2010-01_Kasuistik

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Mehrstündige Reanimation bei schwerer Hyopthermie
( aus „Notfall + Rettungsmedizin, Band 12, Heft 7,S.534ff., M.J.Kellersmann et al.)
Kasuistik :
-
46 jähriger Patient
Außentemperatur ca. 0°C
Alkoholisiert, somnolent
Stark hypotherm im Graben aufgefunden
Initiale Versorgung am Auffindungsort
Beschluss, weitere Diagnostik und Behandlung im RTW durchzuführen
Umlagerung des Patienten auf Trage mit Rauteck-Griff
Hierbei Wechsel von normofrequentem Sinusrhythmus in Kammerflimmern
Umgehender Beginn mit CPR
60-minütige Reanimationsdauer am Einsatzort
hierbei getroffene Maßnahmen :
- 18 x Defibrillation
- insges. 200 mval Natriumbicarbonat
- 2 mg Adrenalin
- 450 mg Amiodaron
- 12 g Glucose
- 5 mg Diazepam
- 8µg/kg/min Dobutamin
- Temperaturmessung mit handelsüblichem Thermometer nicht
durchführbar
- Keine Erwärmungsmaßnahmen
Weiterer Verlauf :
- Transport ins nächstliegende Krankenhaus 85 Minuten nach Alarmierung unter
laufender Reanimation
- Dort Anlegen eines transvenösen Schrittmachers ohne suffizienten Auswurf
- Aus logistischen Gründen keine Erwärmungsmaßnahmen bei Temperatur von
25°C
- 150 Minuten nach Alarmierung Weiterverlegung mit RTH in nächstgelegene
Uniklinik bei nach wie vor weiten, lichtstarren Pupillen und fortgesetzter CPR
- sofortige Überführung in den kardiochirurgischen OP
- Arterieller Zugang
- Anpassen der Beatmung bei einem etCO2 von 22mmHg auf 35 – 40mmHg
- Femorofemoraler Zugang nach 190 Minuten bei Temp. von 24,7°C
- Anschluss an extrakorporale Zirkulation
- Nach 240 Minuten bei 30,3°C 1x Defibrillation mit 200 J, daraufhin sofort
Sinusrhythmus
- Unter Zufuhr von 0,4µg/kg/min Arterenol stabile Hämodynamik
- Beendigung der extrakorporalen Zirkulation bei 33°C nach 370 Minuten
- Verlegung auf kardiochirurgische Intensivstation mit RR: 85/40 bei
0,15µg/kg/min Arterenol und SR mit 105/min
- Weitere Behandlung mit milder Hypothermie (32 – 33°C) für 12 Stunden
- Nach 3-tägiger Beatmung Extubation ohne neurologisches Defizit
- Am 10. Tag Entlassung des Patienten
Diskussion :
Das Erkennen einer relevanten Hypothermie in der Präklinik ist für eine patientengerechte
Rettung und für die klinischen Therapie sehr wichtig. Zur Temperaturmessung sollte dringend
ein Tympanothermometer zur Verfügung stehen, da die herkömmlichen Fieberthermometer
die Stadien einer Hypothermie nicht erfassen können. Die Stadieneinteilung ist aber gerade
erforderlich, um die weitere Wahl der therapeutischen Maßnahmen vornehmen zu können.
Im vorliegenden Fall konnte die initiale Temperatur mangels eines geeigneten Thermometers
eben nicht gemessen werden und somit auch der Schweregrad der Hypothermie nicht
eingeschätzt werden. Möglicherweise wurde deswegen sehr viel Zeit am Einsatzort
vertändelt.
Unabhängig vom Stadium der Hypothermie sollte der Patient mittels Schaufeltrage und
Vakuummatratze (oder Spineboard) immobilisiert werden. Unnötige Patientenbewegungen
können, wie auch in diesem Fall, zum Bergungstod führen.
Beim Bergungstod kommt es zu einer Umverteilung des kalten Körperschalenblutes hin zum
Körperkern und damit zu einer weiteren Erniedrigung der Körperkerntemperatur. Dies führt
häufig zu einer erhöhten myokardialen Irritabilität durch Änderungen der kardialen Membranpotentiale. Auch bei unter Immobilisationskriterien durchgeführter Umlagerung sollte daher
diese immer unter EKG-Kontrolle erfolgen.
Wichtig ist auch, eine weiteres Absinken der Körpertemperatur zu vermeiden, d.h. der Patient
muss vor Umwelteinflüssen wie Regen, Schnee etc. geschützt werden.
Hypothermie führt stadienabhängig zu Bradykardie und einem reduzierten HZV mit art.
Hypotonie. Unter 30°C Körpertemperatur spricht man von einer schweren Hypothermie.
Liegt diese vor, werden vasoaktive Substanzen nicht mehr empfohlen. Sie zeigen unter 30°C
keine Wirkung und können kumulieren. Auch auf eine Volumentherapie sollte in der
Präklinik beim hypothermen Patienten verzichtet werden.
Sowohl beim Vorliegen eines Kammerflimmerns als auch bei der Asystolie sollte umgehend
mit Reanimationsmaßnahmen gemäß der Richtlinien des ERC begonnen werden. Von der
ERC werden maximal 3 Defibrillationsversuche empfohlen, da diese bei einer Körpertemperatur unter 30°C selten erfolgreich sind. So werden unnötige strominduzierte
Myokardschäden vermieden.
Auch die hochdosierten Medikamentengaben wie im vorliegenden Fall (wahrscheinl. erhielt
der Pat. nicht 2mg sondern 20mg Suprarenin) sollten vermieden werden. Möglicherweise
rechneten die Rettungskräfte nicht mit dem Vorliegen einer schweren Hypothermie.
Die Indikation zur Intubation sollte bei hypothermen, bewusstlosen Patienten großzügig
gestellt werden. Zu beachten ist allerdings, dass auf Grund des herabgesetzten Metabolismus
das Atemzugvolumen deutlich reduziert werden muss. Die Beatmung muss in der Klinik nach
pH-stat-Bedingungen erfolgen bzw. korrigiert werden. Hiermit wird die kardiale und
zerebrale Durchblutung optimiert und zugleich werden Reperfusionsschäden minimiert.
Im vorliegenden Fall wurde viel Zeit sowohl in der präklinischen Phase als auch in der
erstversorgenden Klinik vergeudet durch unnötige Therapieversuche (z.B. Schrittmacheranlage).
Besser wäre es gewesen, trotz längerer Fahrzeit ein Zentrum mit der Möglichkeit zur
Schaffung eines extrakorporalen Kreislaufes zur Wiedererwärmung anzusteuern.
Jegliche forcierte Erwärmung sollte präklinisch vermieden werden, weil hierdurch die
kältebedingte periphere Vasokonstriktion aufgehoben werden und dadurch ein Abfall des
systemischen Blutdruckes mit kardialem Versagen resultieren könnte.
Die Erwärmung mittels Herz-Lungen-Maschine ist einerseits die invasivste Möglichkeit der
Wiedererwärmung, aber andererseits auch die effektivste, schnellste und sicherste Methode.
Metabolische Entgleisungen können schnell korrigiert werden und sowohl Hämodynamik und
Gasaustausch gut überwacht werden.
Postoperativ sollte wegen der Verbesserung des neurologischen Outcome eine milde
Hypothermie für 12-24 Stunden beibehalten werden.
Fazit :
Patienten mit reanimationspflichtiger Hypothermie sollten umgehend unter Fortführung
der Reanimationsmaßnahmen ohne Medikamentenapplikation und maximal 3 Defibrillationsversuchen in ein Krankenhaus mit der Möglichkeit der extrakorporalen Erwärmung
transportiert werden.
Aus obendargestelltem Fall zeigt der Grundsatz: „Nobody is dead until rewarmed and
dead“ bei der prolongierten Reanimation seine besondere Bedeutung.
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