Entwicklung des Harzes seit der Oberkreide 2 1. Entwicklung des Harzes seit der Oberkreide 1.1 Heraushebung in der Oberkreide Die Erkenntnisse über die Heraushebung des Harzes in der Oberkreide basieren auf der Untersuchung der Ausbildung des Subherzynen Kreidebeckens und seiner Sedimente in Verbindung mit der südlichen Aufrichtungszone der mesozoischen Gesteine am nördlichen Harzrand. Abb. 1.1: Schematisierte Darstellung der Heraushebung des Harzes in der Oberkreide am südlichen Rand des Subherzynen Beckens (VOIGT et al. 2004: 689, verändert) Entwicklung des Harzes seit der Oberkreide 3 Von sechs Diskordanzen in den Ablagerungen der Oberkreide des Subherzynen Beckens liegen fünf markante Winkeldiskordanzen im Zeitraum Coniacium bis Campanium. Diese fünf Diskordanzen können auf synsedimentäre tektonische Aktivitäten an der Harznordrandstörung zurückgeführt werden (VOIGT et al. 2004: 686) (siehe Abbildung 1.1). Nach FRANZKE et al. (2004) und VOIGT et al. (2004) erfolgte eine rasche und gleichmäßige Heraushebung des Harzes nach dem Coniacium bis ins Campanium mit relativen, vertikalen Versatzbeträgen von mindestens 5000 bis 7000 m an der Harznordrandstörung, wobei die Absenkung des Subherzynen Beckens um ca. 2000 m in diesem Betrag enthalten ist. Die intensivste Heraushebung fand in einem Zeitfenster von zwei bis vier Millionen Jahren während des Mittelsantoniums (8685 Ma) bis zum Untercampanium (83-82 Ma) statt (V. EYNATTEN et al. 2007) (Abbildung 1.1). Anhand petrographischer und mineralogischer Analysen an den Kreidesedimenten des Subherzynen Beckens konnten V. EYNATTEN et al. (2007) die rasche Exhumierung des sich in unmittelbarer Nachbarschaft heraushebenden Harzes und den damit verbundenen Abtrag des mesozoischen Deckgebirges und des paläozoischen Grundgebirges ab dem Mittelsantonium bis ins Untercampanium in der Oberkreide nachweisen. Devonische und karbonische Lithoklasten kommen häufiger erst in der Ilsenburg-Formation vor und belegen die Erosion des paläozoischen Grundgebirges im Untercampanium. Bei der Heraushebung des Grundgebirges kam es zur Rotation der mesozoischen Abfolgen im Vorland (siehe Abbildung 1.1). Dabei entstand eine ca. 2,5 km breite Aufrichtungszone mit subparallel zur Harznordrandstörung verlaufenden Auf- und Überschiebungen. Die Aufrichtungszone stellt zugleich den Südrand des asymmetrischen Subherzynen Beckens dar. Durch die kompressive Tektonik im Santonium und Campanium wurde eine nordvergente Überschiebungszone ausgebildet, wobei die unterschiedliche Kompetenz der paläozoischen und der mesozoischen Gesteine für die Ausprägung dieser Struktur entscheidend ist (FRANZKE et al. 2004). Die Erkenntnisse von V. EYNATTEN et al. (2007), FRANZKE et al. (2004) und VOIGT et al. (2004, 2006) stimmen mit Spaltspur-Datierungen an Apatit des Brockengranites überein, aus denen im Gegensatz zu früheren Arbeiten eine rasche Heraushebung des Harzes vor etwa 85 Millionen Jahren um mindestens 5000 m abgeleitet wurde (THOMSON 2001, THOMSON et al. 1997). Die tektonische Entwicklung des Harzes und der Harznordrandstörung nach dem Campanium in der Oberkreide bis ins Tertiär kann anhand der sedimentologischen Entwicklung des Subherzynen Beckens nicht erklärt werden. Laut FRANZKE et al. (2004: 55) ist diesem methodischen Ansatz eine zeitliche Grenze im Campanium der Oberkreide gesetzt, weil fehlende jüngere Sedimente nicht sedimentiert wurden oder kaum erhalten sind. 1.2 Geomorphologischer Formenschatz des Mittelgebirges Die morphologische Begrenzung des Harzes wird durch eine unterschiedlich stark ausgeprägte Randstufe gebildet, die im Zusammenhang mit der känozoischen Heraushebung des Gebirges über sein Umland entstanden ist. Im Norden, Nordwesten, Westen, Südwesten und Süden des Harzes ist eine schmale und sehr markante Randstufe ausgebildet (siehe Abbildungen 1.2 und 1.3) (KUGLER & NEUMEISTER 1971: 162). Entlang des nordöstlichen und südöstlichen Randes nimmt die relative Höhe dieser Randstufe in Richtung Osten ab, bis sie im Osten kaum noch Entwicklung des Harzes seit der Oberkreide 4 sichtbar ist. Der Gebirgsrand des nördlichen und des westlichen Harzes wird durch vorwiegend kurze Fließgewässer mit kleinen Einzugsgebieten in steile Kerb- bzw. Kerbsohlentäler und schmale Sporne gegliedert (KUGLER & NEUMEISTER 1971: 162). Im Süden wird die Randstufe etwas breiter und die Einzugsgebiete der entsprechenden Harzrandflüsse größer. (siehe Abbildung 1.2). Die Ausprägung des Harzrandes wird durch den Zechsteinausstrich verstärkt, welcher vor allem im Südharz als deutliche Subrosionssenke ausgeprägt ist (RICHTER 2002: 504). Abb. 1.2: Höhenstufenkarte des Harzes und seines Umlandes mit den Einzugsgebieten der Harzflüsse bis zur geologischen Begrenzung des Harzrandes durch den Zechsteinausstrich Abb. 1.3: Blick von Norden auf die markante Harznordrandstufe zwischen Wernigerode und Ilsenburg (Die Hochflächen des Harzes liegen bei etwa 500 m bis 600 m über NN und sind mit einer gepunkteten Linie gekennzeichnet. Sie werden im Zentrum des Bildes vom Brockengipfel mit 1141 m über NN des zentralen Berglandes des Harzes überragt.) Untersuchungsziele und Fragestellungen dieser Arbeit 5 Geomorphologisch wird der Harz in den Oberharz bzw. Westharz, in den Unterharz bzw. Ostharz und in das zentrale Bergland untergliedert (SCHRIEL 1954: 9). Im Inneren des Mittelgebirges sind in allen drei Teilen jenseits der beschriebenen Randstufe Hochflächen weit verbreitet, welche in unterschiedlichen Höhen vorkommen und sehr geringe Hangneigungen aufweisen (u. a. FREBOLD 1933, HÖVERMANN 1949, 1950b, KUGLER & NEUMEISTER 1971, LÜTTIG 1955, MÜCKE 1966, SPREITZER 1932, 1937). Im Westharz ist eine deutliche Hochfläche in der Umgebung von Clausthal-Zellerfeld ausgebildet, welche von HÖVERMANN (1949: 18f, 1950b: 209) als „Hauptrumpffläche“ und von LÜTTIG (1955: 421) später als „Clausthaler Hochfläche“ bezeichnet wurde. Sie ist in Höhen von 560 bis 600 m NN angelegt (HÖVERMANN 1950b: 211) (Abbildung 1.2, Anlage 1). Im Unterharz östlich des Brockenmassivs existiert eine weit ausgedehnte Hochfläche, welche durch Bode, Selke, Eine, Wipper und die jeweiligen Nebenflüsse zertalt wurde. Die Einzugsgebiete dieser vier Flüsse sind wesentlich größer als die kleinen Einzugsgebiete der Flüsse am nördlichen Harzrand und reichen weit bis an den südlichen Rand des Gebirges heran (siehe Abbildung 1.2). Von Westen nach Osten nehmen die absoluten Höhen der Flächen im Unterharz bzw. Ostharz stetig ab. Während sie im Westen östlich des Brockenmassivs noch Höhen von 560 m NN erreichen, sinken sie nach Osten bis auf Höhen von ca. 250 m NN ab. Die Unterharzhochfläche geht schließlich in gleicher Höhe in das östliche Harzvorland über. Das zentrale Bergland des Harzes liegt zwischen Westharz und Ostharz. Dazu gehören das Brockenmassiv mit dem Brocken als höchstem Berg (1141 m NN), dem Wurmberg (971 m NN) sowie verschiedenen Granitklippen, der Acker-Bruchberg-Zug (maximal 927 m NN) und das Hochflächengebiet bei St. Andreasberg (SCHRIEL 1954: 9). Die hoch gelegenen Wasserscheiden der Einzugsgebiete einiger größerer (z. B. Bode, Oker, Sieber und Oder) und mittlerer Harzflüsse (z. B. Holtemme, Ilse, Ecker, Radau, Söse) laufen hier zusammen (siehe Abbildung 1.2). Verebnungen in unterschiedlichen Höhenniveaus dieses zentralen Berglandes haben Anlass zu einer lang anhaltenden Rumpftreppendiskussion im Harz gegeben (u. a. ERDMANNSDÖRFFER 1914, FREBOLD 1933, HÖVERMANN 1949, 1950b, PENCK 1924, SPREITZER 1932, 1937). 1.3 Stand der Forschung über die tertiäre Reliefentwicklung Bereits im 19. Jahrhundert wurden Theorien und Modelle zur Entwicklung des Harzes im Tertiär und Quartär von Geomorphologen und Geologen entwickelt, die eng mit Denudations- und Akkumulationsprozessen im Harz und in dessen Vorland sowie mit tektonischen Prozessen verknüpft sind. Die Interpretation der Entwicklung des Harzes seit der Oberkreide, im Tertiär sowie im Quartär ist eng verknüpft mit der morphogenetischen Erklärung des rezenten Formenschatzes des Mittelgebirges und der Alterseinordnung von Hochflächen, Verebnungsniveaus, Terrassen und Talkanten durch sedimentologische Befunde. Zusammenfassende Darstellungen über die Reliefentwicklung des Harzes im Känozoikum finden sich u. a. bei FELDMANN (2002), MÖBUS (1966), MOHR (1993), MÜCKE (1966), NICKE (1995), RICHTER (2002) und THIEM (1972, 1974). Neue Arbeiten über die quartäre Entwicklung des Harzes und seines Vorlandes liegen u. a. von FELDMANN (2002), REINECKE (2006) und WEYMANN (2004) vor. Im folgenden Abschnitt wird ein Überblick über die Entwicklung des Untersuchungsziele und Fragestellungen dieser Arbeit 6 Kenntnisstandes der Reliefentwicklung des Harzes im Tertiär gegeben, wobei eine scharfe zeitliche Abgrenzung zum Quartär nicht immer möglich ist und auch nicht sinnvoll erscheint. Als erster Autor berichtet LOSSEN (1891: 20) über die Tertiärvorkommen auf der Elbingeröder Hochfläche im Mittelharz und stellt sie anhand eines Vergleichs mit tertiären Sedimenten des Harzvorlandes ins Oligozän. Er erkennt die Bedeutung des Hochflächentertiärs für die Reliefentwicklung des Harzes und schlussfolgert die Eintiefung des Bodetals in „diluvialer Zeit“ nach der oligozänen Ablagerung der Sande (LOSSEN 1891: 26). In den folgenden Jahrzehnten ändert sich die Auffassung über das Alter des Harzvorlandtertiärs, was ebenfalls Auswirkungen auf die Vorstellungen über das Alter der vermuteten Tertiärvorkommen im Mittelharz hat. Diese Veränderung zu einer eozänen Alterseinordnung des Tertiärs bei Elbingerode (vgl. ERDMANNSDÖRFFER 1926, ERDMANNSDÖRFFER et al. 1930, VOIGT 1940) schlägt sich zum Teil in geomor- phologischen Arbeiten dieser Zeit und nachfolgender Jahrzehnte nieder (u.a. Behrmann 1913, Gehne 1911, Lüttig 1955, Mücke 1966, Philippi 1910, Schulz 1983, 1985 Thiem 1974). PHILIPPI (1910: 317) erkennt die Hochflächen in den thüringischen Mittelgebirgen und im Harz – in Anlehnung an KAISER (1909) über das Rheinische Schiefergebirge – als Formen eines tertiären flächenhaften Abtrags unter subaerischen Bedingungen. Damit spricht er sich gegen die damals noch verbreitete Meinung aus, dass die Hochflächen der Mittelgebirge die alte permische Landoberfläche im Sinne einer Abrasionsfläche durch das Zechsteinmeer darstellen. Für den Harz beschreibt PHILIPPI (1910: 335f.) eine präoligozän angelegte Fläche im Unterharz und stützt seine Annahme auf die von LOSSEN (1891) beschriebenen Oligozänvorkommen bei Elbingerode (PHILIPPI 1910: 376). Der Wert der Arbeit von GEHNE (1911) liegt in der erstmaligen Beschreibung der Geomorphologie des Unterharzes, wobei er seine Erkenntnisse hauptsächlich aus topographischen Karten ableitet. GEHNE folgt der Auffassung von PHILIPPI (1910) und geht ebenfalls von einer präoligozän angelegten Rumpffläche im Unterharz aus. Er stellt die Heraushebung des Harzes in mehreren Phasen ins Neogen. Dadurch sei die Eintiefung der Täler der Harzflüsse sowie die Entstehung der Randterrassen am nördlichen und südlichen Harzrand in 400 m 300 m und 250 m über NN als Flächen neogener „Peneplenation“ bedingt (GEHNE 1911: 65) (vgl. Tabelle 1.1). Auch BEHRMANN (1913) schließt sich der präoligozänen Einordnung der Hauptrumpffläche des Harzes von PHILIPPI (1910) im Sinne der Zyklentheorie von DAVIS (1899) an. Er erkennt gleich GEHNE (1911) die postoligozäne Anlage der Täler des Harzes, wobei er dessen Herangehensweise an die Ausweisung der Terrassen kritisiert und auf die verschiedenen genetischen Entstehungsmöglichkeiten von Flachformen entlang der Talhänge der Harzflüsse hinweist. BEHRMANN (1913: 241f.) kommt zu dem Schluss, dass der Harz seit dem Oligozän in zwei Phasen gehoben wurde, wobei nach jeder Hebung eine deutliche Randstufe am Nordharzrand entstanden sein soll. Die zweite Hebungsphase stellt er ins Pleistozän und gibt für diese einen Vertikalbetrag von 70 m am Harznordrand an. Mit der Veröffentlichung der „Morphologischen Analyse“ von PENCK (1924) beginnt eine lebhaft und kontrovers geführte Diskussion über die räumliche und zeitliche Einordnung der im Harz vorhandenen Hochflächenreste. Im Harz unterscheidet er zunächst selbst – ebenso wie seine Untersuchungsziele und Fragestellungen dieser Arbeit 7 Vorgänger – die Formen der Hochflächen und die steilen Hänge der Täler, welche sich durch einen deutlichen Gefälleknick voneinander abgrenzen lassen und verschiedenen Formungsstadien zuzuordnen sind (PENCK 1924: 162). In der Diskussion über die Entstehung der Rumpfflächen bezieht er das zentrale Bergland des Brockenmassivs mit seinen in unterschiedlichen Höhen vorkommenden Verebnungen mit ein und prägt den Begriff der „Piedmontflächen“ als Rumpfflächen, die ein zentrales Bergland umgeben. Für die Anordnung von Rumpfflächen, die sich in unterschiedlichen Höhen stufenartig wiederholen, führt PENCK (1924: 165) den Begriff der „Piedmonttreppe“ ein. An diesen Begriff gekoppelt entwirft er die Vorstellung, dass die höher gelegenen Rumpfflächen zeitlich einem älteren Reliefstadium als die niedriger gelegenen zuzuordnen sind. Bereits HERRMANN kritisiert 1929, dass der theoretische Ansatz der Piedmonttreppe von PENCK (1924) in den zwanziger Jahren sehr unkritisch für den Harz übernommen wurde und dass eine Ableitung zu verschiedenen Hebungsphasen des Harzes allein aus der Höhenlage der Flächenreste zu falschen Ergebnissen führen muss. Er betont weiterhin die Ungenauigkeit des Begriffes einer alttertiären Rumpffläche unter dem Gesichtspunkt eines anhaltenden Abtrags im Jungtertiär. Nach seiner Ansicht existieren in großen Teilen Mitteldeutschlands pliozäne Rumpfflächen. Die Theorie der Piedmonttreppe für das zentrale Bergland des Harzes wird auch von BECKSMANN (1930) übernommen und auf den Unterharz erweitert, wobei die von ihm ausgewiesenen Rumpfflächenniveaus jedoch kaum in einen sinnvollen morphologischen Zusammenhang gestellt werden, wie es von PENCK (1924) gefordert wurde. Im Brockengebiet weist er zwei Niveaus in 900 m NN und in 700 m bis 750 m NN als mitteleozäne Piedmontflächen aus (siehe Tabelle 1.1). Für die Hochflächen bei Elbingerode im Unterharz nimmt BECKSMANN (1930: 135f.) ein miozänes Alter an und begründet damit das miozäne Alter der dort vorkommenden tertiären Sedimente. Nun erscheint gerade diese Schlussfolgerung unhaltbar, weil normalerweise aus der Analyse der Sedimente Rückschlüsse auf das Alter einer Fläche gezogen werden sollten, von BECKSMANN (1930) aber der Umkehrschluss angewendet wird. Für die tiefer gelegenen Hochflächen bei Stiege im Unterharz postuliert er ein pliozänes Alter anhand von Graulehmvorkommen. Nach seiner Auffassung hat eine Heraushebung des Harzes im Miozän stattgefunden. FREBOLD (1933) fertigt eine Studie zur Piedmonttreppe im Bereich des Brockengranits an. Er kartiert fünf Verebnungsniveaus zwischen der Harzhochfläche und dem Brockenplateau, für die er eine tertiäre Genese im Sinne von PENCK (1924) und SPREITZER (1932) vertritt. Bei der Berechnung der fünf verschiedenen Niveaus in 1000 m NN, 890 m NN, 830 m NN, 730 m NN und 650 m NN Höhe (vgl. Tabelle 1.1) bildet er aus verschiedenen Hangprofilen Mittelwerte der Höhen von horizontal verlaufenden Flachstücken (FREBOLD 1933: 109). Diese rein statistische Herangehensweise zur Ausweisung existierender Flächenniveaus wird bereits von HÖVERMANN (1949: 16) und MÜCKE (1966: 222) kritisiert. Zwei präpleistozäne Terrassen kartiert SPREITZER (1931: 103) für den Flusslauf der Innerste und postuliert zwei Hebungsphasen des Harzes noch im Tertiär. Für die Rumpfflächen oberhalb der Talhänge und Terrassen der Innerste nimmt er ein alttertiäres Alter an. Ein Jahr später theoretisiert SPREITZER (1932: 354) weitere Ursachen für die Entstehung einer Piedmonttreppe: Untersuchungsziele und Fragestellungen dieser Arbeit 8 Tabelle 1.1: Flächen- und Verebnungsniveaus im Harz und ihre zeitliche Einordnung nach verschiedenen Autoren (nach FELDMANN 2002: 9, verändert) Philippi 1910 Gehne 1911 Holozän Weichsel Eem Saale Holstein Behrmann Becksmann 1913 1930 Frebold 1933 Spreitzer 1937 Elster Thiem 1972,1974 mittl. Randverebnung 360-400 m altpliozäne Rumpffläche im Unterharz Pliozän 3 Randterrassen: 250 m 300 m 400 m Randstufe am Harzrand Rumpfschwellen, Harzhochfläche 600 m Miozän ? ? N6=580 m N5=650 m N4=730 m Zwischenniveau im Unterharz Oligozän N3=830 m OberKreide Mücke 1966 Vorlandflächen (Terrassen) 230-170 m unt. Randverebnung 300-240 m Unterharzhochfläche 480-510 m Paläozän Lüttig 1955 Randstufe & unterste Terrasse am Nordharzrand Cromer Altpleistozän Eozän v. d. Sahle Hövermann 1942 1950b Harzhochfläche (präoligozän) Harzhochfläche (präoligozän) HarzFlächen in N2=890 m Oberhochfläche 900 m & harzer (prä750-700 m N1=1000 m Hochfläche oligozän) am Brocken Flächen im N0Brocken zentralen Bergland ? ? ? ? altpliozäne Fläche 480-490 m 3 Randterrassen: 520-460 m 420-360 m 310-270 m Hauptrumpffl.: Oberharz 560-600 m Unterharz 580-550 m Westharz: untere Randstufe 300-390 m obere Randverebnung 500-520 m obere Randstufe 400-390 m WolfsAndreashangener berger Gesimse Rumpffl. 500 m 650-700 m Torfhäuser Hügelland 770-820 m Bruchbergalttertiäres Plateau eozäne Niveau ~ 900 m Clausthaler 500-600 m Kl. Brocken Hochfläche 1000 m Brocken- Flächen im gipfel zentralen 1100 m Bergland bis Eozän Zwischenstufe 510-540 m Unterharzhochfläche Rumpfmulden randliche Zertalung Harzhochfläche ist Clausthaler Hochfläche (alttertiär) ? ? tektonische Heraushebung mit Unterbrechungen und Hebungsphasen unterschiedlicher Intensität bzw. wechselnder Intensität. Als neuer Aspekt wird von ihm die morphologische Wirkung des Klimas bzw. ein mehrfacher Klimawechsel angesprochen, wobei dazu von ihm keine morphologisch relevanten Aussagen für den Harz abgeleitet werden. Nach SPREITZERS Ansicht von 1937 existiert eine älter angelegte Piedmonttreppe am Brocken oberhalb der alttertiären Harzhochfläche mit den ausgewiesenen Niveaus von FREBOLD (1933). Innerhalb der alttertiären Harzhochfläche wird von SPREITZER (1937) ein weiteres miozänes Zwischenniveau angenommen. Für den Unterharz beschreibt er eine weitere altpliozäne Rumpffläche (Tabelle 1.1). Als Ursache für die Entstehung der verschiedenen Rumpfflächenniveaus werden tektonische Hebungsphasen diskutiert. Im Gegensatz zu seiner Meinung von 1931 hält SPREITZER (1937: 129) pleistozäne Hebungsphasen im Harz für möglich. Obwohl die Theorie der Rumpfflächentreppe bzw. Piedmonttreppe und vor allem die zeitliche Zuordnung verschiedener Flächenniveaus zu Harzhebungsphasen bereits in den Jahren zuvor von vielen Autoren als problematisch eingeschätzt wurde, greift HÖVERMANN (1949, 1950b) erneut dieses Modell zur Erklärung der Reliefentwicklung des Harzes im Känozoikum auf. Er unterscheidet letztlich alle Hochflächen des gesamten Harzes in neun verschiedene Rumpfflächenniveaus und ordnet ihnen relative Alter zu. Während er die Hauptrumpffläche des Harzes (560-600 m bei Clausthal-Zellerfeld, 550-580 m im östlichen Unterharz) in seiner ersten Arbeit noch als miozäne Fläche ansieht (HÖVERMANN 1949: 44), stellt er sie später ins Pliozän (HÖVERMANN 1950b: 211). Als Hinweis führt er Rotlehme auf der Hauptrumpffläche des Harzes Untersuchungsziele und Fragestellungen dieser Arbeit 9 an, die seiner Ansicht nach Reste einer altpliozänen Tiefenverwitterung sind. Die Bildung der fünf Flächenniveaus über der Hauptrumpffläche nimmt er als präpliozän an. Unterhalb der Hauptrumpffläche weist er drei Randterrassen aus, deren Genese HÖVERMANN (1950b: 212) ebenfalls als pliozän ansieht (siehe Tabelle 1.1). KÄUBLER und MÜCKE verfassen 1966 kritische Beiträge zur Rumpfflächengliederung von HÖVERMANN (1949, 1950b). Die Rumpfflächengliederung wurde nach ihrer Meinung zu vereinfacht auf den gesamten Harz angewendet, wodurch es zur Ausweisung fraglicher Zwischenniveaus kam. Für das Tertiär entwirft LÜTTIG (1955) in Anlehnung der Flächengliederung von HÖVERMANN (1949, 1950b) ein Modell mit mehreren Hebungsphasen für den Nordwestharz. Erste Hebungen vermutet er bereits ab Eozän. Allerdings nimmt er für das Alttertiär im Bereich des Harzes noch eine starke Flächenbildung an, aus welcher die Hauptrumpffläche hervorgegangen ist. Zu dieser zählt LÜTTIG (1955: 428) die „Clausthaler Hochfläche“. Mehrere Hebungsphasen im Miozän und Pliozän haben seiner Ansicht nach zur Heraushebung des Westharzes geführt, wodurch drei unterhalb der „Clausthaler Hochfläche“ liegende Flächensysteme (siehe Tabelle 1.1) und die eingetieften Täler der Harzflüsse entstanden sind (LÜTTIG 1955: 427f.). LÜTTIG (1955: 423) verweist auf die vorläufige eozäne Einstufung des Elbingeröder Tertiärs von VOIGT (1940), wobei er gleichzeitig eine Parallelisierung der Hochflächen des Westharzes mit denen des östlichen Unterharzes für unsicher erklärt. In seinen Untersuchungen des Bornhäuser Tertiärs schlussfolgert er ebenfalls eine bereits im Miozän beginnende und bis ins Quartär anhaltende Aktivität an Störungszonen im westlichen Harzvorland und einer damit verbundenen Subrosion als Voraussetzung für die Erhaltung der tertiären Sedimente (LÜTTIG 1962: 605). In seiner Studie über den Unterharz führt MÜCKE (1966) die Elbingeröder Hochfläche sowie die Randstufen am Harzrand bei Wernigerode und nördlich des Ramberges bei Thale als Beispiele an, wo seiner Meinung nach die Formung von Flächen sowohl petrographisch als auch tektonisch bedingt ist. Karstmorphologische Aspekte werden jedoch in seiner Argumentation über die Entstehung des sehr genau beobachteten Formenschatzes im Kalkgebiet bei Elbingerode kaum berücksichtigt. Anhand des Kaolinit/Illit-Verhältnisses an Graulehmen westlich von Elbingerode nimmt MÜCKE (1966: 236) eine pliozäne Bildung der Lehme und dadurch ein pliozänes Alter der Unterharzhochfläche an. In seiner regionalen morphologischen Studie über den Westharzrand kartiert THIEM (1972, 1974) drei Randverebnungsysteme, für die er eine tektonisch und klimatisch bedingte Entstehung durch Pedimentation ableitet (siehe Tabelle 1.1). In der Zeit vom unteren Miozän bis in die erste Hälfte des Pliozäns „wurde die Hochfläche des Westharzes um rd. 100 m über ihre regionale Erosionsbasis gehoben.“ (THIEM 1974: 256) In dieser Zeit entstand das obere Randverebnungssystem unter warm-semiariden Bedingungen (THIEM 1974: 257). Die Heraushebung des westlichen Harzes seit dem Miozän wird von THIEM (1972: 194) anhand des Analogieschlusses von LÜTTIG (1962: 605) begründet, welcher fehlende unter- und mittelpliozäne Sedimente in den Tertiärablagerungen von Bornhausen und Rhüden im westlichen Harzvorland auf gleichmäßig verlaufende Hebungen im Bereich der Mittelgebirgsschwelle in diesem Zeitraum zurückführt. Die Entstehung des mittleren und des unteren Randverebnungssystems mit schwankenden Höhen um 400 m bzw. um 300 m NN wird von THIEM (1974) unter kühl-ariden Bedingungen ins Altpleistozän gestellt. „An der Wende Plio-/ Pleistozän und im Altpleistozän bis Untersuchungsziele und Fragestellungen dieser Arbeit 10 zum Elsterglazial“ postuliert er „eine neuerliche Zunahme der Hebung, die das Gebirge um weitere rd. 200 m hob und in seiner jetzigen Umgrenzung endgültig festlegte.“ (THIEM 1974: 256) In der Diskussion über die Entstehung der Clausthaler Hochfläche im Westharz in 600 m NN oberhalb der Randverebnungen – welche er als Harzhochfläche bezeichnet – verzichtet THIEM (1974: 236) bewusst auf ihre zeitliche Einordnung und weist auf große Unsicherheiten ihrer Altersstellung trotz verschiedener Untersuchungsansätze in der Literatur hin. FELDMANN (2002) fasst in seinem einleitenden Kapitel die Entwicklung des Harzes und Harzvorlandes im Tertiär anhand einer kritischen Würdigung der Literatur zusammen, wobei er die Flächenniveaus der jüngsten Arbeit von NICKE (1995) und dessen Interpretation ihrer Entstehung als unhaltbar einschätzt. Er weist der Harzhochfläche ein präeozänes bis präoligozänes Alter anhand der Tertiärsedimente bei Elbingerode zu und bezieht sich auf die Angaben von ERDMANNSDÖRFFER (1926), LOSSEN (1891) und VOIGT (1940). Gleichzeitig betont FELDMANN (2002: 13), dass das Alter der Flächenbildung bis heute völlig offen ist, auch wenn eine alttertiäre Entstehung wahrscheinlich ist. Die känozoische Heraushebung des Harzes diskutiert er ab dem Miozän und verstärkt im Pliozän bis ins Quartär (FELDMANN 2002: 54). Anhand der Zusammenstellung der Literatur wird ersichtlich, dass die tertiäre Reliefentwicklung des Harzes wesentlich von der Diskussion der Rumpfflächenentstehung geprägt wurde. Aus geomorphologischer Sicht heute erscheint vor allem die Gliederung der Hochflächenreste in verschiedene Rumpfflächenniveaus als alleiniger Erklärungsansatz für verschiedene Hebungsund Abtragungsphasen des Mittelgebirges als unzureichend. Besonders die Ausweisung einer Piedmonttreppe im zentralen Bergland des Harzes und ihre morphogenetische Interpretation durch Rumpfflächenbildung in voneinander abgrenzbaren Phasen im Tertiär muss kritisch betrachtet werden. Bereits HÜSER & KLEBER (2003) weisen darauf hin, dass solche zeitlichen Zuordnungen recht spekulativ bleiben. Für Unsicherheiten bei der Interpretation des polygenetisch überprägten Formenschatzes des zentralen Berglandes im Harz können zusammenfassend unterschiedlich große Flächen, fehlende datierbare Sedimente einer korrelaten Flächenbildung bzw. deren Abtragung, lokal wirkende tektonische Prozesse und die unterschiedliche Resistenz der Gesteine gegenüber der Verwitterung angeführt werden. Anders verhält es sich mit der Frage der Entstehung der Harzhochfläche. Trotz der kontroversen Diskussion über verschiedene Rumpfflächenniveaus besteht bei fast allen Autoren seit PHILIPPI (1910) der Konsens, dass eine Haupthochfläche im Harz in Form einer Rumpffläche existiert (Anlage 1), welche im Tertiär angelegt wurde, als der Harz noch in einem einheitlichen Niveau mit seinem Umland lag (vgl. BECKSMANN 1930, BEHRMANN 1913, FELDMANN 2002, FREBOLD 1933, GEHNE 1911, HÖVERMANN 1949, 1950b, LÜTTIG 1955, MÜCKE 1966, SPREITZER 1931, 1937, THIEM 1972, 1974, VOIGT 1940). Das steht im Einvernehmen mit der heute in der Geomorphologie akzeptierten Ansicht, dass die Rumpfflächen der Mittelgebirge unserer Breiten einer „älteren Reliefgeneration“ im Sinne von BÜDEL (1957) zuzuordnen sind (BREMER 1980: 168). Der Begriff „Rumpffläche“ wird definiert als „leicht gewellte bis ebene Reliefoberfläche, die nur geringe Abhängigkeit von den strukturellen Eigenschaften des Gesteinsuntergrundes zeigt. Im Idealfall schneidet sie diskordant einen Faltenwurf sehr unterschiedlicher Gesteinspakete oder kappt schräg gestellte Sedimentgesteine. Rumpfflächen werden daher auch als Schnittflächen, Skulpturflächen oder Diskordanzflächen bezeichnet.“ (HÜSER & KLEBER 2003: 88) Untersuchungsziele und Fragestellungen dieser Arbeit 11 Bei der Vielfalt der Flächengliederung im Harz verwundert es nicht, dass über eine genaue Abgrenzung der Hauptrumpffläche des Harzes unterschiedliche Ansichten bestehen und darüber, ob die Hochfläche bei Clausthal-Zellerfeld im Westharz und die Unterharzhochfläche im Ostharz eine gemeinsame zeitliche Entstehung haben. Während sich z. B. BEHRMANN (1913), HÖVERMANN (1949, 1950b), PHILLIPPI (1910) und SPREITZER (1937) für eine solche Parallelisierung aussprechen, lassen BECKSMANN (1930), GEHNE (1911), LÜTTIG (1955), MÜCKE (1966) und THIEM (1874) diese Frage offen. Als Ursache für die heutige Höhenlage dieser Hauptrumpffläche und ihrer denudativen Überprägung wird die känozoische tektonische Heraushebung des Harzes über sein Umland angesehen. Wie oben bereits gezeigt wurde, ist die zeitliche Einordnung der Heraushebung der Hauptrumpffläche im Harz allerdings in der Literatur keineswegs einheitlich beantwortet worden. Der häufig verwendete Begriff „Alter einer Hochfläche“ muss in diesem Kontext unpräzise erscheinen. Denn man sollte bedenken, dass die Hochflächen auch nach einer Tieferschaltung der Erosionsbasis eine Überprägung als Flächen erfahren haben können und dass datierbare Sedimente im Falle einer Datierung nur ein Mindestalter für eine Flächenbildung ergeben (vgl. THIEM 1974: 240f.). 1.4 Bedeutung der Tertiärvorkommen im Mittelharz Das Gebiet bei Elbingerode im Unterharz nimmt in der Diskussion über die tertiäre Entwicklung des Harzes und die zeitliche Einordnung der Harzhochfläche im Sinne ihrer Bildung in einem einheitlichen Niveau mit dem Vorland eine zentrale Stellung ein. Ausschlaggebend dafür sind vermutete Tertiärvorkommen, die in isolierten Karsthohlformen erhalten sind und als Paläokarstarchive wichtige Informationsquellen für die Interpretation der känozoischen Reliefentwicklung des Harzes darstellen. Die Erhaltung tertiärer Sedimente bei Elbingerode in Zusammenhang mit Karstprozessen ist nach dem bisherigen Kenntnisstand einmalig für den Harz. Für den flächenhaft kleineren Ausstrich devonischer Massenkalke im Westharz bei Bad Grund sind tertiäre Sedimente in Form von Sanden, Tonen und Braunkohlen bisher nicht bekannt. Vor allem frühere, aber auch spätere Arbeiten (vgl. BECKSMANN 1930, BEHRMANN 1913, FELDMANN 2002, GEHNE 1911, LÜTTIG 1955, MÜCKE 1966, PHILIPPI 1910, SCHULZ 1983, STEINMÜLLER 1962), beziehen sich bei der Interpretation über die Entstehung und das Alter der Harzhochfläche direkt oder indirekt auf die Tertiärvorkommen bei Elbingerode. Dabei ist die Alterseinschätzung der Sedimente in den frühen Arbeiten sowohl von LOSSEN (1891) als auch von VOIGT (1940) aufgrund fehlender paläontologischer Beweise als eine vorläufige Einstufung angesehen worden. Bis heute konnte keine eindeutige Datierung der Sedimente vorgenommen werden, wodurch das Alter von Sedimentvorkommen mit einer gewissen Schlüsselstellung in der Literatur bis heute offen ist (vgl. SCHULZ 1983, 1985). Verschiedene Autoren haben bereits auf die daraus resultierenden Unsicherheiten für die Reliefentwicklung des Harzes im Tertiär hingewiesen (FELDMANN 2002, FRANZKE et al. 2004, LÜTTIG 1955, MÖBUS 1966, MÜCKE 1966, SCHRIEL 1954, THIEM 1972, 1974). Hieraus ergeben sich Defizite für die Interpretation der tertiären Reliefentwicklung des Harzes.