KAPITEL III KRIEG, FLUCHT, VERTREIBUNG Die Waisen von Versailles Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die osteuropäische Landkarte komplett umgestaltet, Millionen Deutsche fanden sich in neuen Staaten wieder. In Oberschlesien tobte zeitweilig ein Bürgerkrieg. 74 SCHERL / SÜDDEUTSCHE VERLAG Gefecht zwischen Deutschen und Polen in Oberschlesien um 1920 75 KRIEG, FLUCHT, VERTREIBUNG des Weltfriedens“ vor. Wohl nie zuvor hatte die Menschheit einen Plan mit solange bevor irgendjemand chem Anspruch aus dem Mund eines so etwas davon ahnen konnte, Mächtigen vernommen; der missionarinahm das Schicksal von sche Horizont reichte vom SelbstbestimMillionen Menschen eine mungsrecht der Nationen bis zur Schafneue Wendung, als sich im fung eines Völkerbundes. In Punkt 13 seines 14-Punkte-ProJahr 1914 ein polnischer Pianist und der amerikanische Präsident zum ersten gramms versprach Wilson einen „unabMal begegneten. Von diesem Tag an hängigen polnischen Staat, der die von wurden Ignacy Paderewski, ein weltbe- unbestritten polnischen Bevölkerungen rühmter Musiker mit Wohnsitz in Kali- bewohnten Gebiete einschließen sollte“. fornien, und der ins Weiße Haus gewähl- Auch „ein freier und sicherer Zugang te Hochschullehrer Woodrow Wilson zu zum Meere“ müsse zum Staatsgebiet gepolitischen Weggefährten. Gemeinsam sollten sie europäische Geschichte Teilung Oberschlesiens 1922 Breslau schreiben. POLEN Paderewskis große Stunde kam im letzten Jahr des Ersten Weltkriegs. UnOppeln ter Wilsons Führung hatten die Ver- DEUTSCHLAND einigten Staaten ihre Neutralität aufOberschlesien gegeben und kämpften nun an der Seite Beuthen Frankreichs und Großbritanniens gegen Verbleib bei KattoDeutschland das deutsche Kaiserreich und die Habswitz burgermonarchie. Im Januar 1918, wähan Polen TSCHECHOrend Europa noch ein Schlachtfeld war, SLOWAKEI stellte der US-Präsident sein „Programm Von DIETMAR PIEPER L 76 hören. Es war ein Triumph für alle polnischen Patrioten. Ganz besonders aber triumphierte Ignacy Paderewski. Er hatte es geschafft, Wilson für die polnische Sache zu begeistern. Punkt 13 war Paderewskis Punkt. Und er war die Ouvertüre für eine grundlegende Neuordnung Osteuropas. Als der Krieg im Herbst 1918 zu Ende ging, war das lange Zeit Unvorstellbare eingetreten: Ausgerechnet die drei Dynastien, die sich Polen im 18. Jahrhundert zur Beute gemacht hatten, waren erledigt, die Hohenzollern, die Habsburger und die Romanows. In drei Schritten, 1772, 1793 und 1795, hatten Preußen, Österreich und Russland das Königreich Polen unter sich aufgeteilt. Jetzt war für die Polen der Tag gekommen, an dem ihr geschundenes Vaterland neu erstehen sollte. Und sie waren nicht die Einzigen, die mit großen Erwartungen in die neue Zeit gingen. Überall in Osteuropa wollten sich nationale Bewegungen endlich die Rechte nehmen, die ihnen von den Monarchen verwehrt worden waren. SPIEGEL GESCHICHTE 1 | 2011 ALBERT HARLINGUE / ULLSTEIN BILD Die „Großen Vier“ von Versailles: Vittorio Orlando, David Lloyd George, Georges Clemenceau, Woodrow Wilson MICHAEL NICHOLSON/CORBIS (L.); AKG (M.); ULLSTEIN BILD (R.) Am 7. Oktober 1918 proklamierten die Machthaber in Warschau einen unabhängigen polnischen Staat und übernahmen einige Tage darauf die Befehlsgewalt über die Armee. Drei Wochen später stürmten auch die benachbarten Tschechen voran in die Unabhängigkeit. In Prag wurde die Tschechoslowakische Republik ausgerufen. Der Philosoph und Politiker TomአG. Mašaryk, der bald danach zum ersten Präsidenten gewählt wurde, hatte es in den Monaten zuvor vermocht, Amerikanern, Briten und Franzosen deren Bedenken gegen die Staatsgründung auszureden. Von einer Beruhigung der Lage konnte aber keine Rede sein. Für die Deutschen, die im Osten des Reiches Das hatten sich die Deutschen ganz anders vorgestellt. Weder für die Militärs noch für die Masse der Bevölkerung war ja der Untergang der Monarchie gleichbedeutend mit einer totalen Niederlage. Das Land sei „im Felde unbesiegt“, lautete ein geflügeltes Wort. Die Erwartungen, Deutschland würde im Friedensvertrag glimpflich davonkommen, waren groß, und sie stützten sich auf tatsächliche oder vermeintliche Versprechungen von US-Präsident Wilson. Es war, wie es häufig ist: Jeder hörte, was er hören wollte. In deutschen Ohren klang Wilsons Parole vom Recht auf nationale Selbstbestimmung eher nach Vergrößerung als nach Verkleinerung. Millionen Österreicher und Sudetendeut- völkerstaat war, in dem die nationale Mehrheit der Tschechen zumindest in den Anfangsjahren etwas gleicher war als die Minderheiten. Slowaken und Ungarn stellten einen erheblichen Anteil der Bevölkerung; die größte dieser Gruppen aber waren die Deutschböhmen, für die sich rasch die von einem Gebirgszug hergeleitete Bezeichnung Sudetendeutsche einbürgerte (siehe Seite 80). Als frischgewählter Präsident stellte Mašaryk sogleich die Verhältnisse klar: „Wir – die Tschechen – haben unseren Staat geschaffen. Dadurch wird die staatsrechtliche Stellung unserer Deutschen bestimmt, die ursprünglich als Immigranten und Kolonisten ins Land kamen.“ Später ging Mašaryk zwar auf die Freiheitsheld Paderewski Republikgründer Mašaryk Oberschlesien-Kämpfer Korfanty ansässig waren, fing der Ärger jetzt erst richtig an. In der preußischen Provinz Posen zum Beispiel kam es Ende Dezember 1918 zu einem Aufstand gegen die deutsche Obrigkeit. Auslöser war eine friedliche Demonstration polnischer Bürger in der Provinzhauptstadt Posen. Sie hatten sich in großer Zahl versammelt, um ihr Idol Paderewski zu ehren. Der aus Amerika zurückgekehrte Freiheitsheld befand sich auf der Reise nach Warschau, wo er zum Ministerpräsidenten des jungen Staates ernannt wurde. Der antideutsche Handstreich brachte die Provinz Posen weitgehend unter polnische Kontrolle. Die völkerrechtliche Legitimierung durch den Friedensvertrag von Versailles ließ dann nicht lange auf sich warten. sche hofften nach dem Zerfall der Wiener k. u. k. Monarchie auf den Anschluss ans Deutsche Reich. Wunschdenken und Irrtümer gab es nicht nur auf Seiten der Verlierer, auch die Sieger fanden keine klare Linie. Der neue Anspruch, den Völkern ihre nationale Selbstbestimmung zu überlassen, kollidierte vielfach mit herkömmlicher Machtpolitik. Wie sie ihre Prioritäten zu setzen gedachten, machten die Alliierten rasch deutlich: Als die Provisorische Nationalversammlung in Wien im November 1918 den Beschluss fasste, Österreich an Deutschland anzuschließen, kam sogleich das Veto der Siegermächte. Es störte auch nicht weiter, dass die aus dem Habsburgerreich hervorgegangene Tschechoslowakei ein neuer Viel- Sudetendeutschen zu, aber der Ton war gesetzt. das versailler diktat Zu Beginn des Jahres 1919 richteten sich die Augen der Welt auf Paris. Dort tagte die erste Mega-Konferenz des 20. Jahrhunderts mit dem Ziel, der Welt eine neue Ordnung, eine Friedensordnung zu geben. Das jedenfalls war die erklärte Absicht des US-Präsidenten, der monatelang in der französischen Hauptstadt Quartier bezog. Für Wilsons Verhandlungspartner – den Franzosen Georges Clemenceau, den Briten David Lloyd George und den Italiener Vittorio Orlando – war es eher ein Lippenbekenntnis. Meist kamen die vier in der Residenz des amerikanischen Präsidenten zusammen, wo sich die Herren über riesige Ein antideutscher Handstreich brachte die Provinz Posen weitgehend unter polnische Kontrolle. SPIEGEL GESCHICHTE 1 | 2011 77 rung und 13 Prozent seines GeLandkarten beugten. Was gab es biets, dazu 80 Prozent seiner Einicht alles zu regeln! Europa, die senerz- und 26 Prozent seiner arabische Welt, Afrika, überall Steinkohlenlager, 40 Prozent seimussten Interessen bestimmt, Gener Hochöfen und 15 Prozent seibiete zugeteilt und Grenzen neu ner landwirtschaftlichen Nutzflägezogen werden. Die Hauptaufche. Und das Land wurde zweigabe aber war immer wieder: Wie geteilt. Am 20. Januar 1920 überweiter mit Deutschland? nahm Polen weite Teile der ProAm genauesten wusste der vinzen Posen und Westpreußen. Franzose, was er wollte. CleDer Polnische Korridor entstand. menceaus oberstes Ziel hieß: Das Die Menschen, die dort lebten, Deutsche Reich musste so klein waren nicht gefragt worden. Weit wie möglich gehalten werden; Poverbreitet war die Klage, die der lens Stärke würde Deutschlands Gutsbesitzer Nordewin von KoerSchwäche sein. Dass westliche ber-Koerberode einer Berliner Reichsgebiete wie das Elsass an Zeitung übermittelte: „Das Land, Frankreich fallen würden, war sodas in harter Arbeit zu einer Perle wieso klar. unter den deutschen Landen geDem Briten ging das in vielem worden ist, das Land, wo Hunzu weit. Lloyd George wollte zum derttausende unserer VolksgenosBeispiel verhindern, dass durch sen schlummern, ist vom Vaterüberzogene polnische Forderunland abgetrennt und einem gen die „Saat eines künftigen Fremdvolke ausgeliefert.“ Krieges“ gelegt würde. Er ahnte: Der adlige Gutsherr harrte auf Deutschland wird, „wenn es das seiner Scholle aus und wurde späGefühl hat, dass es im Frieden ter als Abgeordneter der deutvon 1919 ungerecht behandelt schen Volksgruppe in den polniworden ist, Mittel finden, um seischen Sejm gewählt. Viele seiner ne Überwinder zur RückerstatLandsleute aber verließen ihre tung zu zwingen“. „Rettet den Osten“: Plakat der Deutschnationalen Heimat, freiwillig oder unter Als deutlich wurde, dass sich aus der Frühzeit der Weimarer Republik dem Druck der neuen Verhältnisdie Gebietsansprüche der Polen Der sozialdemokratische Reichsau- se. Die unter polnische Herrschaft gegegenüber den Deutschen auf 84 000 Quadratkilometer summierten, hielt ßenminister Hermann Müller erklärte im ratenen Deutschen waren die „Waisen Lloyd George entschieden dagegen. Juli 1919 vor der Nationalversammlung: von Versailles“, schreibt der britische Schließlich einigte man sich auf ein Ge- „Wir lassen keinen Zweifel darüber, dass Historiker Richard Blanke: „Beinah biet von 43 000 Quadratkilometern, die wir mit allen loyalen Mitteln die Revision über Nacht sahen sie sich nicht mehr vor allem Posen und Westpreußen um- dieses Vertrages erstreben werden.“ Das als Teil der herrschenden Schicht in eifassten. In zwei Bezirken sowie in Ober- war eine gemäßigte Stimme, viele Deut- nem starken und wirtschaftlich hoch entwickelten Nationalstaat, sondern als schlesien sollten die Menschen in Volks- sche redeten erheblich radikaler. Während die Pariser Verhandlungen verletzliche und beargwöhnte Minderabstimmungen entscheiden, ob sie sich dem deutschen oder dem polnischen noch liefen, hatte die Oberste Heereslei- heit.“ So wie preußische Behörden jahrStaat angliedern wollten. Danzig wurde tung der Reichswehr Pläne für einen Feldim Versailler Vertrag mit Wirkung zum zug gegen Polen ausgearbeitet, die aber zehntelang die Germanisierung des Lan15. November 1920 zur Freien Stadt un- in der Schublade blieben. Danach träum- des betrieben hatten, so machten die Poter dem Mandat des Völkerbundes er- ten führende Militärs eine Weile davon, len nun Politik gegen die Deutschen. auf eigene Faust einen selbständigen „Das fremde Element wird sich umsehen klärt (siehe Seite 82). Glücklich allerdings war niemand mit deutschen „Oststaat“ zu errichten. müssen, ob es sich anderswo besser bedem Ergebnis, ganz im Gegenteil. Pade- Reichswehr-Chef Hans von Seeckt giftete findet“, erklärte der spätere polnische rewski murrte, vor allem im Hinblick noch Anfang der zwanziger Jahre: „Po- Bildungsminister Stanislaw Grabski im auf Danzig und Oberschlesien sei das lens Existenz ist unerträglich, unverein- Oktober 1919. Mit propagandistischem Diktat der Sieger ein „grausamer bar mit den Lebensbedingungen Deutsch- Eifer verbreiteten die neuen Herren StaSchlag“. Und den Deutschen war der lands. Es muss verschwinden und wird tistiken darüber, wie stark der Anteil der Versailler Vertrag aus vielen Gründen verschwinden durch eigene Schwäche Deutschen im ehemaligen Reichsgebiet verhasst. Die Gebietsverluste im Osten und durch Russland, mit deutscher Hilfe.“ zurückging – vielerorts von mehr als der Durch Versailles verlor Deutschland Hälfte der Einwohner auf einstellige empfanden sie als willkürlich und äuinsgesamt 10 Prozent seiner Bevölke- Prozentanteile. ßerst ungerecht. Führende deutsche Militärs träumten davon, einen selbständigen „Oststaat“ zu errichten. 78 SPIEGEL GESCHICHTE 1 | 2011 BUNDESARCHIV, PLAK 002-029-075 KRIEG, FLUCHT, VERTREIBUNG Vornamen Albert trug. Von 1903 bis 1912 hatte er als Abgeordneter der Polenpartei dem Deutschen Reichstag angehört. Besonders schwierig waren die Nach dem Versailler Frieden erVerhältnisse in Oberschlesien. nannten ihn die Alliierten zum In der Region um Oppeln und polnischen Kommissar für die Kattowitz hatte sich über die Organisation des Plebiszits. Jahrhunderte ein multiethniGleichzeitig wussten alle, sches Patchwork herausgebildet, dass Korfanty auch den bewaffin dem deutsche und polnische, neten polnischen Kampf anjüdische und tschechische Idenführte. Jedem Teilnehmer vertitäten miteinander verwoben sprach er eine Kuh als Gewaren. Aber das Zeitalter des schenk, sobald Oberschlesien Nationalismus hatte auch in polnisch wäre – die KorfantyOberschlesien seine Spuren hinKuh wurde bald sprichwörtlich. terlassen. Der GermanisierungsAm 20. März 1921 fand politik stand eine polnische schließlich die Abstimmung Nationalbewegung gegenüber, über die künftige Staatszugehödie das slawische Selbstbewusstrigkeit Oberschlesiens statt. sein hochhielt. Durchaus mit 707 000 Stimmen entfielen auf Erfolg: Bei der Reichstagswahl Deutschland, 479 000 auf Polen. 1907 kam die Polnische NationalNach dem unklaren Ergebnis demokratische Partei (Polenparbrachen heftige Konflikte um tei) im Regierungsbezirk Oppeln die künftige Grenzziehung aus. auf 39,5 Prozent der Stimmen. Mit französischer UnterstütNach Inkrafttreten des Verzung besetzten Korfantys Freisailler Vertrages mussten die schärler einige Gebiete, in dedeutsche Armee und die Beamnen die Menschen überwietenschaft abziehen. Die Verwalgend für Polen gestimmt hatten. tung übernahm eine alliierte „Wir geben Schlesien nicht her!“: Polnisches Im Mittelpunkt des polnischen Kommission unter Vorsitz eines Propagandaplakat von 1921 Aufstandes stand das katholifranzösischen Generals. Es war eine Zeit der Wirren, die sich ten und verkauft sei. Man könne das ge- sche Kloster St. Annaberg. Aber die bis zum Bürgerkrieg hochschaukelten. genseitige Morden unmöglich als einen Deutschen schlugen zurück, allen voran Auf deutscher wie auf polnischer Seite Kampf um die Freiheit bezeichnen.“ Den Hauensteins Paramilitärs, die sich mittkämpften Geheimorganisationen und pa- Mord an ihrem Vater schildern die Söh- lerweile „Organisation Heinz“ nannten. ramilitärische Verbände um die regiona- ne in allen blutigen Details: „Um Mitter- Ende Juni 1921 schlossen die Bürgerle Vorherrschaft. Oberschlesien wurde nacht des 4. Juni wurde er plötzlich von kriegsparteien einen Waffenstillstand. Die Alliierten teilten Oberschlesien zum Aufmarschgebiet der Freikorps, die sogenannten Grenzschutzsoldaten aus in den Gründungsjahren der Weimarer dem Bett geholt und wie ein Tier durch schließlich auf, ein Vertragswerk besieRepublik eine unheilvolle Rolle spielten. das Dorf getrieben, wobei die Soldaten gelte im Mai 1922 die neue Ordnung. 30 Geradezu ein Markenzeichen der fortgesetzt mit Seitengewehren und Ge- Prozent der Fläche, aber 46 Prozent der oberschlesischen Wirren waren auf wehrkolben auf ihn einschlugen.“ In der- Bevölkerung kamen zu Polen. Die Deutdeutscher Seite die sogenannten Feme- selben Nacht schnappten sich die Feme- schen mussten auch das ökonomische Fimorde: Tatsächliche oder vermeintliche mörder drei weitere Männer. Zuletzt letstück abgeben, die Industrieregion um Verräter wurden ohne viel Federlesens warfen sie ihre Opfer in einen Stein- Kattowitz. Die meisten oberschlesischen Bergwerke und Hütten wurden polnisch. umgebracht. Anlass war häufig der blo- bruch und schlugen sie dort tot. Über den Tag der offiziellen MachtBesonders berüchtigt war die „deutße Verdacht, mit den Polen gemeinsame Sache zu machen. Der Historiker Bern- sche Spezialpolizei“, geleitet von Heinz übernahme in Kattowitz, das nunmehr hard Sauer, der die Fememorde im De- Oskar Hauenstein. Als Zeuge vor Ge- Katowice hieß, bemerkte Korfanty spätail untersucht hat, kommt zu dem Er- richt sagte Hauenstein einmal auf die ter: „Für mich war es der schönste Tag gebnis: „Es waren in der Regel Unschul- Frage, wie viele Fememorde seine Orga- in meinem Leben.“ Für die Deutschen blieb die Ostgrendige, die ermordet wurden“, und „die nisation in Oberschlesien begangen Opfer hatten nicht die geringsten Mög- habe: „Die genaue Zahl kann ich nicht ze eine offene Wunde. Berlin war zwar lichkeiten, sich gegen die erhobenen Be- angeben. Aber ich habe mir einen klei- realistisch genug, 1925 im Vertrag von nen Überschlag gemacht und bin auf die Locarno die neue Westgrenze zu akzepschuldigungen zu verteidigen“. Eines der Opfer war Josef Nowak. Zahl 200 gekommen.“ Da im Juni 1922 tieren. Aber gegenüber dem Nachbarn Der angebliche polnische Spion, sagten eine Amnestie für politisch motivierte im Osten gelobte die Reichsregierung leseine Söhne später, „hatte sich lediglich Straftaten erging, blieben Verbrecher diglich Gewaltverzicht, mehr nicht. Damit war es 1939 auch vorbei. Mit wiederholt dahin geäußert, dass der ge- wie Hauenstein straffrei. Führender Kopf auf polnischer Seite dem Angriff der Deutschen auf Polen begenseitige Brudermord in Oberschlesien sinnlos wäre, da das Volk sowieso verra- war Wojciech Korfanty, der bis 1918 den gann der Zweite Weltkrieg. BRIDGEMANART.COM kampf um oberschlesien SPIEGEL GESCHICHTE 1 | 2011 79