittelt, daher ist sie refraktär gegenüber Standardtherapien wie der Gabe von Atropin. Arterieller Blutdruck und Herzzeitvolumen nehmen ab, im EKG können charakteristische J- oder Osborn-Wellen (▶ Abb. 16.10) auftreten. Die J-Welle stellt eine Veränderung unmittelbar nach dem QRS-Komplex dar und ist möglicherweise ein Hinweis auf drohende Arrhythmien. Die J-Welle kann jedoch eine Norm- Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Erfrierungen 16.3 Thermische Schäden durch Kälte Abb. 16.10 Bei einer Hypothermie können im EKG reversibel J-(Osborn)-Wellen (V3) und Intervall-Verlängerungen (PR, QRS, QT) bestehen. Bei unklaren Umständen sollten der Blutalkoholspiegel sowie die Schilddrüsenfunktion bestimmt und eine Sepsis bzw. ein SchädelHirn-Trauma ausgeschlossen werden. PR, QRS, QT = Intervalle im EKG. ▶ Metabolismus des ZNS reduziert. Die Hypothermie reduziert schrittweise den Metabolismus des ZNS: Bei einer Kerntemperatur < 33 °C ist die elektrische Aktivität des Gehirns reduziert, zwischen 19 °C und 20 °C kann ein EEG wie bei Hirntod vorliegen. Eine eingeschränkte Nierenfunktion und der Abfall des ADH führen zu einer Produktion großer Mengen wenig konzentrierten Urins („Kältediurese“). Die Diurese zusammen mit der Flüssigkeitsextravasation in das Interstitium bedingen eine Hypovolämie. Die Vasokonstriktion, die im Rahmen der Unterkühlung auftritt, kann eine Hypovolämie maskieren, allerdings manifestiert sie sich als Schock während der Wiedererwärmung. Merke * Alle Gewebe zeigen mit sinkender Temperatur einen abnehmenden Sauerstoffverbrauch. Es ist allerdings unklar, ob dies durch eine reduzierte metabolische Rate bei niedrigen Temperaturen oder eine höhere Hämoglobinaffinität des Sauerstoffs in Kombination mit einer eingeschränkten O2-Extraktion hypothermer Gewebe bedingt ist. Bei der Wiedererwärmung muss mit einer Azidose und ausgeprägten Elektrolytschwankungen gerechnet werden. 16.3.5 Diagnostik und Gradeinteilung Entscheidend zur Diagnosestellung ist eine rasche Bestimmung der Körperkerntemperatur. Orale oder rektale Messungen sind nicht adäquat, da beide die tatsächliche Kerntemperatur nicht korrekt wiedergeben müssen. Messungen in der Harnblase oder intravasal liefern die Kerntemperatur zuverlässiger. Es ist wichtig zu beachten, dass für eine bestimmte Temperatur die spezifischen körperlichen Untersuchungsbefunde zwischen Individuen erheblich variieren können. Folgende Gradeinteilung der Hypothermie wird in der Regel zugrunde gelegt ([1], ▶ Tab. 16.8). Viele Patienten mit einer Hypothermie haben ein Flüssigkeitsdefizit aufgrund einer Kältediurese. Es kommt zu einer Hämokonzentration mit Anstieg des Hämatokritwertes. Der Hämatokrit kann um 2 % pro 1 °C Abnahme der Kerntemperatur zunehmen. Eine Hypothermie kann mit ausgeprägten Schwankungen der Elektrolyte einhergehen: Das Serumkalium steigt entsprechend dem Ausmaß der Zellschädigung. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. variante sein und ist gelegentlich bei Sepsis oder Myokardinfarkt zu beobachten. Weiterhin können bei Hypothermie Vorhof- und ventrikuläre Arrhythmien auftreten. Ein spontanes Auftreten von Asystolie und Kammerflimmern wurde für Kerntemperaturen zwischen 25 – 28 °C beschrieben. Differenzialdiagnostik Eine Vielzahl an Faktoren kann eine Hypothermie bedingen bzw. fördern und sollten bei einer ungeklärten Hypothermie ausgeschlossen werden. Erhöhte Wärmeverluste können medikamentös bedingt oder von einer durch Intoxikation induzierten Vasodilatation hervorgerufen sein. Hauterkrankungen, Verbrennungen sowie iatrogene Einflüsse wie die Infusion kalter Lösungen können zur Senkung der Körpertemperatur führen. Merke * Neben einem „Entzug“ an Wärme kann prinzipiell auch eine verringerte Wärmeerzeugung eine Hypothermie auslösen. ▶ Einsatz von bildgebenden Verfahren. Bei jedem Patienten mit einer Vigilanzminderung und Hypothermie sollten in der Notaufnahme bildgebende Verfahren eingesetzt werden. Eine Röntgenaufnahme des Thorax ist bei Patienten mit Hypoxie angezeigt. Aspirationspneumonie und Lungenödem sind oftmals typische Befunde. Patienten mit einem Trauma oder neurologischem Defizit sollten eine Computertomografie des Schädels und eine weitere Bildgebung im Rahmen des Traumachecks erhalten [5]. Bei der Interpretation arterieller Blutgasanalysen ist zu beachten, dass Blutgasanalysatoren das Blut auf 37 °C erwärmen. Da Gase im hypothermen Plasma weniger löslich sind, kann die arterielle Blutgasanalyse höhere O2- und CO2-Partialdrücke und einen niedrigeren pH-Wert anzeigen als tatsächlich vorliegen. Cave ) Die unkorrigierte Blutgasanalyse mit den Normwerten bei 37 °C vergleichen! Ein unkorrigierter pH von 7,4 und ein arterieller Kohlendioxidpartialdruck (paCO2) von 40 mmHg geben einen ausgeglichenen Säure-Basen-Status wieder. Das Gerinnungssystem wird oft bei mittelschwerer oder schwerer Hypothermie beeinträchtigt, eine disseminierte intravasale Koagulation (DIC) kann resultieren [6]. Eine Koagulopathie kann auf einer primären Störung enzymatischer Reaktionen der Gerinnungskaskade durch Proteindenaturierung bei verringerter Temperatur beruhen [11]. Da auch Gerinnungsanalysen bei 37 °C erfolgen, müssen normale Laborwerte eine klinisch manifeste Koagulopathie nicht adäquat wiedergeben. 16 1019 Thermische und physikalische Schädigungen Klinische Symptome im Rahmen verschiedener Stadien der Hypothermie. milde Hypothermie 32–35 °C moderate Hypothermie 28–32 °C schwere Hypothermie < 28 °C ZNS Verwirrung, verwaschene Sprache, eingeschränktes Urteilsvermögen, Amnesie Lethargie, Halluzinationen, Verlust des Pupillenreflexes, EEG-Veränderungen Verlust der zerebrovaskulären Regulation, sinkende EEG-Aktivität, Koma, Areflexie Herz-Kreislauf Tachykardie, erhöhtes HZV, erhöhter Gefäßwiderstand progrediente Bradykardie (atropinresistent), HZV und Blutdruck sinken, Arrhythmien, Osborn-Welle im EKG HZV und Blutdruck sinken, Kammerflimmern (< 28 °C) und Asystolie (< 20 °C) Atmung Tachypnoe Hypoventilation, Abnahme von O2Verbrauch und CO2-Produktion, Verlust des Hustenreflexes Lungenödem, Apnoe Nieren Kältediurese Hämatologie Zunahme des Hämatokrits, Abnahme der Leukozyten- und Thrombozytenzahl, Koagulopathie, DIC Gastrointestinum Ileus, Pankreatitis, Stressulzera, Leberdysfunktion Endokrinium Hyperglykämie Hyper- oder Hypoglykämie Skelett-Muskelsystem Muskelzittern schwaches Zittern, Muskelrigidität Durchblutung und GFR sinken „Pseudo-Rigor-mortis“ DIC = disseminierte intravasale Gerinnung; HZV = Herzzeitvolumen, GFR = glomeruläre Filtrationsrate; ZNS = zentrales Nervensystem Monitoring Allgemeine Maßnahmen Patienten mit einer Hypothermie werden intensiv überwacht. Die engmaschige Messung der Körperkerntemperatur ist unabdingbar, genauso wie eine kontinuierliche EKG-Überwachung. Zusätzlich gehört die Pulsoxymetrie und bei maschineller Beatmung die Kapnometrie zum Basismonitoring. Da Vasodilatation den Intravasalraum vergrößert, bedürfen Patienten mit einer Hypothermie im Rahmen der Wiedererwärmung vielfach einer differenzierten Flüssigkeitstherapie. Es sollten primär gewärmte Infusionen verabreicht werden, Inotropika sollten vermieden werden, solange die Volumengabe mit positivem Kreislaufeffekt verbunden ist. Ein Patient, der nicht weiter auskühlt, bei Bewusstsein bleibt und eine stabile Hämodynamik bietet, bedarf keiner invasiven Interventionen. Eine aggressive Therapie sollte dann erfolgen, wenn der Patient trotz geeigneter Maßnahmen weiter auskühlt, komatös und kreislaufinstabil wird. Etwa die Hälfte der Patienten mit einer Hypothermie und Herzstillstand überleben mithilfe invasiver Techniken und zeigen eine vollständige neurologische Erholung. Das Risiko mild hypothermer Patienten für Herzrhythmusstörungen bei Wiedererwärmung ist gering. Die Oberflächenwiedererwärmung ist hier ausreichend [14], bei sehr niedrigen Körpertemperaturen allerdings weniger wirksam und birgt das Risiko eines sekundären Schocks aufgrund einer peripheren Vasodilatation. Ringer-Laktatlösung ist nicht empfehlenswert, da die Leber in der Hypothermie Laktat nicht adäquat verstoffwechseln kann. Alternativ sind azetat- oder malatbasierte Lösungen zu verwenden. Merke * Pulsoxymetriesensoren sollten an den Ohren oder der Stirn befestigt werden, da eine periphere Vasokonstriktion, v. a. an den Fingern, die Genauigkeit des Verfahrens einschränkt. Bei Kreislaufinstabilität sind eine invasive Blutdruckmessung und die Anlage eines zentralvenösen Katheters angezeigt. Großlumige venöse Zugänge sind nicht nur bei Trauma oder größeren Flüssigkeitsverschiebungen sinnvoll. Spezielle Zugänge, wie Dialysekatheter oder venöse Katheter für z. B. eine extrakorporale Zirkulation, bleiben besonderen Situationen vorbehalten. Neben der Echokardiografie zur punktuellen Bewertung der Herz-Kreislauf-Funktionen kann der Einsatz eines erweiterten hämodynamischen Monitorings (z. B. transpulmonale Thermodilution oder Pulmonaliskatheter) zur differenzierten Volumen- und Katecholamintherapie angezeigt sein. 16.3.6 Therapie Das Entfernen nasser Kleidung und die Isolierung des Patienten dienen der Verhinderung weiterer Wärmeverluste. Bei Patienten mit einer milden Hypothermie und vorhandener Thermoregulation sollten Wärmedecken und das Trinken warmer Flüssigkeit ausreichend sein. Bei hämodynamisch stabilen Patienten sollte die Kerntemperatur um 1 °C/h angehoben werden. Eine aktive Wiedererwärmung ist notwendig bei Patienten mit kardiovaskulärer Instabilität und einer Temperatur < 32 °C. 16 1020 ▶ Wiederherstellung von Sauerstoffversorgung und Kerntemperatur. Die Maßnahmen bei schwerer Hypothermie zielen auf Erhaltung oder Wiederherstellung der Sauerstoffversorgung und einer Kerntemperatur von > 32 °C ab. Bei zutiefst hypothermen Patienten besteht die Gefahr von Kammerflimmern, sodass geeignete Gerätschaften und Medikamente zur Akuttherapie vorzuhalten sind [10]. Die Behandlung hypothermieinduzierter Arrhythmien sollte mit Amiodaron erfolgen, Lidocain gilt als ineffektiv. Bereits bei einer milden Hypothermie sollten die Lungenfunktion und Atemfrequenz kontinuierlich überwacht werden, bei moderater Hypothermie ist eine endotracheale Intubation und maschinelle Beatmung angezeigt. Die Entwicklung einer Rhabdomyolyse (Kreatinkinase, Myoglobin) bedarf der engmaschigen Überwachung der Nierenfunktion. In Anbetracht der gestörten plasmatischen und thrombozytären Gerinnung gehören ein eng- Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Tab. 16.8 16.3 Thermische Schäden durch Kälte Reanimation bei Unterkühlung Gemäß der ERC-Leitlinien 2010 [17] sollen die Frequenzen der Beatmung und der HDM identisch zu nicht unterkühlten Patienten sein. Allerdings unterscheiden sich die Empfehlungen in Bezug auf den Einsatz kardial wirksamer Medikamente (< 30 °C: keine Medikamente, 30 – 35 °C: doppeltes Intervall) und der Defibrillation (nach 3 erfolglosen Schocks vor weiteren Schocks eine Körperkerntemperatur [KKT] > 30 °C abwarten). Die Hypoxietoleranz des Gehirns ist in Anbetracht des durch Unterkühlung reduzierten Stoffwechsels erhöht. Eine Reanimation kann daher auch nach längerem Stillstand erfolgreich sein. Es gilt der Grundsatz: Merke „Niemand ist tot, bevor er nicht warm und tot ist!“ * Die Reanimation kann beendet werden, wenn der Patient wärmer als 35 °C ist und weiterhin eine Asystolie besteht. Spezielle Maßnahmen Zur Anhebung der Körperkerntemperatur bestehen folgende Möglichkeiten: ● Inhalation, ● intravenöse Infusion, ● Lavage von Körperhöhlen, ● extrakorporale Verfahren. Merke * Ein kardiopulmonaler Bypass sollte bei Kammerflimmern oder schwerster Hypothermie eingesetzt werden. Dieses Verfahren ist einer Pleuralavage überlegen, doch ist es sehr aufwendig, entsprechendes Equipment und erfahrenes Personal sind nur in speziellen Zentren vorhanden. Atemluftbefeuchtung und -erwärmung Durch die Verwendung von Wärme- und Feuchtigkeitstauschern (Heat and Moisture Exchangers, HME-Filter) kann bei der Beatmung der Wärmeverlust um ca. 80 % auf 1,4 W gesenkt werden [3]. Die Klimatisierungsleistung von HME-Filtern ist begrenzt, da sie als passive Systeme der Inspirationsluft nur so viel Feuchtigkeit und Wärme zufügen können, wie in der vorausgegangenen Exspiration gespeichert wurde. Aktive Befeuchter (heizbares Wasserbad) setzen der Inspirationsluft Feuchtigkeit und Wärme zu und gewährleisten eine relativ gute Atemgasklimatisierung. Nachteilig ist jedoch das Risiko einer bakteriellen Kontamination des Wasserreservoirs und des Kondensats im Schlauchsystem. Das Einatmen von beheiztem und befeuchtetem O2 (40 °C) über Maske oder Tubus verhindert Wärmeverluste über die Atemwege und kann eine Erwärmung von 1 – 2 °C/h bewirken. Intravenöse Infusion Die Gabe von 6 – 8 Litern ungewärmter (16 – 20 °C) Infusionslösung senkt beim Erwachsenen die Körpertemperatur um ca. 2 °C [20]. Im Rahmen der Verabreichung großer Flüssigkeitsmengen sollte ein Infusionswärmer eingesetzt werden. Bei hohen Flussraten (> 2 l/h) hat die Erwärmung der Flüssigkeiten im Wärmeschrank einen positiven Effekt, bei niedrigen Flussraten ist sie aufgrund der Abkühlung ineffektiv. Im Gegensatz dazu sind Infusions- und Blutwärmesysteme auch in der Lage, bei niedrigeren Flussraten eine effektive Erwärmung sicherzustellen. Die Leistungsfähigkeit der einzelnen Systeme ist konstruktionsbedingt sehr unterschiedlich [20]. Auch Blutprodukte, v. a. bei Massivtransfusionen, müssen erwärmt werden. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. maschiges Monitoring der Gerinnung und ggf. der Einsatz differenzierter Tests zum allgemeinen Management. Die Gabe von Blutkomponenten und Plasmaderivaten sind v. a. beim Patienten mit Trauma unumgänglich, da eine Normalisierung der physiologischen Funktionen erst mit Anhebung der Temperatur erzielt werden kann [15]. Ein etwaiger Transfusionsbedarf steigt mit dem Ausmaß der Hypothermie [19]. Die Gabe gerinnungshemmender Substanzen (z. B. Heparin) bedarf der engmaschigen Überwachung und Therapieanpassung. Empfehlungen für eine Antibiotikaprophylaxe liegen nicht vor. Infektionen anderer Körperregionen sollten nach adäquater Diagnostik gezielt behandelt werden. Wenn sich aus einer Nekrose eine Gangrän entwickelt, sollten eine mikrobiologische Materialgewinnung und antiinfektive Therapie erfolgen. Sollte der Patient eine Sepsis entwickeln, erfolgt die Therapie leitlinienkonform [18]. Lavage von Körperhöhlen Eine Lavage der Harnblase oder des Gastrointestinaltrakts ist weniger effizient als die Erwärmung über Abdominal- oder Thoraxdrainagen. Eine Peritoneallavage mit 40 °C Dialysat ist v. a. nützlich bei stark unterkühlten Patienten, die eine Rhabdomyolyse, Intoxikation oder Elektrolytanomalien aufweisen [4]. Zur Pleuralavage werden 2 linksseitige 38F-Thoraxdrainagen eingebracht (3. ICR mittklavikulär und 6. ICR mittlere Axillarlinie). Isotone Kochsalzlösung (3 Liter, 41 °C) wird über die vordere Drainage mit 2 l/min verabreicht, dann via Schwerkraft über die posteriore Drainage eliminiert. Extrakorporale Verfahren ▶ Konduktive Verfahren. Hierzu zählen Anhebung der Raumtemperatur, transkutane Systeme sowie die direkte Wärmung über den Ösophagus. ▶ Direkte Wärmung des Ösophagus. Hierbei wird an einer zentralen, gut vaskularisierten Stelle ein mit warmem Wasser (37 – 40 °C) erhitzter Körper platziert. Allerdings bestehen durch die zentrale Anwendung nur ein kleiner Temperaturgradient und insbesondere eine relativ kleine gewärmte Fläche. Dadurch ist der mögliche Wärmetransfer auf ca. 8 W limitiert, eine alleinige Anwendung ist somit keinesfalls ausreichend [3]. ▶ Konvektive Verfahren. Hierzu zählen Körper(teil-)decken und auch Spezialbetten. Innerhalb einer Matratze oder eines Schlauchsystems zirkuliert wahlweise einstellbar temperierte Luft an der Patientenoberfläche und gibt somit Wärme an den Körper ab. Die konvektiven Luftwärmesysteme stellen die effektivste Form der Wärmeprotektion dar, sollten jedoch stets in Kombination mit anderen Verfahren eingesetzt werden [2]. Es gibt spezielle Tischauflagen, die in der Regel mit warmem Wasser durchspült werden, oder gewärmte Gelauflagen. Es gilt zu beachten, dass bei einer eingestellten Wassertemperatur von 37 °C die Wärmebilanz an der gewärmten Stelle sogar negativ ist, da die Mattentemperatur unter dem Rücken niedriger als die eingestellte Temperatur ist [7]. Es ergeben sich dann Wärmeverluste mit einem Temperaturgradienten von -0,4 °C mit 6,4 W, die ähnlich hoch sind wie ohne diese Therapie. Es ist also bei der Anwendung auf eine möglichst große Kontaktfläche zu achten, ebenfalls muss die Temperatur des Mediums genau überwacht werden. 16 1021 Thermische und physikalische Schädigungen Merke * Im Gegensatz zu anderen extrakorporalen Verfahren (Rollerpumpensystem) muss bei dieser Vorgehensweise eine suffiziente Herzfunktion vorliegen. Die entsprechenden Gefäßzugänge werden in der Regel femoralvenös platziert. Der Kreislauf ist „Motor“ des Systems, die erwärmten Lösungen werden venös infundiert, das Blut im Gegenstromprinzip gegen warmes Wasser erwärmt. 16.3.7 Bewertung der Verfahren Es liegen bislang keine systematischen Studien zur Frage nach der Auswahl der Verfahren vor. Bei stark hypothermen Patienten mit Herzstillstand sollte ein kardiopulmonaler Bypass erwogen, bei Nichtverfügbarkeit kann auch eine venovenöse Hämofiltration notfallmäßig eingesetzt werden. Es konnte gezeigt werden, dass eine Wiedererwärmung mit mehr als 2 °C/h ein besseres Outcome zur Folge hatte als eine langsamere Erwärmung [8, 9]. Manche Autoren empfehlen eine rasche Wiedererwärmung auf 33 °C und Aufrechterhaltung dieser Temperatur im Sinne einer therapeutischen Hypothermie. 16.3.8 Komplikationen bei Wiedererwärmung ▶ Endovaskuläre Aufwärmung. Eine endovaskuläre Technik (Coolgard, Fa. Zoll) beruht auf einem speziellen zentralvenösen Katheter, über dessen Ballon Flüssigkeit zirkuliert. Der Katheter fungiert als „Radiator“ und kann über die Messung der Körpertemperatur mittels Thermistor die Temperatur einstellen [21, 22]. Mit diesem invasiven Verfahren kann die Körperkerntemperatur um bis zu 3 °C/h angehoben werden. ▶ CVVH (kontinuierliche venovenöse Hämofiltration). Die CVVH bietet über eine Heizung die Möglichkeit, das Blut extrakorporal aufzuwärmen. Ummantelungen der Blutleitungen beugen einem Wärmeverlust vor. Bei langsamem Fluss kann das Blut deutlich mehr an Wärme verlieren als bei hohem Fluss. Große Filter erhöhen die Kontaktzeit mit einem körperfremden Medium und es kann mehr Wärme zugeführt werden. * In Anbetracht der vielfältigen Möglichkeiten zur Korrektur einer Hypothermie sollte die Kombination verschiedener Maßnahmen in Betracht gezogen werden, da in der Regel damit bessere Erfolge erzielt werden können. Eine alleinige medikamentöse und apparative Therapie kann durch den Einsatz von physikalischen Maßnahmen in ihrer Intensität verringert werden. Cave 16 1022 Komplikationen bei der Behandlung von Hypothermie ● Mithilfe der extrakorporalen Membranoxygenierung (ECMO) ist es möglich, den Patienten schnellstmöglich auf ein angesteuertes Temperaturniveau zu bringen und ebenso begleitende Symptome, wie Elektrolytverschiebungen, Oxygenierungsstörungen sowie hämodynamische Komplikationen, zu überbrücken bzw. zu beheben. Der Säure-Basen-Haushalt kann über die ECMO durch Pufferung ausgeglichen und das Serumkalium kann durch den Einsatz eines Hämofilters beeinflusst werden [24, 25]. Der Kontakt des „flüssigen“ Organs Blut mit Fremdoberflächen bedingt eine physiologische Gerinnungsaktivierung, die unterbunden werden muss. Komplikationen können somit in Form von Blutungen, neurologischen Ausfällen, Stoffwechselstörungen, Sepsis, Oxygenatorversagen, Schlauchrisse, Pumpenstörungen und Embolien auftreten. ) Bei den extrakorporalen Verfahren (CVVH, ECMO) wird in der Regel eine Antikoagulation mit Heparin durchgeführt. Aufgrund der durch Hypothermie induzierten Gerinnungsstörung ist eine engmaschige Kontrolle der Kathetereintrittsstellen zwingend erforderlich. . Der Afterdrop-Effekt beschreibt einen weiteren Abfall der Körperkerntemperatur und eine zunehmende Einschränkung der Organfunktionen nach Beginn der Wiedererwärmung. Dieses Phänomen beruht am ehesten auf der Erwärmung peripherer Gewebe und darauf, dass über eine Vasodilatation unterkühltes Blut in den Körperkern gelangt. Gefürchtet ist außerdem der „Bergungskollaps“, bei dem es durch Bewegung und Positionsveränderung zum Eintreten von kaltem Blut nach zentral kommt. ● Extrakorporale Membranoxygenierung Merke Definition ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● Schock, Hypotonie infolge Vasodilatation, Laktazidose durch Rezirkulation, Elektrolytimbalanzen (z. B. Hyperkaliämie, Hypokalzämie, Hypomagnesiämie), Lungenödem, Pankreatitis, Verbrennungen in kalten und vasokonstringierten Arealen nach Anwendung von Wärmflaschen oder Heizkissen, Neutropenie, Thrombozytopenie und Infektion, iatrogene Hyperthermie, Kammerflimmern, Peritonitis, gastrointestinale Blutung, akute tubuläre Nekrose, Rhabdomyolyse, Gangrän, Kompartmentsyndrom. 16.3.9 Medikolegale Aspekte Die wichtigsten medizinisch-juristischen Aspekte beinhalten eine mögliche Fehldiagnose und die nicht adäquate Dokumentation der Kerntemperatur. Ein potenzieller Fallstrick in der Behandlung von Patienten mit Hypothermie liegt zudem in sekundären Ursachen oder anderen Krankheitszuständen, wie z. B. Sepsis, Hypothyreose oder Intoxikationen. Generell sollten bei allen hypothermen Patienten ohne offensichtliche, mit dem Leben nicht vereinbare Verletzungen Wiederbelebungsversuche eingeleitet werden. Der Patient sollte erwärmt und reanimiert werden, bis die Kerntemperatur > 35 °C beträgt. Falls dieses Kriterium erfüllt ist und keine Lebenszeichen vorliegen sollten, kann die Beendigung der Maßnahmen indiziert sein. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. ▶ Druckinfusionssysteme. Eine Option stellt der Einsatz eines Druckinfusionssystems dar, wie es z. B. im Rahmen einer Massivinfusion benutzt wird. 16.3 Thermische Schäden durch Kälte Die Sterblichkeit von Patienten mit einer milden Hypothermie beträgt 12 % und steigt bei einer moderaten Hypothermie auf 21 %. Bei einer schweren Hypothermie liegt die Sterblichkeit trotz Krankenhausbehandlung bei nahezu 40 %. Eine Indoor-Hypothermie ist wahrscheinlicher bei Patienten mit medizinischen Begleiterkrankungen (Sepsis, Hypothyreose und Hypophysendysfunktion) und tendenziell liegen hier schlechtere Ergebnisse vor [23]. Die Gesamtsterblichkeit zwischen beiden Geschlechtern ist ähnlich. Aufgrund einer höheren Expositionsrate bei Männern tragen sie zu 65 % der Todesfälle durch Hypothermie bei. Etwa die Hälfte der Todesfälle mit Hypothermie finden sich bei Personen mit einem Alter > 65 Jahre. In einzelnen Fällen konnten Patienten, die sich für mehr als 1 h in eisigem Wasser befunden hatten (Körpertemperatur 13,7 °C und fehlende Pupillenreaktion), erfolgreich ohne dauerhaften neurologischen Schaden wiedererwärmt werden. Bezogen auf ein bestimmtes Ausmaß und die Dauer der Hypothermie können sich Kinder eher als Erwachsene erholen. Die Prognose ist im Einzelfall schwer vorherzusagen und kann nicht mittels „Glasgow Coma Scale“ zuverlässig abgeschätzt werden. Eine infauste Prognose kann vermutet werden bei einer Asphyxie vor Eintritt der Hypothermie, einem Serumkalium > 10 mmol/l, langen Reanimationszeiten unter Anwendung von Katecholaminen und einem begleitenden schweren Trauma [13]. Hypothermie, Koagulopathie und Azidose beim Patienten mit Trauma [16] gelten als „Triade des Todes“. Kernaussagen Einleitung Die Einwirkung von Kälte kann zu Schädigungen mit funktionellen Störungen letztlich aller Organe führen. Die Anfälligkeit des Organismus gegenüber Kälte wird verstärkt durch Dehydratation, Drogen, Alkoholgenuss, Anämie und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Vor allem sehr junge und alte Menschen sind gegenüber Kälte gefährdet. Eine Hypothermie liegt vor bei einer Körperkerntemperatur < 35 °C und entsteht, wenn der Körper die physiologische Temperatur nicht mehr aufrechterhalten kann. Inzidenz Genaue Zahlen zur Inzidenz der Hypothermie liegen nicht vor. In den letzten Jahren werden aufgrund vermehrter Freizeitaktivitäten und veränderter städtischer Bedingungen steigende Patientenzahlen gemeldet. In den USA versterben aktuell pro Jahr ca. 600 Patienten an einer primären Hypothermie. Physiologie und Pathophysiologie Die Körperkerntemperatur wird physiologisch eng in der „thermoneutralen Zone“ zwischen 36,5 und 37,5 °C reguliert. Der Hypothalamus steuert die Thermoregulation durch verstärkte Wärmeerhaltung (periphere Gefäßverengung, Verhaltensänderung) und Wärmeerzeugung (Schüttelfrost, Anstieg von Thyroxin und Adrenalin). Einschränkungen der Funktionen des ZNS können diese Mechanismen beeinträchtigen. Klinisches Bild Besonders gefährdet sind die Akren, wie Hände, Füße, Ohrläppchen und die Nasenspitze. Die Gradeinteilung von Erfrierungen kann erst nach dem Wiedererwärmen vorgenommen werden und hängt von der Blasenbildung und der Dauer bis zur vollständigen Wiedererwärmung ab. In Abhängigkeit des Ausmaßes der Hypothermie kann es zum Herz-Kreislauf-Stillstand kommen. Diagnostik und Gradeinteilung Entscheidend zur Diagnosestellung ist eine rasche Bestimmung der Körperkerntemperatur. Orale oder rektale Messungen sind nicht adäquat, da beide die tatsächliche Kerntemperatur nicht korrekt wiedergeben müssen. Messungen in der Harnblase oder intravasal liefern die Kerntemperatur zuverlässiger. Eine milde Hypothermie (32 – 35 °C) ist geprägt von Muskelzittern (Shivering). Bei einer Temperatur < 34 °C ist die Vigilanz des Patienten verringert, die Atemfrequenz kann erhöht sein. Ab 33 °C liegen eine Ataxie und Apathie vor. Die Hämodynamik ist in der Regel stabil. Bei einer moderaten Hypothermie (28 – 32 °C) treten Hypoventilation, Hyporeflexie, Stupor und rückläufige Diurese ein. Unterhalb von 31 °C verliert der Körper seine Fähigkeit, durch Shivering Wärme zu generieren. Ab 30 °C steigt die Gefahr von Arrhythmien, Vorhofflimmern oder anderen atrialen sowie ventrikulären Rhythmusstörungen. Herzfrequenz und Herzzeitvolumen nehmen ab. Zwischen 28 und 30 °C kommt es zur Erweiterung der Pupillen, es kann ein hirntodähnlicher Zustand eintreten. Bei einer schweren Hypothermie (< 28 °C) können sich Kammerflimmern und eine schwersteingeschränkte kardiale Funktion entwickeln. Es liegen in der Regel Koma und Areflexie vor. Es gilt der Merksatz: „Niemand ist tot, bevor er nicht warm und tot ist!” Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 16.3.10 Prognose Therapie Bei den Wiedererwärmungsmaßnahmen lassen sich Inhalation, intravenöse Infusion, Lavage von Körperhöhlen und extrakorporale Verfahren unterscheiden. Es liegen bislang keine systematischen Studien zur Frage nach der Auswahl der Verfahren vor. Bei stark hypothermen Patienten mit Herzstillstand sollte ein kardiopulmonaler Bypass erwogen werden, bei Nichtverfügbarkeit kann auch eine venovenöse Hämofiltration notfallmäßig eingesetzt werden. Bewertung der Verfahren Es liegen bislang keine systematischen Studien zur Frage nach der Auswahl der Verfahren vor. Bei stark hypothermen Patienten mit Herzstillstand sollte ein kardiopulmonaler Bypass erwogen werden, bei Nichtverfügbarkeit kann auch eine venovenöse Hämofiltration notfallmäßig eingesetzt werden. Komplikationen bei Wiedererwärmung Der Afterdrop-Effekt beschreibt einen weiteren Abfall der Körperkerntemperatur und eine zunehmende Einschränkung der Organfunktionen nach Beginn der Wiedererwärmung. Dieses Phänomen beruht am ehesten auf der Erwärmung peripherer Gewebe und darauf, dass über eine Vasodilatation unterkühltes Blut in den Körperkern gelangt. Gefürchtet ist außerdem der „Bergungskollaps“, bei dem es durch Bewegung und Positionsveränderung zum Eintreten von kaltem Blut nach zentral kommt. Medikolegale Aspekte Die wichtigsten medizinisch-juristischen Aspekte beinhalten eine mögliche Fehldiagnose und die nicht adäquate Dokumentation der Kerntemperatur. Ein potenzieller Fallstrick liegt zudem in sekundären Ursachen oder anderen Krankheitszuständen, wie z. B. Sepsis, Hypothyreose oder Intoxikationen. Generell sollten bei allen hypothermen Patienten ohne offensichtliche, mit dem Leben nicht vereinbare Verletzungen Wiederbelebungsversuche eingeleitet werden. Der Patient sollte erwärmt und reanimiert werden, bis die Kerntemperatur > 35 °C beträgt. Falls dieses Kriterium erfüllt ist und keine Lebenszeichen vorliegen sollten, kann die Beendigung der Maßnahmen indiziert sein. 16 1023 Prognose Die Sterblichkeit von Patienten mit einer milden Hypothermie beträgt 12 % und steigt bei einer moderaten Hypothermie auf 21 %. Bei einer schweren Hypothermie liegt die Sterblichkeit trotz Krankenhausbehandlung bei nahezu 40 %. Die Gesamtsterblichkeit zwischen beiden Geschlechtern ist ähnlich. Aufgrund einer höheren Expositionsrate bei Männern tragen sie zu 65 % der Todesfälle durch Hypothermie bei. Etwa die Hälfte der Todesfälle mit Hypothermie finden sich bei Personen im Alter von > 65 Jahren. Eine infauste Prognose kann vermutet werden bei einer Asphyxie vor Eintritt der Hypothermie, einem Serumkalium von > 10 mmol/l, langen Reanimationszeiten unter Anwendung von Katecholaminen und einem begleitenden schweren Trauma. Hypothermie, Koagulopathie und Azidose gelten beim Patienten mit Trauma als „Triade des Todes“. Literatur 16 1024 [1] American College of Surgeons. Advanced Trauma Life Support. 7. Aufl. Chicago: American College of Surgeons; 2004: 240 – 241 [2] Brauer A, Wrigge H, Kersten J et al. Severe accidental hypothermia: rewarming strategy using a venovenous bypass system and a convective air warmer. Intensive Care Med 1999; 25: 520 – 523 [3] Bräuer A, Rathgeber J, Braun U. Monitoring und Wiedererwärmung von Patienten mit akzidenteller Hypothermie. Intensivmed 2000; 37: 244 – 245 [4] Danzl DF, Pozos RS, Auerbach PS et al. Multicenter hypothermia survey. Ann Emerg Med 1987; 16: 1042 – 1055 [5] Feliciano DV, Moore EE, Mattox KL. Trauma damage control. In: Moore EE, Feliciano DV, Mattox KL, Hrsg. Trauma. 5. Aufl. New York: McGraw-Hill; 2004: 877 – 900 [6] Ferrara A, MacArthur JD, Wright HK et al. Hypothermia and acidosis worsen coagulopathy in the patient requiring massive transfusion. Am J Surg 1990; 160: 515 – 518 [7] Fritz U, Bräuer A, English M. Aktive Wärmetherapie. Anaesthesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 1990; 33: 389 – 392 [8] Gentilello LM, Cobean RA, Offner PJ et al. Continuous arteriovenous rewarming: rapid reversal of hypothermia in critically ill patients. J Trauma 1992; 32: 316 – 327 [9] Gentilello LM, Jurkovich GJ, Stark MS et al. 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Outcome of survivors of accidental deep hypothermia and circulatory arrest treated with extracorporeal blood warming. NEJM 1997; 337: 1500 – 1505 16.4 Verletzungen durch chemische Substanzen A. Hohn, F. Wappler 16.4.1 Einleitung Mehr als 25 000 Chemikalien, von denen eine Großzahl Verätzungen hervorrufen können, werden regelmäßig in der Industrie, in der Landwirtschaft, aber auch im Haushalt eingesetzt. Etwa 3 % der Verletzungen in Verbrennungszentren sind auf chemische Substanzen zurückzuführen. Dabei spielen in der Praxis häufig Verletzungen durch Zement, Kalk, Salz-, Schwefel- oder Flusssäure sowie Verätzungen durch starke Laugen, die auch oft in Haushaltsreinigern zu finden sind, eine Rolle. Eine Abgrenzung des betroffenen Hautareals ist bei Verätzungen oft schwierig. Zudem können bei noch diskreten oberflächlichen Zeichen bereits tiefe Schädigungen vorliegen. Merke * Aufgrund der Vielzahl an unterschiedlichen Substanzen und der möglichen schwerwiegenden Schädigungen muss frühzeitig eine Vergiftungszentrale kontaktiert werden, auch um eventuell mit spezifischen Therapiemaßnahmen adäquat reagieren zu können. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Thermische und physikalische Schädigungen