MODULØR #5 20 12 pavillon pavillon nomadische momente in der architektur serpentine gallery pavillons ausgegrabene baukunst in der Faltung liegt die kraFt www.modulor.ch #5 2012 www.modulor.ch MODULØR Architektur, Immobilien, Recht 001_Mod_Titel_0512.indd 1 26.07.12 14:27 EDITORIAL MODULØR Magazin 2012 05 thema pavillon „MEhR ALs REvOLUTIOn InTEREssIERT Uns EvOLUTIOn“ Diesen Satz hörte ich im letzten Sommer, als ich dem dänischen Architekturbüro BIG einen Besuch abstattete. Das Team von Bjarke Ingels beeindruckte mich durch seine unkonventionelle, aber umso konsequentere Art, Architektur zu leben. BIG bejaht eine Architektur, die es gestattet, zu allen Aspekten des menschlichen Lebens Ja zu sagen, wie gegensätzlich sie auch sein mögen. Diese pragmatisch-utopische Architektur, wie es Bjarke nennt, will nichts weniger, als gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch perfekte Orte erschaffen. Beim dänischen Pavillon für die Expo 2010 in Shanghai hat BIG eine erfrischende Geschichte erzählt. Das Ziel war es, den Begriff Nachhaltigkeit so umzusetzen, dass der Lebensstandard tatsächlich verbessert würde. Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten zwischen Dänen und Chinesen wurde das Team erst bei einem Blick auf die Stadtentwicklung von Shanghai und Kopenhagen fündig. Es wollte den Menschen aus der Weltmetropole das Fahrrad als etwas Positives zurückbringen. BIG kreierte eine räumliche Infrastruktur für Fahrräder wie einen Fahrradweg, der um sich selbst kreiste. Im Zentrum der Raumskulptur befand sich ein Pool, der mit einer Million Liter original Kopenhagener Hafenwasser, wohlgemerkt sauberem, gefüllt war. Und mittendrin sass die kleine Meerjungfrau – keine Kopie, auch hier die echte. Wer sich zudem traute, durfte mit einem geliehenen rot-weissen Badeanzug einen Sprung ins Meer wagen und ein paar Runden schwimmen. Die Begegnung mit dieser lebensbejahenden Architektur und den Menschen, die dahinterstehen, hat mich tief beeindruckt. In diesem Sinn wünsche ich eine erfrischende Lektüre. Was sind temporäre und was sind dauerhafte Bauten? Die Unterschiede zwischen Pavillon und Gebäude sind oft weniger deutlich, als es anfänglich scheint. Dauerhafte Gebäude sind oft weniger dauerhaft, als sie vorgeben, und temporäre Konstruktionen können beständiger sein, als es zunächst den Anschein hat. Für den Architekten Nikolaus Hirsch lösen sich die Unterschiede zwischen den beiden Gebäudetypen auf, und somit wird die Beziehung zwischen Architektur und Ausstellung neu bewertet (Seite 22). Die Historikerin und Kunstpädagogin Dr. Kerstin Bussmann spricht in ihrem Blick zurück in die Geschichte des Pavillons von Vergänglichkeit und vom Motiv der Bewegung. Zelte wie Pavillons sind Zeichen erstarrter Flexibilität, die als etwas Flüchtiges, Weiterziehendes der ständigen Veränderung unterliegen. Doch auch für Bussmann haftet dem Pavillon eine „Zähigkeit des Archaischen“ an, und sie sieht zunehmend eine unscharfe Trennung zwischen Dauerhaftigkeit und Flüchtigkeit: „Beinahe erweckt es den Anschein, als würde der Pavillon in neuer Zurichtung zur universellen Behausung für unsere eigene Völkerwanderung“ (Seite 30). Zu welch architektonischen Perlen eine beinahe vollkommene Freiheit in der Gestaltung führen kann, beweist die Idee der Serpentine Gallery in London. Jedes Jahr lässt die Kunstinstitution neben ihrem kleinen Teehäuschen, wo seit 1970 moderne und zeitgenössische Kunst der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, durch einen renommierten Architekten einen Sommerpavillon bauen. Wie das temporäre Werk auszusehen hat, ist nicht vorgeschrieben. Einzig die sehr kurze Dauer des Entwurfs und der Umsetzung ist vorgegeben. Diese aussergewöhnliche Geschichte modernen Bauens finden Sie auf Seite 38. Im olympischen Sommer von London ist die Schweiz neben den Athletinnen und Athleten, die Anfang August um Medaillen kämpften, auch durch Jacques Herzog und Pierre de Meuron vertreten. Das Duo bildet zusammen mit dem Künstler Ai Weiwei ein kongeniales Trio und zeichnet verantworlich für den aktuellen Serpentine Pavillion. Wie Archäologen haben sie in fünfwöchiger Arbeit die Fundamente der elf Vorgängerbauten freigelegt. Entstanden ist in Kensington Gardens eine architektonische Hommage an Vergänglichkeit und Erinnerung (Seite 46). Roland Merz Chefredakteur, [email protected] 005 005_Mod_Editorial_0512.indd 5 13.08.12 12:59 MODULØR Magazin INHALT 2012 05 MODULØR #5 2012 021 MAGAZIN eDitORiaL 005 FORUM 010 Vis-a-Vis Doris Wälchli 018 theMa PaViLLOn 021 KOLUMne Walter Maffioletti 059 060 aRchiteKtUR Schauhaus, Botanischer Garten Grüningen Pavillon St.-Johann-Park, Basel Swiss-Re-Pavillon, Adliswil 060 068 074 Recht Die Ästhetik im Recht 078 aKtUeLL Designers‘ Saturday 2012 082 074 007 007-008_Mod_Inhalt_0512.indd 7 13.08.12 13:01 MODULØR Magazin THEMA Pavillon 2012 05 das thema Pavillon 022 die Pavillonisierung der architektur Schnell, experimentell, vergänglich – der Pavillon scheint der angenehme Teil der Architektur zu sein. von Prof. Nikolaus Hirsch 030 der Pavillon – nomadische momente Häuser können nicht wandern, aber die Vorstellung, dass sie es könnten, ist auch in der Geschichte der Architektur nicht folgenlos geblieben. von Dr. Kerstin Bussmann 038 „Wir bieten architekten eine beisPiellose Freiheit“ Seit dem Sommer 2000 steht in Londons Kensington Gardens jedes Jahr ein Pavillon, der die Architektenwelt in seinen Bann zieht. von Philip Jodidio und Roland Merz 046 Pavillon: Die Unterschiede zwischen permanenter Architektur und temporären Bauten lösen sich auf. Das Titelbild zeigt die Dachuntersicht des Musikpavillons von Robert Maillart, der seit 1908 am Bürkliplatz in Zürich steht. ausgegrabene baukunst Die Basler Architekten Herzog & de Meuron und der chinesische Künstler Ai Weiwei lassen mit ihrem Pavillonentwurf für die Serpentine Gallery tief blicken. von Alice Werner 052 in der Faltung liegt die kraFt „TexFold“ heisst das System aus nicht miteinander verbundenen Stangen und einer gefalteten Textilhülle, welches Forscher der Hochschule Luzern entwickelt haben. von Ben Kron WEiTERE THEMEnRELEvAnTE ARTikEL: Schauhaus, Botanischer Garten Grüningen, ab Seite 60 Pavillon St.-Johann-Park, Basel, ab Seite 68 Swiss-Re-Pavillon, Adliswil, ab Seite 74 © Simone Vogel 021_Mod_Thema_Einstieg_0512.indd 21 021 13.08.12 13:11 aRchITEKTUR Pavillon St.-Johann-Park, Basel aRchITEKTEn Burckhardt + Partner, Basel www.burckhardtpartner.ch LanDschafTsaRchITEKTEn Schönholzer + Stauffer, Riehen www.schoenholzerstauffer.ch BaUhERRschafT Christoph-Merian-Stiftung, Basel Hochbau- und Planungsamt Basel-Stadt BaUZEIT Januar–Juni 2012 Die Fassade des Pavillons ist in drei Module aus alternierenden Fichtenstützen gegliedert. 068 068-072_Mod_Arch_StJohann_0512.indd 68 MODULØR Magazin 2012 05 3 13.08.12 14:01 3 Flügel im Park Die drei Flügel des Baukörpers trennen die Funktionen klar voneinander und ermöglichen eine starke Beziehung zum Park. BURcKhaRDT + PaRTnER, BasEL Das Wort Pavillon bedeutete ursprünglich „Zelt“. Der Begriff geht auf das lateinische „Papilio“ für „Schmetterling“ zurück, da die Form der römischen Zelte an die Flügel eines Schmetterlings erinnerten. Der kürzlich eingeweihte Pavillon von Burckhardt + Partner im St.-Johann-Park in Basel wird der ursprünglichen Bedeutung des Wortes in mehrfachem Sinn gerecht. von Katharina Marchal (Text) und Hans H. Münchhalfen (Fotos) Drei Flügel ragen in die Parklandschaft hinaus. Das Wettbewerbsprojekt (2008) setzte sich noch aus vier Flügeln zusammen und glich tatsächlich einem Schmetterling. Zur Kosteneinsparung wurde ihm leider einer gestutzt, was dem Konzept nicht schadete. Die Figur ermöglicht sowohl die klare Trennung aller Funktionen sowie die maximale öffentliche Nutzung des Gebäudes. Bis zum Abend stehen die drei Türen zum Spielplatz, zur Terrasse und in Richtung Strasse offen – das Gebäude leuchtet von innen heraus. Die äussere Tragstruktur aus Fichtenholzstützen mit unterschiedlichen Abständen integriert sich in den lockeren Baumbestand auf der Westseite des Parks. Die raumhohe Verglasung zwischen den Stützen hebt die visuellen Grenzen zwischen Innenraum und Landschaft auf. Auch die einheitliche, sehr einfache Materialisierung unterstützt den fliessenden Übergang von innen nach aussen. Der helle Asphalt der 069 068-072_Mod_Arch_StJohann_0512.indd 69 13.08.12 14:01 aRchITEKTUR St.-Johann-Park-Pavillon, Basel Parkwege passt sich farblich dem Hartboden der Innenräume an. Die Massivbauweise beschränkt sich auf das Fundament; der darüber aufgerichtete Montagebau ist komplett aus Holz. Klar oder blau lasierte OSB-Platten verkleiden die Innenwände, rohe Dreischichtplatten aus Fichtenholz die Decken. Sämtliche Installationen sind offen montiert, bilden jedoch eine überschaubare Ordnung. Der spartanische Innenausbau lässt viel Spielraum für unterschiedliche Nutzer; die Einfachheit entspricht hier dem Zweck. Vielfältige NutzuNg Das St.-Johann-Quartier zeichnet sich durch seine heterogene Bewohnerschaft aus. Mit der Finanzierung des neuen Pavillons (2,1 Millionen Franken) ermöglichte die Christoph-Merian-Stiftung MODULØR Magazin 2012 05 Ansicht von Osten: Durch die Gliederung der Fassade entsteht im Innenraum ein vielfältiges Licht-und-Schatten-Spiel. die Umsetzung des öffentlichen Begegnungsortes für Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, für Jung und Alt. Unter einem Dach werden hier verschiedene Aktivitäten vereint: Im Kaffeehaus und in der Bar „Jonny Parker“ profitiert man von einem Blick aus leicht erhöhter Lage auf den Rhein. Die vorgelagerte, neu gestaltete Terrasse baut auf den Mauern der ehemaligen Aussichtskanzel des versetzten Waaghauses auf. Im 1 5m grössten Flügel des Pavillons befindet sich der Spilruum St. Johann – ein offener Kindertreffpunkt mit Kreativraum und Stillem Raum. Direkt an das Foyer grenzt das Büro des Neutralen Quartiervereins St. Johann an und bildet eine räumlich geschlossene Einheit innerhalb der offenen Struktur; auch die Neben- und Lagerräume, das WC und die Küche sind als zusammengefasste Kerne mit Fenstern hinter dem durchlaufenden Die Gebäudehülle bildet die äussere Tragstruktur und fasst alle Funktionen zu einem einheitlichen Baukörper. 070 068-072_Mod_Arch_StJohann_0512.indd 70 13.08.12 14:01 Das Foyer bildet das Zentrum des Pavillons, vernetzt alle Funktionen und verteilt die Besucher. Auch im Quartierbüro prägen Hartbetonböden, OSBund Dreischichtplatten die Einfachheit des Gebäudes. Kreativraum Stiller Raum Spielraum WC WC N Abstellen Lager Lager Café Technik Foyer Küche Stuhllager Quartierbüro 1 Café 5m Grundriss: Geschlossene und offene Bereiche liegen wie Waben aneinander und zonieren den Innenraum. 071 068-072_Mod_Arch_StJohann_0512.indd 71 13.08.12 14:02 aRchITEKTUR St.-Johann-Park-Pavillon, Basel MODULØR Magazin 2012 05 Fassaden platziert; die abgewinkelten Flächen der Einbauten bilden trichterförmige Gänge und Räume. Durch welchen der drei Eingänge man den Pavillon auch betritt, man steht im Zentrum der Anlage und überschaut alle Aus- und Zugänge. PaVilloN im Park Der Pavillon ist Teil des neu gestalteten Parks von Schönholzer + Stauffer Landschaftsarchitekten. Die neue Wegführung und der wieder geöffnete Zugang von der Elsässerstrasse binden den Park stärker an das Quartier an. Diese Aufwertung verbessert nicht nur die soziale Kontrolle innerhalb des Parks, sondern verstärkt auch den Bezug zum Rhein. Anstelle der abgebrochenen Ruine des historischen Schlachthofgebäudes und des alten Spielplatzes entstand ein viel- Von der erhöhten Terrasse der Cafeteria eröffnet sich eine Aussicht über die Wiesen des Parks am Rhein. fältiger Spiel- und Aufenthaltsort für Jung und Alt. Auf dem neuen Spielplatz, der unmittelbar an die Terrasse des Pavillons angrenzt, können sich die Kinder auf den zwei riesigen Klettergeräten in Form eines Schweins und einer Gans austoben. Dazwischen fordert eine grosse Sandspielanlage mit Wasserpumpe zum Experimentieren auf. Auf der gegenüberliegenden Seite des Pavillons erlaubt eine im Belag integrierte Wasserpfütze mit Wasserdüsen das Planschen und Spritzen. Mehrere Fitnessgeräte im Park stehen den „Grossen“ zur Verfügung. Für die Senioren des Alters- und Pflegeheims nebenan erhöhte man sogar einige der Parkbänke zum erleichterten Aufstehen. Seit der Einweihung werden der neue Pavillon und der Spielplatz intensiv genutzt. Nicht nur die Bewohner des Quartiers schätzen die Aufwertung des Parks und den neuen Treffpunkt. Ein fantasievoll gestalteter Spielplatz grenzt direkt an den Pavillon und integriert sich in den dichten Baumbestand. 072 068-072_Mod_Arch_StJohann_0512.indd 72 13.08.12 14:02