Der Verlust der Aktion in der Re

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Der Verlust der Aktion in der Re-aktion
Ellen Wilmes
Der Verlust der Aktion in der Re-aktion
Die Reaktion, die niemals reagiert, sondern stets agiert.
Ellen Wilmes
Inhalt
1. Einführung ...........................................................................2
2. Auflösung der Re-aktion in der Aktion ......................................3
3. Die be-ding-ungs-lose Be-ding-ung der Möglichkeit als Aktion und
nicht als Reaktion .......................................................................7
4. Die Los-igkeit als Freiheit der Aktion als Aktivität .................... 11
5. Der Wandel: Der Verlust der Reaktion bedeutet Lust der Aktion 14
Literaturverzeichnis ................................................................... 18
1
Der Verlust der Aktion in der Re-aktion
Ellen Wilmes
1. Einführung
Die Auseinandersetzung mit der Frage nach Aktion und Reaktion wird
in der Regel der Psychologie zugeordnet. Reiz-Reaktion-Schemata
werden untersucht, analysiert, Schlüsse gezogen und in einer
Auswertung dem Prozess des Schemas ein Wert zugeordnet, der sich
in der Realität wiederspiegelt. Zum Beispiel schreibt Jeremy Hayward
in seinem Buch über die Erforschung der Innenwelten mit den Worten
von Professor Norman Dixon, Professor für Psychologie an der
Universität London: „Diese Resultate, […], sind so verläßlich, daß sie
jetzt
bei
den
Ausleseverfahren
für
Norwegens
Schwedens
Luftstreitkräften
und
künftige
Piloten
[…]
als
bei
den
Test
für
unbewußte Abwehrmechanismen eingesetzt werden.“1 Das heißt,
Untersuchungen an Probanden haben ein bestimmtes Verhalten auf
bestimmte Reize ausgelöst. Die Ergebnisse der Untersuchungen
wurden im Anschluss integriert in den Alltag der Menschen. Was hier
geschieht, bedarf einer philosophischen Reflektion. Denn stellt sich hier
nicht die Frage, inwieweit der Mensch sich selbst Grenzen setzt?
Braucht er diese Grenzen? Ist eine von Menschen ausgedachte
Untersuchungsform für Menschen menschenwürdig? Doch bleiben wir
bei der Aktion und Reaktion.
Der Tier- und Pflanzenwelt wird eine nicht bewusste Reiz-Reaktion
zugewiesen. Schopenhauer nennt dies: „Handeln […] ohne Motiv […]
der Wille auch ohne alle Erkenntniß thätig ist.“
2
Der Mensch hebt sich
durch seine Bewusstseinsaktivität davon ab. Er führe „jede Handlung
aus der Wirkung des Motivs auf den Charakter mit strenger
Nothwendigkeit“
1
2
3
3
aus, sagt Schopenhauer. Doch belegen zum Beispiel
Jeremy Hayward 1996, S. 123.
Schopenhauer 2009, S. 117.
Schopenhauer 2009, S. 116.
2
Der Verlust der Aktion in der Re-aktion
Ellen Wilmes
jene Untersuchungen von Professor Dixon in London, dass der
menschliche Proband Handlungen vollzieht und Reaktionen zeigt, die
von unbewussten, „subliminale[n] Reize[n]“4 beeinflusst sind. Unseren
Reaktionen geht also „etwas“ voraus. Und hier setzt die Frage dieser
kleinen Untersuchung an. Was ist dieses „etwas“, das voraus geht? Ist
die Reaktion wirklich Reaktion? Ist das, was vorausgeht und das, was
scheinbar folgt, ein Beziehungsgefüge? Gibt es noch eine andere
Möglichkeit der Beschreibung dieses Geschehens, dieser Erscheinung?
2. Auflösung der Re-aktion in der Aktion
Wenn Wissenschaft behauptet, dass Strömungen in Religion wie zum
Beispiel
Christentum,
Buddhismus,
Mystik,
in
der
Psychologie
Behaviorismus, Tiefenpsychologie, Kognitivismus, in der Philosophie
Antike, Scholastik, Aufklärung bis hin zur analytischen Philosophie, in
den Naturwissenschaften Naturalismus, Kosmologie, Chemie, Medizin
bis hin zur Quantenphysik, eine Reaktion ist, dann wird stillschweigend
und ohne Thematisierung vorausgesetzt, dass dort „etwas“ ist, was
dem vorausgegangen ist. Eine Reaktion ist eine Antwort, die eben eine
Frage voraussetzt. Doch ist das Christentum, die Mystik oder der
Buddhismus wirklich eine Reaktion? Gibt es wirklich ein Voraus, auf
dass re-agiert wird? In der buddhistischen Gleichzeitigkeitsauffassung
ist die Existenz eines Voraus nicht möglich, weil gäbe es ein Voraus,
dann würde sich die Gleichzeitigkeit aufheben und ad absurdum
führen.
Die kleine Vorsilbe -re- kommt aus dem Lateinischen und steht
für: „re-u […] 1. zurück […]; 2. wieder […]; 3. in den früheren
Zustand, in den richtigen Stand; 4. […] entgegen, wider. “5 Aktion
kommt ebenfalls aus dem Lateinischen und bedeutet: „āctus […] 4.a)
4
5
Jeremy Hayward 1996, S. 122.
Hau 1999, S. 870.
3
Der Verlust der Aktion in der Re-aktion
Ellen Wilmes
Körperbewegung, […]; 6. Bewegung, Tätigkeit, Tun, Verrichtung“6 und
bezieht sich auf das Verb agere: „āgō, agere […] 1.a) bewegen, in
Bewegung setzen, treiben […]; 2.a) tun, ausführen.“7 Was bringt uns
die Betrachtung dieser Worte im Zusammenhang mit unserer
Ausgangsfrage? Bei einer Re-aktion handelt es sich offensichtlich um
eine Bewegung, die auf etwas Früheres zurückgreift. Es ist eine
Zurück-bewegung und dabei ein Tun tun, das sich dem Zurück
entgegen bewegt. Somit ist es eine Bewegung der Ab-wehr, weil sie
stellt
sich
entgegen,
definiert
ein
–wider-.
Bei
dieser
Wortherkunftsanalyse wird klar, dass eine Reaktion niemals allein
steht,
sondern
immer
eine
Beziehung
unterhält
zu
einem
Vorausgegangenen, einem „früheren Zustand“. Doch ist es überhaupt
möglich, auf einen früheren Zustand zurückzugreifen, um dann
daraufhin eine Bewegung auszuführen, die eine Art Bogen schlägt vom
Ausgangspunkt
zum
Jetztpunkt
oder
auch
umgekehrt?
Welche
Annahme setzen wir, ohne sie zu diskutieren? Ist eine Re-aktion
überhaupt existenzhaft möglich? Wenn nach der Bedingung der
Möglichkeit einer Reaktion gefragt wird, dann ist die Antwort scheinbar
logisch, die Aktion, die dieser vorausgeht. Doch drehen wir uns hier
nicht im Kreis? Aktion-Reaktion-Aktion-Reaktion. Wissenschaftler
beschäftigen sich in Systemtheorien mit genau derartigen Kreisläufen.
Sie untersuchen Aktion-Reaktionen in Bezug zu ihren Verhältnissen.
Dabei
entstehen
Beziehungsfelder,
Beziehungsebenen,
Beziehungsorte, Beziehung überhaupt. Vogd beschreibt kybernetische
System wie folgt:
„Kybernetische Gedächtnisse repräsentieren keine Erlebnisse,
sondern mit jeder Interaktion verändert sich ihre interne
strukturelle Dynamik und damit ihre Funktionsweise. Es findet in
diesen Systemen also kein Speichern von Informationen statt,
[…].
6
7
Die
Gedächtnisleistung
beruht
vielmehr
auf
der
Hau 1999, S. 16.
Hau 1999, S. 39.
4
Der Verlust der Aktion in der Re-aktion
Ellen Wilmes
geschichtsabhängigen Änderung der Input-Output-Funktion, also
auf einer veränderten relationalen Dynamik des Systems. Wider
den Common Sense beruht sie also gerade nicht auf der
Aufnahme und Ablage von dinghaften Informationen. Der
neurobiologische Konstruktivismus überträgt diese Perspektive
letztlich
auf
alle
kognitiven
Leistungen
des
Gehirns.
Informationen können deshalb nicht mehr als etwas angesehen
werden, das im Nervensystem liegt. Sie lassen sich vielmehr nur
noch
relational,
das
heißt
im
Sinne
einer
holistischen
Netzwerkdynamik fassen, welche durch die jeweilige Geschichte
der Beziehungen von System und Umwelt konditioniert wird.“ 8
Doch entspricht dies nicht nur einer begrenzten Auffassung von
bewegtem Tätigsein? Eine Bewegung in einer Zeit? Setzt dies nicht
immer die Vorstellung einer Zeitachse voraus? Muss nicht bei jeder
Bewegung davon ausgegangen werden, dass diese Bewegung, die
gerade in diesem einen Moment an einem bestimmten Ort genau jetzt
also geschieht, in ihrer Einmaligkeit unverwechselbar ist? Würde sie
eine andere Aktivität9, ein Aktion voraussetzen, wo bliebe dann ihre
Einmaligkeit? Wenn diese Bewegung stets in ein Beziehungsgefüge
einer Re-aktion eingeordnet wird, würde sich die Freiheit der
Einmaligkeit dieser Bewegung dann nicht in einen kompletten
Determinismus begeben? Ist Aktion nicht die Antwort auf jede Frage,
aber niemals eine Re-aktion, weil es diese gar nicht geben kann, weil
eine Aktion ein Tun ist? Ist Bewegung, Tun nicht stets absolute
Gegenwart? Setzen wir die Bewegung zu etwas in Beziehung, so setzen
wir eine Vorstellung um auf eine Bewegung. Ein rein gedanklicher
Vollzug stülpt sich über die Aktion und ent-fernt sie von der Aktion als
Aktivität als Bewegung. Eine Vorstellung ist keine Bewegung im Sinne
eines Tuns. Nach Kant haben: „alle Vorstellungen […] eine notwendige
Beziehung auf ein mögliches empirisches Bewußtsein: denn hätten sie
8
9
Vogd 2014, S. 40.
Aktivität verstanden als ein Tun.
5
Der Verlust der Aktion in der Re-aktion
Ellen Wilmes
dieses nicht, […]: so würde das so viel sagen, sie existierten gar
nicht.“10 Kant spricht hier aus, welche Möglichkeit es noch gibt,
beschäftigt sich aber nicht weiter mir ihr, weil die Möglichkeit einer
Nicht-existenz im klassisch traditionellen Sinne würde sein System
zusammenfallen lassen. Dennoch ist dies genau die Stelle, an der die
Reaktion zerfällt. Setzen wir die Aktion gleich der Reaktion entfällt die
Vorstellung auf eine Beziehung zu einem „empirischen Bewußtsein“.
Dōgen schreibt im Shōbōgenzō, dass „die kraftvolle Aktivität des
Geistes selbst […] von nichts anderem erzeugt [wurde], […] und wird
von keinem Objekt beeinflusst.“11 Auf diese Weise drückt Dōgen das
von Kant kurz genannte „ so existierten sie gar nicht“ als ein gefülltes
Nichts aus. Es ist eine Aktivität, eine Handlung, die voller Kraft ist, die
auf nichts zurückfällt, die von nichts Antwort oder Reaktion wäre.
Daher existiert auch keine Beziehung, die jeweils unterstützt wird
durch eine Empirie wie Kant darlegt. „Hier waltet die eine absolute
Dharmaheit; welche absolute Indifferenz und absolute Gleichheit ist.
[…] Hier gibt es keine Relation mehr, kein »Sich« und keinen
»Anderen«, kurz keine »Person« und kein »persönliches Verhältnis«.“
12
Objektverneinung liegt hier nicht vor, denn sie wird weder bestritten
noch bekämpft. Es geht zuerst einmal lediglich um die Anerkennung,
dass eine Aktivität Bestand hat, die keinerlei Beziehung unterhält, die
also die Möglichkeit beinhaltet, keinerlei Form von Re-aktion zu sein.
Wichtig an diesem Punkt ist, dass auf diese Weise die Subjekthaftigkeit
eines Individuums die Möglichkeit erhält seine Form als Re-aktion
verlassen zu können. Es ist nicht weiterhin ein Subjekt, das heißt
untergeordnet einem Prozess, der als Reaktion auf irgendetwas, auf
eine gesetzte Beziehung eine Antwort ist. Das heißt, durch die
Akzeptanz einer möglichen Nicht-Beziehung schlüsselt sich das
allumfassende Gesetz von Subjekt-Objekt-Relation auf. Nishida drückt
10
11
12
Kant 1974, S. 174, Bd.1, A 117,118.
Dōgen Zenji 2013d, S. 307, Bd.4.
Keiji Nishitani 2014, S. 251.
6
Der Verlust der Aktion in der Re-aktion
Ellen Wilmes
dies wie folgt aus: „Ein Einzelnes im Sich-wechselseitig-Bestimmen
unzähliger Einzelner ist ein Er.[…] Daß wir das bewußtseinsmäßige
Selbst verneinen und uns auf den Standpunkt des handelnden Selbst
stellen, heißt, daß das Ich sich auf den Er-Standpunkt stellt, daß das
Ich ein Er wird. […] Auf dem Er-Standpunkt sehen wir subjektivobjektiv Dinge.“13 Im „Er-Standpunkt“, in der Auflösung der SubjektObjekt-Relation zerbricht die Getrenntheit von Subjekt und Objekt an
der Bedingung der Möglichkeit der „kraft-vollen Aktivität des Geistes
selbst“ 14, die Aktion als Aktivität ist.
3. Die be-ding-ungs-lose Be-ding-ung der Möglichkeit als Aktion
und nicht als Reaktion
Als vor ca. dreihundert Jahren Kant die Bedingung der Möglichkeit
jeglicher Erkenntnis hinterfragte und diesen Begriff ins sprachliche
Leben aller Denker setzte, ahnte er wahrscheinlich nicht um dessen
Wirkung. Sein „nur dadurch, daß ich eine gegebene Anschauung in
Absicht auf die Einheit des Bewußtseins, darin alles Denken besteht,
bestimme, kann ich irgend einen Gegenstand erkennen“15, setzt
Intentionalität, setzt eine Anschauung als Gegebenheit voraus, setzt
das Bewusstsein als Denkmittel ein, ohne dass es keinerlei Erkennen
gäbe. Bis in unsere Tage hinein, folgt jegliche Untersuchung diesem
Prinzip. Welcher Bedingung bedarf es für die Möglichkeit? Es wird
gefragt nach Intentionalität, Intentionen, nach Gegebenheiten, nach
der Herkunft von Denken und Erfahren. Erkennen wird bestimmt als
reiner Denkakt. Wenn Kant festlegt, dass das „Bewußtsein an sich […]
eine Form [der Vorstellung, E.W.]. […] die Bedingung unter der ich
13
14
15
Nishida 2014, S. 91.
Dōgen Zenji 2013d, S. 307, Bd.4.
Kant 1974, S. 346, Bd.2, B 407,408.
7
Der Verlust der Aktion in der Re-aktion
Ellen Wilmes
überhaupt denke“16 ist, so gibt er dem Leben die Bedingung des
Bewusstseins. Er erweiterte diese Vorstellung noch durch die Aussage:
„Wir sind uns a priori der durchgängigen Identität unserer Selbst in
Ansehung aller Vorstellungen, […], bewußt, als einer notwendigen
Bedingung der Möglichkeit aller Vorstellungen.“17 Doch, was geschieht
hier? Hier wird eine Setzung vorgenommen, dass a priori dies oder
jenes schon gegeben ist, wodurch die Frage im Raum bleibt, von was
und wie gegeben? Aber wird diese Vorstellung des a priori und des
Bewusstseins für Erkennen einmal einfach losgelöst von dieser
Vorstellung, ist eine Hinwendung zum gesamten Körper-Geist-Raum18
als ein Ungetrenntes frei. Dōgen beschreibt dies so: „Das Ganze der
Existenz
überschreitet
[Begriffe
wie]
»anfängliches
Sein«,
»ursprüngliche Existenz«, »wunderbares Sein« und so fort. Wie viel
weniger könnte es eine bedingte Existenz sein? […] Deshalb geht
Subjekt und Objekt, die das Ganze der Existenz aller Lebewesen sind,
[…] über das bedingte Entstehen der Phänomene, über den so
genannten »Dharma«, […] und die Praxis und Erfahrung hinaus.“19
Dōgen spricht also von einer bedingungslosen Existenz, von einem
Entstehen
ohne
Bedingung.
Wenn
Michel
Henry
darlegt:
„Die
Phänomenologie [ist] eine transzendentale Philosophie mit dem
Bemühen,
[…]
bis
zur
letzten
Möglichkeit
des
Phänomens
zurückzugehen“20 und weiter „weil das Leben die Bedingung der
Möglichkeit des Fleisches ist, ist das Fleisch, jedes Fleisch, […], nur
möglich im Leben“21, so begegnen wir der Struktur Kants jedoch
Kant 1974, S. 344, Bd.2, B 404,405/ A 346.
Kant 1974, S. 173-174, Bd.1, A 115,116.
18
Körper-Geist-Raum ist der Körper als Raum und dieser Körper ist gleichzeitig eine
Funktion, die als Geist beschreibbar ist. Dies bedeutet, dass es sich nicht um einen
intellektuellen Geist handelt, sondern das Handeln in diesem Körper Geist ist. Geist
ist Bewegung nicht im Körperraum, nicht mit dem Körperraum, sondern dieser Geist
ist Körperraum.
19
Dōgen Zenji 2013b, S. 18, Bd.2.
20
Henry 2002, S. 127.
21
Henry 2002, S. 212.
16
17
8
Der Verlust der Aktion in der Re-aktion
Ellen Wilmes
weiterhin. Denn, was ist das Letzte oder Erste? Womit wird es erreicht,
mit dem Bewusstsein, mit dem Denken?
Doch, was heißt eigentlich „Bedingung“? Was heißt eigentlich
„Möglichkeit“? Ist eine Bedingung nicht eine Setzung; steckt doch in
dem Wort „Bedingung“ das Wort Ding? Ein Ding ist eine Setzung, weil
es ist durch die Definition des Wortes Ding an einen Ort gefesselt ist.
Aus seiner Wortherkunft herrührend, ist Ding ein Thing, eine
Vollversammlung an einem bestimmten Ort, zu dem vom König
geladen wurde. Dort wurde das verhandelt, was es zu besprechen
galt.22 Eine Bedingung setzt also offensichtlich einen Ort fest, der die
Möglichkeit wiederum ist, ein Etwas zu diskutieren. Eine Bedingung ist
also nicht nur Umstände setzen und einen Rahmen schaffen, sondern
selbst eine Möglichkeit, denn durch das Setzen der Bedingung - ist
Möglichkeit. Wenn die Bedingung nicht reduziert wird auf eine
Bedingung einer „Möglichkeit für“ oder „zu“, sondern die Bedingung
selbst sich öffnet als Möglichkeit, so ermöglicht sie jegliches, was
möglich
ist.
Und,
was
ist
möglich,
machbar,
wahrscheinlich,
eventuell23? Ist nicht jegliche Aktion als Aktivität24 als Körper-GeistHandlung25 möglich? Ist nicht jegliches Erleben, Erfahren, Begreifen,
Erkennen, Denken, Erfühlen, Fühlen usw. eine Aktion als Aktivität?
Sind
diese
Wortbeschreibungen
von
körperlichem
Tun
nicht
Bedingungen oder eben auch Möglichkeiten zugleich? Wenn wir etwas
Ein Thing war die Volksversammlung, http://www.etymologie.info/~e/s_/seismen_.html, Zugriff am 30.12.2015, 15.15 Uhr.
22
23 frz. eventuel von lat. eventus -Ereignis, evenire- heraus-kommen, „ē-veniō, ēvenire […] 6.
[…] heraus-, hervorkommen“ Hau 1999, S. 347.
Aktion und Aktivität scheinen sich zu unterscheiden in der Aktion als Geschehen
als Ereignis und der Aktivität, die in diesem Geschehen stattfindet. Doch bei
genauerer Betrachtung lösen sich Aktion und Aktivität in dem einen Akt des gerade
stattfindenden Tuns auf. Das französische Wort activité wird auch mit Betätigung
übersetzt.
Aktion
wird
mit
Handeln
gleichgesetzt.
(http://de.pons.com/Übersetzung/französisch-deutsch/activité
und
http://www.duden.de/rechtschreibung/Aktion Zugriff am 31.12.13.00 Uhr) Beide
Wörter haben den gleichen Wortstamm Akt und stehen für das Tun. Daher erfährt
mein Text die Gleichstellung von Aktion und Aktivität im Sinne des von sich
ungetrennten handelnden Augenblicks.
25
Verweis siehe Fußnote 18
24
9
Der Verlust der Aktion in der Re-aktion
Ellen Wilmes
fühlen, tut unser Körper dann nicht etwas? Ginge er in eine Re-aktion
müssten wir fragen, worauf reagiert der Körper? Doch lösen wir das
Erfühlen als Fühlen, das Begreifen als Greifen, das Erkennen als
Kennen, das Erleben als Leben auf, ist Re-aktion nicht mehr akt-uell,
sondern aktuell ist die Aktualität als die jetzige Aktion als gerade die
nun getane Körper-Geist-Aktivität26. Die Aktion als Raum eines
Geschehens mit einer in ihr enthaltenen Aktivität erlischt an dieser
Stelle und wird zu einem Raum. Dieser Raum ist ein unbesetzter freier
Körper-Geist-raum, weil wenn Bedingung und Möglichkeit jederzeit
gleich sind, dann gibt es kein Ding mehr, das als Bedingung der
Möglichkeit vorausgesetzt werden könnte. Dōgen sagt: „Der Raum
selbst [ist] unendlich vielfältig. […] Vor allem solltet ihr wissen, dass
der Raum [so konkret wie] ein Grashalm ist.“27 Körper-Geist-Raum ist
eine Zugleichheit. Der konkrete Körper wie zum Beispiel der Grashalm
ist dennoch zugleich Vielfalt und Unendlichkeit, den der Geist in und
mit seinem gesamten Körper-Geist-Raum präsentiert. In der Gleichheit
und Zugleichheit von Bedingung und Möglichkeit existiert kein Ding
mehr als Bedingung der Möglichkeit vor der Gleichheit. Täte es dies,
gäbe es ein Ding als Bedingung zur Möglichkeit und dies würde die
Gleichheit von Bedingung und Möglichkeit aufheben. Daher kann auch
nicht von Gleichheit von Körper und Geist oder von Gleichheit von
Bedingung und Möglichkeit gesprochen werden, weil jegliches „von“
und „und“ als Wörter schon eine Trennung aussprechen, die nicht zur
Gleichheit passt.28 Die Gleichheit „Bedingung Möglichkeit“ und „Körper
Geist“ kann jedoch nur als unbesetzter Raum erfahren werden. Jegliche
Besetzung wäre Fest-legung und somit wieder eine Bedingung der
Möglichkeit und wir drehten uns im Kreis. Erst die bedingungslose
Verweis siehe Fußnote 18
Dōgen Zenji 2013c, S. 31,Bd.1.
28
Sprachlich sind wir an dieser Stelle noch eingeschränkt, aber sprachliche
Komponenten wachsen, wie die Sprache immer wieder belegt. Es gibt in ihr keinen
Anfang und kein Ende, weil sie selbst Körper-Geist ist. Noch einmal Verweis auf
Fußnote 18
26
27
10
Der Verlust der Aktion in der Re-aktion
Ellen Wilmes
Bedingung als Möglichkeit selbst befreit die Aktion aus der Reaktion
und macht sie zu dem, was sie ist, nämlich reaktionslos.
Nishida sagt, wenn wir die „hundert Verneinungen aufhören lassen“,
dann beginnt das Tun, „die ganz konkrete, mit unserem Leben
unmittelbar verbundene Sache.“29 Diese unmittelbar verbundene
Sache ist ohne Reaktion, sondern einfache unmittelbare Aktion als
Aktivität als Körper-Geist-Hand-lung oder Körper-Geist-Raum.
4. Die Los-igkeit als Freiheit der Aktion als Aktivität
Eine
Aktion
als
Aktivität
entsteht
daher
nur,
wenn
eine
Bedingungslosigkeit und eine Reaktionslosigkeit begriffen werden
können. Diese Los-igkeiten legen ein Problem offen. Wenn wir von Losigkeiten sprechen, bedeutet dies in der Alltagssprache, dass ein Etwas
abgelöst ist, „getrennt ist von“, dass es ein Etwas gibt, dass „nicht da“
ist. Die Los-igkeiten beschreiben eine Situation, einen Raum, der nicht
den
Vorstellungen
preisgegeben
entspricht
wird.
Wörter
und
wir
der
Nicht-vorhandenheit
„phantasie-los,
ideen-los,
bestimmungs-los“ usw. bedeuten ein - nicht vorhanden sein von -,
denn die Phantasie ist in „phantasie-los“ nicht vorhanden, die Ideen
sind in „ideen-los“ fort, die Bestimmungen in „bestimmungs-los“ gibt
es nicht. Das bedeutet, Los-igkeiten stehen für Be-freiungen, sind
somit
Freiheiten.
Begrenzungen
Los-igkeiten
befreite
sind
Aktivitäten,
Unbesetztheiten,
zum
Beispiel
sind
das
von
Wort
„erbarmungs-los“. Es zeigt diese unbegrenzte, freie Aktivität sogar
sichtbar werdend. Wie ist dies zu verstehen? Erbarmen setzt in unserer
Vorstellung ein Tun voraus; ein Tun, das sich erbarmt; erbarmt eines
Anderen30. Es handelt sich daher um ein aktives Tun, ein Hand-eln.
Bezeichnen wir einen Umstand als „erbarmungs-los“, so legen wir fest,
29
30
Keiji Nishitani 1985, S. 20.
Andere hier: Jegliches Existierendes und Nicht-Existierendes!
11
Der Verlust der Aktion in der Re-aktion
Ellen Wilmes
dass genau die von uns vorgestellte Bedingung als Tun nicht
stattfindet. In der Regel wird in unserem alltäglichen Leben dieses „los“ als ein Negativum empfunden. Doch betrachten wir die Losigkeiten doch einmal aus dem Blickwinkel ihrer Freiheit, das heißt in
ihren
Unbelegtheiten,
in
ihren
Nichtvoraussetzungen,
in
ihrer
bedingungslosen Bedingung der Möglichkeit. Wenn die Los-igkeiten zur
Möglichkeit
selbst
werden,
weil
jegliche
Bedingung
als
eine
Voraussetzung nicht mehr festgelegt ist, dann entsteht in den Losigkeiten ein „Raum“, der eben los-ge-löst ist von allen Belegungen.
Bewertungen als Voraussetzungen von Los-igkeiten spielen keine Rolle
mehr. Bewertungen zielen auf einen Wert, jedoch geben die Losigkeiten keinen Wert mehr her. Sie sind eben be-freit von Werten und
Be-werten. Das bedeutet, wenn wir von „erbarmungs-los“ sprechen,
dann entsteht ein Erbarmen, das befreit ist, das losgelöst ist von
jeglichem Wert. Das Erbarmen ist nun frei in seiner Aktivität, so dass
zum Beispiel der Schuss, der das Tier tötet, so gut oder so schlecht ist,
wie die Aufzucht von vom Aussterben bedrohter Tierarten. Hier sei
deutliche darauf hingewiesen, dass das Erbarmen kein abstraktes Wort
darstellt, sondern die Aktivität, die Aktion, die Körper-Geist-Handlung,
die bereits Erbarmen ist. Gäbe es einen Unterschied zwischen
Erbarmen und Aktivität im Rahmen einer Wertung, dann müssten wir
uns fragen, wie dieser aussehen mag. Wenn wir uns in den
Unterscheidungen von Erbarmen und Aktivität verlieren, dann bereiten
sich Voraussetzungen aus, Bedingungen, Relationen, Intentionen,
Begriffe, Gedanken-Aktionen und erschaffen einen Raum, der angefüllt
ist mit durch Denken produzierte Interaktionen; eben zwischen den
Aktionen Stehendes wird aufgebaut. In diesem Bereich befindet sich
derzeit sämtliche Wissenschaft. Dies ist nicht zu verurteilen, sondern
die bedingungslose Bedingung als Möglichkeit zu sehen, ist lediglich ein
Hinweis, dass der Körper-Geist-Raum eines Menschen mehr und
gleichzeitig weniger ist als gemeinhin aufgefasst wird. Gleichzeitig
weniger, weil die Aktion ohne Reaktion existiert. Mehr, weil die Aktion
12
Der Verlust der Aktion in der Re-aktion
Ellen Wilmes
auch Reaktion umgreift. Doch belassen wir das Erbarmen als Aktivität
(das Erschießen eines Tieres, die Aufzucht eines Tieres) als Aktion
einfach bestehen als Los-igkeit, dann ist eine freie Hand-lung möglich.
„Dōgen kommentiert: »Wir können [Erleuchtung] erfahren, wenn es
uns leiblich gelingt, für die Dauer des Gesprächs nicht zu hören.[…], es
gibt
in
der
›Reinheit‹
der
Aktivität
auch
kein
Moment
der
Transformation.«“31
Hand-lung als Bewegung der Körper-Geist-Handlung verstanden,
wie zum Beispiel das erwähnte Gespräch bei Dōgen, bezieht diese Losigkeit als Freiheit vollständig in sich ein. Jegliche Bedingung beschränkt
Möglichkeit. Eine beschränkte Möglichkeit ist im eigentlichen Sinne
keine
Möglichkeit
mehr,
sondern
eine
Schranke
der
eigenen
Begrenzung, eine sterbende Möglichkeit. Das Zulassen der Los-igkeit
als Bedingungslosigkeit und Reaktionslosigkeit eröffnet den Raum der
absoluten Freiheit der Bewegung der Körper-Geist-Handlung. In ihrer
Unbegrenztheit schafft sie Aktion als Aktivität, die ein Tun tut und
genau dadurch zu dem „los“, zu dem „kein“, zu dem „nicht“ wird. Wenn
Kant schreibt: „Alle Vorstellungen haben eine notwendige Beziehung
auf ein mögliches empirisches Bewußtsein: denn hätten sie dieses
nicht, […]: so würde das so viel sagen, sie existierten gar nicht“32, dann
deutet er genau auf diesen Bereich des „los“ oder „kein“ oder „nicht“
hin. Fallen die Vorstellungen, fallen die Beziehungen, fällt das
Bewusstsein, so wird seine Existenz existenz-los. Los-igkeiten sind
einfach. Ein Tun, das bedingungslos ist, ist einfach. Es ist eine stete
Anwesenheit der Aktion als Aktivität in ihrer absoluten Freiheit. Befreit
sein und Freiheit entsteht aus der Einfachheit heraus. Jegliche Form
von Re-aktion, die sich re-flektierend zurückwirft, ist ein Denken, das
Antworten auf Fragen sucht. Doch ist die Aktion als Aktivität keine
Antwort, sondern sie ist einfach ein Ge-löstes, eben eine Los-igkeit. Ein
Denken denkt. Ein Fühlen fühlt. Ein Sehen sieht. Ein Hören hört. Ein
31
32
Müller 2013, S. 314.
Kant 1974, S. 174, Bd.1, A 117,118.
13
Der Verlust der Aktion in der Re-aktion
Ellen Wilmes
Sprechen spricht. Genau diese Körper-Geist-Handlung ist einfach. Sie
ist nicht einmal ein sie selbst, denn das wäre schon ein erneuter
gesetzter Bezug. Dies zu begreifen, ist nach Dōgen nicht denkbar,
sondern nur erfahrbar. „Wie könnte das gewöhnliche Denken das
Wirken des Dharmas erkennen, bei dem Körper und Geist sich
verbinden? Niemand kann die Grenzen von Körper und Geist klar
erkennen.“33 Erkennen wollen ist ein Wollen, ist begierig sein nach
Antworten, ist daher nicht einfach. Los-igkeiten sind kein Wollen, kein
Erkennen mehr. Sie sind eben durch und durch klar. Dōgen stellt die
Lösung dieses Problems wie folgt dar: „Ihr [solltet] wissen, dass diese
Art der Klärung stattfindet, wenn ihr das Augenscheinliche klar seht.
Um diese Grundwahrheit wirklich zu begreifen, […], [solltet] ihr lernen,
wie der Geist beschaffen ist. “34 Dōgen empfiehlt den Geist zu
studieren, somit den Körper zu studieren und Los-igkeit zu werden,
was Einfachheit impliziert. Einfachheit steht für Unbesetztheit und
Freiheit, die den Raum freigibt für eine offene Körper-Geist-Handlung.
Mit dieser Freiheit entsteht Freude am Tun im Tun, weil das Tun einfach
tut;
losgelöst
von
Vorstellungen,
Intentionen
und
gedachten
Wahrheiten.
5. Der Wandel: Der Verlust der Reaktion bedeutet Lust der
Aktion
Mit der Be-freiung der Aktion von der Reaktion entsteht so viel
Bewegung wie sie eben unvorstellbar, nicht denkbar ist. Geben wir der
Aktion ihren Raum zurück, der derzeit verstellt ist mit Reaktionen, so
entsteht ein Raum, der wie folgt beschreibbar ist. Aktion ist Handeln.
Aktivität ist handelnde Bewegung. Handeln ist Hand und steht für das
33
34
Dōgen Zenji 2013c, S. 147, Bd.3.
Dōgen Zenji 2013d, S. 307, Bd.4.
14
Der Verlust der Aktion in der Re-aktion
Ellen Wilmes
körperliche Tun. Jedoch ist das körperliche Tun nicht begrenzt. Das
heißt, keine Vorstellung, keine Intention belegt es. Das körperliche Tun
ist als freier Geist im Sinne der oben beschriebenen Los-igkeiten
unterwegs. Die Hand-lung oder der körperliche Ausdruck ist sowohl
dem körperlichen als auch dem geistigen Tun handelnd gleichgesetzt.
Zusammenfassend lässt sich mit Dōgen sagen: „Es ist die Einheit der
wirklichen Zeit mit den Ursachen und Umständen selbst. Es ist das
Überschreiten der [nur gedachten] Ursachen und Umstände, es ist die
Buddha-Natur35 selbst, die sich von ihrer eigenen Substanz gelöst
hat.“36
Nur wenn das körperliche Tun sich vom freien Geist trennt,
entsteht Re-aktion, weil dann das Handeln sich aufspaltet in Hand und
denkendem, sich vorstellendem oder re-flektierendem Geist. Bleibt
jedoch das körperliche Tun mit seinem von Reaktionen befreiten Geist
in
seiner
unbegrenzten
Möglichkeit,
entsteht
der
unbesetzte
unbegrenzte freie Körper-Geist-Raum, der sich als Los-igkeit, eben von
allem losgelöst, bewegt. Bewegung ist jedoch genau dieses Handeln
des freien Körper-Geist-Raumes. Bewegung ist nicht ein Weg von A
nach B, weil in dem Wort Bewegung Weg enthalten ist. Dies ist es auch,
aber Bewegung ist auch zugleich die bedingungslose Bedingung der
Möglichkeit schlechthin. Nishida schreibt: „Der Ausdruck ist in unserem
Handeln enthalten. Umgekehrt gibt es ohne Ausdruck kein Handeln
unsererseits. Ausdruck ist etwas ganz und gar uns Bewegendes.“37 Das
Hand-eln
als
Aus-druck
ist
Be-weg-ung
und
gleichzeitig
„uns
Bewegendes“. Michel Henry sagt: „Das Leben [ist] eine Bewegung, […],
ohne sich jemals von sich zu trennen.“38 Das heißt, wir als Lebendige
sind Bewegung, stets ungetrennt. Rombach erörtert es so: „Nichts
»ist«, alles muß »sich tun«. Alles […] ist somit an jedem Punkt
35
36
37
38
Buddha-Natur als Alles, das gleichzeitig für Leere steht.
Dōgen Zenji 2013b, S. 20, Bd.2.
Nishida 2014, S. 74.
Henry 1997, S. 223–224.
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Der Verlust der Aktion in der Re-aktion
Ellen Wilmes
präsent.“39 Jegliches Tun ist daher als Hand-lung genau der Augenblick
des JETZT. Dieses JETZT ist bedingungslose, befreite, losgelöste Aktion
als Aktivität – eine Los-igkeit. Es zählt einzig und allein diese Aktivität,
die sich beschreiben lässt, im Gegensatz zum Verlust als Lust. Diese
Lust ist keine Gier und somit ein Wollen wollen oder eine Leidenschaft,
die sich erleidet und leidet. Diese Lust ist eher ein zugeneigt sein, eine
Neigung, wie es die germanische Herkunft des Wortes „lutan“
bezeichnet.40 Eine Neigung, die der Hand-lung zugeneigt ist. Die Aktion
ist als Aktivität ein „geneigt sein“, ein „möglich sein“, eine Hinwendung
und damit schließt sich der Kreis der Gedanken. Jede Aktion als
Aktivität ist eine Möglichkeit, deren es keiner Bedingung bedarf. Sie ist
Körper-Geist-Handlung als eine Hinwendung, die ungetrennt ist. Sie ist
im Sinne des Wortes „Neigung“ eine Neigung, die so niedrig ist, dass
keine Grenze mehr existiert und somit jegliche Reaktion von
vornherein ausgeschlossen ist oder total eingeschlossen. Die Aktion als
Aktivität ist eine Los-igkeit, die einfach sie ist. Sie geht in ihrem Tun
auf, eben zugeneigt. Doch ist dieses Tun nicht ausgrenzend, denn dann
würde es Trennungen setzen auch für sich selbst. Dieses Tun ist so
offen, wie es offen sein kann. In seiner Unbegrenztheit ist jegliches
Andere eingeschlossen, eben um die Begrenzung gelöst zu halten. Jede
Bedingung setzt ein Ding als Anfang, aber täte dieses geneigte Tun als
Aktion als Aktivität dieses, dann setzte es sich eine Grenze und wäre
somit nicht mehr frei und gelöst. Die Bedingungslosigkeit ist somit die
Bedingung der Möglichkeit der Aktion, die befreit ist von der Reaktion.
Auch wenn nun Bedingungslosigkeit als Bedingung aufgeführt ist, so
ist diese Bedingung wie es die Bedingungslosigkeit aussagt, eine
befreite, eine losgelöste Bedingung, eben eine Los-igkeit im oben
beschriebenen Sinne. Dies scheint ein Widerspruch zu sein, doch ist bei
genauerer
39
Betrachtung
diese
bedingungslose
Bedingung
die
Rombach 1994, S. 65.
40 Specht beschreibt, dass das Wort Lust nicht einmal in großen Nachschlagewerken zu finden
ist.
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Der Verlust der Aktion in der Re-aktion
Ellen Wilmes
Bedingung, die jeglichem Möglichen den Raum öffnen kann. Setzt die
Menschheit sich selbst in die Aktion-Reaktionskette, so beraubt sie sich
dem freien Möglichen und damit ihr inständig eigenes Sein, das nichts
anderes als genau dieses freie Tun als Aktion als Aktivität als KörperGeist-Handlung als Losigkeit ist. Eine Aktion-Reaktionskette sucht stets
und findet niemals eine Antwort, weil die Suche sucht, statt einfach
anzukommen. Ankommen ist jedoch das JETZT, das sich als Aktion
zeigt, sich tut, einfach ist. Sie ist die Antwort, die jegliche Frage
beantwortet, weil sie ist einfach, das, was sie ist – Aktion – Aktivität –
genau JETZT. Dōgen sagt: „Das Universum existiert »hier und jetzt«.
Es wartet nicht auf die Verwirklichung, und es entzieht sich nicht der
Zerstörung. »Diese« drei Welten [des Begehrens, der Form und der
Nicht-Form] existieren: Es gibt keinen Rückzug daraus und sie sind
nicht nur Geist. »Der Geist« existiert als Hecken und Mauern, er wird
nicht schlammig oder nass und wurde niemals künstlich erzeugt.“41 In
diesem Sinne also ein Hoch auf die Reaktion, die niemals reagiert,
sondern stets agiert.
41
Dōgen Zenji 2013a, S. 78-79, Bd.1.
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Der Verlust der Aktion in der Re-aktion
Ellen Wilmes
6. Literaturverzeichnis
Dōgen Zenji (2013a): Shōbōgenzō. 4 Bände. Heidelberg-Leimen:
Kristkeitz (Band I).
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Kristkeitz (Band II).
Dōgen Zenji (2013c): Shōbōgenzō. 4 Bände. Heidelberg-Leimen:
Kristkeitz (Band III).
Dōgen Zenji (2013d): Shōbōgenzō. 4 Bände. Heidelberg-Leimen:
Kristkeitz (Band IV).
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von Übersetzt vom Verfasser in Zusammenarbeit mit Hartmut
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Der Verlust der Aktion in der Re-aktion
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Unter Mitarbeit von übersetzt von Elmar Weinmayr. In: Ryōsuke
Ōhashi (Hg.): Die Philosophie der Kyoto-Schule. Texte und
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