Ich habe begonnen mir ein Freund zu sein

Werbung
Ich habe begonnen mir ein Freund zu sein
Resilienz aus psychologischer und philosophischer Sicht
Wolfsberg, 28. Oktober 2016
Tobias Ballweg
ÜBERSICHT
1. Resilienz und Stresserleben
2. Philosophie als Therapie
• Perspektivenwechsel als Grundlage philosophischer
Selbstreflexion
• Ziele der philosophischen Therapie
3. Selbstkultur und „Freundschaft mit sich selbst“
• Selbsterkenntnis
• Selbstformung
• Grundlagen
• Übungen
Resilienz und Stresserleben
Ein Beispiel:
• Sie sitzen in einem bequemen Sessel
• ein angenehm klimatisierter Raum
• ruhiger Atmosphäre
• draussen Sonnenschein und
• eine herrliche Alpenlandschaft
• Blick auf den St. Gotthard …
Resilienz und Stresserleben
Resilienz und Stresserleben
• Stress (im negativen Sinne) resultiert aus einer Blockade unserer
Erwartungen und Zielvorstellungen.
• Menschen unterscheiden sich (erheblich) darin,
• ob und in welchem Masse sie ihre Erwartungen an die Realität
anpassen können
• wie sie mit (aktuell) unerfüllbaren Erwartungen umgehen.
• Je geringer die Flexibilität, desto höher die Stressvulnerabilität.
• Dies gilt sowohl für äussere Erwartungen und Ziele als auch für
Erwartungen bezüglich der eigenen Person
(Selbstbild/Selbstideal).
Zentraler Aspekt:
Die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel
Resilienz und Stresserleben
Eine Grundannahme philosophischer Therapie
„Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen,
sondern ihre Meinungen und Urteile über die Dinge.“
(Epiktet, Encheiridion, S. 11)
ÜBERSICHT
1. Resilienz und Stresserleben
2. Philosophie als Therapie
• Perspektivenwechsel als Grundlage philosophischer
Selbstreflexion
• Ziele der philosophischen Therapie
3. Selbstkultur und „Freundschaft mit sich selbst“
• Selbsterkenntnis
• Selbstformung
• Grundlagen
• Übungen
Philosophie als Therapie
Antike Philosophie ist kein abstrakter theoretischer
Diskurs …
„Handeln lehrt die Philosophie, nicht reden, und dies
verlangt sie, dass jeder nach seinem eigenen
Grundsatz lebe, dass das Leben nicht zur Rede im
Widerspruch stehe oder gar zu sich selbst, dass der
Farbton aller Handlungen einheitlich sei.“
(Seneca, Briefe an Lucilius, 20. Brief)
Philosophie als Therapie
Epikur:
• „Weder soll, wer noch ein Jüngling ist, zögern zu philosophieren,
noch soll, wer schon Greis geworden, ermatten darin. Denn
weder ist jemand zu unerwachsen noch bereits zu erwachsen, im
Blick auf das, was in der Seele gesunden lässt.“
(Brief an Menoikeus)
Seneca:
• „Ohne Philosophieren ist der Geist krank.“
(Briefe an Lucilius, 15. Brief)
Epiktet:
• Die Schule eines Philosophen ist eine «Arztpraxis» (iatreion).
«Wenn man hinausgeht, soll man nicht genossen, sondern
gelitten haben.»
(Epiktet, Gespräche, III, 20 -24; 30)
Wichtige Autoren
• Epikur (341 - 270 v. Chr.)
• Philosoph
• Gründer des Kepos
• Seneca (1 - 65 n. Chr.)
• Rechtsanwalt / Mitglied des röm. Senats
• Philosoph („Stoiker“)
• Epiktet (50 -130 n. Chr.)
• Sklave (später Freigelassener)
• Philosoph („Stoiker“)
• Marc Aurel (121-180 n. Chr.)
• Römischer Kaiser
• Philosoph („Stoiker“)
Philosophie als Therapie
Interventionsstrategien:
•
•
•
•
•
•
•
•
Perspektivenwechsel
Ressourcenaktivierung (inhaltlich und prozessual)
Sokratischer Dialog (real oder fiktiv)
Lernen am Modell
Gedankenexperimente
Daseinsanalyse und Reframing (biographisch/existentiell)
Performative Beschreibung
Top-down-Strategie
Philosophie als Therapie
Der Perspektivenwechsel als Grundlage
der Selbstreflexion:
Betrachte nur die Dinge
von einer andern Seite,
als Du es bisher tatest;
denn darin besteht das neue Leben.
(Marc Aurel, Selbstbetrachtungen)
Perspektivenwechsel durch philosophische
Selbstreflexion
• Prominent ist die Imaginationsübung des
„Seelenflugs“:
• „Man muss das Irdische überschauen, gleichsam von einer
Höh’ nach unten: die Herden, Heere, Bauernschaften; die
Ehen, Scheidungen; Geburten, Todesfälle; Getümmel der
Gerichte, Einsamkeiten; die bunte Menge der Barbarenvölker;
die Feste, Klagelieder, Märkte; das Allgemisch und seine
Wohlordnung zum einen Kosmos aus den Gegensätzen.“
(Marc Aurel, Selbstbetrachtungen VII 48)
Perspektivenwechsel durch philosophische
Selbstreflexion
Der Seelenflug kann auch auf der Zeitachse vollzogen werden:
„Überdenke ohne Unterlass: Wie viele Ärzte tot sind, die oft
über ihre Kranken ihre Stirn in Falten legten, wie viele
Sternseher, die anderen ihren Tod, als wär’s etwas Grosses,
voraussagten; wie viele Philosophen, die über Tod und
Untersterblichkeit endlos disputierten. … Zusammenfassend:
immer sehen die Menschendinge als vergänglich, nichtig,
gestern Schleimsekret, morgen Mumie oder Asche. – Also:
diese kurze Frist gehorsam der Natur durchwandern und stillheiter hingehen, wie wenn die Olive, wann sie reif geworden,
abfiele, segnend die Mutter Erde, die sie trug, und dankend dem
Baume, der sie wachsen liess.“
(Marc Aurel, Selbstbetrachtungen IV 48)
Ziele der philosophischen Therapie
Gestaltung des Weltverhältnisses
Transformation des Selbstverhältnisses
Gestaltung des Weltverhältnisses
Sinn
Kontingenz
Zeit
Sterblichkeit
Glück
ÜBERSICHT
1. Resilienz und Stresserleben
2. Philosophie als Therapie
• Perspektivenwechsel als Grundlage philosophischer
Selbstreflexion
• Ziele der philosophischen Therapie
3. Selbstkultur und „Freundschaft mit sich selbst“
• Selbsterkenntnis
• Selbstformung
• Grundlagen
• Übungen
Selbstkultur und «Freundschaft mit sich selbst»
• Neben der Frage, welche Haltung wir zu Zeit,
Kontingenz und Sterblichkeit einnehmen sollten,
gehört die Frage, welche Haltung zu uns selbst
angemessen ist, zu den zentralen Themen antiker
Philosophie.
• Entsprechend wird der Gestaltung des Selbstverhältnisses im therapeutischen Kontext grosse
Bedeutung beigemessen.
ÜBERSICHT
1. Resilienz und Stresserleben
2. Philosophie als Therapie
• Perspektivenwechsel als Grundlage philosophischer
Selbstreflexion
• Ziele der philosophischen Therapie
3. Selbstkultur und „Freundschaft mit sich selbst“
• Selbsterkenntnis
• Selbstformung
• Grundlagen
• Übungen
Selbsterkenntnis
Selbstverhältnis
Menschliche Wesen
zeichnen sich dadurch
aus, dass sie sich
zu sich selbst verhalten.
Das heisst: Sie haben
- eine spezifische
Betrachtungsweise
der eigenen Person
- und einen bestimmten
Umgang mit sich selbst.
Innerer
Kritiker
Der „innere Kritiker“
Unsere Betrachtungsweise der
eigenen Person ist sehr stark
von einer normativen Instanz
geprägt, die in der Psychologie
„Selbstideal“, „Über-Ich“
oder „innerer Kritiker“
genannt wird.
Diese Instanz beurteilt
unser Denken, Fühlen und
Handeln nach bestimmten
Massstäben, die wir meist
nicht selbst gewählt haben.
Selbsterkenntnis
Unsere Gedanken und Gefühle zur eigenen Person sind sehr stark
vom Aspekt der Selbstbewertung gekennzeichnet.
• Typischerweise stehen Überlegungen im Vordergrund wie:
• Wer bin ich? Wer möchte ich sein?
• Wie sehe ich aus? Wie würde ich gerne aussehen?
• Was kann ich? Was kann ich nicht?
• Wie nehmen die Anderen mich wahr? Wie möchte ich von
ihnen wahrgenommen werden?
• Die begleitenden Gefühle bei diesem Selbstbewertungsprozess
sind:
• positiv: Stolz, Selbstachtung, ein gesteigertes
Selbstwertgefühl
• negativ: Insuffizienzgefühle, Selbstzweifel, Scham, Schuld
Selbsterkenntnis: Burnout-Disposition
Innerer
Kritiker
Mangelnde
Integration des
wahrnehmenden
und fühlenden
Selbst in die
eigene Identität
Burnout und Selbstideal
Überidentifikation
mit dem Selbstideal
(„Innerer Kritiker“) und
seinen Leistungsimperativen.
Selbsterkenntnis
Die Prägungen des inneren Kritikers:
• Was wir an Selbstbildern und Zensur mit uns herumtragen, haben
wir ursprünglich durch Nachahmung und Anerziehen erworben.
Andere haben es uns vorgesagt und vorgelebt, und wir haben es
in uns nachgebildet. Es ist ein Prozess, in dem das Diktat
äusserer Autoritäten verinnerlicht wird: das Diktat von Eltern,
Lehrern, religiösen Führern, Institutionen mit Gruppenidealen.
(Peter Bieri, Eine Art zu leben, S. 76)
Selbsterkenntnis
Die Prägungen des inneren Kritikers:
• Innere Autorität beginnt als verinnerlichte äussere Autorität. In
diesem Sinne beginnen wir alle mit Unselbständigkeit: Die
verinnerlichte Autorität ist übermächtig und unverfügbar. Sie ist es
auch deshalb, weil sie nicht bewusst ist und nicht als Autorität
erkannt wird. Sie operiert hinter unserem Rücken. …
(Peter Bieri, Eine Art zu leben, S. 76)
Selbsterkenntnis
Innerer
Kritiker
Selbsterkenntnis
Innerer
Kritiker
•
•
•
Biographische
Prägungen
Denk- und
Wahrnehmungsmuster
«Musturbations»
Selbsterkenntnis: Auseinandersetzung mit dem "inneren Kritiker"
30 Leitsätze des inneren Kritikers
nicht
zutreffend
teilweise
zutreffend
sehr
zutreffend
Wenn "sehr zutreffend": Negative
Folgen des Leitsatzes
Befürchtungen, wenn ich den Leitsatz nicht
befolge …
L Das Leben muss heiter und unbeschwert sein!
Scheue kein Risiko!
Mache nur, was Dir Spass macht!
Bloss keine Langeweile!
Verpasse keine Gelegenheit!
Vermeide Unlust!
K Behalte die Lage im Griff!
Bloss nicht auf andere angewiesen sein!
Keine Kompromisse!
Lass Dir nicht in die Karten schauen!
Sei auf der Hut!
Du darfst nicht scheitern!
Es muss perfekt sein!
Du darfst auf keinen Fall die Fassung verlieren!
S Sei erfolgreich!
Vermeide, kritisiert zu werden!
Sei besser als die anderen!
Hauptsache, Du wirst wahrgenommen!
Strebe nach Anerkennung!
Pass bloss auf, dass Du Dich nicht blamierst!
Sei freundlich und nett!
Sei der Fels in der Brandung!
B Falle keinem zur Last!
Werde geliebt!
Kümmere Dich um andere!
Bloss keine Auseinandersetzung!
Passe Dich an!
Vermeide Alleinsein!
Enttäusche andere nicht!
Du musst doch Verständnis haben!
Quelle: Tobias Ballweg, Philosophie in der Psychotherapie
Die vier psychischen Grundbedürfnisse: L= Lust; K= Kontrolle; S=Selbstwert; B= Bindung
ÜBERSICHT
1. Resilienz und Stresserleben
2. Philosophie als Therapie
• Perspektivenwechsel als Grundlage philosophischer
Selbstreflexion
• Ziele der philosophischen Therapie
3. Selbstkultur und „Freundschaft mit sich selbst“
• Selbsterkenntnis
• Selbstformung
• Grundlagen
• Übungen
Selbstformung
• Ein positives Selbstverhältnis ist nach antiker
Auffassung geprägt durch Selbstsorge (Epimeleia …),
eine Haltung die zahlreiche Facetten umfasst:
„[Jedenfalls muss der Mensch] von allem Äusseren
sich frei machen und Einkehr halten bei sich selbst,
sich vertrauen, an sich Freude haben, sein Eigenes
wertachten, möglichst von Fremdem sich
zurückziehen, sich an sich selbst halten, Verluste nicht
hoch anschlagen, auch an Widrigem die beste Seiten
herausfinden.“
(Seneca, Von der Gemütsruhe, S. 56)
• Ein zentraler Aspekt wird in dieser Textpassage nicht
genannt, nämlich: die Freundschaft mit sich selbst.
Selbstkultur
Der
Helfer
Der
Kritiker
Der
Freund
Die
Weise
Die
Freundin
Der
Narr
Das
Kind
Die
Heilende
Selbstkultur
Der
Helfer
Der
Kritiker
Der
Freund
Die
Weise
Die
Freundin
Der
Narr
Das
Kind
Die
Heilende
Selbstformung: Weisheit
«secundum naturam vivere»
«So ergibt sich als höchstes Gut:
Der Natur gemäss zu leben.»
(Cicero, De finibus bonorum et malorum V, 9, 24 V.)
Selbstformung: Weisheit
Wie gelange ich zur Übereinstimmung mit mir selbst
(Seelenharmonie)?
Zentrale Aspekte der Fragstellung
• Was entspricht meinen Anlagen?
• Was entspricht meinen Kompetenzen?
• Was entspricht meinen Bedürfnissen?
• Wer oder was will ich sein?
• Wo liegen meine grössten Dissonanzen (innere Konflikte,
äussere Konflikte, Stressfaktoren), meine Hindernisse,
Blockaden?
Selbstformung: Weisheit
«Du willst bei den Olympischen Spielen siegen? Ich auch, bei den Göttern,
denn das ist ja eine feine Sache. Aber bedenke die Voraussetzungen und
Folgen und dann erst pack die Sache an. Du musst dich einer harten
Disziplin unterwerfen, eine strenge Diät befolgen, musst auf Süssigkeiten
verzichten, auf Kommando trainieren – zu festgesetzter Zeit, bei Hitze und
Kälte; dann darfst du kein kaltes Wasser trinken, keinen Wein, wenn du
Lust dazu hast, kurz: du musst dich deinem Trainer wie einem Arzt
ausliefern. Dann, beim Wettkampf, musst du dich im Sand wälzen, kannst
dir den Arm ausrenken, den Knöchel verstauchen, eine Menge Staub
schlucken, manchmal auch Hiebe bekommen – und musst trotz alldem
vielleicht eine Niederlage einstecken. Dies alles erwäge, und hast du dann
noch Lust, dann geh’ zum Wettkampf. … So haben zum Beispiel manche
einen Philosophen gesehen … und nun wollen sie selbst Philosophen
sein. Mensch überleg’ dir doch zuerst, worum es sich eigentlich handelt,
dann prüfe die Ausstattung deiner Natur, ob du der Sache auch
gewachsen bist. Du willst Fünfkämpfer oder Ringer sein? Sieh dir deine
Arme, deine Schenkel an, prüfe deine Hüften. Denn der eine ist für dieses,
der andere für jenes geschaffen.» (Epiktet, Eincheiridion, S. 40f)
Selbstformung: Weisheit
„Ich werde zur See gehen, wenn sich nichts Ungünstiges ereignet;
ich werde Prätor werden, wenn sich mir nichts in den Weg stellt;
mein Unternehmen wird gelingen, wenn nichts dazwischen kommt!“
Das ist der Grund, weswegen wir sagen, einem Weisen widerfahre
nichts gegen seine Erwartung: nicht haben wir ihn von den
Schicksalsschlägen der Menschen ausgenommen, sondern von den
Irrtümern, und nicht geht ihm alles, wie er will, sondern wie er es
bedacht hat. Besonders aber hat er bedacht, etwas könne seinen
Plänen Widerstand leisten. (Seneca, Von der Gemütsruhe, S. 56 [De
tranquillitate animi, XIII 2-3])
Selbstformung: Freundschaft mit sich selbst
• Als Seneca bei Hekaton liest:
„Ich habe begonnen mir ein Freund zu sein (amicus
esse mihi coepi)“,
• kommentiert er diese Bemerkung mit den Worten:
„Einen grossen Fortschritt hat er gemacht. Nie wird er
allein sein.“
(Briefe an Lucilius, 6. Brief)
Selbstkultur
Der
Helfer
Der
Kritiker
Der
Freund
Die
Weise
Die
Freundin
Der
Narr
Das
Kind
Die
Heilende
Selbstformung: Freundschaft mit sich selbst
Kommentar:
• Schon bei Aristoteles gilt die Selbstfreundschaft als eine Haltung,
aus der (Zitat) „jede anderweitige Freundschaftsbetätigung erst
abgeleitet wird.“ (Aristoteles, NE IX, 4 1166b)
• Sie ist die Voraussetzung für wohlwollende und
freundschaftlichen Beziehungen zu anderen Menschen.
• Nur wer mit sich selbst befreundet ist, kann die Zuneigung, die
ihm entgegengebracht wird, annehmen und als etwas verstehen,
das ohne weitere Absicht seiner eigenen Person gilt.
• „Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst.“ Lk 10, 27b
Selbstformung: Freundschaft mit sich selbst
• Übung:
1)
2)
Was haben Sie für einen anderen Menschen aus
Freundschaft getan?
Was waren Ihre Worte, Ihre Gesten? Welche Haltung
haben Sie dabei eingenommen?
Wann hat sich jemand Ihnen gegenüber freundschaftlich
gezeigt? Was war Ihnen daran besonders hilfreich oder
wichtig?
Selbstformung: Freundschaft mit sich selbst
Kommentar:
• Die antike Philosophie bietet keine theoretische Anleitung, wie
eine positive Wandlung des Selbstverhältnisses im
therapeutischen Kontext bewirkt werden kann.
• Aber aus der Praxis der Beratung, die sich vor allem in der
Briefliteratur spiegelt, ergeben sich doch wichtige Hinweise.
• Seneca scheint sich darüber im Klaren zu sein, dass ein
freundschaftliches Selbstverhältnis nur am Modell der Bindung zu
anderen Menschen entwickelt werden kann.
• Häufig nähert er sich der Thematik dadurch, dass er auf wichtige
Bezugspersonen seines Gegenübers zu sprechen kommt (- auf
Freunde, Bekannte oder historische Vorbilder).
• Anschliessend bittet er sein Gegenüber, sich selbst aus der
Perspektive einer dieser Personen zu betrachten.
• Meist folgt als dritter Schritt die Aufforderung, sich diese
Sichtweise dauerhaft zu eigenen zu machen. Ein gutes Beispiel
für diese Vorgehensweise bietet der 11. Brief an Lucilius:
Selbstformung: Freundschaft mit sich selbst
• Übung
„Immer wieder soll der Freund heimkehren in unsere
Seele … . Ein Bild von ihm müssen wir uns malen, ein
kenntliches Bild nach dem Leben, nicht ein
verblasstes, stummes. …
‚So hielt er seine Hände, so zeigte er sein Antlitz.’
Fügen wir hinzu, was wesentlich ist: so sprach er, also
mahnte er, … so war sein Herz schnell bei der Hand in
Güte … . All seine anderen Vorzüge durchschweifen
wir im Hin und Her, sie machen wir uns ganz vertraut,
handgreiflich, wie man mit der Hand fühlt!“
(Seneca, Fragment 93)
Selbstkultur
Der
Helfer
Der
Kritiker
Der
Freund
Die
Weise
Die
Freundin
Der
Narr
Das
Kind
Die
Heilende
Selbstformung: Der Helfer
„Glücklich, wer einen so verehren kann, dass er sich
auch im Gedenken an ihn bildet und in Ordnung bringt
(ut ad memoriam eius se componat atque ordinet) … .
Wähle den, dessen Leben, dessen Ausdrucksweise und
selbst dessen Antlitz, in dem sich seine Gesinnung
spiegelt, Deine Zustimmung gefunden hat. Ihn halte Dir
immer vor Augen, sei es als Hüter, sei es als Beispiel
(vel custodem vel exemplum).“
(Seneca, Briefe an Lucilius, 11. Brief)
Selbstkultur
Der
Helfer
Der
Kritiker
Der
Freund
Die
Weise
Die
Freundin
Der
Narr
Das
Kind
Die
Heilende
Selbstformung
Man muss den Dingen
die eigene, stille
ungestörte Entwicklung lassen,
die tief von innen kommt
und durch nichts gedrängt
oder beschleunigt werden kann,
alles ist austragen – und
dann gebären...
Reifen wie der Baum,
der seine Säfte nicht drängt
und getrost in den Stürmen
des Frühlings steht,
ohne Angst,
dass dahinter kein Sommer
kommen könnte.
Er kommt doch!
Aber er kommt nur
zu den Geduldigen,
die da sind, als ob die Ewigkeit
vor ihnen läge,
so sorglos, still und weit...
Man muss Geduld haben
Mit dem Ungelösten im Herzen,
und versuchen, die Fragen
selber lieb zu haben,
wie verschlossene Stuben,
und wie Bücher, die in einer
sehr fremden Sprache
geschrieben sind.
Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn man die Fragen lebt,
lebt man vielleicht allmählich,
ohne es zu merken,
eines fremden Tages
in die Antworten hinein.
R.-M. Rilke
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
Kompetenzzentrum für
Psychiatrie und Psychotherapie
am Zürichsee
Herunterladen