Textiles Ersatzteillager

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Faserbasiertes Tissue Engineering
Textiles Ersatzteillager
Künstliche oder natürliche Fasern sind die Grundlage für die Züchtung von menschlichem
Gewebe. Noch ist es Zukunftsmusik, irgendwann aber könnten mit Hilfe von Fasermaterial
ganze Organe aus dem 3D-Drucker kommen.
Quelle: iStock/belekekin
24.05.2017 Mehrschichtige Haut aufbauen, einen Muskel zum Zucken bringen,
Knorpel oder Knochen züchten: Weltweit tüfteln Wissenschaftler in der
Regenerationsmedizin an künstlichen Organen. Die Grundlage dafür sind
innovative Gewebestrukturen. Textile Gerüste dienen als Träger für die
Zellverbände. von Beate Wagner
Manche Forscher breiten für ihre Zellen ein Vlies aus, andere stricken oder flechten für
ihre Schützlinge. Je nachdem, für welchen Zweck die Wissenschaftler die Textilien zum
Tissue Engineering benötigen, werden sie synthetisch oder aus natürlichen Fasern
hergestellt. Zellulose ist ein Ausgangsmaterial, aber auch Chitosan, das aus Schalen
von Krabben gewonnen wird. Sie alle bilden die Grundlage diverser experimenteller
oder bereits zugelassener Gewebeersatzmaterialien.
All diese Fasern eignen sich als Basis
biologisierter Implantate, weil sie
den menschlichen Körper
nachahmen: Im Körper wachsen
Zellen durch das Bindegewebe
hindurch und lagern sich daran an.
Und sie haben ähnliche
physiologische und mechanische
Eigenschaften wie die im
menschlichen Körper verfügbaren
Kollagenfasern.
Textilforscher sind von den
Vorteilen der faser- und
zellbasierten Implantate überzeugt:
Sie sollen biotolerant sein,
verbleiben im Körper ohne
Abstoßungsprozesse und
Zerfallsprodukte und sind teilweise
resorbierbar. Zudem sind die mit
Stammzellen biologisierten
Ersatzteile prinzipiell in der Lage,
unter optimalen Bedingungen
Blutgefäße auszubilden.
Die Züchtung von Zellverbänden braucht eine
Struktur. Im Körper lagern sich Zellverbände in ein
Gerüst aus Bindegewebe an. Im Labor können
künstliche oder natürliche Fasern dieses Gerüst
nachahmen.
Quelle: Fotolia
Faserbasierte Strukturen können
sich Experten zufolge einzigartig sowohl strukturell als auch mechanisch an die
Bedingungen des Empfängergewebes anpassen und so Ersatzknochen, -haut, knorpel oder -sehnen als Basis dienen.
Der erste textile Muskel hat bereits gezuckt
Wie aktuell die textile Faser als Basis für künstliche Organe ist, zeigt eine
Veröffentlichung in dem Fachjournal Science vom Januar: Das Team um Edwin Jager
von der Universität in Linköping in Schweden stellt darin neues Textilgewebe vor, das
durch elektrische Impulse wie ein Muskel gestreckt und verkürzt werden kann. Die
Wissenschaftler entwickelten zunächst mithilfe von Zellulosefasern gestrickte und
gewebte Stoffe. Dann beschichteten sie die Stoffe mit einer hauchdünnen
Kunststoffschicht als Unterlage für die elektrisch leitfähige Schicht aus Polypyrrol mit
elektroaktiven Polymeren. Wurden die so modifizierten Textilien elektrisch stimuliert,
zogen sie sich zusammen, konnten aber auch wieder gedehnt werden. Die Forschungen
stehen jedoch noch ganz am Anfang. Bisher funktioniert der textile Muskel, der in
Zukunft Gelähmten zu Bewegungen verhelfen soll, nur in wässrige Lösung getaucht.
Textile Trendsetter aus Deutschland
Weiter fortgeschritten sind diverse deutsche Entwicklungen mit faserbasierten
Werkstoffen. Dazu zählen zum Beispiel bereits zugelassene Gefäßprothesen und Stents
ebenso wie die Nervenleitschiene auf textiler Basis, ein Knorpelersatz für Ohrmuscheln
und textile Haut für die Nachbehandlung von Brandwunden.
„Faserbasierte Strukturen werden schon in ein paar Jahren gleichwertig neben
herkömmlichen Materialien wie Metall oder Keramik auf dem Markt bestehen“, glaubt
die Textiltechnikerin und Biomaterialexpertin Dilbar Aibibu vom Institut für
Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM) der Technischen
Universität Dresden. „Sicher werden Metallprodukte mit beispielsweise Titan für Knieund Hüftimplantate immer ihre Berechtigung haben, wenn es um die Festigkeit geht.“
Doch auch fasergestützte
Biomaterialien werden immer
breiter eingesetzt „Bei
Gefäßprothesen oder
Herniennetzen arbeitet man seit
jeher mit Textil“, sagt die
Textilforscherin Aibibu. Schließlich
Die Fasern bilden einen Vlies auf dem künstliches
lasse sich Weichgewebe im Körper
Knochen- oder Knorpelgewebe wachsen kann.
am besten mit textilen Strukturen
Quelle: TU Dresden
nachbilden. „Durch die Kombination
von verschiedenen Materialien
lassen sich aber mittlerweile faserbasierte Matrices herstellen, die ebenso fest, aber
längst nicht so steif sind wie beispielsweise ein Metallimplantat“ sagt Aibibu. „ Die
zellbasierten Organe fügen sich überdies besser als künstliche Standardmaterialien in
den menschlichen Körper ein.“ Implantatbedingte Folgeschäden wie Knochenschwund
gebe es bei biologischem Knochenersatz deutlich seltener.
Innovative Zellträger aus Krabbenschalen
Die Wissenschaftlerin erforscht mit
ihrem Team beispielsweise
Ersatzmaterialien für defekte
Knochen oder Knorpel auf Basis
von Chitosan. Die biologische Faser
fördert das Knochenwachstum, ist
Die Forscher der TU Dresden gewinnen Chitosan
resorbierbar, hat antibakterielle
aus Krabbenschalen und weben den Stoff zu
Wirkung und wird nicht von den
Fasern, auf denen Knorpelzellen optimale
körpereigenen Zellen abgestoßen.
Wachstumsbedingungen vorfinden.
Chitosan wird in Dresden nach
Quelle: TU Dresden
eigenem Verfahren aus
Krabbenschalen zu einem Garn mit definierten Eigenschaften versponnen.
„Anschließend entwickeln wir daraus biologisch abbaubare, druckelastische 3DFlockscaffolds, mit denen sich ein durch Unfall oder Krankheit zerstörter Knorpel- oder
Knochendefekt auffüllen lässt“, beschreibt Aibibu. Die extrazelluläre Matrix aus
Mikrofasern bildet also das Gerüst für die knochenbildenden und -regulierenden
Zellen. Die Zwischenräume des Gerüsts werden mit patienteneigenen Zellen besiedelt.
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„Das patentierte Verfahren ist nicht nur
für den Ersatz von Knochenknorpel
Spinnenseide für die Medizintechnik
interessant, sondern zum Beispiel auch
Der Stoff, aus dem Medizinprodukte sind
für die Kieferorthopädie“, sagt Aibibu.
Brückenbauer zwischen zwei Welten
„Mittlerweile laufen Gespräche mit der
Industrie, die Interesse an dem Patent
oder Lizenzen haben.“ Bevor das Produkt
allerdings auf den Markt kommt, müssen noch klinische Studien erfolgen. Eine
zukünftige Indikation der 3-D-Zellträger sieht Aibibu bei Patienten, die tumor- oder
bruchbedingt einen Knochendefekt erlitten haben oder bei denen sich Knochen rund
um ein schon länger liegendes Hüftimplantat bereits zurückgebildet hat. Für den
routinemäßigen Einsatz als Ersatzmaterial bei degenerativ geschädigten Hüft- und
Kniegelenken eignet sich Chitosan hingegen nicht. „Hier sind derzeit Implantate aus
mineralischem Material wie zum Beispiel Keramik wegen der Festigkeit noch deutlich
besser“, sagt Aibibu.
Künstliche Hautmodelle ersetzen den Tierversuch
Abgesehen von innovativen Fasern wie Chitosan hat sich seit Jahrzehnten Kollagen als
Trägerstruktur bewährt. Es ist in diversen medizintechnischen Produkten wie
beispielsweise Wundauflagen, Herzklappen, Nahtmaterialien enthalten oder wird zur
Blutstillung und zur Geweberegeneration nach Zahnbehandlungen eingesetzt. Als
Hauptbestandteil im menschlichen Bindegewebe zeichnet sich das tierische
Faserprotein durch Festigkeit und Flexibilität aus, ist biologisch gut verträglich, wird
vom Körper vollständig resorbiert und bietet beste Vorraussetzungen, damit sich
Zellen auf der Oberfläche anhaften.
Ohr aus dem 3D-Drucker
„Kollagen ist das Material, das der
Körper als körpereigen erkennt und
an das sich die Zellen sofort
anheften“, weiß auch Ina Prade vom
Forschungsinstitut für Leder und
Kunststoffbahnen (FILK) im
sächsischen Freiberg. Auch
die Biomaterialforscherin nutzt
daher die Trägersubstanz, um
künstlichen Organersatz zu
erstellen. Aktuell versuchen sich die
Experten des FILK an dem
Ein Ohr aus gedruckten Zellverbänden, die auf
Verfahren des Bioprintings am 3D-
Kollagenbasis gewachsen sind.
Drucker. Die Forscher drucken
Quelle: FILK gGmbH
Biomaterialien einschließlich
lebender Zellen, um damit zum
Beispiel ein Ohr zu rekonstruieren. „Die Hoffnung ist, zukünftig kollagenbasierte
extrazelluläre Matrix zu nehmen, sie mit verschiedenen Verfahren in eine flüssige Form
zu bringen und dann entsprechend der Daten für jeden Patienten individuell
auszudrucken“, sagt Prade.
Für die Herstellung kollagenbasierter Medizinprodukte gibt es bereits
Standardverfahren. An Herausforderungen beim Bioprinting mangelt es dennoch nicht.
So müssen die Forscher zum Beispiel noch einen Weg finden, wie das biologische
Material nach dem Drucken ausreichend Festigkeit behält oder wie ein
Hohlfasersystem in das rekonstruierte Gewebe eingebracht werden kann, um es zu
durchbluten. „Zum jetzigen Zeitpunkt haben wir erst einmal ein menschliches Ohr auf
Kollagenbasis ausgedruckt und untersuchen, wie die Zellen darauf reagieren“, sagt
Prade. Alles weitere ist Zukunftsmusik.
Kollagenbasis fördert die Entwicklung von Knorpelgewebe
Dass der Sprung von der experimentellen Forschung an kollagenbasierten
Trägerstrukturen in den klinischen Alltag durchaus machbar ist, zeigt die sogenannte
matrixgestützte autologe Chondrozytentransplantation (MACT). Die MACT ist eine rein
biologische Therapie, bei der Schäden des Gelenkknorpels mittels einer
kollagenbasierten Matrix und patienteneigenen, gezüchteten Zellen behandelt werden.
Das Verfahren ermöglicht es, nach Verletzungen oder einer seltenen
Knochenerkrankung Defekte mit Knorpelzellen aufzufüllen, so dass sich wieder
hochwertiges Gewebe entwickelt. „Je größer der Knorpeldefekt ist, umso wichtiger ist
die Qualität des regenerierten Knorpels“ sagt Christoph Gaissmaier, Orthopäde und
Geschäftsführer der Tissue Engineering Technologies AG (TETEC). Herkömmliche
Knochenmark stimulierende Techniken produzierten keinen hyalinen Knorpel, sondern
nur minderwertiges Narbengewebe. „Narbiger Faserknorpel hat jedoch eine viel
geringere biomechanische Stabilität als hyaliner Knorpel“.
Bei der MACT werden zunächst in
einer Kniegelenksspiegelung zwei
kleine Knorpel-Knochenzylinder aus
dem Gelenk entnommen. Aus
dieser Biopsie isolieren Experten im
Speziallabor Knorpelzellen,
vermehren sie und bringen sie auf
eine biphasische, dreidimensionale
Matrix auf. Innerhalb von nur drei
Wochen entsteht so eine
Kombination aus autologen
Knorpelzellen und einer
biphasischen, dreidimensionalen
kollagenbasierten Matrix, genannt
Novocart 3D. Dieses Produkt wird
Zellbesiedelte biphasische Matrix.
Quelle: Tetec
dann in einem zweiten Eingriff
minimalinvasiv in den Knorpeldefekt transplantiert.
Gute Qualität, gutes Ergebnis
„Die Matrix besteht aus einer reißfesten Kollagenmembran und einem
Kollagenschwamm“, sagt Gaissmaier. Sie diene einerseits als Transportmittel, um die
patienteneigenen Zellen zurück in den Knorpel zu transportieren und dort zu fixieren.
„Die Faserstruktur des Kollagen zwingt die Knorpelzellen aber vor allem dazu, wieder
ihre typische sphärische Morphologie zu erhalten und ihre typischen Aufgaben als
Knorpelzellen nicht zu vergessen“, erklärt Gaissmaier. Die Trägerstruktur sorgt also
dafür, dass die Zellen sich wieder zu hochwertigem Knorpelgewebe ausprägen.
Gaissmaier ist überzeugt: „ Einzig eine gute Qualität des neu gebildeten Knorpels
korreliert auch mit einem guten klinischen Ergebnis.“
„Die MACT ist schon heute eine gute Therapie für Patienten mit lokalisierten
Knorpeldefekten, um eine frühzeitige Arthrose zu verhindern“, sagt Gaissmaier. Denn
mal ganz abgesehen von akuten Beschwerden: Das Ziel der biologischen
Knorpelrekonstruktion ist es, die meist noch jungen Patienten vor einer vorzeitigen
Prothesenimplantation zu bewahren. Bei entsprechender Indikation bezahlt die MACT
schon heute die gesetzliche Krankenkasse.
© Medizintechnologie.de/ga
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