7.1 Postnatale Regulation der Thermogenese 7 7 Wärmehaushalt Mathias Nelle, Stephan Arenz Postnatale Regulation der Thermogenese Menschen sind homöotherme Lebewesen, welche ihre Temperaturproduktion steigern oder reduzieren, um ihre Körpertemperatur innerhalb eines sehr engen Bereichs konstant zu halten. Bei konstanter Temperatur entspricht die Wärmeproduktion dem Wärmeverlust durch Konvektion, Radiation, Evaporation und Konduktion (Abb. 7.1). Neugeborene und insbesondere Frühgeborene sind jedoch aufgrund ihrer Unreife nur bedingt in der Lage, diese Homöostase aufrechtzuerhalten. Abb. 7.1 7.1.1 Wärmeproduktion Die Fähigkeit zur Thermogenese unterliegt einem Reifungsprozess. In einer thermoneutralen Umgebung liegt die metabolische Ruherate eines Neugeborenen (schlafend, mehr als 1 Stunde nach der Mahlzeit) bei etwa 25 – 30 kcal/m2/h [32]. Dies entspricht etwa der Hälfte der Ruherate eines Erwachsenen, bezogen auf die Körperoberfläche, und es erklärt, warum Neugeborene eine mögliche Ursache Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 7.1 mögliche Intervention bei Erstversorgung Mechanismus Erklärung Konvektion Wärmeströmung kühle Zugluft adäquate Temperatur im Erstversorgungsraum/ Geburtszimmer, Vermeidung von Zugluft, Zudecken mit warmen Tüchern oder Plastikfolie Radiation Strahlung an umgebende Oberflächen größere, der Umgebung exponierte Hautflächen Zudecken mit warmen Tüchern Evaporation Verdunstung feuchte Haut, feuchte Tücher, niedrige Feuchte in der Umgebungsluft, nicht angefeuchtete Luft bei Beatmung Abtrocknen, Plastikfolie oder -beutel, Anfeuchten der Atemluft Konduktion Wärmeleitung Kontakt zu kühlen Tüchern oder kühlem Bett Wärmematte, warme Tücher Mögliche Mechanismen und Ursachen für einen Wärmeverlust. 131 Wärmehaushalt wärmere Umgebung als Erwachsene benötigen, da der Wärmeverlust von der Körperoberfläche abhängig ist. Früh- und Neugeborene haben nur eingeschränkte Möglichkeiten, auf Änderungen ihrer Umgebungstemperatur zu reagieren [23]. Ohne besondere Maßnahmen sinkt die Körpertemperatur eines Neugeborenen unmittelbar postnatal sehr schnell [10]. Die geringen Glukosespeicher, z. B. in der Leber, sind sehr schnell aufgebraucht und es kommt bei kühler Umgebung zur Lipolyse von braunem Fettgewebe (Fettgewebe mit hoher oxidativer Potenz aufgrund einer hohen Dichte an Mitochondrien), der sog. „Nonshivering Thermogenesis“ [30]. Die Wärmeproduktion durch Verbrennung von braunem Fettgewebe hat einen erhöhten O2-Bedarf zur Folge [19, 26] und kann zu einer Umstellung auf einen anaeroben Stoffwechsel führen. Dies wiederum führt zur Laktatbildung und metabolischer Azidose (Laktazidose) [9, 19]. Bei extremen Frühgeborenen ist die Nonshivering Thermogenesis ineffizient [19]. Sie haben keine Möglichkeit, zusätzliche Wärme zu produzieren, verhalten sich also wie poikilotherme Wesen, ohne jedoch die ausgereiften Kompensationsmechanismen poikilothermer Tiere zu besitzen (u. a. enzymatisches Gleichgewicht, Zellmembraneigenschaften), um die Körpertemperatur aufrechtzuerhalten. 7.1.2 Wärmeverlust Reife Neugeborene verlieren Wärme hauptsächlich durch Konvektion und Radiation, während Evaporation nur unmittelbar nach der Geburt eine größere Rolle spielt, wenn die Haut noch nass vom Fruchtwasser ist [11, 32, 34, 38] (Abb. 7.1). Wird das Kind postnatal nicht abgetrocknet, so entsteht schnell ein Wasserverlust durch transepidermale Verdunstung. Einhergehend damit entsteht ein Energieverlust von 0,6 kcal/ml Wasser [32]. Dieser insensible Wasserverlust (perspiratio insensibilis) erfolgt zu etwa ⅔ über die Haut und zu ⅓ über den Respirationstrakt, weshalb neben einer optimalen Umgebungsfeuchte auch das Anfeuchten der Atemluft bei Einsatz einer Beatmung unabdingbar ist [22]. Bei Frühgeborenen bewirkt die Unreife der Haut mit dünnem Stratum corneum und einem geringen Anteil von Keratin in den Kutiszellen eine erhöhte Durchlässigkeit für Wasser. Daraus resultiert ein erhöhter insensibler Wasserverlust, verbunden mit einem erhöhten Wärmeverlust [12, 34]. Daneben haben sie eine relativ größere Körperoberfläche [32] sowie weniger subkutanes Fettgewebe als reife Neugeborene [19]. Dies führt zu einer schlechteren Isolierung gegen Wärmeverluste. MERKE: Die große Körperoberfläche von Neugeborenen in Relation zum Körpergewicht begünstigt Wärmeverlust, z. B. durch Strahlung. 132 7.1.3 Thermoregulation Ziel der Thermoregulation ist es, die Körperkerntemperatur auf einem Sollwert (mit tageszeitlichen Schwankungen) um ca. 37,0 – 38,0 °C konstant zu halten. Die durch Nonshivering Thermogenesis produzierte Wärme wird via Zirkulation zur Körperoberfläche transportiert [32]. Über periphere und zentrale Thermorezeptoren (Kälte-/ Wärmerezeptoren) wird mittels eines Feedbackmechanismus das Temperaturregulationszentrum im Hypothalamus angesteuert (Regulation durch Noradrenalin und TSH) und damit die kutane Vasomotorik reguliert [19]. Durch Vasokonstriktion können Wärmeverluste an die Umgebung reduziert werden, durch Vasodilatation wird die Wärmeabgabe gesteigert. Durch eine eingeschränkte Fähigkeit zur Vasokonstriktion der Hautgefäße haben Frühgeborene eine hohe Wärmeabgabe über die Haut [24]. MERKE: Im Gegensatz zu Erwachsenen können Neugeborene keine Wärme mittels Muskelzittern produzieren [30]. In einer warmen Umgebung regulieren sowohl reife Neugeborene als auch Frühgeborene ihre Körpertemperatur durch periphere Vasodilatation [14]. Auf hohe Umgebungstemperaturen können reife Neugeborene auch mit Schwitzen reagieren (vor allem am Kopf). Frühgeborene < 36 SSW haben die Fähigkeit zum Schwitzen initial noch nicht, erwerben sie aber im Lauf der ersten 2 Lebenswochen [13]. Im Vergleich zum Erwachsenen ist die Fähigkeit zur Schweißproduktion bei Neugeborenen geringer ausgebildet und die Thermoregulation über das Schwitzen ineffizient [13]. 7.1.3.1 Thermoneutralbereich Der Thermoneutralbereich bezeichnet die Temperatur, bei der am wenigsten Energie zur Wärmeproduktion aufgebracht werden muss, d. h. hier wird die Körperkerntemperatur bei minimaler Wärmeproduktion und minimalem Energie- bzw. Sauerstoffverbrauch im Normbereich gehalten (Abb. 7.2). Der Thermoneutralbereich ist abhängig von Gestationsalter, Gewicht, Blutzirkulation und transepidermalem Wasserverlust. Bei Frühgeborenen < 30 SSW ist die Spanne kleiner als 0,5 °C. Diese reagieren, anders als reife Neugeborene, auf Temperaturen außerhalb des Thermoneutralbereichs oft nicht mit einem erhöhten Sauerstoffbedarf, sondern mit einer Änderung der Körpertemperatur. Daher wurde für Frühgeborene als Definition des Thermoneutralbereichs „die Umgebungstemperatur, bei der die Körpertemperatur zwischen 36,7 und 37,3 °C liegt und sich um weniger als 0,2 – 0,3 °C pro Stunde ändert“ vorgeschlagen [33]. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 7 7.2 Wärmeverluste und Überwärmung Tod 36 °C 36,5 °C 37,5 °C schwere Hyperthermie Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 32 °C milde Hypothermie mäßige Hypothermie Tod Thermoneutralbereich Hyperthermie Normbereich schwere Hypothermie Stoffwechselrate (Sauerstoffverbrauch) maximaler Metabolismus 7 40 °C Körpertemperatur Abb. 7.2 Energieumsatz und Sauerstoffverbrauch in Relation zur Körpertemperatur (Quelle: Fisher & Paykel Healthcare. Why Infant Warming is Vital). MERKE: Eine normale Körperkerntemperatur bedeutet noch nicht, dass sich das Neugeborene im Thermoneutralbereich befindet. 7.1.3.2 Perinatale Thermoregulation Der Fetus produziert mit seinem eigenen Stoffwechsel Wärme, die er via Plazenta an die Mutter abgibt. Zur Aufrechterhaltung des Wärmeflusses ist die Temperatur des Fetus in utero ca. 0,6 °C höher als die mütterliche Temperatur (> höherer Metabolismus). Aufgrund des Temperaturgradienten ist die Plazenta damit ein effektiver „Wärmeaustauscher“ [1, 32]. Unmittelbar postnatal ist die Temperatur des Neugeborenen 0,5 – 1 °C höher als bei der Mutter (im Mittel: 37,8 ° C mit einer Spanne von 37 – 39 °C) [32]. Bestimmt durch die Reife bei Geburt und je nach vorhandenen Energieressourcen ist die Fähigkeit zur Temperaturregulation sehr unterschiedlich ausgeprägt. Eine erhöhte mütterliche Temperatur (Fieber 38,0 – 41 °C) kann postnatal zu erhöhter Temperatur beim Neugeborenen führen. 7.2 Wärmeverluste und Überwärmung 7.2.1 Hypothermie Schon Ende der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts konnte in einer randomisierten Studie gezeigt werden, dass bei Neugeborenen durch eine normotherme Umgebung die Mortalität signifikant gesenkt werden konnte [37]. Viele weitere Studien zeigten, dass durch die Vermeidung einer Hypothermie sowohl bei Frühgeborenen als auch bei reifen Neugeborenen die Überlebensrate verbessert wird. MERKE: Keine andere einzelne Maßnahme hat einen solch starken präventiven Effekt auf die Mortalität wie die Vermeidung einer Hypothermie [22]. Auch heute, nach vielen Fortschritten in der Neonatologie, ist die Vermeidung der Hypothermie bei der Erstversorgung sehr unreifer Frühgeborener eine Herausforderung und die Hypothermie bei Aufnahme auf Station ein unabhängiger Risikofaktor für neonatalen Tod [5]. Bei einem hohen Anteil sehr unreifer Frühgeborener liegt die Aufnahmetemperatur unter dem geforderten Standard von 36,0 °C [4, 18, 19, 22]. Hypothermie kann zu einem erhöhten Sauerstoffverbrauch [26], arterieller Hypotension, erniedrigtem Plasmavolumen und reduzierter linksventrikulärer Auswurfleistung bei erhöhtem peripherem Gefäßwiderstand führen. Die Maßnahmen zur Vermeidung einer Hypothermie bei der Erstversorgung sind in Abb. 7.1 aufgeführt. 133