Wissen Wissen Foto: Michael Winkelmann upgrade: Bekommt die Musik der Herkunftsländer in der Fremde eine neue Bedeutung? Wiener Tschuschenkapelle Interview We Are the World? Musik kennt keine Grenzen? Unsinn, sagt Ursula Hemetek. Die Professorin für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie an der Universität Wien glaubt, dass Musik für die Identität von Minderheiten in vielerlei Hinsicht eine große Rolle spielt. Doch die Mehrheit will fremde Töne oft nicht hören. Von Elisa Holz upgrade: Welcher Zusammenhang besteht zwischen Musik und Identität? Hemetek: Das ist ein sehr weites Feld. Jeder Mensch besitzt ja mehrere Identitäten. Identität kann durchaus durch Musik ausgedrückt werden. Das gilt insbesondere für die 24 upgrade kollektive Identität, denn durch Musik gelingt es besser, sich als eine Einheit zu fühlen. Wenn man aufgrund eines bestimmten Merkmals, beispielweise der Hautfarbe, diskriminiert wird, dann bekommt dieses Merkmal eine besondere Bedeutung. Musik kann den Rahmen schaffen, um diesen Aspekt Hemetek: Es gibt hier in Wien ganz unterschiedliche Szenarien. Traditionelle Musik wird zum Beispiel auf Festen oder in Folklorevereinen gespielt. Hier soll ein musikalisches Erbe weitergegeben und Identität erhalten werden. Dabei spielt die Mehrheit keine Rolle. Demgegenüber benutzen bestimmte Migrantengruppen nach außen hin die Musik, um der Mehrheit etwas zu zeigen. Die Flüchtlinge aus Bosnien beispielsweise haben darauf gebrannt, den Österreichern ihre Musik zu Gehör zu bringen. Anders ist es in der Diskoszene. In Wien gibt es inzwischen sehr viele Clubs, wo Live­musik zum Beispiel aus dem ehemaligen Jugoslawien gespielt wird. Weil die Migranten und Migrantinnen in österreichische Diskos nicht hineingelassen werden, ist so ein neuer Musikgeschäftszweig entstanden – der deutlich in Richtung Abgrenzung weist. Es gibt aber eben beispielsweise auch den etablierten „Ostclub“, wo Zuwanderer und Einheimische zu Balkanbeat tanzen. Herkunft spielt hier keine Rolle mehr. Gleiches gilt übrigens für viele meiner ausländischen Musikstudierenden, die überhaupt keinen Bezug zu ihrer Herkunftskultur haben. Andere wiederum wie die „Wiener Tschuschenkapelle“, in der Österreicher und Zuwanderer zusammen musizieren, setzen ihre Musik klar für eine politische Botschaft ein, die sich an die Österreicher richtet. Die Frage ist immer, wer was macht und für welches Publikum. Da muss man genau unterscheiden. upgrade: Sehen Sie die Gefahr, dass durch Volksmusik und Folklore Klischees über Minderheiten reproduziert werden? Hemetek: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Multikulti-Feste sind häufig eine Katastrophe. Ich habe da schon schreckliche Dinge erlebt: Afrikaner, die mit nacktem Oberkörper trommeln, eine feurige RomaSängerin und Volkstanzgruppen in Tracht. Dazu gibt es ein „ethnisches“ Büfett. Solch folkloristische Exotik verstärkt Klischees, die Musik ist hier nur Dekoration. Man kann so etwas auch anders machen. Ich habe in der Vergangenheit auch manchmal bei Kulturpräsentationen mit Exotik gearbeitet. Das sehe ich heute zwar kritisch, aber wenn man etwas vermitteln will, muss man die Menschen manchmal dort abholen, wo sie stehen. upgrade: Bietet Musik die Möglichkeit, dass sich Mehrheit und Minderheiten annähern? Hemetek: Musik kann zur Abgrenzung dienen, sie kann aber auch solidarisierend eingesetzt werden. Gerade weil Musik mit Identität verbunden ist, haben Außenstehende oft Berührungsängste. Zudem kann Musik Aggressionen wecken, weil sie nicht verstanden wird. Eine fremde musikalische Sprache muss das Ohr erst erlernen. Das erfordert Anstrengung. An Esskultur und Mode kann die Mehrheit hingegen einfacher anknüpfen. Musik kann man missverstehen. upgrade: Welche Rolle spielt in dem Zusammenhang die sogenannte Weltmusikszene? Hemetek: Der Cross-over aus verschiedenen Musikstilen richtet sich klar an die Mehrheit und hat wenig mit dem Erhalt einer Identität zu tun. Die Musizierenden wollen auch nicht primär als Zuwanderer gesehen werden. In Wien gibt es zum Beispiel den „World-Music-Award“. Hier gehen viele Bands mit großem musikalischem Können an die Öffentlichkeit und es gibt viele multi-ethnische Ensembles. Die verschiedenen musikalischen Identitäten in Wien bedeuten einen großen kulturellen Reichtum, der Kreativität fördert. Foto: privat der Minderheitenidentität zu unterstreichen und positiv zu besetzen. Ursula Hemetek Univ.-Prof. Dr. Ursula Hemetek hat eine Professur am Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien inne. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die traditionelle Musik von Minderheiten in Österreich. Hemetek lehrt an mehreren Universitäten in Österreich und kann zahlreiche Publikationen zum Thema „Ethnomusikologie und Minderheiten“ aufweisen. Zudem engagiert sie sich im interkulturellen Bereich sowie politisch als Obfrau der „Initiative Minderheiten“. upgrade: Haben Einwanderer Zugang zu den Kulturinstitutionen in Österreich? Hemetek: In Wien sind Migranten und Migrantinnen heute besser repräsentiert als früher. Sie haben Mitspracherechte, sitzen in Gremien. Es gibt viele Veranstaltungen, die mit dem Thema sehr sensibel umgehen, und Festivals, die ein hohes Niveau haben. Dennoch ist das gesellschaftliche System in Österreich nach wie vor diskriminierend. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind hierzulande stark ausgeprägt. Man muss zwischen Musik, Menschen und herrschender Politik unterscheiden. upgrade 25