Mat.-Nr. D6504-5125 3 März 2012 / 65. Jahrgang C 3188 Thema des Monats Sanierung 50er- bis 70er-Jahre-Bauten Energie für Haus und Auto Wohnungspolitik Management Wohnungsmark t Pflegereform Basel III und Solvency II Wohnen bleiben im Kiez Kasssen in die Pflicht nehmen Auswirkungen auf die Wohnungswirtschaft Zuhause der Zukunft THEMA DES MONATS SANIERUNG 50ER- BIS 70ER-JAHRE-BAUTEN Erste Wohnhaussanierung auf Plusenergiestandard mit Elektromobilität Energie für Haus und Auto Das 1970 entstandene Wohnhaus ist heute ohne jeglichen Verbrauch an fossilen Energien emissionsfrei und energieautark – und wurde zum Plusenergiehaus mit Elektromobilität umgerüstet. Das „energy+Home 2012“ entstand als Beispiel für die wirtschaftliche und zukunftsorientierte Umwandlung eines Bestandsgebäudes und dient als Forschungsprojekt. Konzept, Entwicklung und wissenschaftliche Leitung Blick durch die großzügige Küche mit Essplatz. Mehr als die Hälfte aller Wohneinheiten in Deutschland (20,1 Millionen) sind im Zeitraum von 1949 bis 1978 entstanden1. Deren Ertüchtigung ist ein zwingend notwendiger Beitrag zur Reduktion des globalen CO2Ausstoßes. Dieses 1970 in Hanglage errichtete Gebäude (siehe kleines Foto rechts) Quelle: diephotodesigner wurde alleine in der Region Rhein-Main etwa 12.000 Mal im Zeitraum von 1965 bis 1978 gebaut und wurde als freistehendes Haus sowie als Doppel- und Reihenhaus von vielen Wohnungsbaugesellschaften als Verkaufs- und Vermietungsobjekt gebaut. Allerdings wies der damalige Standard auch einem mittleren Primärenergieverbrauch von 380 kWh/m2a für die Wärmeerzeugung auf, zu einer Zeit als man noch für Heizöl ein Cent/kWh bezahlte – nur bis heute haben sich die Kosten für Heizöl verzehnfacht. Der Umbau sollte das Gebäude architektonisch zeitgemäß aufwerten, vor allem der energetische Standard und die Tageslichteffizienz mussten dringend optimiert werden. Mit einem Energiekonzept ohne Öl und Gas als Energieträger und ohne jegliche CO2-Emissionen sollte das Haus auch seinen Haushaltsstrom selbst erzeugen und einen Überschuss für Elektromobilität erzeugen. Architektur Treppe vor und nach der Sanierung. Quelle: diephotodesigner 10 Eine wesentliche Bedeutung hat die architektonische „Metamorphose“ des Gebäudebestands im Äußeren und Inneren. Im Zuge der Sanierung vergrößert sich die nutzbare TU Darmstadt, Fachbereich Architektur, Institut für Tragwerksentwicklung & Bauphysik, Univ. Prof. Dr.-Ing. Karsten Tichelmann; www.twe.tu-darmstadt.de [email protected] Kosten Das Haus wurde sehr hochwertig ausgestattet, was zur Erzielung des Plusenergiestandards nicht notwendig gewesen wäre (z. B. ein Bussystem im gesamten Haus, sehr hochwertige Bodenbeläge, teure Lichtserie, hohe Ausstattung in den Badezimmern usw.) Die Sanierungskosten belaufen sich bei dem hohen Ausstattungsstandard auf 1.760 Euro/m2. Nach ersten Berechnungen lässt sich dieser auf 1.380 Euro/m2 reduzieren. Die „Mehrkosten der energetischen Sanierung zum Plusenergiehaus“ betragen ca. 29.000 bis 32.000 Euro, abzüglich der zusätzlich gewonnenen m2 Wohnraum, der vorher Tanklagerraum war. Rechnet man nun noch die laufenden Kosten für einen Energieträger (Öl/ Gas) hinzu sowie den Haushaltsstrom, dann erwirtschaftet der Wohnflächengewinn eine „Rendite“ von 9,2 % bei den heutigen Strompreisen. Unter Berücksichtigung der jährlichen Mehrerträge für die Elektromobilität steigt die Rendite auf 12,8 %. Es gab eine KfW-Förderung nach den normalen KfW-Programm (75.000 Euro zu 1,2 % mit 15 % Tilgungserlass). Für die Entwicklung wurden keine Forschungsmittel in Anspruch genommen. Grundfläche des Gebäudes von 158 auf heute 180 Quadratmeter, verteilt über zwei Etagen. Die Wohnqualität wird wesentlich verbessert: Nutzbarkeit und Raumqualität steigen, eine flexiblere und individuellere Gestaltung soll das Wohlbefinden erhöhen. Die Fassade wurden mit anthrazitfarbenen Die Wohnungswirtschaft 3/2012 Der Grundriss wurde großzügiger organisiert und mit flächenbündigen raumhohen Türen und dunklen Massivholzdielen ausgestattet. Das heutige Plusenergie-Siedlungshaus aus den 1970er Jahren. Eingangssituation damals und heute. Quelle: diephotodesigner Faserzementplatten bekleidet und hinterlüftet ausgeführt sowie die Außenwand mit einer 24 Zentimeter dicken Mineralwolledämmung neuster Generation isoliert. Der Übergang von Dachfläche zur Außenfassade wurde mit innenliegenden Dachrinnen ausgeführt, so dass das Gebäude heute ohne Traufüberstände auskommt. Die dunklen Dachsteine im Verbund mit der dachflächengleichen monokristallinen Pho- tovoltaikanlage erscheinen als eine homogene Fläche, die nur von großformatigen Wohndachflächenfenstern unterbrochen wird, die den Tageslichtanteil im gesamten Haus wesentlich erhöhen. In der Fassade ersetzen Fensterbänder mit Drei-ScheibenWärmeschutzverglasung die vorher vereinzelten Öffnungen der Lochfassade. Insgesamt wurde die Fensterfläche auf 76 Quadratmeter um 160 Prozent vergrößert. Der heute nicht mehr benötigte Öltank und die Heizungsanlage wurden entfernt, die Räume zusammengelegt und zu einem komfortablen Wellnessbad umgebaut. Rund 20 Quadratmeter zusätzliche Wohnfläche entstanden so. Dies bedeutet gleichzeitig eine Wertsteigerung des Gebäudes um zirka 40.000 Euro. Der Rückbau der Holzbalkendecke im Obergeschoss vergrößerte die lichte Raumhöhe auf bis zu fünf Metern in den Wohn-Ess-Bereichen und ermöglicht nun über die großflächigen Dachflächenfenster, das Tageslicht bis in das Untergeschoss zu bringen. Emissionsfreier Betrieb: Wärme- und Energieversorgung Das Konzept sieht eine individuelle Beheizung der einzelnen Räume mit einer innovativen Niedertemperatur-Flächenheizung THEMA DES MONATS SANIERUNG 50ER- BIS 70ER-JAHRE-BAUTEN Die neue Gartenansicht des Hauses. vor. Wesentlich bei dem Konzept des energy+Home 2012 ist die Umstellung auf eine alternative Energieversorgung mittels Wärmepumpe, die ihre Betriebsenergie aus den im Dach integrierten Solarstrommodulen bezieht. Das Technikkonzept sieht eine neuartige Luft/Wasser-Wärmepumpe vor. Eine Photovoltaikanlage auf dem Dach erzeugt den notwendigen Strom für den Betrieb des Geräts. Solarthermie-Kollektoren sind aufgrund der im Sommer sehr hohen Effizienz der Luftwärmepumpe nicht Quelle: diephotodesigner erforderlich. Auch dies ist ein sinnvoller Beitrag zur Ressourceneinsparung. Der darüber hinaus produzierte Stromüberschuss von über 3.350 kWh reicht aus, um mit einem elektrisch angetriebenen PKW bei einem Verbrauch von 14 kW/100 km etwa 23.000 km pro Jahr zurückzulegen, was einer Fahrleistung von 100 km pro Tag entspricht. Ein zweijähriges Monitoring soll nun Verbrauch und Energiegewinn unter realen Bedingungen testen. Forschung energy+Home 2012 ist nicht nur ein beispielhaftes Vorhaben, sondern auch ein bedeutsames Forschungsprojekt. Um die Entwicklung des Hauses zu einem CO2-neutralen Gebäude, die damit verbundenen prognostizierten Einsparungen und die Erfüllung der hohen Behaglichkeitsanforderungen im realen Betrieb zu überprüfen, wird die Sanierungsmaßnahme und insbesondere der Gebäudebetrieb wissenschaftlich begleitet. Die wissenschaftliche Begleitung des „Best-Practice-Haus 2012“ in Form von Monitoring, Interviews, Messungen und Analysen erstreckt sich über einen Zeitraum von 24 Monaten und wird als Referenz und BestPractice-Beispiel von der Bundesstiftung Umwelt gefördert und in Zusammenarbeit mit dem Fachgebiet Tragwerksentwicklung & Bauphysik der Technischen Universität Darmstadt und des Instituts für Trocken- und Leichtbau (ITL) durchgeführt. Prof. Dr.-Ing. Karsten Tichelmann, TU Darmstadt 1 Statistisches Bundesamt (2008)/www.destatis.de; Bauen im Wandel, Warum die Bauwirtschaft vom Klimawandel profitiert, dbresearch, Ausgabe 433, 10/2008. Verweis Hegger, M., Bialucha, T.: „Model Home 2020 für die IBA in Hamburg“, forschen 2011 – Wissenschaftsmagazin der TU Darmstadt, Ausgabe Frühjahr 2011 vmm wirtschaftsverlag, Augsburg Velux Model-Home 202, LichtaktivHaus, Hamburg, Wilhemsburg, www.velux.com 12 Die Wohnungswirtschaft 3/2012